Bundessozialgericht, Urteil vom 28.10.2014, Az. B 14 AS 65/13 R

14. Senat | REWIS RS 2014, 1820

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Gegenstand

Sozialgeldanspruch - vorübergehender Ferienaufenthalt der im Ausland lebenden nichterwerbsfähigen Kinder bei den leistungsberechtigten Eltern in Deutschland - verfassungs- und völkerrechtskonforme Auslegung - sozialgerichtliches Verfahren - notwendige Beiladung


Leitsatz

Das Fehlen eines Wohnsitzes oder gewöhnlichen Aufenthalts in Deutschland steht dem Anspruch auf Sozialgeld eines nichterwerbsfähigen Leistungsberechtigten, der mit einem erwerbsfähigen Leistungsberechtigten in einer Bedarfsgemeinschaft lebt, nicht entgegen.

Tenor

Auf die Revisionen der Klägerinnen wird das Urteil des [X.] vom 14. Oktober 2013 geändert und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 6. Juli 2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. Juni 2012 verurteilt, den Klägerinnen jeweils pro Monat für die [X.] vom 1. Juli 2011 bis zum 30. September 2011 Sozialgeld in Höhe von 251,00 Euro zu zahlen.

Die Beklagte hat den Klägerinnen die außergerichtlichen Kosten des Rechtsstreits zu 9/10 zu erstatten.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten nur noch um Ansprüche der Klägerinnen auf Sozialgeld nach dem [X.] ([X.]I).

2

Die am 1998 geborene Klägerin zu 1 und die am [X.] geborene Klägerin zu 2 sind die Kinder der am 1974 geborenen [X.] und des am 1969 geborenen [X.], beide wohnhaft in [X.]. Die Eltern der Klägerinnen stehen im Bezug von [X.] bei der beklagten Stadt [X.], die im eigenen Namen anstelle des als Optionskommune zugelassenen [X.] diese Aufgabe wahrnimmt. Die Mutter der Klägerinnen ist [X.] Staatsangehörige, der Vater ist - wie die Klägerinnen selbst - [X.] Staatsangehöriger. Die Klägerinnen besuchen eine Schule in [X.] und wohnen dort bei ihren Großeltern, während der [X.]n Sommerferien halten sie sich bei ihren Eltern auf, so auch im [X.] vom 1.7. bis zum 30.9.2011. Ihre Anträge auf Bewilligung von Sozialgeld für diese Zeit lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 6.7.2011 ab. Die Widersprüche der Klägerinnen wies das Jobcenter des [X.] mit Widerspruchsbescheid vom 11.6.2012 zurück, weil die Klägerinnen entgegen § 30 Abs 1 [X.] ([X.]) und § 7 Abs 1 Satz 1 [X.]I keinen gewöhnlichen Aufenthalt in [X.] hätten. Aufgrund des Schulbesuchs in [X.] liege ihr Lebensmittelpunkt und damit ihr gewöhnlicher Aufenthalt in [X.].

3

Das Sozialgericht ([X.]) Münster hat die Klagen abgewiesen (Urteil vom 14.10.2013), weil für die geltend gemachten Ansprüche auf Sozialgeld ein gewöhnlicher Aufenthalt in [X.] erforderlich sei, der fehle. Diese Voraussetzung ergebe sich aus einem Zusammenspiel der Vorschriften des § 7 Abs 1 Satz 1 [X.]I und § 30 Abs 1 [X.]. Eine davon abweichende anderweitige Regelung, wie sie in § 37 [X.] vorgesehen sei, gebe es nicht. Der Schutz von Ehe und Familie (Art 6 Grundgesetz ) gebiete es nicht, jede die Familie treffende Belastung auszugleichen und eröffne dem Gesetzgeber einen weiten Gestaltungsspielraum, der nicht überschritten sei.

4

Mit ihren vom [X.] zugelassenen Sprungrevisionen rügen die Klägerinnen eine Verletzung der §§ 30, 37 [X.] und des § 7 [X.]I sowie von Art 6 GG, weil der Bezug von Sozialgeld keinen gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik [X.] voraussetze. Ihre ursprünglich ebenfalls erhobenen Ansprüche auf Schulbedarf haben die Klägerinnen im Revisionsverfahren zuletzt nicht weiterverfolgt.

