Bundesgerichtshof, Beschluss vom 19.01.2012, Az. V ZR 141/11

5. Zivilsenat | REWIS RS 2012, 9973

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Gegenstand

Sachmangel eines gekauften Hausgrundstücks wegen Wohnflächenabweichung: Nichtberücksichtigung erheblichen Beweisangebots; Anordnung ergänzender Begutachtung bei Fehlern der Wertermittlung


Tenor

Auf die Nichtzulassungsbeschwerde der Kläger wird das Urteil des 1. Zivilsenats des [X.] vom 18. Mai 2011 aufgehoben.

Der Rechtsstreit wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Verfahrens der Nichtzulassungsbeschwerde, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Der Gegenstandswert des Beschwerdeverfahrens beträgt 65.000 €.

Gründe

I.

1

Mit notariellem Vertrag vom 21. November 2008 verkauften die Beklagten den Klägern ein mit einem zweistöckigen Einfamilienhaus bebautes Grundstück zu einem Gesamtkaufpreis von 459.000 € (429.000 € für das Grundstück und 30.000 € für Küche und Einbauschränke) unter Ausschluss der Gewährleistung für die Größe und die Beschaffenheit des Kaufgegenstands.

2

Die Beklagten hatten im Oktober 2008 der Streithelferin einen Alleinauftrag zur Suche eines Käufers erteilt, die in Zeitungsinseraten, im [X.] sowie in einem Exposé das Objekt mit der Angabe einer Wohnfläche von 160 m

3

Die Kläger haben unter Hinweis darauf, dass die umbaute Wohnfläche lediglich 133,21 m

II.

4

Das Berufungsgericht meint, auf Grund der Angabe einer Wohnfläche von 160 m

5

Der Sachmangel berechtige aber nicht zur Minderung, da nach dem eingeholten Sachverständigengutachten keine Differenz zwischen dem Wert der mangelfreien und dem wirklichen Wert der Sache festzustellen sei, nach dem eine Herabsetzung des Kaufpreises nach § 441 Abs. 3 BGB zu berechnen sei. Bei der von dem Sachverständigen für richtig gehaltenen Verkehrswertermittlung im Sachwertverfahren wirke sich die Abweichung von etwas mehr als 10 m

III.

6

Das angefochtene Berufungsurteil ist auf die Nichtzulassungsbeschwerde der Kläger nach § 544 Abs. 7 ZPO aufzuheben, weil das Berufungsgericht deren Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) in entscheidungserheblicher Weise verletzt hat.

7

1. Die Nichtzulassungsbeschwerde sieht mit Recht eine Verletzung dieses Verfahrensgrundrechts darin, dass das Berufungsgericht das Vorbringen der Kläger, wie die Wohnflächen von Einfamilienhäusern in den Inseraten und den Exposés der Makler berechnet würden, zurückgewiesen hat, ohne ihren Beweisangeboten nachzugehen.

8

a) Die Nichtberücksichtigung eines erheblichen Beweisangebots, die im Prozessrecht keine Stütze hat, verstößt gegen Art. 103 Abs. 1 GG ([X.], Beschluss vom 11. Mai 2010 - [X.], NJW-RR 2010, 1217, 1281 mwN; Senatsbeschluss vom 28. April 2011 - [X.], Rn. 10, juris - std. Rspr.). Das gilt insbesondere dann, wenn die Nichtberücksichtigung des Beweisangebots auf vorweggenommener tatrichterlicher Beweiswürdigung beruht (vgl. [X.], Urteil vom 19. November 2008 - [X.], [X.] 2010, 64; [X.], NJW 2009, 1585, 1587 - std. Rspr.) Eine unzulässige Beweisantizipation liegt vor, wenn der von einer [X.] angebotene Beweis nicht erhoben wird, weil das Gericht dem unter Beweis gestellten Vorbringen wegen seiner bereits gewonnenen Überzeugung kein Gewicht mehr beimisst (vgl. [X.], NJW-RR 2001, 1006, 1007).

