Bundesfinanzhof, Urteil vom 16.03.2023, Az. V R 14/21 (V R 45/19), V R 14/21, V R 45/19

5. Senat | REWIS RS 2023, 1618

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Gegenstand

Erfordernis eines Änderungsantrags zur Vermeidung widerstreitender Steuerfestsetzung bei Organschaft


Leitsatz

1. Eine Personenhandelsgesellschaft mit einer "kapitalistischen Struktur" kann Organgesellschaft sein, wenn neben dem Organträger Gesellschafter der Personenhandelsgesellschaft auch Personen sind, die in das Unternehmen des Organträgers nicht finanziell eingegliedert sind (Anschluss an das EuGH-Urteil Finanzamt für Körperschaften Berlin vom 15.04.2021 - C 868/19, EU:C:2021:285 und insoweit Aufgabe des BFH-Urteils vom 02.12.2015 - V R 25/13, BFHE 251, 534, BStBl II 2017, 547).

2. Macht eine KG geltend, dass sie aufgrund geänderter BFH-Rechtsprechung Organgesellschaft i.S. von § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG sei, setzt die Aufhebung einer gegenüber der KG ergangenen Steuerfestsetzung voraus, dass der Organträger zur Vermeidung eines widersprüchlichen Verhaltens einen Antrag auf Änderung der für ihn vorliegenden Steuerfestsetzung stellt.

3. Organträger und Organgesellschaft können nicht beanspruchen, im selben Besteuerungszeitraum für den einen Unternehmensteil (z.B. Organgesellschaft) auf der Grundlage der bisherigen Rechtsprechung und für den anderen Unternehmensteil (z.B. Organträger) nach der geänderten Rechtsprechung besteuert zu werden (Bestätigung des BFH-Urteils vom 26.08.2021 - V R 13/20, BFHE 273, 364).

Tenor

Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des [X.] vom 07.11.2019 - 1 K 1952/18 aufgehoben.

Die Sache wird an das [X.] zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen.

Diesem wird die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens übertragen.

Tatbestand

I.

1

Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) ist Insolvenzverwalter der [X.] ([X.]). Gesellschafter der [X.] waren im Jahr 2010 (Streitjahr) die [X.] als Komplementärin ohne eigenen Kapitalanteil (Komplementär-GmbH) sowie die beiden Kommanditisten [X.] mit einem Kapitalanteil von 80 % und [X.] mit 20 %. Bei der [X.] bedurften Gesellschafterbeschlüsse nach § 7 Abs. 2 des notariell beurkundeten Gesellschaftsvertrags vom 31.01.2003 grundsätzlich der einfachen Mehrheit der abgegebenen Stimmen. Gesellschafter der Komplementär-GmbH waren im Streitjahr ebenfalls [X.] zu 80 % und [X.] zu 20 %. Einziger Geschäftsführer war [X.]. [X.] verpachtete der [X.] mit Pachtvertrag vom 01.02.2008 das Betriebsgrundstück und diverse Maschinen, die wesentliche Betriebsgrundlagen der [X.] waren.

2

Die [X.] gab am 26.08.2011 eine nicht zustimmungsbedürftige Umsatzsteuererklärung für das Streitjahr ab mit einer Umsatzsteuer von … €, die vollständig bezahlt wurde. [X.] erklärte seine entgeltlichen Umsätze aus der Verpachtung der Betriebsgrundlagen ebenfalls mit einer Umsatzsteuererklärung 2010 vom 26.08.2011.

3

Das [X.] eröffnete mit Beschluss vom 31.12.2011 das Insolvenzverfahren über das Vermögen der [X.] und bestimmte den Kläger zum Insolvenzverwalter. Aufgrund der für das Streitjahr vollständig entrichteten Umsatzsteuer waren keine Steuerforderungen zur Tabelle anzumelden. Über das Vermögen des [X.] wurde am 16.11.2015 ebenfalls das Insolvenzverfahren eröffnet.