5

Die Klägerinnen beantragen,
das Urteil des [X.] vom 14. Oktober 2013 zu ändern und die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides vom 6. Juli 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. Juni 2012 zu verurteilen, ihnen jeweils pro Monat Sozialgeld in Höhe von 251,00 Euro vom 1. Juli bis zum 30. September 2011 zu zahlen.

6

Die Beklagte beantragt,
die Revisionen zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

7

Die zulässigen Revisionen der [X.] sind im aufrechterhaltenen Umfang begründet (§ 170 Abs 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz <[X.]G>), da ihnen die geltend gemachten Ansprüche auf Sozialgeld in Höhe ihres Regelbedarfs für die [X.] ihres Aufenthalts in [X.] vom 1.7. bis zum 30.9.2011 zustehen.

8

1. Streitgegenstand des Revisionsverfahrens sind nur noch diese Ansprüche der [X.] auf Sozialgeld, die die Beklagte mit Bescheid vom 6.7.2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.6.2012 abgelehnt hat. Die Geltendmachung nur des Regelbedarfs und nicht auch von Leistungen für Unterkunft und Heizung ist nach dem 31.12.2010 weiterhin ein abtrennbarer prozessualer Anspruch, soweit er - wie vorliegend - Gegenstand einer abtrennbaren Verfügung des angegriffenen Bescheids ist (vgl B[X.] vom [X.] - [X.] [X.]/13 R - vorgesehen für [X.]-4200 § 22 [X.] Rd[X.] 10 ff mwN). Die [X.] haben ihre Ansprüche zutreffend mit der statthaften kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 1 Satz 1, Abs 4, § 56 [X.]G) geltend gemacht.

9

2. Die beklagte Stadt ist die richtige Beklagte, auch wenn sie nicht Träger der geltend gemachten Leistungen ist, sondern der [X.], dem sie angehört, weil ihr die Aufgaben des Trägers zur Wahrnehmung im eigenen Namen übertragen sind (Wahrnehmungszuständigkeit) und sie daher im Außenverhältnis verpflichtet ist (vgl [X.] vom 20.9.2012 - [X.] [X.] 13/11 R - [X.], 61 = [X.]-3500 § 90 [X.], Rd[X.] 10; [X.] vom 15.4.2008 - [X.]/7b [X.] - juris Rd[X.] 15; Söhngen in jurisP[X.]-[X.], 2. Aufl 2014, § 99 Rd[X.]/21). Der [X.] ist gemäß § 1 [X.]ommunalträger-Zulassungsverordnung (idF vom 1.12.2010, [X.]) iVm § 6a Abs 2 [X.] als [X.] zugelassen. Seine alleinige Trägerschaft für Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende ist nicht dadurch auf die Beklagte übergegangen, dass ihr der [X.] gemäß § 6 Abs 2 [X.] iVm § 5 Abs 2 des Gesetzes zur Ausführung des [X.] Sozialgesetzbuch für das [X.] (vom 16.12.2004, GVBl [X.] 821) iVm § 1 Abs 1 der Satzung des [X.] über die Durchführung der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem [X.] im [X.] vom [X.] in der Fassung der Änderungssatzung vom [X.] die Durchführung der ihm als Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende obliegenden Aufgaben nach dem [X.] zur Entscheidung im eigenen Namen übertragen hat (vgl zur [X.] des § 99 Abs 1 Zwölftes Buch Sozialgesetzbuch <[X.]> [X.] vom 11.12.2007 - [X.]/9b [X.] 21/06 R - [X.], 252 = [X.]-3500 § 28 [X.], Rd[X.] 11 f). Die Vorschrift des § 6 Abs 2 [X.] ermöglicht eine Heranziehung der kreisangehörigen Städte zur Aufgabenwahrnehmung und ist damit eine Rechtsgrundlage für die Übertragung der Wahrnehmungszuständigkeit, nicht aber der weiteren Übertragung der Trägerschaft für die Leistungen.

