Bundesfinanzhof, Urteil vom 24.08.2016, Az. V R 36/15

5. Senat | REWIS RS 2016, 6361

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Gegenstand

Organschaft in der Insolvenz - Keine Organschaft zwischen Schwestergesellschaften


Leitsatz

1. Zwischen Schwestergesellschaften besteht auch unter Berücksichtigung des Unionsrechts keine Organschaft nach § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG .

2. Die Organschaft entfällt spätestens mit der Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters mit allgemeinem Zustimmungsvorbehalt für die Organgesellschaft .

3. Der Grundsatz von Treu und Glauben wie auch der Grundsatz des Vertrauensschutzes stehen einer Forderungsanmeldung von Umsatzsteuer im Insolvenzverfahren einer GmbH nicht entgegen, wenn die GmbH bei einer zunächst unzutreffend bejahten Organschaft, bei der sie rechtsfehlerhaft als Organgesellschaft angesehen wurde, die tatsächlich von ihr als Steuerschuldner geschuldete Umsatzsteuer von dem vermeintlichen Organträger vereinnahmt hat .

Tenor

Die Revisionen des Klägers und der Beigeladenen gegen das Urteil des [X.] vom 30. Oktober 2014  16 K 5/14 werden als unbegründet zurückgewiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens haben der Kläger und die Beigeladene zu tragen.

Tatbestand

1

I. Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) ist Insolvenzverwalter einer GmbH, über deren Vermögen am 29. Juni 2009 das Insolvenzverfahren eröffnet wurde. Bereits am 8. April 2009 war der Kläger zum vorläufigen Insolvenzverwalter mit allgemeinem Zustimmungsvorbehalt nach § 21 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 der Insolvenzordnung ([X.]) bestellt worden.

2

Gesellschafter der GmbH waren neun natürliche Personen und eine GbR, die zugleich auch alleinige Gesellschafter einer [X.] waren. Die [X.] hatte Vermögensgegenstände an die GmbH für deren unternehmerische Tätigkeit verpachtet.

3

Bis zum Jahresende 2008 gingen die GmbH, die [X.] und der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --[X.]--) davon aus, dass die [X.] gemäß § 2 Abs. 2 Nr. 2 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) Organträger ihrer Schwestergesellschaft, der GmbH, als Organgesellschaft war.

4

Im Zusammenhang mit der Abgabe der Umsatzsteuervoranmeldung März 2009 im Mai 2009 machte die [X.] geltend, dass es für eine Organschaft an der organisatorischen Eingliederung fehle.

5

Das [X.] meldete für 2009 Umsatzsteuerforderungen zur Insolvenztabelle an. Der Kläger erhob hiergegen Widerspruch. In seinem Feststellungsbescheid vom 28. Oktober 2013 hielt das [X.] an der Forderungsanmeldung fest. Einspruch und Klage zum Finanzgericht ([X.]) hatten im Wesentlichen keinen Erfolg.

6

Im finanzgerichtlichen Verfahren hat das [X.] eine an der GmbH und zugleich auch an der [X.] beteiligte Gesellschafterin auf Antrag nach § 60 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung ([X.]O) beigeladen.

7

Nach dem Urteil des [X.] ist die GmbH Steuerschuldner für die von ihr ausgeführten Umsätze, da es an einer finanziellen Eingliederung zwischen den beiden Schwestergesellschaften fehle. Das [X.] sei an der Geltendmachung des Steueranspruchs weder nach [X.] und Glauben aufgrund einer Selbstbindung noch nach § 176 der Abgabenordnung ([X.]) gehindert.

