Bundesgerichtshof, Beschluss vom 13.12.2017, Az. 2 ARs 541/17

2. Strafsenat | REWIS RS 2017, 728

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Gegenstand

Strafvollstreckung: Sachliche und örtliche Zuständigkeit der Strafvollstreckungskammer für Aussetzungswiderruf während der Organisationshaft


Tenor

Zuständig für die Entscheidung über den Widerruf der mit Urteil des Amtsgerichts [X.] vom 8. August 2014 bewilligten Strafaussetzung zur Bewährung ist das

Landgericht Göttingen - Strafvollstreckungskammer.

Gründe

I.

1

Das [X.] hat mit Urteil vom 8. April 2014 gegen den Verurteilten wegen versuchten Diebstahls in Tateinheit mit Sachbeschädigung eine Freiheitsstrafe von neun Monaten verhängt, deren Vollstreckung es zur Bewährung aussetzt hat. Mit Beschluss vom gleichen Tag hat es die Bewährungszeit auf vier Jahre festgesetzt.

2

Am 20. September 2016 wurde der Angeklagte wegen neuer Straftaten in Untersuchungshaft genommen, die zunächst in der [X.], später in der [X.] vollzogen wurde. Am 29. Dezember 2016 ging beim [X.] eine Mitteilung der Staatsanwaltschaft [X.] ein, durch die die erste von mehreren neuen Anklageschriften gegen den Verurteilten zum [X.] [X.] übermittelt wurde. Am 21. Juni 2017 verurteilte ihn das [X.] [X.] wegen bandenmäßigen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge und wegen schweren Bandendiebstahls, jeweils in mehreren Fällen, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 5 Jahren und 6 Monaten. Ferner ordnete das [X.] seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt an. Von der Anordnung eines [X.] sah das [X.] ab. Das Urteil ist seit dem 29. Juni 2017 rechtskräftig.

3

Nachdem das [X.] am 15. August 2017 eine Urteilsabschrift erhalten hatte, übersandte es am 17. August 2017 die Akten der Staatsanwaltschaft mit der Bitte um Antragstellung hinsichtlich eines [X.]s.

4

Am 24. August 2017 wurde der Verurteilte zum Vollzug der Maßregel aus der [X.] in die Psychiatrische Klinik [X.] verlegt, nachdem er sich zuvor in der [X.] vom 29. Juni 2017 bis zum 23. August 2017 in [X.] in der [X.] befunden hatte. Mit Verfügung vom 24. August 2017, beim [X.] [X.] eingegangen am 29. August 2017, beantragte die Staatsanwaltschaft [X.] den [X.]. Nachdem die Strafvollstreckungskammer des [X.]s [X.] mit Verfügung vom 31. August 2017 ihre Zuständigkeit verneint hatte, wiederholte die Staatsanwaltschaft [X.] ihren Antrag am 11. September 2017 gegenüber der Strafvollstreckungskammer des [X.]s [X.].

5

Mit Beschluss vom 13. Oktober 2017 hat sich die Strafvollstreckungskammer des [X.]s [X.] für örtlich unzuständig erklärt, weil eine Befassung im Sinne des § 462a Abs. 1 [X.] bereits dann vorliege, wenn Tatsachen aktenkundig seien, die eine Entscheidung notwendig machten. Dies sei am 15. August 2017 mit Eingang der [X.] beim [X.] der Fall gewesen. Zu diesem [X.]punkt habe sich der Verurteilte noch in der [X.], also im Zuständigkeitsbereich des [X.]s [X.] befunden.

6

Die Strafvollstreckungskammer des [X.]s [X.] hält sich ebenfalls für unzuständig, weil sie erst mit Eingang des [X.] vom 29. August 2017 und damit nach der Verlegung des Verurteilten nach [X.] konkret mit der Sache befasst gewesen sei. Sie hat die Sache mit Verfügung vom 21. November 2017 dem [X.] zur Bestimmung des zuständigen Gerichts vorgelegt.

II.

7

1. Der [X.] ist entsprechend § 14 [X.] als gemeinschaftliches oberes Gericht der [X.]e [X.] und [X.] für die Gerichtsstandsbestimmung zuständig.

8

2. Die nachträgliche Entscheidung über den Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung obliegt gemäß §§ 453, 462a Abs. 1 Satz 1 und 2, § 463 Abs. 1 [X.] der Strafvollstreckungskammer des [X.]s [X.].

9

a) Die sachliche Zuständigkeit der Strafvollstreckungskammer war seit dem 29. Juni 2017 begründet, weil an diesem Tag aufgrund der Rechtskraft des Urteils des [X.]s [X.] vom 21. Juni 2017 die in der [X.] vollzogene Untersuchungshaft in Strafhaft überging (st. Rspr.; vgl. Senat, Beschlüsse vom 2. Dezember 1977 - 2 [X.], BGHSt 27, 302, 303; vom 28. August 1991 - 2 [X.], [X.], 63, 65; vom 16. Mai 2012 - 2 [X.], [X.], 652, 653; [X.]/[X.]; [X.], 60. Aufl., § 462a Rn. 6; SK-[X.]/[X.], 4. Aufl., § 462a Rn. 3).