4

Die [X.] gab am 29.12.2015 eine berichtigte Umsatzsteuererklärung für das Streitjahr ab, in der sie keine Umsätze mehr erklärte. Der Kläger beantragte mit Schreiben vom gleichen Tag unter Hinweis auf das Urteil des Gerichtshofs der [X.] ([X.]) [X.] und [X.] vom 16.07.2015 - C-108/14, [X.]/14 ([X.]:[X.]), das Bestehen einer Organschaft zwischen [X.] als Organträger und der [X.] als Organgesellschaft festzustellen.

5

Der Beklagte und Revisionskläger (Finanzamt --[X.]--) lehnte dies mit Bescheid vom 14.01.2016 ab, da eine Personengesellschaft nicht in eine umsatzsteuerliche Organschaft einbezogen werden könne. Den dagegen eingelegten Einspruch wies das [X.] mit Einspruchsentscheidung vom 28.06.2018 zurück, da nach dem Urteil des [X.] ([X.]) vom 02.12.2015 - V R 25/13 ([X.]E 251, 534, [X.], 547) und dem Schreiben des [X.] vom 26.05.2017 - III C 2 - S 7105/15/10002, 2017/0439168 (BStBl I 2017, 790) sowie nach Abschn. 2.8 Abs. 5a des [X.] eine Personengesellschaft nur dann in das Unternehmen eines [X.] eingegliedert sein könne, wenn Gesellschafter der Personengesellschaft neben dem Organträger nur Personen seien, die in das Unternehmen des [X.] eingegliedert seien. Hieran fehle es, da neben [X.] auch [X.] an der [X.] beteiligt sei. Zudem stehe der Annahme einer Organschaft der Grundsatz von [X.] und Glauben entgegen. Der Kläger habe sich erst mit Schreiben vom 29.12.2015 auf eine Organschaft berufen und dem [X.] damit die Möglichkeit genommen, vor Ablauf der regulären Festsetzungsfrist zum 31.12.2015 [X.] zum Verfahren hinzuzuziehen. Die Steuerforderung könne beim vermeintlichen Organträger nicht mehr realisiert werden.

6

Demgegenüber gab das Finanzgericht ([X.]) mit seinem in Entscheidungen der Finanzgerichte 2020, 943 veröffentlichten Urteil der Klage statt. Alle [X.] lägen vor. Zudem sei unter Berücksichtigung von Art. 11 der Richtlinie 2006/112/[X.] über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (MwStSystRL) und der [X.]-Urteile vom 19.01.2016 - XI R 38/12 ([X.]E 252, 516, [X.], 567) und vom 01.06.2016 - XI R 17/11 ([X.]E 254, 164, [X.], 581) die Organschaft mit einer [X.] als Organgesellschaft entgegen dem [X.]-Urteil in [X.]E 251, 534, [X.], 547 und der dem entsprechenden Verwaltungsauffassung auch dann zu bejahen, wenn neben dem Organträger weitere natürliche Personen Gesellschafter der [X.] seien. Personengesellschaften dürften nur dann von der Organschaft ausgeschlossen werden, wenn dies zur Verhinderung missbräuchlicher Praktiken oder Verhaltensweisen und der Vermeidung von Steuerhinterziehung oder -umgehung erforderlich und geeignet sei, wofür im Streitfall keinerlei Anhaltspunkte bestünden. Der Kläger habe auch nicht gegen [X.] und Glauben verstoßen. Das Verlangen nach einer gesetzeskonformen Besteuerung sei keine unzulässige Rechtsausübung. Die [X.] habe keine Ursache gesetzt, aufgrund der das [X.] bei objektiver Beurteilung darauf habe vertrauen dürfen, nicht in Anspruch genommen zu werden.

7

Hiergegen wendet sich das [X.] mit der Revision. Das Urteil des [X.] widerspreche dem [X.]-Urteil in [X.]E 251, 534, [X.], 547. Zudem liege ein Verstoß gegen den Grundsatz von [X.] und Glauben vor, da der Kläger seinen Änderungsantrag erst kurz vor Eintritt der Festsetzungsverjährung zur Umsatzsteuer 2010 bei [X.] gestellt habe. Die vom Kläger angenommene Organschaft wäre bereits mit Eröffnung des vorläufigen Insolvenzverfahrens bei der [X.] am 19.10.2011 wieder beendet worden. Das Urteil des [X.] widerspreche zudem der Verwaltungsauffassung.

