Bundespatentgericht, Beschluss vom 23.11.2015, Az. 1 Ni 36/12 (EP), KoF 27/14

1. Senat | REWIS RS 2015, 1958

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Tenor

In der Patentnichtigkeitssache

betreffend das europäische Patent …(DE …)

hier: Erinnerung gegen Kostenfestsetzungsbeschluss

hat der 1. Senat (Nichtigkeitssenat) des [X.] am 23. November 2015 unter Mitwirkung der Vorsitzenden Richterin Präsidentin [X.], des Richters [X.] und des Richters Prof. Dr. Kortbein

beschlossen:

1. Auf die Erinnerung der Beklagten wird der Beschluss der Rechtspflegerin vom 23. Juni 2014 dahin abgeändert, dass die von der Klägerin an die Beklagte zu erstattenden Kosten auf 7.812,46 [X.] festgesetzt werden.

2. Der zu erstattende Betrag ist vom 20. Februar 2014 an mit fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB i. V. m. § 104 Abs. 1 Satz 2 ZPO i. V. m. § 84 Abs. 2 [X.] zu verzinsen.

3. Die Klägerin hat die Kosten des Erinnerungsverfahrens zu tragen.

4. [X.] wird auf 3.595,20 [X.] festgesetzt.

Gründe

I.

1

Mit Schriftsatz vom 8. August 2012 hat die Klägerin Nichtigkeitsklage mit dem Antrag erhoben, das [X.] Patent … mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der [X.] für nichtig zu erklären. In dem nach der mündlichen Verhandlung am 30. Oktober 2013 ergangenen Urteil des 1. Senats ist das Streitpatent teilweise für nichtig erklärt und der Klägerin 80 % sowie der [X.] 20 % der Kosten des Rechtsstreits auferlegt worden. Neben dem [X.] war ein einstweiliges Verfügungsverfahren anhängig. In dem Beschluss des [X.] vom 13. November 2012 ([X.]. 9 O 953/12) wurde festgestellt, dass die einstweilige Verfügung vom 25. April 2012 wirkungslos ist.

2

Die Beklagte hat mit dem am 20. Februar 2014 eingegangenen Schriftsatz vom 18. Februar 2014 auf der Grundlage des festgesetzten Nichtigkeitsstreitwerts in Höhe von 500.000,- [X.] Kostenfestsetzung und u. a. die Erstattung einer 1,2 Terminsgebühr in Höhe von 3.595,20 [X.] für den hinzugezogenen Rechtsanwalt beantragt. In dem Kostenfestsetzungsbeschluss vom 23. Juni 2014 sind die 1,2 Terminsgebühr nicht berücksichtigt und die von der Klägerin an die Beklagte zu erstattenden Kosten auf 4.936,30 [X.] nebst Zinsen unter Zurückweisung des weitergehenden Antrags der [X.] festgesetzt worden. Zur Begründung hat die Rechtspflegerin ausgeführt, dass zwar das einstweilige Verfügungsverfahren einem regulären Verletzungsprozess gleichzusetzen sei. Allerdings habe nach der Feststellung der Wirkungslosigkeit der einstweiligen Verfügung vom 25. April 2012 durch das [X.] am 13. November 2012 kein Koordinationsbedarf zwischen dem Verfügungs- und [X.] mehr bestanden. Es sei zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung am 30. Oktober 2013 offen gewesen, welche Ansprüche die Klägerin geltend machen und wie sie diese begründen werde. Auch wirke sich das [X.] nicht unmittelbar auf die Rückabwicklung der vollzogenen einstweiligen Verfügung und die damit verbundenen Schadensersatzansprüche aus, zumal diese durch spätere Änderungen des Streitpatents im [X.] nicht berührt würden. Demzufolge habe der Rechtsanwalt der [X.] an der mündlichen Verhandlung am 30. Oktober 2013 nicht teilnehmen müssen.

3

Die Beklagte hat gegen den Beschluss vom 23. Juni 2014 Erinnerung eingelegt. Sie führt hierzu aus, dass auch die Kosten der Teilnahme des von ihr beigezogenen Rechtsanwalts an der mündlichen Verhandlung am 30. Oktober 2013 zu erstatten seien. Zum einen erwäge sie, ein Hauptsacheverfahren wegen Patentverletzung anhängig zu machen. Zum anderen hänge der aus der Wirkungslosigkeit der einstweiligen Verfügung resultierende Schadensersatzanspruch der Klägerin gemäß § 945 ZPO, den diese bereits mit Schreiben vom 7. Januar 2013 geltend gemacht und auf 79.238,21 [X.] beziffert habe, maßgeblich vom Bestand des Streitpatents und damit vom Ausgang des [X.]s ab. Die Klägerin hätte dann Schadensersatz von der [X.] fordern können, wenn das Streitpatent für nichtig erklärt worden wäre. In diesem Fall hätte die einstweilige Verfügung der Klägerin ein rechtmäßiges Verhalten untersagt. Insofern sei es auch nach Rücknahme des Antrags auf Erlass einer einstweiligen Verfügung erforderlich gewesen, das Streitpatent durch einen Rechtsanwalt so zu verteidigen, dass die aufrechterhaltene Fassung die Ausführungsform im Verletzungsverfahren umfasst. Deshalb sei die Koordinierung durch einen Rechtsanwalt erforderlich gewesen, der das einstweilige Verfügungsverfahren durchgeführt habe und sich mit der Abwehr des Schadensersatzanspruchs nach § 945 ZPO befasse.

