Bundesgerichtshof, Urteil vom 09.01.2013, Az. 5 StR 395/12

5. Strafsenat | REWIS RS 2013, 9177

© REWIS UG (haftungsbeschränkt)

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Gefährliche Körperverletzung: Abgrenzung des bedingten Tötungsvorsatzes von der bewußten Fahrlässigkeit bei äußerst gefährlichen Gewalthandlungen; Strafzumessung


Tenor

Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des [X.] vom 12. März 2012 im Strafausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.

Die weitergehende Revision wird verworfen.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine allgemeine Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

- Von Rechts wegen -

Gründe

1

Die [X.] hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt und die Vollstreckung der Freiheitsstrafe zur Bewährung ausgesetzt.

2

Während die auch vom [X.] vertretene Revision der Staatsanwaltschaft zum Schuldspruch keinen Erfolg hat, führt ihr Rechtsmittel mit der Sachrüge aber zur Aufhebung des Strafausspruchs.

3

1. Zum Tatgeschehen in den frühen Morgenstunden des 12. Juli 2011 hat das [X.] folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:

4

a) Der Angeklagte und der gesondert verfolgte [X.]     befanden sich mit zwei Prostituierten auf dem Weg zu deren Appartements. Dabei wurden sie von dem [X.], der zu einer Gruppe von weiteren drei Personen gehörte, despektierlich angesprochen. Da sich der Angeklagte und [X.]     hierdurch in ihrer Ehre angegriffen fühlten, entspann sich zunächst ein Wortgefecht, das wenig später in eine Schlägerei ausartete. Der Angeklagte, dem es darauf ankam, die gegnerische Gruppe zu bestrafen, sah, wie [X.]     zu Boden ging und dabei weiter geschlagen und getreten wurde. Es gelang ihm, sich von seinem Kontrahenten loszureißen. Während der Angeklagte die Absicht hatte, zu [X.]     zu gelangen, bemerkte er den mit dem Kopf auf den Gehwegplatten liegenden, den stark betrunkenen ([X.] 4,1 ‰) Nebenkläger [X.]        . Da dieser ebenfalls zur gegnerischen Gruppe gehörte, lief der bei einer Blutalkoholkonzentration von 1,8 ‰ enthemmte Angeklagte zwei bis drei Schritte auf den Nebenkläger zu und trat ihm mit Verletzungsvorsatz „wuchtig von oben nach unten“ ([X.]) auf den Kopf. Der Nebenkläger blieb sofort reglos liegen. Es bildete sich eine Blutlache unter dem Kopf und aus einem Ohr lief ebenfalls Blut. Als der Angeklagte dies bemerkte, „hielt er sofort wie erschrocken inne“ ([X.]). Die Schlägerei hörte abrupt auf, weil auch die Umstehenden wahrgenommen hatten, dass der Nebenkläger möglicherweise tödlich verletzt worden sein konnte. Der Angeklagte bewegte sich darauf einige Schritte rückwärts und flüchtete.

5

Der Nebenkläger erlitt durch den Tritt einen Bruch des Gehörgangbodens, eine Fraktur der Kiefergelenkpfanne und eine Schädelbasisfraktur. Nach einem fünftägigen Krankenhausaufenthalt war er sechs Wochen arbeitsunfähig. Dauerhafte Folgeschäden sind indes, soweit ersichtlich, nicht zu erwarten.

6

b) Trotz der „brutalen“ und „unfairen“ Vorgehensweise ([X.]) hat das [X.] einen Tötungsvorsatz des Angeklagten verneint, weil eine lebensgefährdende Handlungsweise nicht zwingend die Annahme eines Tötungsvorsatzes nach sich ziehe. Es lägen in diesem Falle vielmehr mit dem dynamischen Kampfgeschehen Umstände vor, die dem entgegenstünden. Darüber hinaus habe der Angeklagte auch nicht die [X.] zum entscheidenden ([X.] gewechselt. Im Übrigen habe nicht festgestellt werden können, ob der Angeklagte die Wucht des spontanen Trittes „genauer“ ([X.]) abgemessen habe und ob ihm diese Überlegung in der vorliegenden Situation überhaupt möglich gewesen sei. Schließlich spreche die unmittelbare Reaktion des Angeklagten schon nach dem einzigen Tritt - sein erschrocken wirkendes Innehalten - für eine nicht bedachte bzw. unterschätzte Handlung.