8

Der Kläger weist darauf hin, dass die Annahme einer Organschaft den Grundsatz der Rechtssicherheit nicht gefährde. Der Ausschluss der Organschaft beim Vorhandensein eines zweiten Gesellschafters, der nicht finanziell eingegliedert sei, diene weder der Verhinderung von Missbräuchen noch der Vermeidung von [X.]. Das Ausschöpfen von Fristen führe nicht zu einem Verstoß gegen [X.] und Glauben.

9

Während des Revisionsverfahrens hat der Senat das Verfahren mit Beschluss vom 01.09.2020 - V R 45/19 bis zu einer Entscheidung des [X.] in der Rechtssache Finanzamt für Körperschaften [X.] ausgesetzt.

Im [X.] an das [X.]-Urteil Finanzamt für Körperschaften [X.] vom 15.04.2021 - [X.]/19 ([X.]:[X.]) hat der Senat das Verfahren wieder aufgenommen.

Das [X.] wendet sich weiter gegen die Annahme einer Organschaft und weist im Übrigen darauf hin, dass es im Streitfall nicht um den Vollzug einer Organschaft bei allen an der Organschaft Beteiligten, sondern darum gehe, bei einem der Beteiligten die Insolvenzmasse anzureichern. Weiter verweist es auf den Grundsatz von [X.] und Glauben.

Das [X.] beantragt,
das Urteil des [X.] aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

Der Kläger weist darauf hin, dass sich aus dem [X.]-Urteil Finanzamt für Körperschaften [X.] ([X.]:[X.]) ergebe, dass eine Personengesellschaft in der Form einer GmbH & Co. [X.] unter den gleichen Voraussetzungen wie eine juristische Person Organgesellschaft sein könne. Dies sei bereits seit dem [X.]-Urteil [X.] und [X.] ([X.]:[X.]) erkennbar gewesen. Schon seitdem müsse die formelle Bescheidlage der materiellen Rechtslage folgen. Organträger und Organgesellschaft seien verschiedene Rechtssubjekte. Die Steuerfestsetzung der [X.] sei danach aufzuheben und die Umsätze und Vorsteuerbeträge der [X.] seien dem Organträger zuzurechnen. Dass dies nicht erfolgt sei, könne ihm nicht angelastet werden. Aus dem Grundsatz von [X.] und Glauben folge nichts anderes, da dieser nicht dazu diene, eine unvorteilhafte Verfahrensbehandlung der Finanzbehörden aufzufangen. Die Änderung gegenüber der [X.] könne demgemäß nicht von einem Antrag des [X.] auf Änderung seiner Steuer als Organträger abhängig sein. Es seien nicht einmal Anhaltspunkte für Missbrauch oder Steuerumgehung gegeben.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision des [X.] ist begründet. Das Urteil des [X.] ist aufzuheben und die Sache an das [X.] zurückzuverweisen (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung --[X.]O--). Das [X.] hat zwar zutreffend entschieden, dass im Streitfall aufgrund geänderter BFH-Rechtsprechung eine Organschaft nach § 2 Abs. 2 Nr. 2 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) vorliegt. Es hat aber nicht hinreichend berücksichtigt, dass eine Änderung zugunsten der [X.] im Hinblick auf diese Rechtsprechungsänderung voraussetzt, dass der Organträger für seine Steuerfestsetzung einen Änderungsantrag stellt. Hierzu sind in einem zweiten Rechtsgang weitere Feststellungen zu treffen.