Der sachlichen Zuständigkeit der Strafvollstreckungskammer steht nicht entgegen, dass gegen den Verurteilten ab Rechtskraft der [X.] bis zu seiner Verlegung in den Maßregelvollzug am 24. August 2017 [X.] vollstreckt wurde (Senat, Beschluss vom 28. Juli 2015 - 2 [X.], juris Rn. 4; [X.], Beschluss vom 19. Februar 2009 - 3 Ws 44/09, [X.], 295, 296; KK-[X.]/[X.], 7. Aufl., [X.] § 462a Rn. 9; [X.]/ [X.]/[X.] § 462a Rn. 6; [X.] Strafvollzug Bund/[X.], [X.] § 462a Rn. 3). Denn die [X.] ist zunächst schlichte Strafhaft (Pohlmann/ [X.], [X.], 9. Aufl., 2016 § 462a Rn. 17c). Bei der [X.], deren Dauer regelmäßig zunächst nicht feststeht, handelt es sich auch nicht um eine kurzfristige vorübergehende Aufnahme, die als solche nicht zuständigkeitsbegründend wirken kann (vgl. Senat, Beschluss vom 8. Dezember 2016 - 2 ARs 5/16, [X.], 86). Die anerkannten Beispiele einer kurzfristigen vorübergehenden Aufnahme wie etwa die Verschubung, die Wahrnehmung eines Gerichtstermins oder eine ärztliche Untersuchung sind mit der typischerweise mehrere Wochen dauernden und hinsichtlich ihres Endes zunächst nicht fixierten [X.] nicht vergleichbar ([X.], aaO, S. 296). Zudem ist - für die vergleichbare Frage der örtlichen Zuständigkeit - anerkannt, dass eine geplante spätere Verlegung nach dem [X.] (vgl. Senat, Beschlüsse vom 8. Dezember 2016 - 2 ARs 5/16, aaO; vom 28. August 1991 - 2 [X.], [X.], 63, 65) eine bereits begründete Zuständigkeit der Strafvollstreckungskammer nicht beseitigt.

Die [X.] wurde in der [X.] in der [X.] vom 29. Juni 2017 bis zum 23. August 2017 und damit nicht nur vorübergehend vollstreckt.

b) Die Strafvollstreckungskammer des [X.]s [X.] war auch örtlich zuständig.

Die örtliche Zuständigkeit einer Strafvollstreckungskammer für den Widerruf einer Bewährung bestimmt sich gemäß § 462a Abs. 1 Satz 1 [X.] danach, in welchem Bezirk die Anstalt liegt, in der sich der Verurteilte zu dem [X.]punkt befindet oder zuletzt befand, zu dem eine erstmalige Befassung mit der konkreten Angelegenheit gegeben war (Senat, Beschlüsse vom 21. Februar 2017 - 2 [X.], aaO; vom 21. Juli 2006 - 2 [X.], [X.], 94; KK-[X.]/[X.], 7. Aufl., § 462a Rn. 16). Eine mit der ersten Befassung begründete örtliche Zuständigkeit wird durch später eingetretene Umstände nicht berührt (Senat, Beschlüsse vom 21. Februar 2017 - 2 [X.], aaO; vom 14. August 1981 - 2 [X.], [X.], 189; [X.] aaO Rn. 21).

(a) Befasst im Sinne von § 462a Abs. 1 Satz 1 [X.] ist ein Gericht mit der Sache schon dann, wenn Tatsachen aktenkundig werden, die den Widerruf der Strafaussetzung rechtfertigen können (st. Rspr.; Senat, Beschlüsse vom 15. Oktober 1975 - 2 [X.], BGHSt 26, 214, 216; vom 11. Juli 2012 - 2 [X.], [X.], 358). Dies war spätestens mit Eintritt der Rechtskraft der Verurteilung des [X.]s [X.] am 29. Dezember 2016 der Fall. Denn ab diesem [X.]punkt waren die den Widerruf begründenden Umstände dem [X.] [X.] und damit auch der dortigen Strafvollstreckungskammer bekannt. Unerheblich ist dabei, dass die Strafvollstreckungskammer des [X.]s [X.] tatsächlich erst durch die Antragstellung der Staatsanwaltschaft am 29. August 2017 und damit nach der Verlegung des Verurteilten in die Psychiatrische Klinik [X.] von dem Sachverhalt erfahren hat.

(b) Darüber hinaus begründet auch die Befassung des für den [X.] ursprünglich zuständigen Amtsgerichts [X.] noch vor dem 24. August 2017 die örtliche Zuständigkeit der seit dem 29. Juni 2017 sachlich zuständigen Strafvollstreckungskammer des [X.]s [X.]. Insofern bewirkt nämlich die Befassung eines Gerichts, das allgemein für die Entscheidung zuständig sein kann, die Zuständigkeit der Strafvollstreckungskammer, in deren Bezirk die Justizvollzugsanstalt liegt (st. Rspr.; Senat, Beschlüsse vom 6. Mai 1987 - 2 [X.], BGHR [X.] § 462a Abs. 1 [X.] 3; vom 26. November 2003 - 2 [X.] bei [X.], [X.], 65, 69).

(c) Die Verlegung des Verurteilten in die Psychiatrische Klinik in [X.] änderte an der Zuständigkeit der Strafvollstreckungskammer des [X.]s [X.] nichts. Ein Zuständigkeitswechsel von einer Strafvollstreckungskammer zu einer anderen tritt nicht ein, solange erstere noch nicht abschließend über eine Frage befunden hat, mit der sie befasst war, bevor der Verurteilte in eine zum Bezirk der anderen Strafvollstreckungskammer gehörenden Justizvollzugsanstalt aufgenommen wurde (st. Rspr.; Senat, Beschluss vom 8. Dezember 2016 - 2 ARs 5/16, [X.], 86). Eine Entscheidung über den Widerruf der Strafaussetzung ist bisher jedoch nicht erfolgt.

[X.]     

      

Eschelbach     

      

Bartel

      

Grube     

      

[X.]     

      

Meta

2 ARs 541/17

13.12.2017

Bundesgerichtshof 2. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: ARs

§ 462a StPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 13.12.2017, Az. 2 ARs 541/17 (REWIS RS 2017, 728)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2017, 728

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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