Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 17.10.2000, Az. VI ZR 67/00

VI. Zivilsenat | REWIS RS 2000, 855

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[X.] DES VOLKESURTEIL[X.]/00Verkündet am:17. Oktober 2000Holmes,[X.] Geschäftsstellein dem [X.]:ja[X.]Z: [X.] § 106 Abs. 3Der Begriff der gemeinsamen Betriebsstätte i.S. von § 106 Abs. 3, 3. Alt. [X.] über die Fälle der Arbeitsgemeinschaft hinaus betriebliche Aktivitäten [X.] mehrerer Unternehmen, die bewußt und gewollt bei einzelnen [X.] ineinandergreifen, miteinander verknüpft sind, sich ergänzen oder [X.], wobei es ausreicht, daß die gegenseitige Verständigung stillschweigenddurch [X.] erfolgt.[X.], Urteil vom 17. Oktober 2000 - [X.]/00 -OLGCelle LGHannover- 2 -Der VI. Zivilsenat des [X.] hat auf die mündliche [X.] 17. Oktober 2000 durch [X.] und die [X.]. [X.], [X.], [X.] und Wellnerfür Recht erkannt:Auf die Revision des [X.] wird das Urteil des [X.] vom 26. Januar 2000 aufgehoben.Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung,auch über die Kosten der Revision, an das Berufungsgericht zu-rückverwiesen.Von Rechts [X.]:Der Kläger erlitt schwere Verletzungen, als er am 19. Februar 1998 aufdem Betriebshof "Pferdeturm" der [X.] in [X.] voneiner Rangierabteilung der [X.] angefahren wurde. Er hatte [X.] Arbeitgeberin, die D.-GmbH, die im Auftrag der [X.] de-ren Reisezugwagen reinigt, gemeinsam mit zwei Arbeitskollegen die Reinigungeines Zuges abgeschlossen. Als er auf dem Weg zu einer Müllsammelstelleeinen zuvor an dem Gleis 207 abgelegten Müllsack aufheben wollte, wurde ervon der Rangierabteilung erfaßt. Lokführer war der Erstbeklagte, mitfahrenderRangierleiter der [X.] 3 -Mit der vorliegenden Klage verlangt der Kläger von den [X.] die Zahlung eines Schmerzensgeldes in Höhe [X.] DM. Er wirft ihnen vor, ein Warnsignal nicht abgegeben zu haben; erhabe sich, bevor er sich gebückt habe, nach links und rechts umgesehen, ohnedie Rangierabteilung auf dem Gleis 207 wahrzunehmen.Die Beklagten haben behauptet, der Erstbeklagte habe mit einem [X.] (einer mit Pressluft betriebenen Fanfare) zwei kurz aufeinander folgendeAchtungssignale abgegeben.Das [X.] hat der Klage stattgegeben, das [X.] auf die Berufung der Beklagten abgewiesen. Mit seiner (zugelassenen) [X.] erstrebt der Kläger die Aufhebung des Berufungsurteils und die [X.] an das Berufungsgericht.Entscheidungsgründe:I.Nach Auffassung des Berufungsgerichts läßt sich der geltend [X.] zwar nicht schon mit der Begründung verneinen,daß den Kläger an dem Unfall ein ganz überwiegendes Mitverschulden mit [X.] treffe, daß ein Verursachungsbeitrag der Beklagten bei der [X.] § 254 Abs. 1 BGB nicht ins Gewicht falle. Eine solche Abwägung sei beidem jetzigen Stand des Verfahrens nicht möglich, weil noch streitig sei, ob [X.] ein Warnsignal abgegeben habe. Die Klage sei aber deshalb [X.], weil ein etwaiger Schmerzensgeldanspruch nach § 106 Abs. 3 i.V.m.