1. Das [X.] hat im Ausgangspunkt zutreffend entschieden, dass die [X.] eine Organgesellschaft in einer Organschaft nach § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG sein kann.

a) Nach § 2 Abs. 2 Nr. 2 Satz 1 UStG wird die gewerbliche oder berufliche Tätigkeit nicht selbständig ausgeübt, wenn eine juristische Person nach dem Gesamtbild der tatsächlichen Verhältnisse finanziell, wirtschaftlich und organisatorisch in das Unternehmen des [X.] eingegliedert ist (Organschaft). [X.] Grundlage ist Art. 11 MwStSystRL. Danach kann jeder Mitgliedstaat in seinem Gebiet ansässige Personen, die zwar rechtlich unabhängig, aber durch gegenseitige finanzielle, wirtschaftliche und organisatorische Beziehungen eng miteinander verbunden sind, zusammen als einen Steuerpflichtigen behandeln.

b) Im Streitfall war [X.] aufgrund der Verpachtung an die [X.] Unternehmer. Auch die [X.] übte eine unternehmerische Tätigkeit aus. Die [X.] war in das Unternehmen des [X.] finanziell eingegliedert, da [X.] über die Mehrheit der Stimmrechte bei der [X.] verfügte. Die wirtschaftliche Eingliederung ergab sich aus der Verpachtung von für das Unternehmen der [X.] wesentlichen Betriebsgegenständen durch [X.]. Die organisatorische Eingliederung folgte daraus, dass [X.] einziger Geschäftsführer und Alleingesellschafter der Komplementär-GmbH war, die allein für die [X.] geschäftsführungs- und vertretungsbefugt war. [X.] war damit entsprechend dem [X.]-Urteil [X.] [X.]/20 ([X.]:C:2022:943, Rz 69 f.) in der Lage, seinen Willen bei der Organgesellschaft durchzusetzen, so dass es ihm auch möglich war, die Umsätze des im [X.] zusammengefassten Unternehmens ordnungsgemäß zu versteuern und den sich daraus nach § 18 UStG ergebenden Verpflichtungen auch im Hinblick auf die Umsatztätigkeit der Organgesellschaft nachzukommen.

c) Zwar handelt es sich bei der [X.] vorliegend um eine Personenhandelsgesellschaft mit einer "kapitalistischen Struktur". Dies steht aber nach der durch die BFH-Urteile in [X.], 534, [X.], 547, in [X.], 516, [X.], 567 und in [X.], 164, [X.], 581 geänderten BFH-Rechtsprechung ihrer Stellung als Organgesellschaft nicht entgegen, wobei es nach den [X.] in [X.], 516, [X.], 567 und in [X.], 164, [X.], 581 nicht darauf ankommt, ob Gesellschafter der [X.] neben [X.] nur Personen sind, die in dessen Unternehmen finanziell eingegliedert sind. Dies hat der [X.] mit seinem Urteil Finanzamt für Körperschaften Berlin ([X.]:[X.]) bestätigt, dem sich der [X.] anschließt. Eine Personenhandelsgesellschaft mit einer "kapitalistischen Struktur" kann daher Organgesellschaft sein, wenn neben dem Organträger Gesellschafter der Personenhandelsgesellschaft auch Personen sind, die in das Unternehmen des [X.] nicht finanziell eingegliedert sind. Soweit der [X.] dies in seinem zuvor ergangenen Urteil in [X.], 534, [X.], 547 anders beurteilt hat, hält er daran nicht fest.

2. Das Urteil des [X.] ist gleichwohl aufzuheben. Macht eine [X.] geltend, dass sie aufgrund geänderter BFH-Rechtsprechung Organgesellschaft i.S. von § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG und damit nicht Steuerschuldnerin sei, setzt die Aufhebung einer gegenüber der [X.] ergangenen Steuerfestsetzung voraus, dass der Organträger zur Vermeidung eines widersprüchlichen Verhaltens bei der Anwendung von § 176 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 der Abgabenordnung ([X.]) einen Antrag auf Änderung der für ihn vorliegenden Steuerfestsetzung stellt.