7

c) Bei der Bemessung der Höhe der Freiheitsstrafe war für die [X.] entscheidend, dass der zuvor zwar 2004 einschlägig zu einer Bewährungsstrafe von acht Monaten verurteilte Angeklagte seitdem nicht mehr strafrechtlich in Erscheinung getreten ist und ihn die mehr als sechs Monate dauernde, wenn auch nicht erstmalige Untersuchungshaft durch die Versäumung der Geburt seines Kindes erheblich getroffen hat.

8

2. Die Ablehnung des Tötungsvorsatzes durch das [X.] begegnet entgegen der Meinung der Staatsanwaltschaft keinen Bedenken.

9

Zwar liegt es, was die [X.] nicht verkennt, bei äußerst gefährlichen Gewalthandlungen nahe, dass der Täter mit Tötungsvorsatz handelt. Denn in derartigen Fällen ist in der Regel ein Schluss von der objektiven Gefährlichkeit der Handlungen eines Täters auf seine innere Einstellung im Sinne eines bedingten Tötungsvorsatzes zu ziehen (vgl. [X.], Urteil vom 1. Dezember 2011 - 5 [X.], [X.], 207 mwN). Trotz dieses gewichtigen [X.] ist aber in einer Gesamtschau auch die Möglichkeit in Betracht zu ziehen, dass der Täter die Gefahr der Tötung nicht erkannt oder jedenfalls darauf vertraut hat, ein solcher Erfolg werde nicht eintreten (vgl. [X.], Beschluss vom 18. Mai 2011 - 1 [X.], [X.], 89, 90, und Urteil vom 15. April 1997 - 1 StR 144/97, [X.], 233). Diese Gesamtschau hat das [X.] im Rahmen möglicher und damit revisionsrechtlich hinzunehmender Beweiswürdigung rechtsfehlerfrei vorgenommen. Es hat in seine Überlegungen nicht nur das dynamische Kampfgeschehen im Allgemeinen, sondern auch die spontane Handlungsweise des Angeklagten gegenüber dem Nebenkläger eingestellt. In diesem Zusammenhang ist es im Rahmen tatrichterlicher Beweiswürdigung vom Revisionsgericht hinzunehmen, dass die [X.] das Tatgeschehen als einheitlichen dynamischen Verlauf gewertet und entgegen der Auffassung der Staatsanwaltschaft die Situation des [X.] nicht isoliert betrachtet hat. Nach den Feststellungen gehörte der Nebenkläger zu der gegnerischen Gruppe und lag lediglich zwei bis drei Schritte ([X.]) von den in weiterer körperlicher Auseinandersetzung befindlichen Gruppenmitgliedern entfernt auf dem Boden. Darüber hinaus hat das [X.] die Tatausführung (ein Tritt) sowie das Nachtatverhalten des Angeklagten (erschrockenes Innehalten - [X.]) in den Blick genommen und damit insgesamt Gegebenheiten gewürdigt, die das Vorliegen eines bedingten Tötungsvorsatzes nachvollziehbar fraglich erscheinen lassen und lediglich die Annahme eines Körperverletzungsvorsatzes rechtfertigen.