3. Von Amts wegen zu berücksichtigende Verfahrensfehler liegen nicht vor. Insbesondere war der [X.], der den Widerspruchsbescheid erlassen hat, nicht notwendig beizuladen. Er ist nicht Dritter im Sinne des § 75 Abs 2 Alt 1 [X.]G, da er die ihm obliegenden Aufgaben durch die Beklagte wahrnimmt (vgl [X.] vom 20.9.2012 - [X.] [X.] 13/11 R - [X.], 61 = [X.]-3500 § 90 [X.], Rd[X.] 11). Auch ein Fall der unechten notwendigen Beiladung gemäß § 75 Abs 2 Alt 2 [X.]G liegt nicht vor, da - wie bereits ausgeführt - Träger der Leistungen der [X.] ist und allenfalls streitig sein könnte, ob der Träger selbst oder die Beklagte verpflichtet ist. Darauf kommt es jedoch mangels Rüge nicht an (vgl [X.] vom [X.] - B 4 [X.]/11 R - [X.]-4200 § 12 [X.] Rd[X.] 13; [X.] vom 16.11.1978 - 3 R[X.] 79/77 - [X.] 1500 § 75 [X.] 20; [X.] in [X.]/[X.]/[X.], 11. Aufl 2014, § 75 Rd[X.] 13b mwN aus der Rspr des B[X.]).

4. Örtlich zuständig für die von den [X.] geltend gemachten Leistungen für die [X.] ihres Aufenthalts bei ihren Eltern ist infolge deren gewöhnlichen Aufenthalts in [X.] die beklagte Stadt [X.] (§ 36 Satz 1 [X.]; vgl im Übrigen § 36 Satz 3 [X.] für Leistungen an Minderjährige während der [X.] der Ausübung des Umgangsrechts).

5. Rechtsgrundlage für die geltend gemachten Ansprüche auf Sozialgeld sind § 19 Abs 1 Satz 2 und § 7 Abs 2 Satz 1, Abs 3 [X.] 4 [X.]. Danach erhalten nichterwerbsfähige Leistungsberechtigte, die mit erwerbsfähigen Leistungsberechtigten in einer Bedarfsgemeinschaft leben, Sozialgeld, soweit sie keinen Anspruch auf Leistungen nach dem Vierten [X.]apitel des [X.] haben.

Diese Voraussetzungen wurden von den [X.] in der strittigen [X.] erfüllt. Sie hatten keine Ansprüche auf die im Vierten [X.]apitel des [X.] geregelten Leistungen im Alter und bei Erwerbsminderung, bildeten mit ihren Eltern eine temporäre Bedarfsgemeinschaft (dazu a) und waren nichterwerbsfähige Leistungsberechtigte (dazu b).

a) Die [X.] bildeten mit ihren erwerbsfähigen, leistungsberechtigten Eltern, die nach § 7 Abs 3 [X.] 1, 3 [X.] eine Bedarfsgemeinschaft waren, eine temporäre Bedarfsgemeinschaft. Zur Bedarfsgemeinschaft gehören gemäß § 7 Abs 3 [X.] 4 [X.] die dem Haushalt angehörenden unverheirateten [X.]inder der erwerbsfähigen Leistungsberechtigten, wenn sie das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, soweit sie die Leistungen zur Sicherung ihres Lebensunterhalts nicht aus eigenem Einkommen oder Vermögen beschaffen können. Gehören die [X.]inder nur zeitweise diesem Haushalt an, liegt eine sog temporäre Bedarfsgemeinschaft vor ([X.] vom [X.] - [X.] [X.]/12 R - [X.]-4200 § 7 [X.]5; [X.] vom [X.] - [X.] [X.]/08 R - [X.]-4200 § 7 [X.] 13; [X.] vom 7.11.2006 - B 7b [X.] - [X.], 242 = [X.]-4200 § 20 [X.] 1).