a) Der Grundsatz von [X.] und Glauben ist im Steuerrecht als allgemeiner Rechtsgrundsatz uneingeschränkt anerkannt. Er gebietet, dass im "[X.]" jeder Beteiligte auf die berechtigten Belange des anderen Teils angemessen Rücksicht nimmt und sich zu seinem eigenen früheren Verhalten nicht in Widerspruch setzt. Er bringt keine [X.] und -schulden zum Entstehen oder Erlöschen, sondern kann allenfalls ein bestehendes konkretes [X.] dahingehend modifizieren, dass eine Forderung nicht mehr geltend gemacht oder ein Recht nicht mehr ausgeübt werden kann (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BFH-Urteil vom 06.07.2016 - X R 57/13, [X.], 1, [X.], 334, Rz 16).

b) Der Grundsatz von [X.] und Glauben ist auch bei der Anwendung von § 176 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 [X.] zu berücksichtigen. Danach darf bei der Aufhebung oder Änderung eines Steuerbescheids nicht zuungunsten des Steuerpflichtigen berücksichtigt werden, dass sich wie vorliegend (s. oben [X.]) die Rechtsprechung eines obersten Gerichtshofs des [X.] geändert hat, die bei der bisherigen Steuerfestsetzung (vorliegend aufgrund der Umsatzsteuererklärung 2010 des [X.] vom 26.08.2011) von der Finanzbehörde angewandt worden ist.

Dabei verstößt es gegen [X.] und Glauben ("venire contra factum proprium"), wenn der Steuerpflichtige aufgrund einer Rechtsprechungsänderung z.B. die Aufhebung eines ihn belastenden Bescheids fordert und erreicht und später geltend macht, er habe auf die Anwendung der früheren Rechtsprechung vertraut und sei nicht bereit, die für ihn negativen Folgen der Rechtsprechungsänderung hinzunehmen (BFH-Urteil vom 08.02.1995 - I R 127/93, [X.], 332, [X.] 1995, 764, unter II.C.4.; vgl. auch BFH-Urteil vom 25.04.2013 - V R 2/13, [X.], 304, [X.], 844, Leitsatz 1). Hierzu hat der [X.] mit Urteil vom 26.08.2021 - V R 13/20 ([X.], 364) in Bezug auf die Rechtsprechungsänderung durch das BFH-Urteil in [X.], 516, [X.], 567 (und damit ebenso in Bezug auf das inhaltsgleiche BFH-Urteil in [X.], 164, [X.], 581) sowie das BFH-Urteil in [X.], 534, [X.], 547 entschieden, dass Organträger und Organgesellschaften nicht beanspruchen können, im selben Besteuerungszeitraum für den einen Unternehmensteil (z.B. Organgesellschaft) auf der Grundlage der bisherigen Rechtsprechung und für den anderen Unternehmensteil (z.B. Organträger) nach der geänderten Rechtsprechung besteuert zu werden. Dies beruht darauf, dass das maßgebliche "[X.]" (s. oben [X.]) bei Anwendung von § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG zum Organträger als Steuerschuldner und Steuerpflichtigen besteht und sich dabei entsprechend dieser Vorschrift auch auf die Organgesellschaft als Bestandteil dieses [X.]ses erstreckt. Dem kommt Vorrang gegenüber der vom Kläger als maßgeblich angesehenen zivilrechtlichen Betrachtung als eigenständige Rechtssubjekte zu.

c) Dementsprechend kann nicht zugleich beansprucht werden, dass einerseits die [X.] nach der geänderten BFH-Rechtsprechung als Organgesellschaft behandelt wird, während andererseits [X.], der erst aufgrund der geänderten BFH-Rechtsprechung als Organträger anzusehen ist, Vertrauensschutz gemäß § 176 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 [X.] in die frühere BFH-Rechtsprechung gewährt wird, nach der er nicht Organträger für die [X.] war. Daher ist unter Berücksichtigung des [X.] in [X.], 364 dieser Widerstreit dahingehend aufzulösen, dass der Unternehmensteil der Organschaft, zu dessen Gunsten der Änderungsschutz nach § 176 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 [X.] wirkt, diesen durch die Stellung eines [X.] entfallen lassen muss, um so ein widersprüchliches Verhalten in Bezug auf die Besteuerung der Umsätze des anderen Unternehmensteils der Organschaft zu vermeiden.

