Bundessozialgericht, Beschluss vom 10.12.2021, Az. B 5 R 262/21 B

5. Senat | REWIS RS 2021, 431

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Gegenstand

Sozialgerichtliches Verfahren - Nichtzulassungsbeschwerde - Verfahrensmangel - fehlende Feststellung im Protokoll, dass das Sach- und Streitverhältnis mit den Beteiligten in der mündlichen Verhandlung erörtert wurde


Tenor

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des [X.] vom 19. August 2021 wird als unzulässig verworfen.

Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine Kosten zu erstatten.

Gründe

1

I. Die Klägerin wendet sich gegen Entscheidungen des beklagten Rentenversicherungsträgers zur rückwirkenden Aufhebung der ihr bewilligten Rente wegen voller Erwerbsminderung für die Monate Juli 2011 bis Oktober 2012 nach § 45 [X.]B X und zur Erstattung der in diesem Zeitraum geleisteten Rentenzahlungen in Höhe von 11 456,34 Euro. Das [X.] hat ihre Berufung gegen den klageabweisenden Gerichtsbescheid des [X.] vom 4.12.2017 zurückgewiesen (Urteil vom [X.]). Der mit der Klage angegriffene Bescheid vom 25.6.2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 28.1.2015 sei rechtmäßig. Die Klägerin habe eine mehr als geringfügige selbstständige Tätigkeit ausgeübt und frühestens zum 1.5.2012 aufgegeben. Erst ab diesem Zeitpunkt sei aufgrund der Verschlossenheit des Teilzeitarbeitsmarktes ihre teilweise Erwerbsminderung in eine volle Erwerbsminderung umgeschlagen. Ein Anspruch auf eine Rente wegen voller Erwerbsminderung bestehe somit erst ab dem 1.11.2012. Die Klägerin könne sich nicht auf schutzwürdiges Vertrauen berufen. Sie habe in grob fahrlässiger Weise unvollständige Angaben zu den Einnahmen aus ihrer selbstständigen Tätigkeit gemacht und zudem grob fahrlässig die Rechtswidrigkeit der Rentenbewilligung nicht gekannt. Anhaltspunkte für Ermessensfehler der Beklagten bestünden nicht. Die Rücknahmefrist sei gewahrt.

2

Gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des [X.] hat die Klägerin Beschwerde beim B[X.] eingelegt. Sie macht Verfahrensmängel geltend.

3

II. Die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin ist unzulässig, weil sie nicht formgerecht begründet ist. Die Klägerin hat einen Verfahrensmangel ([X.] nach § 160 Abs 2 [X.] [X.]G) nach Maßgabe der Erfordernisse des § 160a Abs 2 Satz 3 [X.]G nicht ausreichend bezeichnet. Die Beschwerde ist daher gemäß § 160a Abs 4 Satz 1 iVm § 169 [X.]G zu verwerfen.

4

Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde damit begründet, dass ein Verfahrensmangel vorliege, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne (§ 160 Abs 2 [X.] [X.]G), so müssen zur Bezeichnung des [X.] (§ 160a Abs 2 Satz 3 [X.]G) zunächst die Umstände, aus denen sich der Verfahrensfehler ergeben soll, substantiiert dargetan werden. Darüber hinaus ist es erforderlich darzulegen, dass und warum die Entscheidung des [X.] ausgehend von dessen materieller Rechtsansicht auf dem Mangel beruhen kann, also die Möglichkeit einer Beeinflussung der Entscheidung besteht. Gemäß § 160 Abs 2 [X.] Halbsatz 2 [X.]G kann ein Verfahrensmangel nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs 1 Satz 1 [X.]G und auf eine Verletzung des § 103 [X.]G nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das [X.] ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Die Beschwerdebegründung der Klägerin wird diesen Anforderungen nicht gerecht.

5

Die Klägerin rügt eine Verletzung von § 112 Abs 2 und von § 121 Satz 1 [X.]G, weil in der mündlichen Verhandlung vom [X.] der Vorsitzende nach [X.] das Sach- und Streitverhältnis mit den Beteiligten nicht hinreichend erörtert habe. Ausweislich der Niederschrift über die mündliche Verhandlung sei lediglich der Sachverhalt vorgetragen, der Antrag der Klägerin aufgenommen und daraufhin die mündliche Verhandlung für geschlossen erklärt worden. Ein Hinweis auf eine genügende Erörterung der Streitsache finde sich in dem Protokoll nicht. Die Beachtung der für die Verhandlung vorgeschriebenen Förmlichkeiten könne nur durch das Protokoll bewiesen werden. Nicht ausgeschlossen sei, dass die Entscheidung des [X.] auf einer Verletzung der geltend gemachten Verfahrensvorschriften beruhen könne.

