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Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"
Jugendstrafverfahren wegen versuchten Totschlages und gefährlicher Körperverletzung: Berücksichtigung des Erziehungsgedankens bei der Strafzumessung
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 30. April 2013 im Strafausspruch aufgehoben; jedoch bleiben die zugehörigen Feststellungen aufrechterhalten.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Jugendkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.
Von Rechts wegen
Das [X.] hat den Angeklagten wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Jugendstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Darüber hinaus hat es eine Adhäsionsentscheidung zu Gunsten des [X.]getroffen. Seine dagegen gerichtete auf die Sachrüge gestützte Revision hat den aus dem Tenor ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist sie unbegründet.
I.
1. Nach den Feststellungen des [X.]s sah sich der Angeklagte zusammen mit [X.] am 2. Oktober 2012 die Übertragung eines Fußballspiels zwischen [X.] und [X.] im [X.]. in [X.]an. Zu ihrer Verärgerung verlor [X.] das [X.]iel, worüber sich der Zeuge [X.], der der Gruppe um die Nebenkläger [X.]und [X.]. B. angehörte, lustig machte. [X.]geriet deshalb mit [X.] des Angeklagten, dem Zeugen [X.]in einen verbalen Streit. [X.]B. versuchte diesen zunehmend heftiger werdenden Streit zu schlichten, geriet dabei aber mit [X.]in eine körperliche Auseinandersetzung. Um [X.] zu unterstützen, griff nunmehr auch der Angeklagte ein. Im Verlaufe dieser Auseinandersetzung versetzte [X.] dem Angeklagten einen Faustschlag gegen den Kopf, während [X.]B. selbst die Schulter ausgekugelt wurde.
Nach Trennung der Kontrahenten durch umstehende Personen entfernte sich der Angeklagte und ging in Richtung seines Elternhauses. Da er wegen des erlittenen [X.] noch immer wütend auf [X.]B. war, machte er nach wenigen Minuten aber wieder kehrt, um sich bei [X.]B. zu revanchieren. Noch vor Erreichen des Cafés [X.]. traf er auf [X.] , der sich ihm anschloss. [X.] zog der Angeklagte ein Butterflymesser aus seiner Hosentasche, öffnete es und hielt es offen vor sich. Einer seiner Freunde, der Zeuge [X.], hielt ihn deshalb fest, ließ ihn aber nach Androhung von [X.] wieder los.
Bei der Gruppe um [X.]und [X.]. B. angekommen griff [X.]sogleich den [X.]B. an. Dieser war wegen seiner Schulterverletzung kaum wehrfähig, weshalb mehrere Personen aus seiner Gruppe versuchten, den Angeklagten, der ihn ebenfalls angreifen wollte, zurückzudrängen. [X.]. B. gelang es schließlich, den Angeklagten festzuhalten und von hinten zu umklammern. Nachdem sich der Angeklagte aufgrund des Eingreifens umstehender Personen aus dieser Umklammerung lösen konnte, stellte er sich frontal vor [X.]. B. und stach ihm, dessen Tod billigend in Kauf nehmend, mit voller Wucht in den Brustkorb. Anschließend setzte er weitere Stiche in den Oberkörper und das Gesicht des [X.]. B. , der schließlich nicht mehr atmen konnte und sich blutüberströmt vorn über beugte; der Angeklagte wurde festgehalten und weggedrängt.
Während oder nach der Auseinandersetzung mit [X.]. B. gelang es dem Angeklagten zudem, einen gezielten Stich gegen [X.]B. zu setzen. Der Stichkanal von sechs Zentimeter Länge verlief tangential zur Hautoberfläche am [X.]. Seinen Freund Al. , der ihn zurückhalten wollte, stach der Angeklagte versehentlich ca. sieben Zentimeter tief in den Rücken.
2. Das [X.] hat das Tatgeschehen als versuchten Totschlag in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung gemäß § 224 Abs. 1 Nr. 2 und 5 StGB zum Nachteil des [X.]. B. sowie als gefährliche Körperverletzung gemäß § 224 Abs. 1 Nr. 2 und 5 StGB zum Nachteil des [X.] gewertet. Das Verfahren wegen der Tat zum Nachteil des Al. hat es gemäß § 154 Abs. 2 StPO eingestellt. Gegen den zur Tatzeit 19 Jahre und fünf Monate alten Angeklagten hat es Jugendstrafrecht angewandt und wegen der Schwere der Schuld eine Jugendstrafe in Höhe von zwei Jahren und sechs Monaten verhängt.
II.
1. [X.] beruht auf einer [X.] Beweiswürdigung. Auch sonst sind Rechtsfehler nicht ersichtlich.
2. Der Strafausspruch hält indes der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.
a) Die [X.] ist im Ergebnis zu Recht davon ausgegangen, dass wegen der Schwere der Schuld die Verhängung von Jugendstrafe erforderlich ist. Das Vorliegen des Anordnungsgrundes des § 17 Abs. 2 Satz 2 [X.] versteht sich angesichts der getroffenen Feststellungen aus dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe von selbst (vgl. auch [X.], Beschluss vom 6. Mai 2013 - 1 StR 178/13).