Nach dem Gesamtzusammenhang der Feststellungen des [X.] und der übereinstimmenden [X.]larstellung der Beteiligten in der mündlichen Verhandlung gehörten die minderjährigen, unverheirateten [X.], die sonst bei ihren Großeltern lebten, im strittigen [X.]raum dem Haushalt ihrer Eltern an und verfügten über kein Einkommen und Vermögen.

b) Die [X.] waren nichterwerbsfähige Leistungsberechtigte. Eine ausdrückliche Definition des Begriffs "nichterwerbsfähige Leistungsberechtigte" enthält das [X.] nicht. Eine eigenständige, über die fehlende Erwerbsfähigkeit hinausgehende Anspruchsvoraussetzung ist der Formulierung des § 19 Abs 1 Satz 2 [X.] nicht zu entnehmen. § 7 Abs 1 Satz 1 [X.] enthält nur eine Legaldefinition des erwerbsfähigen Leistungsberechtigten, während § 7 Abs 2 Satz 1 [X.] den Begriff "Leistungsberechtigter" nicht enthält, sondern nur von "Personen" spricht, die mit erwerbsfähigen Leistungsberechtigten in einer Bedarfsgemeinschaft leben. Daran, dass die [X.] nicht erwerbsfähig waren, besteht aufgrund ihres Alters von zwölf und neun Jahren kein Zweifel (vgl §§ 2, 5 Jugendarbeitsschutzgesetz).

aa) Diese Voraussetzungen eines Leistungsanspruchs für nichterwerbsfähige Leistungsberechtigte sind nicht um die Voraussetzungen des § 7 Abs 1 Satz 1 [X.] für erwerbsfähige Leistungsberechtigte zu erweitern. Die Regelung des § 7 Abs 1 Satz 1 [X.] steht im Einklang mit § 19 Abs 1 Satz 1 [X.] und enthält die Voraussetzungen für den Bezug von [X.] durch erwerbsfähige Leistungsberechtigte. Die Regelung des § 7 Abs 2 Satz 1 [X.] steht im Einklang mit § 19 Abs 1 Satz 2 [X.] und normiert die Voraussetzungen für den Bezug von Sozialgeld durch nichterwerbsfähige Leistungsberechtigte. Beide Regelungen stehen nebeneinander und auch die einleitende Formulierung des § 7 Abs 1 Satz 1 [X.] "Leistungen nach diesem Buch erhalten Personen …" wird durch eine entsprechende Formulierung in § 7 Abs 2 Satz 1 [X.] ergänzt, wonach "Leistungen … auch Personen (erhalten), die mit erwerbsfähigen Leistungsberechtigten in einer Bedarfsgemeinschaft leben".

Dieses Nebeneinander für sich stehender Anspruchsgrundlagen schließt es aus, § 7 Abs 1 Satz 1 [X.] als Ergänzung zu den Voraussetzungen der § 19 Abs 1 Satz 2 und § 7 Abs 2 Satz 1 [X.] zu verstehen, zumal die in § 7 Abs 1 Satz 1 [X.] genannten Voraussetzungen auf nichterwerbsfähige Leistungsberechtigte entweder nicht passen oder bereits in den in § 19 Abs 1 Satz 2 oder § 7 Abs 2 Satz 1 [X.] genannten Merkmalen enthalten sind. Von den in der Legaldefinition der "erwerbsfähigen Leistungsberechtigten" in § 7 Abs 1 Satz 1 [X.] enthaltenen Tatbestandsmerkmalen passt der in [X.] 1 geregelte "Altersrahmen" nicht zu den Voraussetzungen des [X.]. Die Erwerbsfähigkeit der [X.] 2 stellt das [X.] zwischen erwerbsfähigen Leistungsberechtigten und nichterwerbsfähigen Leistungsberechtigten sowie dem Zugang zu [X.] oder zu Sozialgeld (§ 19 Abs 1 Satz 1 und Satz 2 [X.]) dar. Die in der [X.] genannte Hilfebedürftigkeit enthält für [X.]inder keine weitere Anspruchsvoraussetzung, da bei fehlender Hilfebedürftigkeit bereits keine Zugehörigkeit zur Bedarfsgemeinschaft vorliegt (§ 7 Abs 3 [X.] 4 [X.]). Es könnte daher aus dem [X.]atalog des § 7 Abs 1 Satz 1 [X.] ausschließlich die [X.] 4 - der gewöhnliche Aufenthalt in der Bundesrepublik [X.] - als Voraussetzung des [X.] für nichterwerbsfähige Leistungsberechtigte herangezogen werden. Der hierin geregelte räumliche Anknüpfungspunkt ist jedoch bereits in dem - oben bejahten - Erfordernis der Zugehörigkeit zur Bedarfsgemeinschaft mit erwerbsfähigen Leistungsberechtigten enthalten, sodass nicht zu erkennen ist, wozu es einer weiteren Voraussetzung für die Begründung eines räumlichen Anknüpfungspunkts bedarf.