3. Allerdings hält der Strafausspruch sachlich-rechtlicher Prüfung nicht stand. Entscheidend für dessen Aufhebung ist, dass nach den Feststellungen der [X.] zur Schwere der Tat und zu ihren Folgen bei dem von § 224 Abs. 1 StGB vorgesehenen Regelstrafrahmen von sechs Monaten bis zu zehn Jahren Freiheitsstrafe die verhängte Freiheitsstrafe von zwei Jahren zur Bewährung unvertretbar milde ist. Damit ist dem maßgeblichen Erschwerungsgrund der brutalen Tatausführung gegenüber dem auf dem Boden liegenden, hoch alkoholisierten, außer Gefecht gesetzten Nebenkläger, zudem eingedenk des der Auseinandersetzung zugrunde liegenden nichtigen Anlasses, nicht ausreichend Rechnung getragen. Daran ändern auch die hier vorliegenden einfachen Milderungsgründe wie das Geständnis des Angeklagten und seine Tatspontanität nichts. Dies gilt auch, wenn man es noch als hinnehmbar ansieht, die (erneut) erlittene Untersuchungshaft in diesem Fall als weiteren Strafmilderungsgrund heranziehen zu können. Denn damit hat sich das [X.] den Blick für die gewichtige [X.] verstellt. Bei einem Tatbild im - hier gegebenen - Grenzbereich zwischen bedingtem Tötungsvorsatz und bewusster oder gröbster Fahrlässigkeit in Bezug auf eine mögliche Todesfolge ist ein erheblicher Unterschied im konkreten Strafmaß zwischen Verurteilungen wegen versuchten Totschlags und wegen bloßer gefährlicher Körperverletzung - wie im Fall des [X.] zwischen Verurteilungen wegen Totschlags und wegen Körperverletzung mit Todesfolge - regelmäßig nicht gerechtfertigt (vgl. [X.], Urteile vom 4. Oktober 1999 - 5 [X.], [X.]St 45, 219, 227, und vom 26. Januar 2005 - 5 [X.], [X.]R StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 59).

Ob, wie die Staatsanwaltschaft meint, bei der Bestimmung der Höhe der Strafe in diesem Falle auch generalpräventive Überlegungen hätten einfließen müssen (zur generellen Zulässigkeit vgl. [X.], Beschluss vom 5. April 2005 - 4 [X.], [X.], 387, 388 mwN), braucht der [X.] nicht zu entscheiden. Eine gemeinschaftsgefährdende Zunahme solcher oder ähnlicher Taten ist vom [X.] nicht festgestellt worden; sie ist auch nicht offenkundig (vgl. dagegen [X.], [X.], Forschung/Gesellschaft, [X.], [X.] ff.; [X.], Strafbedürfnisse und wahrgenommene Kriminalitätsentwicklung, Kriminologisches Forschungsinstitut Niedersachsen, Forschungsbericht 117, [X.]5 ff.).

Der [X.] verweist die Sache an eine allgemeine Strafkammer gemäß § 74 Abs. 1 GVG, weil nunmehr die Zuständigkeit der [X.] nicht mehr gegeben ist. Das neue Tatgericht wird für seine Rechtsfolgenentscheidung insbesondere erneut Feststellungen zum Ausmaß der Beeinträchtigung der Hemmungsfähigkeit des Angeklagten bei Tatbegehung und zur Frage einer etwa vom Angeklagten bemerkten Mitwirkung des [X.] an der Eskalation des unmittelbaren Vorgeschehens zu treffen haben.

[X.]                        Raum                         Schneider

                  Dölp                         [X.]

Meta

5 StR 395/12

09.01.2013

Bundesgerichtshof 5. Strafsenat

Urteil

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Berlin, 12. März 2012, Az: (522) 234 Js 3395/11 Ks (13/11)

§ 46 Abs 1 StGB, § 212 StGB, § 224 Abs 1 StGB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 09.01.2013, Az. 5 StR 395/12 (REWIS RS 2013, 9177)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2013, 9177

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

5 StR 395/12 (Bundesgerichtshof)


5 StR 435/14 (Bundesgerichtshof)

Totschlag: Anforderungen an die Beweiswürdigung bei der Prüfung eines bedingten Vorsatzes


5 StR 465/15 (Bundesgerichtshof)

Heimtückemord: Wehrlosigkeit des Opfers trotz Abwehrmaßnahmen


5 StR 344/05 (Bundesgerichtshof)


1 StR 194/16 (Bundesgerichtshof)


Referenzen
Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.