Die Ausführungen der [X.] lassen zwar nicht erkennen, dass sie sich bewusst war, dass bei der Beurteilung der Schuldschwere im Sinne des § 17 Abs. 2 [X.] dem äußeren Unrechtsgehalt der Tat und ihrer Einstufung nach allgemeinem Strafrecht keine selbständige Bedeutung zukommt, sondern in erster Linie auf die innere Tatseite abzustellen ist. Der äußere Unrechtsgehalt der Tat ist aber jedenfalls insofern von Belang, als aus ihm Schlüsse auf die Persönlichkeit des [X.] und die Höhe der Schuld gezogen werden können (vgl. [X.], Beschlüsse vom 19. November 2009 - 3 [X.], [X.], 281 mwN; vom 14. August 2012 - 5 [X.], [X.], 289, 290). Dies ist vorliegend ohne weiteres möglich. Der Angeklagte ist - obgleich schon eine gewisse Beruhigung eingetreten und er auf dem Heimweg war - mit einem offen geführten Messer gezielt zur Revanche gegen [X.]B. geschritten. Er hat sich weder von [X.] abhalten lassen, die sich ihm in den Weg gestellt haben, noch von [X.]. B. , dem er mehrere gezielte Stiche in den Oberkörper beibrachte. In der Tat des Angeklagten offenbaren sich daher eine hohe Gewaltbereitschaft und geringe Hemmschwelle zur Begehung einer das Leben gefährdenden Körperverletzung, denn der Angeklagte hat eine schwere und in Bezug auf [X.]. B. zudem tödliche Verletzung von mehreren Personen bewusst in Kauf genommen. Vor diesem Hintergrund begründen das Persönlichkeitsbild und die in der Tat zum Ausdruck gekommene charakterliche Haltung des Angeklagten offensichtlich auch die Schwere seiner Schuld.
b) Durchgreifenden rechtlichen Bedenken begegnen jedoch die Erwägungen, mit denen die [X.] die Höhe der Strafe begründet hat.
Gemäß § 18 Abs. 2 [X.] bemisst sich die Höhe der Jugendstrafe - auch wenn deren Verhängung vollständig auf die Schwere der Schuld gestützt wird -vorrangig nach erzieherischen Gesichtspunkten. Die Urteilsgründe müssen deshalb erkennen lassen, dass dem Erziehungsgedanken die ihm zukommende Beachtung geschenkt und bei der Bemessung der Jugendstrafe das Gewicht des Tatunrechts gegen die Folgen der Strafe für die weitere Entwicklung des Heranwachsenden abgewogen worden ist (st. Rspr.; vgl. [X.], Beschluss vom 28. Februar 2012 - 3 StR 15/12, [X.], 186, 187 mwN).
Diesen Anforderungen genügen die Strafzumessungserwägungen des angefochtenen Urteils nicht. Die Urteilsgründe verhalten sich zum Erziehungsgedanken nur formelhaft und stellen - wie bei einem Erwachsenen - ausschließlich auf das Gewicht des Tatunrechts und auf die Tatfolgen ab.
aa) Den Erziehungsgedanken hat die [X.] nur im Rahmen der von ihr vorgenommenen Gesamtabwägung "aller" - an dieser Stelle nicht ausgeführten - Umstände nach § 18 Abs. 2 [X.] erwähnt und gefolgert, dass "zur Ermöglichung der erforderlichen erzieherischen Einwirkung auf den Angeklagten" die Verhängung einer Jugendstrafe in der erkannten Höhe erforderlich sei. Weiter hat sie ausgeführt, dass insbesondere die Verhängung einer "aussetzungsfähigen" Jugendstrafe von bis zu zwei Jahren dafür nicht ausreiche. Eine derartige lediglich formelhafte Erwähnung des [X.] reicht aber grundsätzlich nicht aus ([X.], Beschluss vom 19. November 2009 - 3 [X.], [X.], 281).
bb) Den Urteilsgründen lässt sich auch in ihrem Zusammenhang nicht entnehmen, dass die [X.] den Erziehungsgedanken in der erforderlichen Weise beachtet hat.
Eine Abwägung von strafzumessungsrelevanten Umständen hat die [X.] überhaupt nur im Rahmen einer vorangestellten Prüfung eines minder schweren Falls des versuchten Totschlags nach § 213 StGB oder der gefährlichen Körperverletzung nach § 224 Abs. 1 StGB vorgenommen. Dies begegnet schon im Ansatz grundsätzlichen Bedenken.