bb) Dem steht die Regelung des § 30 Abs 1 [X.]B I nicht entgegen, nach der die Vorschriften dieses Gesetzbuchs für alle Personen gelten, die ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in seinem Geltungsbereich haben.

Die Norm regelt den Anknüpfungspunkt für den persönlichen Anwendungsbereich des [X.]. Sie beruht auf dem völkerrechtlich hergeleiteten Territorialitätsprinzip, welches es [X.] verbietet, Hoheitsgewalt außerhalb des eigenen Staatsgebietes auszuüben, bzw gebietet, [X.] nur auf dem eigenen Staatsgebiet zu erlassen. Die Vorschrift verbietet es indes nicht, Rechtsfolgen insbesondere auf dem Gebiet des Leistungsrechts auch mit Auslandsbezug zu regeln oder an diesen anzuknüpfen ([X.]/[X.], [X.]B I, Stand 7/2014, [X.] § 30 Rd[X.] 1 ff; [X.], [X.]B I, 4. Aufl 2010, § 30 Rd[X.] ff; [X.] in jurisP[X.]-[X.]B I, 2. Aufl 2011, § 30 Rd[X.] 16 ff). Die Anknüpfung an den Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt steht dabei im Sinne einer Rahmenregelung unter dem Vorbehalt abweichender Regelungen (§ 30 Abs 2 und § 37 [X.]B I). Eine solche abweichende Regelung muss nicht ausdrücklich normiert sein, sondern kann sich aus dem Gesamtzusammenhang der Vorschriften eines Sozialleistungsbereiches oder ihrem Sinn und Zweck ergeben (vgl schon die Gesetzesbegründung in BT-Drucks 7/868 S 29; Didong in jurisP[X.]-[X.]B I, 2. Aufl 2011, § 37 Rd[X.] 9; [X.] in [X.]/[X.], [X.]B I, Stand 7/2014, [X.] § 37 Rd[X.] 9 mwN).

Eine solche abweichende Regelung ergibt sich für das [X.] aus der aufgezeigten Auslegung von § 19 Abs 1 Satz 2, § 7 Abs 2 Satz 1 [X.] im Verhältnis zu § 19 Abs 1 Satz 1, § 7 Abs 1 Satz 1 [X.] bei nichterwerbsfähigen Leistungsberechtigten in Fällen der vorliegenden Art. Diese Vorschriften knüpfen an die Zugehörigkeit zu einer Bedarfsgemeinschaft mit einem erwerbsfähigen Leistungsberechtigten an, der seinerseits seinen gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik [X.] haben muss (§ 7 Abs 1 Satz 1 [X.] 4 [X.]), sodass sich der räumliche und persönliche Anwendungsbereich für nichterwerbsfähige Leistungsberechtigte über das Erfordernis der Bedarfsgemeinschaft aus dem [X.] ergibt und die allgemeine Regelung in § 30 Abs 1 [X.]B I insoweit verdrängt wird.

cc) Gestützt wird diese Auslegung durch systematische Gründe, weil den Büchern des [X.] insgesamt nicht zu entnehmen ist, dass Leistungen grundsätzlich von einem gewöhnlichen Aufenthalt in [X.] abhängig sein sollen.