- 4 -§ 105 Abs. 1 [X.] ausgeschlossen sei. Der Kläger habe den Unfall [X.] einer vorübergehenden betrieblichen Tätigkeit auf einer für ihn unddie Beklagten gemeinsamen Betriebsstätte im Sinne von § 106 Abs. 3 [X.]erlitten. Hierfür reiche es aus , daß die Tätigkeiten der Beteiligten einem über-greifenden gemeinsamen Zweck im Sinne eines übergeordneten Betriebs-zwecks gedient hätten, der einen zumindest mittelbaren Zusammenhang zwi-schen ihnen hergestellt habe. Diese Voraussetzung liege hier vor. Die Tätigkeitdes [X.] für die D.-GmbH, die im Unfallzeitpunkt noch nicht beendet gewe-sen sei, habe ebenso wie die Tätigkeit der Beklagten dem Unternehmenszweckder [X.] gedient. Damit sei der Bereich des Gleises 207 alsgemeinsame Betriebsstätte anzusehen.Das [X.] hat die Revision zugelassen, damit die Voraus-setzungen, unter denen eine "gemeinsame Betriebsstätte" im Sinne von § 106Abs. 3 [X.] bejaht werden kann, höchstrichterlich geklärt werden.II.Der Senat teilt nicht das Verständnis des Begriffs der gemeinsamen [X.], von dem das Berufungsgericht ausgeht. Die Anforderungen, die andie Bejahung dieses Merkmals zu stellen sind, reichen vielmehr weiter mit [X.], daß hier die Haftungsprivilegierung aus §§ 106 Abs. 3, 105 Abs. 1[X.] nicht eingreift.1. Die Regelung des § 106 Abs. 3, 3. Alt. [X.], nach der die §§ [X.] 105 [X.] für die Ersatzpflicht der für die beteiligten Unternehmen [X.] untereinander gelten, wenn Versicherte mehrerer Unternehmen vorüber-gehend betriebliche Tätigkeiten auf einer gemeinsamen Betriebsstätte verrich-- 5 -ten, hat im bisherigen Recht der Haftungsersetzung nach §§ 636 ff. [X.]. Die Auslegung dieser Vorschrift ist in der Rechtsprechung der Instanz-gerichte und im Schrifttum umstritten.a) Es haben sich im wesentlichen folgende Auffassungen herausgebil-det:Ein Teil des Schrifttums ist der Auffassung, daß § 106 Abs. 3, 3. Alt.[X.] die bisherige Rechtslage nicht verändert habe. Nach dieser Meinungerfaßt die Neuregelung wie das bisherige Recht die Fälle, in denen Unterneh-men in Form einer Arbeitsgemeinschaft kooperieren (vgl. [X.], Haftungs-recht des Straßenverkehrs, 3. Aufl. 1997, [X.] II Rdn. 26; so wohl auch [X.],NZV 1996, 473, 477).Nach anderer Auffassung setzt die Anwendung des § 106 Abs. 3, 3. Alt.[X.] zwar nicht eine Arbeitsgemeinschaft der beteiligten Unternehmen,wohl aber über den zeitlichen und räumlichen Kontakt der betrieblichen [X.] hinaus ein gemeinsames Ziel der Unternehmen (so [X.]/[X.],[X.], § 106 Rdn. 16), die Verfolgung eines gemeinsamen Zwecks (soMaschmann, [X.] 1998, 54, 59) oder die Unterhaltung einer Betriebsstätte ingemeinsamer Organisation und Verantwortung voraus (so [X.] [X.]/Ricke, 2. Aufl. 1999, § 106 [X.] Rdn. 5). Diese Auffassung vertritt auchdie Revision.Diesen engen Gesetzesauslegungen steht die Meinung derer gegen-über, die es ausreichen lassen, daß ein zeitlicher und räumlicher Kontakt vonneben- oder nacheinander stattfindenden Verrichtungen besteht ([X.]/[X.],[X.], 22. Aufl. 1997, [X.]. 31 Rdn. 84; [X.]