Zwar ist es in der Rechtsprechung anerkannt, dass - unbeschadet der Regelung des § 18 Abs. 1 Satz 3 [X.] - die Frage, ob nach Erwachsenenstraf-recht ein minder schwerer Fall vorläge, auch für die Bemessung der Jugendstrafe von Bedeutung sein kann, weil darin die Bewertung des Tatunrechts durch den Gesetzgeber zum Ausdruck kommt (vgl. [X.], Beschluss vom 4. November 1987 - 3 [X.], [X.]R [X.] § 18 Abs. 1 Satz 3 minder schwerer Fall 3 mwN; Beschluss vom 25. Februar 1992 - 5 StR 36/92, [X.], 631; kritisch dazu Senat, Urteil vom 4. April 2007 - 2 StR 37/07). Die landgerichtliche Erörterung eines minder schweren Falls steht aber in keinerlei Kontext und lässt insbesondere nicht erkennen, dass es sich insoweit nur um eine hypothetische Betrachtung handeln kann, dass bei Anwendung von Erwachsenenrecht ein minder schwerer Fall nicht anzunehmen gewesen wäre. Dementsprechend wird auch nicht deutlich, ob und wenn ja, welches Gewicht das Gericht einem hypothetischen Vergleich beigemessen hat.
Die Erwägungen, die das [X.] im Rahmen dieser Prüfung angestellt hat, lassen auch keine erzieherischen Gesichtspunkte erkennen. Es handelt sich vielmehr vornehmlich um solche, die auch im Erwachsenenstrafrecht für die Bemessung der Rechtsfolgen maßgeblich sind, wie zum Beispiel, dass der Übergriff auf [X.]. B. besonders brutal war und zu massiven Verletzungen mit erheblichen gesundheitlichen Folgen geführt hat und dass der Angeklagte mehrere Qualifikationsvarianten der Körperverletzung verletzt hat.
Dass bei dem Angeklagten ein Erziehungsbedürfnis vorliegt, welches die Verhängung einer zu verbüßenden Haftstrafe erfordert, versteht sich auch unter Berücksichtigung des Gesamtzusammenhangs der Urteilsgründe nicht von selbst. Zwar erweisen sich die charakterliche Haltung und die Persönlichkeit des Angeklagten, wie sie in der Tat zum Ausdruck gekommen sind, für die Bewertung der Schuld als ebenso bedeutsam wie für das Erziehungsbedürfnis (vgl. [X.], Urteil vom 31. Oktober 1995 - 5 [X.], [X.], 120). Das [X.] durfte aber nicht in erster Linie auf das Gewicht des Tatunrechts abstellen, sondern hätte sich nach den getroffenen Feststellungen insbesondere damit auseinandersetzen müssen, ob der Tat nicht Ausnahmecharakter zukommt und ob auch mit Rücksicht auf die bisher problemlos verlaufene Persönlichkeitsentwicklung und Unbestraftheit des Angeklagten die Verbüßung einer längeren Jugendstrafe zu seiner Erziehung erforderlich ist (vgl. Senat, Beschluss vom 21. Juli 1995 - 2 StR 309/95, [X.]R [X.] § 18 Abs. 2 Erziehung 10). Hierbei hätte es auch die Folgen der Verbüßung einer längeren Jugendstrafe für die weitere Entwicklung des Angeklagten abwägen müssen (vgl. [X.], Beschluss vom 11. April 1989 - 1 [X.], [X.]R [X.] § 18 Abs. 2 Erziehung 3; [X.], Beschluss vom 14. Januar 1992 - 5 StR 657/91, [X.]R [X.] § 18 Abs. 2 Erziehung 7).
c) Das neue Tatgericht hat über die [X.] deshalb insgesamt neu zu entscheiden. Die Feststellungen sind von dem aufgezeigten Rechtsfehler nicht betroffen; sie können deshalb bestehen bleiben. Das neue Tatgericht kann ergänzende Feststellungen treffen, die den bisherigen nicht widersprechen.
Fischer Schmitt Krehl
Ott Zeng
Meta
19.02.2014
Bundesgerichtshof 2. Strafsenat
Urteil
Sachgebiet: StR
vorgehend LG Bonn, 30. April 2013, Az: 28 KLs 930 Js 779/12 - 1/13
§ 18 Abs 2 JGG, § 22 StGB, § 23 StGB, § 212 StGB, § 224 StGB
Zitiervorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 19.02.2014, Az. 2 StR 413/13 (REWIS RS 2014, 7728)
Papierfundstellen: REWIS RS 2014, 7728
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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.
2 StR 413/13 (Bundesgerichtshof)
3 StR 259/11 (Bundesgerichtshof)
Jugendstrafrecht: Vorrang des Erziehungsgedankens bei Verhängung von Jugendstrafe wegen der Schwere der Schuld
3 StR 15/12 (Bundesgerichtshof)
Jugendstrafe: Berücksichtigung des Erziehungsgedankens bei der Strafzumessung
1 StR 95/16 (Bundesgerichtshof)
Verhängung von Jugendstrafe wegen Schwere der Schuld: Berücksichtigung des Erziehungsgedankens im Rahmen der Strafzumessung
3 StR 15/12 (Bundesgerichtshof)