Innerhalb des [X.] ist § 36 Satz 4 [X.] zu entnehmen, dass auch erwerbsfähigen Leistungsberechtigten ohne Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthaltsort an dem Ort ihres tatsächlichen Aufenthalts Leistungen zu erbringen sind (vgl die Gesetzesbegründung BT-Drucks 16/1410 [X.]). § 23 Abs 1 Satz 1 [X.] verlangt für die Leistung von Sozialhilfe an Ausländer in [X.] lediglich deren tatsächlichen Aufenthalt in [X.]. Soweit die Beklagte § 24 [X.] (Sozialhilfe für [X.]) anführt, ist darauf hinzuweisen, dass diese Regelung der obigen Auslegung nicht entgegensteht, sondern für sie spricht, weil aus § 24 [X.] kein Leistungsausschluss während eines Besuches eines [X.] im Inland ableitbar ist. Denn die Vorschrift ist nur bei einem Aufenthalt im Ausland anwendbar, wie sich bereits aus dem Wortlaut ihres Absatzes 1 Satz 2 und der Anknüpfung an die Verhältnisse im Ausland in den Absätzen 2 und 3 ergibt. Die Leistungen nach dem Achten Buch Sozialgesetzbuch - [X.]inder- und Jugendhilfe - ([X.]B VIII) werden jungen Menschen und ihren Personensorgeberechtigten gewährt, die (nur) ihren tatsächlichen Aufenthalt im Inland haben (§ 6 Abs 1 Satz 1 [X.]B VIII).

dd) Diese Auslegung stimmt mit Verfassungsrecht und in [X.] Recht überführtem Völkerrecht überein. Nach diesem ist das Grundrecht des [X.]indes auf staatliche Gewährleistung der elterlichen Pflege und Erziehung (Art 2 Abs 1 iVm Art 6 Abs 2 Satz 1 GG) zu beachten (vgl [X.] Urteil vom [X.], 1 BvR 3247/09 - [X.]E 133, 59 Rd[X.] 41 ff mwN), dem durch den Beitritt der Bundesrepublik [X.] zu dem Übereinkommen (der [X.]) über die Rechte des [X.]indes vom 20.11.1989 (Gesetz vom [X.], [X.] 121) die Rechte und Wertungen dieses Übereinkommens an die Seite treten. Die fehlende Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums (Art 1 Abs 1 GG iVm Art 20 Abs 1 GG), die verfassungsrechtlich nicht von einem gewöhnlichen Aufenthalt in [X.] abhängig ist ([X.] Urteil vom [X.] - 1 BvL 1/09, 1 [X.], 1 [X.] - [X.]E 125, 175 = [X.]-4200 § 20 [X.] 12), von [X.]indern während ihres Aufenthalts bei ihren Eltern in [X.] bei einem grenzüberschreitenden Sachverhalt wäre mit diesen Wertentscheidungen und der eingegangenen internationalen Verpflichtung nicht vereinbar.

6. Die auf den Regelbedarf nach § 23 [X.] 1 [X.] beschränkte Höhe des [X.] der [X.] folgt aus ihrem Antrag, der zu Recht vom Fehlen der weiteren in § 19 Abs 1 Satz 3 [X.] genannten Bedarfe ausgeht.

7. Die [X.]ostenentscheidung beruht auf § 193 [X.]G und berücksichtigt, dass die [X.] mit ihrem Antrag auf Sozialgeld durchgedrungen sind, nicht hingegen mit dem zunächst noch verfolgten Antrag auf Schulbedarf.

Meta

B 14 AS 65/13 R

28.10.2014

Bundessozialgericht 14. Senat

Urteil

Sachgebiet: AS

vorgehend SG Münster, 14. Oktober 2013, Az: S 10 AS 433/12, Urteil

§ 23 Nr 1 SGB 2, § 7 Abs 1 S 1 Nr 4 SGB 2, § 7 Abs 2 S 1 SGB 2, § 7 Abs 3 Nr 4 SGB 2, § 19 Abs 1 S 2 SGB 2, § 19 Abs 1 S 3 SGB 2, § 30 Abs 1 SGB 1, § 30 Abs 2 SGB 1, § 30 Abs 3 S 1 SGB 1, § 37 SGB 1, Art 1 Abs 1 GG, Art 2 Abs 1 GG, Art 6 Abs 2 S 1 GG, Art 20 Abs 1 GG, UNKRÜbk, § 6 Abs 2 SGB 2, § 6a Abs 2 SGB 2, § 1 KomtrZV, § 75 Abs 2 SGG

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Urteil vom 28.10.2014, Az. B 14 AS 65/13 R (REWIS RS 2014, 1820)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2014, 1820

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