9

b) So ist es hier. Das Berufungsgericht hätte den Beweis erheben müssen. Es geht zutreffend davon aus, dass eine vertragliche Erklärung über die Größe der Wohnfläche der Auslegung nach §§ 133, 157 BGB bedarf und dass dann, wenn - wie hier - ein konkreter Berechnungsmaßstab nicht vereinbart worden ist, der Begriff der Wohnfläche unter Berücksichtigung der Verkehrssitte zu bestimmen ist. Das entspricht der Rechtsprechung des Senats (vgl. die Urteile vom 30. November 1990 - [X.], NJW 1991, 912, 913 und vom 11. Juli 1997 - [X.], NJW 1997, 2874, 2875). Ob eine behauptete Verkehrssitte besteht, ist jedoch keine Rechts-, sondern eine Tatfrage (vgl. [X.], Urteil vom 28. November 1963 - [X.], [X.]Z 40, 332 334 und die Senatsurteile vom 30. November 1990 - [X.], NJW 1991, 912, 913 und vom 11. Juli 1997 - [X.], NJW 1997, 2874, 2875).

Von diesem Ansatzpunkt aus hätte das Berufungsgericht dem von der Nichtzulassungsbeschwerde zitierten Beweisantritt auf Einholung einer (amtlichen) Auskunft der Architektenkammer, die ein geeignetes Beweismittel zur Feststellung einer Verkehrssitte ist (vgl. [X.], Urteil vom 1. Dezember 1965 - [X.], NJW 1966, 502, 503 zur Ermittlung von Handelsbräuchen), nachgehen müssen und den unzulässigen Antrag auf Einholung einer Auskunft eines [X.], der keine Behörde ist, erst nach einem Hinweis nach § 139 Abs. 1 ZPO auf das zulässige Beweismittel (Beantragung eines Sachverständigengutachtens, vgl. [X.], Beschluss vom 13. Januar 2011 - [X.], NJW-RR 2011, 451) zurückweisen dürfen.

2. [X.] betrifft auch einen entscheidungserheblichen Punkt. Das ist schon dann der Fall, wenn nicht ausgeschlossen werden kann, dass das Berufungsgericht bei Berücksichtigung des übergangenen Vorbringens anders entschieden hätte (Senat, Beschluss vom 9. Juni 2005 - [X.], NJW 2005, 2624, 2625).

Bestünde die von den Klägern behauptete Verkehrssitte, wäre sie für die Auslegung der Erklärung zur Größe der Wohnfläche auch dann maßgebend, wenn sie den Beklagten oder ihrer Streithelferin nicht bekannt gewesen sein sollte ([X.], Urteil vom 12. Dezember 1953 - [X.], [X.] zu § 157 (B) BGB). Wäre die Behauptung der Kläger richtig, ergäbe sich danach nicht eine Abweichung von lediglich 6,75 % zwischen der Wohnflächenangabe von 160 m

IV.

Unabhängig davon, ob die Wohnfläche allein nach der Größe der Räume oder auch unter Einbeziehung der Terrasse nach der Wohnflächenverordnung zu ermitteln ist - wird das Berufungsgericht zu prüfen haben, ob zur Ermittlung der Anspruchshöhe eine ergänzende Begutachtung nach § 412 Abs. 1 ZPO anzuordnen ist.

Diese Entscheidung steht zwar grundsätzlich im pflichtgemäßen Ermessen des Tatrichters, das sich aber dann zu einer Pflicht verdichtet, wenn das Gutachten von unzutreffenden tatsächlichen Voraussetzungen ausgegangen ist oder das Gutachten Widersprüche enthält (vgl. [X.], Urteil vom 16. März 1999 - [X.], NJW 1999, 1778, 1779. Das könnte hier zu bejahen sein, weil der Sachverständige bei der Ermittlung des Verkehrswerts insofern von unzutreffenden Voraussetzungen ausgegangen ist, als er seinen Berechnungen einen falschen Haustyp zugrunde gelegt hat. Bei richtiger  Wertermittlung ergeben sich nach seinen Angaben für das Sachwertverfahren höhere Baukosten (um 20 € je m

Krüger                                    Stresemann                                      Czub

                      Brückner                                      Weinland

Meta

V ZR 141/11

19.01.2012

Bundesgerichtshof 5. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZR

vorgehend OLG Koblenz, 18. Mai 2011, Az: 1 U 65/10

§ 433 BGB, § 434 BGB, § 437 BGB, § 440 BGB, § 441 BGB, Art 103 Abs 1 GG, § 412 Abs 1 ZPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 19.01.2012, Az. V ZR 141/11 (REWIS RS 2012, 9973)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 9973

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