Bundesgerichtshof, Beschluss vom 09.11.2010, Az. VI ZB 75/09

6. Zivilsenat | REWIS RS 2010, 1626

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Gegenstand

Wiedereinsetzung in den vorigen Stand: Versäumung der Berufungsbegründungsfrist nach Einreichung der Berufung bei dem unzuständigen Gericht


Tenor

Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des 1. Zivilsenats des [X.] vom 8. Oktober 2009 wird auf Kosten der Beklagten als unzulässig verworfen.

[X.]: 4.408,99 €

Gründe

I.

1

Die Klägerin nimmt die Beklagten auf Schadensersatz aus einem Verkehrsunfall vom 18. August 2007 in Anspruch, in dessen Folge ihr Ehemann verstarb. Mit Urteil vom 26. Juni 2009, dem Prozessbevollmächtigten der Beklagten zugestellt am 13. Juli 2009, hat das Amtsgericht der Klage ganz überwiegend stattgegeben. Gegen dieses Urteil haben die Beklagten mit einem an das [X.] gerichteten anwaltlichen Schriftsatz vom 10. August 2009, dort eingegangen am 11. August 2009, Berufung eingelegt. Mit Beschluss vom 28. August 2009 hat das [X.] die Berufung als unzulässig verworfen, weil aufgrund des allgemeinen Gerichtsstands des Beklagten zu 2 in [X.] gemäß § 119 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Buchst. b GVG a.F. für die Verhandlung und Entscheidung über die Berufung das [X.] zuständig sei. Unter dem 14. September 2009 hat der Prozessbevollmächtigte der Beklagten vor dem [X.] einen Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist gestellt und am 15. September 2009 den die Berufung verwerfenden Beschluss des [X.]s zugestellt erhalten.

2

Am 21. September 2009 haben die Beklagten Berufung zum [X.] eingelegt, diese begründet und zugleich Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist und Berufungsbegründungsfrist beantragt. Zur Glaubhaftmachung haben sie eidesstattliche Versicherungen vorgelegt, wonach ihr Prozessbevollmächtigter am 10. August 2009 eine an das [X.] gerichtete [X.] diktiert habe, die wegen urlaubsbedingter Abwesenheit der Büroleiterin [X.] bearbeitet worden sei. Diese habe beim Schreiben nicht genau auf den Adressaten geachtet und - da das anzufechtende Urteil vom Amtsgericht stammte - die im Computer vorgespeicherte Adresse des [X.]s aufgerufen. Dem Prozessbevollmächtigten der Beklagten sei die irrtümliche Adressierung an das [X.] aufgefallen, nachdem er die Berufungsschrift bereits auf der zweiten Seite unterzeichnet gehabt habe. Er habe die Mitarbeiterin [X.] daraufhin auf den Fehler aufmerksam gemacht und sie mündlich angewiesen, vor der Fristenkontrolle und dem Postauslauf das Adressfeld dahingehend zu korrigieren, dass der Schriftsatz an das [X.] zu richten sei, die erste Seite also nochmals ausgefertigt und ausgedruckt werden müsse. Dies habe die Fachangestellte [X.], die sich in der Vergangenheit als äußerst zuverlässig und ordentlich erwiesen habe, aber vergessen, so dass der Schriftsatz in unveränderter Form in den Postausgang gelangt sei. Das Versehen sei erst am 14. September 2009 im Zusammenhang mit der Abfassung des [X.] entdeckt worden.

3

Mit dem angefochtenen Beschluss hat das [X.] die begehrte Wiedereinsetzung versagt und die Berufung der Beklagten als unzulässig verworfen, weil die Versäumung der [X.] und Berufungsbegründungsfrist auf einem Verschulden ihres Prozessbevollmächtigten beruhe. Zwar habe der Prozessbevollmächtigte der Beklagten unter normalen Bedingungen grundsätzlich darauf vertrauen dürfen, dass eine von ihm erteilte [X.] von einer seit 2002 bei ihm stets zuverlässig arbeitenden Rechtsanwaltsfachangestellten ordnungsgemäß ausgeführt werden würde. Im zu entscheidenden Fall hätten jedoch besondere Umstände vorgelegen, nachdem die Rechtsanwaltsfachangestellte [X.] für den Beklagtenvertreter erkennbar bei der Umsetzung des Diktats die erforderliche Sorgfalt habe vermissen lassen, er aber gleichwohl die unrichtig adressierte [X.] unterzeichnet habe. Unter diesen Umständen sowie aufgrund der Mehrbelastung der Kanzleiangestellten [X.] durch Vertretung der urlaubsabwesenden Büroleiterin [X.] sei die alleinige Erteilung einer mündlichen [X.] gegenüber der Mitarbeiterin [X.] nicht mehr sorgfaltsgerecht gewesen; vielmehr hätte der Prozessbevollmächtigte der Beklagten zusätzlich das Adressfeld des Schriftsatzes handschriftlich korrigieren müssen.