/[X.],[X.], § 106 Rdn. 19; [X.] in [X.] Arbeitsrecht Teil 2 I- 6 -Rdn. 91 f.; [X.], [X.], 374, 375; [X.], [X.]; [X.], [X.] 1999, 306 f.), wobei jede betriebliche Tätigkeit eine "[X.]" begründe ([X.], [X.], 265, 266; [X.]. [X.], 155,156 f.; [X.]. [X.] 1999, 307, 308; [X.]/[X.], [X.], 408, 411).Für die geforderte "Gemeinsamkeit" der Betriebsstätte genüge jede, wenn auchlose Verbindung zwischen den einzelnen Verrichtungen; nur ein zufälliges [X.] reiche nicht aus ([X.], aaO). Nach einer noch weitergehen-den Meinung ist sogar nur eine Tätigkeit auf "[X.]elben" Betriebsstätte zu for-dern ([X.]/[X.], aaO S. 413).Dazwischen bewegt sich eine vermittelnde Auffassung. Nach ihr verlangt§ 106 Abs. 3, 3. Alt. [X.] weder eine rechtliche Verfestigung der Kooperati-on der beteiligten Unternehmen noch die Verfolgung eines gemeinsamen [X.] Zwecks oder eine gemeinsame Organisation oder Verantwortung. Ande-rerseits reiche für die Normanwendung aber ein bloßes Nebeneinander [X.] nicht aus, vielmehr sei zumindest ein Miteinander im Sinne einerVerknüpfung einzelner Leistungen zu fordern (so [X.], [X.], 376 [X.] Heft 23 S. 199, 211 f. und wohl auch [X.], [X.], § 106 Rdn. 9,Waltermann, NJW 1997, 3401, 3403 und Wannagat/Waltermann, [X.], [X.] § 106 Rdn. 5, vgl. ferner [X.], [X.],459, 462).b) Der Senat vermag den Auffassungen, die die Bildung einer Arbeits-gemeinschaft oder die Vereinbarung eines gemeinsamen Ziels und Zwecks [X.] oder eine gemeinsame Organisation und Verantwortung verlangen,nicht zu folgen. Diese Auffassungen sind zwar mit dem Wortlaut des § 106Abs. 3, 3. Alt. [X.] durchaus vereinbar, unterscheiden sich aber von derbisherigen Rechtslage, nach der bereits in den Fällen der [X.] -die Haftungsfreistellung einsetzte, nicht oder nur graduell. Es kann indes nichtdavon ausgegangen werden, daß der Gesetzgeber mit der Einführung einereigenständigen Regelung unter Verwendung des in diesem Zusammenhangneuartigen Begriffs der gemeinsamen Betriebsstätte den bisherigen Rechtszu-stand lediglich festschreiben oder nur geringfügig ausdehnen wollte. [X.] die Vorschrift trotz der Unauffälligkeit ihrer Position im Gefüge des § 106Abs. 3 [X.] und trotz der Unergiebigkeit der Gesetzesbegründung ([X.]. 13/2204 [X.]) durch die Besonderheit des Norminhalts die gesetzgebe-rische Intention erkennen, die Haftungsfreistellung des Schädigers in den Fäl-len der Beteiligung mehrerer Unternehmen im Vergleich zum bisherigen [X.] zu erweitern. Hinter dieser Zielsetzung bleibt eine derart enge Ausle-gung des Begriffs der gemeinsamen Betriebsstätte in nicht hinnehmbarer [X.] zurück.Auf der anderen Seite vernachlässigt die weite Auffassung, nach [X.]chon eine Schädigung bei einem bloßen lokalen Nebeneinander zweier Un-ternehmensaktivitäten zu einer Haftungsbefreiung des Schädigers führen soll,die weitgehend akzeptierte Erkenntnis, daß die vom Gesetz vorausgesetzte"gemeinsame" Betriebsstätte jedenfalls mehr ist als dieselbe Betriebsstätte. Mitdem in diesem Normzusammenhang ungewöhnlichen Postulat der Gemein-samkeit der