Dieses Antragserfordernis wirkt in der Weise zu Lasten der [X.], die als Organgesellschaft mit [X.] gemäß § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG verbunden ist, dass eine Aufhebung der für sie vorliegenden Steuerfestsetzung voraussetzt, dass aufgrund eines von [X.] zu stellenden Antrags eine Besteuerung der Umsätze der [X.] entsprechend der Rechtsauffassung der [X.] bei [X.] als Organträger erfolgen kann. Somit kommt eine Aufhebung der für die [X.] bestehenden Steuerfestsetzung aufgrund ihrer sich erst aus der geänderten BFH-Rechtsprechung ergebenden Stellung als Organgesellschaft nur in Betracht, wenn [X.] gemäß § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a [X.] vor Ablauf der für ihn geltenden Festsetzungsfrist beantragt, die Umsätze der [X.] als Organgesellschaft bei seiner Steuerfestsetzung zu erfassen und damit auf den sich aus § 176 [X.] ergebenden Vertrauensschutz verzichtet.

d) Das Erfordernis einer entsprechenden Antragstellung durch den Organträger steht nicht im Widerspruch zum Unionsrecht.

aa) Das Besteuerungsverfahren wird, soweit es den Streitfall betrifft, nicht durch die MwStSystRL geregelt. Daher dürfen die Mitgliedstaaten in Ermangelung harmonisierter Vorschriften die Verfahrensvorschriften ihres innerstaatlichen Rechts anwenden, sofern sie dabei die Grundsätze der Äquivalenz und der Effektivität einhalten ([X.]-Urteil [X.] vom 20.12.2017 - [X.]/16, [X.]:[X.], Rz 37). Diesen Grundsätzen entspricht eine bis zum Ablauf der Festsetzungsfrist erforderliche Antragstellung wie auch die Berücksichtigung der sich im Rahmen eines [X.]ses nach [X.] und Glauben ergebenden Bindungen.

bb) Hierfür spricht im Übrigen die Erwägung des [X.], dass die nationale Bestimmung des [X.] als einzigen Steuerpflichtigen nicht zur Gefahr von [X.] führen darf ([X.]-Urteile [X.], [X.]:2022:943, und Finanzamt T vom 01.12.2022 - [X.]/20, [X.]:C:2022:944). Eine Haftung der Organgesellschaft nach § 73 [X.] ist wegen des Grundsatzes der Akzessorietät nur bei Bestehen der Steuerschuld des [X.] zu bejahen. Das Erfordernis einer Antragstellung durch den Organträger, um eine Festsetzung ihm gegenüber zu ermöglichen, dient dazu, die Gefahr von [X.] zu vermeiden.

3. Die Sache ist nicht spruchreif. Dem [X.] ist eine Prüfung, ob [X.] einen Änderungsantrag für eine bei ihm vorzunehmende Versteuerung der Umsätze der [X.] gestellt hat, verwehrt. Dabei kann ein derartiger Antrag auch jetzt noch durch [X.] oder im Fall eines noch nicht beendeten Insolvenzverfahrens über sein Vermögen durch seinen Insolvenzverwalter gestellt werden, wenn im Streitfall die Festsetzungsfrist als zeitliche Grenze für den Antrag i.S. des § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a [X.] (BFH-Urteil vom 03.03.2011 - III R 45/08, [X.], 6, [X.], 673, Leitsatz 2) entgegen der Annahme des [X.] nach § 174 Abs. 3 [X.] noch nicht abgelaufen ist.

a) Ist ein bestimmter Sachverhalt in einem Steuerbescheid (hier: für [X.]) erkennbar in der Annahme nicht berücksichtigt worden, dass er in einem anderen Steuerbescheid (hier: für die [X.]) zu berücksichtigen sei, und stellt sich diese Annahme als unrichtig heraus, so kann die Steuerfestsetzung, bei der die Berücksichtigung des Sachverhalts unterblieben ist (hier: die des [X.]), insoweit gemäß § 174 Abs. 3 Satz 1 [X.] nachgeholt, aufgehoben oder geändert werden. Dabei steht eine Steuerfestsetzung unter Vorbehalt der Nachprüfung nach Abgabe einer entsprechenden Steuererklärung (§ 168 Satz 1 [X.]) einem Steuerbescheid i.S. von § 174 Abs. 3 [X.] gleich (BFH-Urteil vom 19.12.2013 - V R 7/12, [X.], 80, [X.], 841, Rz 50).