II.

4

Die Rechtsbeschwerde ist gemäß §§ 522 Abs. 1 Satz 4, 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO statthaft, aber unzulässig. Der von den Beklagten geltend gemachte [X.] der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO) liegt nicht vor. Der angefochtene Beschluss verletzt die Beklagten nicht in ihrem verfassungsrechtlich gewährleisteten Anspruch auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip).

5

1. Die zur Begründung ihres Wiedereinsetzungsantrags von den Beklagten gegebene Schilderung der Abläufe in der Kanzlei ihres Prozessbevollmächtigten ist bereits in sich unschlüssig. Aus welchem Grunde der Prozessbevollmächtigte am 14. September 2009, nachdem er an diesem Tag die Fehladressierung der Berufungsschrift entdeckt haben will, gleichwohl einen Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist vor dem bekanntermaßen unzuständigen [X.] stellte, gegenüber dem zuständigen [X.] aber erst nach Erhalt des die Berufung als unzulässig verwerfenden Beschlusses des [X.]s tätig wurde, ist nicht nachvollziehbar und wird von den Beklagten auch nicht näher erläutert.

6

2. Letztlich kann dies jedoch dahinstehen, weil der Prozessbevollmächtigte der Beklagten selbst unter Zugrundelegung dieser Darstellung bei pflichtgemäßem Verhalten jedenfalls die am 14. September 2009 ablaufende Berufungsbegründungsfrist hätte wahren können.

7

[X.] beruht auf einem Verschulden des damaligen Prozessbevollmächtigten der Beklagten, das diese sich nach § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen müssen. Dass der Lauf der Berufungsbegründungsfrist durch ein Wiedereinsetzungsverfahren oder durch einen Beschluss auf Verwerfung der Berufung nicht berührt wird, entspricht der ständigen Rechtsprechung des [X.] (Beschlüsse vom 20. Oktober 1976 - [X.], [X.], 137, 138; vom 16. März 1977 - [X.], [X.], 573; vom 30. Juni 1981 - [X.], [X.], 1032 f.; vom 22. April 1986 - [X.], [X.], 892, 893 und vom 9. Januar 1989 - [X.], [X.], 529).

8

Nach Entdecken des Versehens am letzten Tag der Berufungsbegründungsfrist wäre es dem Prozessbevollmächtigten der Beklagten ohne weiteres möglich und zumutbar gewesen, am selben Tag einen Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist, ggf. verbunden mit einem Wiedereinsetzungsantrag hinsichtlich der versäumten Berufungsfrist, beim zuständigen [X.] zu stellen. Einem solchen Antrag, begründet wie der an das [X.] gerichtete Fristverlängerungsantrag vom 14. September 2009, wäre voraussichtlich stattgegeben worden, so dass der Prozessbevollmächtigte die Berufungsbegründungsfrist unschwer hätte einhalten können. Dieser Möglichkeit hat er sich durch sein Zuwarten bis zum 21. September 2009 ohne nachvollziehbaren Grund begeben, wobei den Beklagten das Verschulden ihres Prozessbevollmächtigten zugerechnet wird (§ 85 Abs. 2 ZPO). Unter diesen Umständen hat das Berufungsgericht die Voraussetzungen des § 233 ZPO im Ergebnis zu Recht verneint; eine sachlich nicht mehr zu rechtfertigende Erschwerung des Zugangs zu dem von der Zivilprozessordnung eingeräumten Instanzenzug liegt hierin entgegen der Auffassung der Beklagten nicht.

9

3. Da die Wiedereinsetzung mithin jedenfalls im Hinblick auf die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist zu versagen ist und sich die Verwerfung der Berufung als unzulässig bereits aufgrund der Versäumung dieser Frist als richtig erweist (§ 522 Abs. 1 ZPO), kann das Begehren der Beklagten auf Wiedereinsetzung gegen die Versäumung der Berufungsfrist nicht mehr zum Erfolg ihres Rechtsmittels führen und ist daher gegenstandslos.

4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

Galke                                         Zoll                                        [X.]

                 [X.][X.]

Meta

VI ZB 75/09

09.11.2010

Bundesgerichtshof 6. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZB

vorgehend OLG Karlsruhe, 8. Oktober 2009, Az: 1 U 182/09, Beschluss

§ 85 Abs 2 ZPO, § 233 ZPO, § 119 Abs 1 S 1 Nr 1 Buchst b GVG

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 09.11.2010, Az. VI ZB 75/09 (REWIS RS 2010, 1626)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2010, 1626

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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