8

Hiergegen wenden sich der Kläger und die Beigeladene mit ihren Revisionen. Der Kläger macht geltend, dass auch zwischen Schwestergesellschaften eine Organschaft bestehen könne, da das Erfordernis eines Über- und Unterordnungsverhältnisses unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Gerichtshofs der [X.] ([X.]) mit Art. 11 der Richtlinie des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem 2006/112/[X.] nicht vereinbar sei. Zumindest sei Vertrauensschutz im Festsetzungsverfahren zu gewähren. Der [X.] ([X.]) habe erst aufgrund einer Rechtsprechungsänderung und unter Ablehnung der bis dahin geltenden Verwaltungsauffassung durch Urteil vom 22. April 2010 V R 9/09 ([X.]E 229, 433, [X.], 597) die Organschaft zwischen Schwestergesellschaften verneint. Es liege ein Vertrauenstatbestand vor, da das [X.] über Jahrzehnte den Bestand der Organschaft anerkannt habe. Dass die [X.] Anfang 2009 davon ausgegangen sei, dass keine Organschaft vorliege, sei der GmbH nicht zuzurechnen.

9

Die Beigeladene macht geltend, dass dem Kläger kein ausreichendes rechtliches Gehör gewährt worden sei. Der GmbH habe als vermeintliche Organgesellschaft im Besteuerungsverfahren der [X.] rechtliches Gehör gewährt werden müssen. Das [X.] habe gegen § 176 [X.] verstoßen. Allerdings habe das [X.] zutreffend entschieden, dass zwischen der GmbH und der [X.] keine Organschaft vorgelegen habe. Es habe an der finanziellen wie auch an der organisatorischen Eingliederung gefehlt.

Der Kläger und die Beigeladene beantragen übereinstimmend,
das Urteil des [X.] und den Feststellungsbescheid vom 28. Oktober 2013 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 18. Dezember 2013 aufzuheben.

Das [X.] beantragt,
die Revisionen zurückzuweisen.

Mangels finanzieller und organisatorischer Eingliederung liege keine Organschaft vor. Ein Anspruch auf Vertrauensschutz bestehe weder nach [X.] und Glauben noch entsprechend § 176 [X.]. Es bestehe auch kein guter Glaube an die Voraussetzungen einer Organschaft.

Entscheidungsgründe

II. Die Revisionen des [X.] und der Beigeladenen sind unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 [X.]O).

1. Der Senat hat bereits entschieden, dass zwischen Schwestergesellschaften keine Organschaft nach § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG besteht ([X.]-Urteil in [X.], 433, [X.], 597, unter II.3.). Der Senat hält an dieser Rechtsprechung auch unter Berücksichtigung aller Vorgaben des Unionsrechts und der hierzu ergangenen EuGH-Rechtsprechung fest ([X.]-Urteil vom 2. Dezember 2015 V R 15/14, [X.], 158, Leitsatz 1 und unter II.1.).

2. Unabhängig von der Frage einer finanziellen Eingliederung und dem Streit, ob zwischen der GmbH und [X.] überhaupt in der Vergangenheit eine organisatorische Eingliederung bestanden hat, ist die Organschaft, selbst wenn sie entgegen der [X.]-Rechtsprechung zu einem früheren Zeitpunkt bestanden hätte, spätestens mit der Bestellung des [X.] zum vorläufigen Insolvenzverwalter mit allgemeinem Zustimmungsvorbehalt für die GmbH als (angebliche) Organgesellschaft entfallen (vgl. [X.]-Urteil vom 8. August 2013 V R 18/13, [X.], 433, Leitsatz 1). Der erkennende Senat hält auch an dieser Rechtsprechung unter Beachtung der unionsrechtlichen Vorgaben fest ([X.]-Urteil in [X.], 158, unter [X.] dd (2)).