§ 174 Abs. 3 [X.] ist auch anzuwenden, wenn der "andere Steuerbescheid" --z.B. entsprechend der formellen [X.] einen anderen Steuerpflichtigen (hier: die [X.] aufgrund der Verneinung der Stellung als Organgesellschaft) betrifft (BFH-Urteil vom 27.08.2014 - II R 43/12, [X.], 506, [X.], 241, Rz 20). Für den bestimmten Sachverhalt kommt es auf den einzelnen Lebenssachverhalt an, an den das Gesetz steuerliche Folgen knüpft, und damit auf den einheitlichen, für die Besteuerung maßgeblichen [X.], nicht aber auf das Bestehen einer Organschaft als hierfür unbeachtlichen Rechtsbegriff (vgl. BFH-Urteil vom 21.09.2016 - V R 24/15, [X.], 505, [X.], 143, Rz 22 f. zu § 174 Abs. 4 [X.]). Daher besteht die Änderungsberechtigung nach § 174 Abs. 3 [X.] z.B. dann, wenn das [X.] Umsätze und Vorsteuerbeträge einer GmbH erkennbar deshalb nicht bei dieser berücksichtigt hat, weil es davon ausgeht, dass diese bei einer anderen Person als Organträger zu erfassen seien (BFH-Urteil vom 08.02.1996 - V R 54/94, [X.] 1996, 733, unter [X.]). Dementsprechend besteht die Änderungsbefugnis gemäß § 174 Abs. 3 [X.] auch dann, wenn Umsätze und Vorsteuerbeträge einer [X.] erkennbar deshalb nicht beim Organträger berücksichtigt werden, da das [X.] davon ausgeht, diese seien mangels Organschaft bei der [X.] zu erfassen.

b) Im Streitfall ergibt sich der bestimmte Sachverhalt, an den das Gesetz steuerliche Folgen knüpft, aus der Umsatztätigkeit der mit [X.] finanziell, wirtschaftlich und organisatorisch verbundenen [X.]. Dieser Sachverhalt wurde in der Annahme, dass die Umsätze der [X.] trotz Vorliegens der [X.] in einem für diese zu erlassenden Steuerbescheid zu erfassen seien, bei der Steuerfestsetzung des [X.] nicht berücksichtigt.

Allerdings kann der [X.] nicht entscheiden, ob diese Nichtberücksichtigung auch erkennbar war. Erkennbarkeit liegt insbesondere vor, wenn der Steuerpflichtige durch sein eigenes Verhalten die Finanzbehörde veranlasst hat, einen Sachverhalt nicht bei ihm, sondern bei einem anderen zu erfassen (BFH-Urteil in [X.], 506, [X.], 241, Rz 22). Hierfür kann im Streitfall die zeitgleiche Abgabe der Umsatzsteuerjahreserklärungen von [X.] und der [X.], der die damals herrschende Meinung zugrunde lag, nach der eine [X.] keine Organgesellschaft war, sprechen.

c) Sollten danach die Voraussetzungen des § 174 Abs. 3 Satz 1 [X.] erfüllt sein, ist die Nachholung, Aufhebung oder Änderung der Steuerfestsetzung für [X.] --und damit auch die Antragstellung durch [X.] gemäß § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a [X.]-- nach § 174 Abs. 3 Satz 2 [X.] bis zum Ablauf der für die andere Steuerfestsetzung geltenden Festsetzungsfrist zulässig. Maßgebend ist hierfür somit nicht die Festsetzungsfrist für den auf § 174 Abs. 3 [X.] gestützten neuen Bescheid gegenüber [X.] (vgl. BFH-Urteil in [X.], 506, [X.], 241, Rz 23), sondern die Festsetzungsfrist für die [X.], die gemäß § 171 Abs. 3a [X.] in ihrem Ablauf gehemmt ist (BFH-Urteil in [X.], 506, [X.], 241, Rz 25 zu § 171 Abs. 3a [X.]).