6

Mit diesem Vorbringen hat die Klägerin einen Verfahrensmangel nicht hinreichend bezeichnet. Aus ihrem Vortrag ergibt sich allerdings, dass das Protokoll über die mündliche Verhandlung vom [X.] die Feststellung, das Sach- und Streitverhältnis sei mit den Beteiligten erörtert worden, nicht enthält. Es kann hier offenbleiben, ob eine entsprechende Feststellung als wesentlicher Vorgang der Verhandlung iS des § 122 [X.]G iVm § 160 Abs 2 ZPO stets in das Protokoll aufzunehmen ist (so [X.] in [X.]/[X.]/[X.]/[X.], [X.]G, 13. Aufl 2020, § 122 Rd[X.] 4e; kritisch dazu [X.]/[X.]/[X.], [X.]G, 2. Aufl 2021, § 122 Rd[X.] 29; speziell für den Fall einer durchgeführten Beweisaufnahme aufgrund der Regelung in § 279 Abs 3 ZPO vgl [X.] Beschluss vom 23.5.2012 - IV ZR 224/10 - NJW 2012, 2354 Rd[X.] 5; [X.] Beschluss vom 18.8.2015 - [X.]/14 - [X.]/NV 2015, 1595 Rd[X.] 10; zu § 128 Abs 2 [X.]G vgl B[X.] Beschluss vom 8.2.2012 - B 5 RS 76/11 B - juris Rd[X.] 5). Wird dies bejaht, würde ein Schweigen des Protokolls hierzu beweisen, dass diese für die Verhandlung vorgeschriebene Förmlichkeit vom Gericht nicht beachtet worden ist (vgl § 122 [X.]G iVm § 165 Satz 1 ZPO; zur begrenzten Aussagekraft der bloß formelhaften Wiederholung des Gesetzeswortlauts s bereits B[X.] Urteil vom 6.3.1991 - 13/5 RJ 68/89 - [X.]-1500 § 62 [X.] 4 S 5 f).

7

Allein das Fehlen der Feststellung im Protokoll, dass das Sach- und Streitverhältnis mit den Beteiligten in der mündlichen Verhandlung erörtert wurde, führt im sozialgerichtlichen Verfahren nicht zwangsläufig zur Revisionszulassung wegen eines Verfahrensfehlers. § 160 Abs 2 [X.] [X.]G erfordert vielmehr einen Verfahrensmangel, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann. Dass und inwiefern dies im konkreten Fall möglich ist, muss die Beschwerdebegründung nachvollziehbar aufzeigen (vgl dazu auch [X.] Beschluss vom 23.5.2012 - IV ZR 224/10 - NJW 2012, 2354 Rd[X.] 8; [X.] Beschluss vom 18.8.2015 - [X.]/14 - [X.]/NV 2015, 1595 Rd[X.] 9). Die Klägerin trägt dazu lediglich vor, die Frage, ob sie sich auf Vertrauensschutz berufen könne, sei Kernfrage der Entscheidung des [X.] gewesen. Gerade hierzu habe sie sich in der mündlichen Verhandlung persönlich äußern wollen, jedoch aufgrund der Verhandlungsführung des Vorsitzenden nicht "genügend Gelegenheit" gehabt. Was genau sie vorgetragen hätte, wenn ihr in der mündlichen Verhandlung mehr Raum für eine eigene Äußerung gewährt worden wäre und inwiefern die Entscheidung des [X.] dann anders hätte ausfallen können, erläutert die Klägerin jedoch nicht. Auch zeigt sie zu dieser Rüge, die letztlich eine Gehörsverletzung betrifft (vgl § 62 [X.]G, Art 103 Abs 1 GG), nicht auf, warum es ihr trotz anwaltlicher Vertretung in dem Termin nicht möglich war, auf eine "genügende Erörterung der Streitsache" hinzuwirken (vgl B[X.] Beschluss vom 9.11.1990 - [X.] 183/90 - juris Rd[X.] 4) und entsprechende Anträge auch in das Protokoll aufnehmen zu lassen (vgl § 122 [X.]G iVm § 160 Abs 4 ZPO). Die Relevanz des gerügten Defizits in der Niederschrift über die mündliche Verhandlung vor dem [X.] bleibt damit offen.

8

Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (vgl § 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 [X.]G).

9

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 [X.]G.

Meta

B 5 R 262/21 B

10.12.2021

Bundessozialgericht 5. Senat

Beschluss

Sachgebiet: R

vorgehend SG Neuruppin, 4. Dezember 2017, Az: S 7 R 51/15, Gerichtsbescheid

§ 62 SGG, § 112 Abs 2 SGG, § 121 S 1 SGG, § 122 SGG, § 160 Abs 2 Nr 3 SGG, § 160a Abs 2 S 3 SGG, § 160 Abs 2 ZPO, § 160 Abs 4 ZPO, § 165 S 1 ZPO, Art 103 Abs 1 GG

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Beschluss vom 10.12.2021, Az. B 5 R 262/21 B (REWIS RS 2021, 431)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2021, 431

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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IV ZR 224/10

III B 112/14

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