3. Der Grundsatz von Treu und Glauben wie auch der Grundsatz des Vertrauensschutzes stehen einer Forderungsanmeldung von Umsatzsteuer im Insolvenzverfahren einer GmbH nicht entgegen, wenn die GmbH bei einer zunächst unzutreffend bejahten Organschaft, bei der sie rechtsfehlerhaft als Organgesellschaft angesehen wurde, die tatsächlich von ihr als Steuerschuldner geschuldete Umsatzsteuer von dem vermeintlichen Organträger vereinnahmt hat.

a) Die Rechtsgrundsätze von Treu und Glauben sowie von Vertrauensschutz sind nur unter Berücksichtigung der "Maßnahmen, Handlung[en] oder Dispositionen des Steuerpflichtigen" von Bedeutung (vgl. nur [X.]-Urteil vom 30. Oktober 2014 IV R 61/11, [X.], 332, BStBl II 2015, 478, unter [X.]).

b) Insoweit ist im Streitfall zu berücksichtigen, dass das [X.] die Umsatzsteuer, die für Rechnung der [X.] als vermeintliche Organträgerin an das [X.] gezahlt worden war, an die [X.] erstattet hat, und dass der Kläger auf der Grundlage der zwischen der GmbH und der [X.] bestehenden Verträge von der [X.] erfolgreich die Auszahlung der vom [X.] an die [X.] erstatteten Umsatzsteuer in die Insolvenzmasse erreicht hat, wie sich aus dem Urteil des [X.] ([X.]) vom 15. Oktober 2014 XII ZR 111/12, [X.] 2015, 200 ergibt. Der erkennende Senat kann den zwischen dem Kläger und der [X.] bestehenden Rechtsstreit aufgrund der Bezugnahme des [X.] auf die Einspruchsentscheidung und das abschließende Urteil in diesem Rechtsstreit durch den [X.] als gerichtsbekannt berücksichtigen.

Hat mithin das [X.] Umsatzsteuer an die [X.] als vermeintlichen Organträger der GmbH erstattet und die GmbH von der [X.] die Auszahlung dieser Umsatzsteuer erlangt, so ist das [X.] durch Treu und Glauben nicht gehindert, diese Umsatzsteuer gegen die GmbH als Steuerschuldner im Insolvenzverfahren der GmbH geltend zu machen.

Auch Vertrauensschutzgesichtspunkte können bei dieser Sachlage im Hinblick auf die rechtsfehlerhafte Bejahung einer Organschaft gemäß § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG durch die an der Organschaft Beteiligten nicht geltend gemacht werden und stehen daher einer Korrektur dieser Fehlbeurteilung für die Vergangenheit nicht entgegen.

4. Ohne dass der Senat über die Voraussetzungen des § 176 AO abschließend zu entscheiden hätte, kommt eine direkte oder analoge Anwendung dieser Vorschrift nicht in Betracht, da nicht nur das [X.], sondern auch die Parteien des beim [X.] geführten Rechtsstreits von einem Fehlen der organisatorischen Eingliederung ausgegangen sind. Die Rechtsprechungsänderung des [X.] zur finanziellen Eingliederung kann daher keine kausale Grundlage für den geltend gemachten Vertrauensschutz sein, so dass es auf die Frage einer Schutzbedürftigkeit, die ohnehin zu verneinen ist (s. oben II.3.), nicht ankommt.

5. Dass in einem Verwaltungsverfahren, wie die Beigeladene geltend macht, nicht hinreichend rechtliches Gehör gewährt wurde, begründet für das finanzgerichtliche Verfahren keinen Verfahrensfehler, der in einem Revisionsverfahren beachtlich sein könnte. Nicht zu entscheiden ist daher, ob die Beigeladene überhaupt geltend machen kann, dass einer anderen Person, dem Kläger, kein rechtliches Gehör gewährt wurde.

6. [X.] beruht auf § 135 Abs. 2 [X.]O.

Meta

V R 36/15

24.08.2016

Bundesfinanzhof 5. Senat

Urteil

vorgehend Niedersächsisches Finanzgericht, 30. Oktober 2014, Az: 16 K 5/14, Urteil

§ 2 Abs 2 Nr 2 UStG 2005, § 176 AO, § 21 Abs 2 Nr 2 InsO, UStG VZ 2009

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Urteil vom 24.08.2016, Az. V R 36/15 (REWIS RS 2016, 6361)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2016, 6361

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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