Betriebsstätte bezweckt der Gesetzgeber offensichtlich zugleich,den Kreis der Schadensfälle nicht ausufern zu lassen, in denen eine Haftungs-befreiung einsetzen soll, wenn das Zusammentreffen der Risikosphären mehre-rer Betriebe zum Schadensfall führt.Dieser gesetzgeberischen Zielsetzung trägt bei einem unbefangenenGesetzesverständnis am ehesten eine Auslegung des Begriffs der gemeinsa-men Betriebsstätte Rechnung, nach der § 106 Abs. 3, 3. Alt. [X.] ein be-- 8 -wußtes Miteinander im Arbeitsablauf meint, das zwar nicht nach einer rechtli-chen Verfestigung oder auch nur ausdrücklichen Vereinbarung verlangt, sichaber zumindest tatsächlich als ein aufeinander bezogenes betriebliches Zu-sammenwirken mehrerer Unternehmen darstellt. Die Haftungsfreistellung aus§ 106 Abs. 3, 3. Alt. [X.] erfaßt damit über die Fälle der Arbeitsgemein-schaft hinaus betriebliche Aktivitäten von Versicherten mehrerer Unternehmen,die bewußt und gewollt bei einzelnen Maßnahmen ineinandergreifen, mitein-ander verknüpft sind, sich ergänzen oder unterstützen, wobei es ausreicht, [X.] gegenseitige Verständigung stillschweigend durch [X.] erfolgt. [X.] wird dadurch bestätigt, daß der Gesetzgeber die ge-meinsame Betriebsstätte in § 106 Abs. 3 [X.] in Parallelität zum Zusam-menwirken von Unternehmen zur Hilfe bei Unglücksfällen oder des Zivilschut-zes regelt und damit Kooperationsformen ins Auge faßt, in denen im faktischenMiteinander die Tätigkeit der Mitwirkenden aufeinander bezogen oder mitein-ander verknüpft oder auf gegenseitige Ergänzung oder Unterstützung ausge-richtet ist (vgl. hierzu auch [X.], [X.] Danach hat der Kläger die Verletzungen, aus denen er seinenSchmerzensgeldanspruch herleitet, nicht bei einer betrieblichen Tätigkeit [X.] gemeinsamen Betriebsstätte im Sinne von § 106 Abs. 3 [X.] erlitten.Er ist nicht im Zuge betrieblicher Tätigkeiten der D.-GmbH einerseits und der[X.] andererseits zu Schaden gekommen, die bewußt und ge-wollt bei einzelnen Maßnahmen ineinander griffen, miteinander verknüpft [X.], sich gegenseitig ergänzten oder unterstützten. Vielmehr befand er sich [X.] Arbeitskollegen auf dem Rückweg von einer Zugreinigung, während diebeiden Beklagten mit einer Rangierabteilung unterwegs waren. Diese [X.] vollzogen sich beziehungslos nebeneinander. Sie trafen hier reinzufällig [X.] -3. Da mithin die Haftungsfreistellung aus §§ 106 Abs. 3, 105 Abs. 1[X.] nicht eingreift, kommt es darauf an, ob den Beklagten ein unfallur-sächliches Verschulden angelastet werden kann und - wenn ja - wie der Mit-verursachungsbeitrag des [X.] nach § 254 Abs. 1 BGB zu gewichten ist.Hierzu bedarf es noch weiterer Feststellungen, wie das Berufungsgericht [X.] ausführt.[X.]. [X.]

Meta

VI ZR 67/00

17.10.2000

Bundesgerichtshof VI. Zivilsenat

Sachgebiet: ZR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 17.10.2000, Az. VI ZR 67/00 (REWIS RS 2000, 855)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2000, 855

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