Im Fall eines fortbestehenden Insolvenzverfahrens über das Vermögen des [X.] ist auf eine durch seinen Insolvenzverwalter abzugebende Erklärung abzustellen. Denn insoweit ist zu berücksichtigen, dass im Insolvenzverfahren ein Änderungsbescheid gemäß § 251 Abs. 2 Satz 1 [X.] i.V.m. § 87 der Insolvenzordnung ([X.]) nicht mehr ergehen kann (BFH-Urteil vom 13.05.2009 - XI R 63/07, [X.], 278, [X.], 11, unter [X.] aa). An dessen Stelle tritt die Eintragung des sich für das Kalenderjahr ergebenden Steueranspruchs als Insolvenzforderung in die Insolvenztabelle (§ 178 [X.]) oder --im Fall des Bestreitens (§ 179 [X.])-- der gemäß § 185 [X.] i.V.m. § 251 Abs. 3 [X.] zu erlassende Feststellungsbescheid (BFH-Urteil vom 21.11.2013 - V R 21/12, [X.], 70, [X.], 74, Rz 23 zur Parallelfrage bei der Haftung nach § 13c UStG). Die Eintragung in die Tabelle ersetzt damit im Insolvenzverfahren den Steuerbescheid (BFH-Urteil vom 17.09.2019 - VII R 5/18, [X.], 104, Leitsatz 2). Da der Insolvenzverwalter dem an die Stelle eines Änderungsbescheids tretenden Tabelleneintrag im Hinblick auf § 176 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 [X.] widersprechen könnte, ist auch für diesen Fall die Inanspruchnahme des aus dieser Vorschrift ansonsten ergebenden Vertrauensschutzes auszuschließen.

Die Änderung nach § 174 Abs. 3 [X.] gegenüber einem [X.] (hier: gegenüber dem Organträger) nach Einlegung eines Rechtsbehelfs durch den anderen Steuerpflichtigen (hier: durch den Insolvenzverwalter der [X.]) setzt im Übrigen nicht die Beteiligung des [X.] (Organträger) gemäß § 174 Abs. 5 [X.] am Verfahren des anderen (des Insolvenzverwalters der [X.]) voraus (BFH-Urteile vom 01.08.1984 - V R 67/82, [X.], 490, [X.] 1984, 788, Leitsatz, und in [X.], 80, [X.], 841, Rz 58). Dementsprechend kommt es nicht auf die weitergehenden Voraussetzungen des § 174 Abs. 4 [X.] an.

4. Die Übertragung der Kostenentscheidung beruht auf § 143 Abs. 2 [X.]O.

Meta

V R 14/21 (V R 45/19), V R 14/21, V R 45/19

16.03.2023

Bundesfinanzhof 5. Senat

Urteil

vorgehend Finanzgericht Baden-Württemberg, 7. November 2019, Az: 1 K 1952/18, Urteil

§ 2 Abs 2 Nr 2 UStG 2005, § 176 Abs 1 S 1 Nr 3 AO, § 172 Abs 1 S 1 Nr 2 Buchst a AO, § 174 Abs 3 AO, Art 11 EGRL 112/2006, § 161 HGB, §§ 161ff HGB, § 34 Abs 3 AO, § 80 InsO, UStG VZ 2010

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Urteil vom 16.03.2023, Az. V R 14/21 (V R 45/19), V R 14/21, V R 45/19 (REWIS RS 2023, 1618)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2023, 1618

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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(Im Wesentlichen inhaltsgleich mit BFH-Urteil vom 22.04.2010 V R 9/09 - Umsatzsteuerliche Organschaft - Finanzielle …


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