4

Die Beklagte beantragt sinngemäß,

5

den Kostenfestsetzungsbeschluss vom 23. Juni 2014 aufzuheben und zusätzlich eine 1,2 Terminsgebühr in Höhe von 3.595,20 [X.] für den hinzugezogenen Rechtsanwalt als erstattungsfähige Kosten anzusetzen.

6

Die Klägerin hat keinen Antrag gestellt und auch ansonsten keine Stellungnahme zu der Erinnerung der [X.] abgegeben.

7

Die Rechtspflegerin hat der Erinnerung nicht abgeholfen.

II.

8

Die auf einen Teil des [X.] vom 23. Juni 2014 beschränkte Erinnerung ist gemäß § 23 Abs. 2 RPflG, § 104 Abs. 3 ZPO i. V. m. § 84 Abs. 2 [X.] zulässig.

9

Die Erinnerung ist zudem begründet. Die geltend gemachten Kosten für die Teilnahme des hinzugezogenen Rechtsanwalts der [X.] an der mündlichen Verhandlung am 30. Oktober 2013 neben dem Patentanwalt waren zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung notwendig.

1. Rechtsgrundlage für die Erstattung von Kosten eines mitwirkenden Rechtsanwalts in Patentnichtigkeitsverfahren vor dem [X.] ist § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO i. V. m. § 84 Abs. 2 [X.]. Eine analoge Anwendung des § 143 Abs. 3 [X.] kommt vorliegend nicht in Betracht. Diese Vorschrift gilt in Patentstreitverfahren, in denen sich die [X.]en durch einen Rechtsanwalt vertreten lassen müssen (§ 78 Abs. 1 ZPO). Demgegenüber gibt es in [X.] erster Instanz keinen Vertretungszwang durch Rechts- oder Patentanwälte (vgl. Beschluss des 1. Senats vom 21. November 2008, 1 ZA (pat) 15/07, B[X.]E 51, 67). Es liegt folglich keine planwidrige gesetzliche Regelungslücke vor, die eine dem § 143 Abs. 3 [X.] entsprechende Regelung rechtfertigen würde (vgl. Beschluss des 10. Senats vom 31. März 2010, 10 ZA (pat) 5/08, B[X.]E 51, 225).

2. Die einer obsiegenden [X.] entstandenen Kosten sind nach § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO erstattungsfähig, soweit sie zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig waren. Hierbei sind als notwendig nur Kosten für solche Handlungen anzusehen, die zum Zeitpunkt ihrer Vornahme objektiv erforderlich und geeignet erscheinen, das im Streit stehende Recht zu verfolgen oder zu verteidigen. Maßstab ist, ob eine verständige und wirtschaftlich vernünftige [X.] die die Kosten auslösende Maßnahme im damaligen Zeitpunkt (ex ante) als sachdienlich ansehen durfte. Dabei darf die [X.] ihr berechtigtes Interesse verfolgen und die zur vollen Wahrnehmung ihrer Belange erforderlichen Schritte ergreifen (vgl. [X.]/[X.], ZPO, 35. Auflage, § 91 Rdnr. 9; vgl. auch [X.], 2734).

3. Im Rahmen einer Einzelfallprüfung ist zu klären, ob die geltend gemachten Kosten für die Rechtsverfolgung bzw. Rechtsverteidigung notwendig waren. Hierbei ist eine typisierende Betrachtungsweise zugrunde zu legen. Es ist zwischenzeitlich anerkannt, dass [X.] jedenfalls dann als notwendige Kosten anzusehen sind, wenn zeitgleich mit dem [X.] ein das Streitpatent betreffendes Verletzungsverfahren anhängig ist. In diesem Fall ist das Vorgehen regelmäßig aufeinander abzustimmen, beispielsweise im Hinblick auf die Beurteilung der Tragweite einer beschränkten Verteidigung des Streitpatents im [X.] (vgl. B[X.], Beschluss vom 21. November 2008, a. a. O.; Beschluss vom 22. [X.] 2008, 1 ZA (pat) 13/08, GRUR 2009, 707; Beschluss vom 31. März 2010, a. a. O.). Dieser Sichtweise hat sich zwischenzeitlich auch der [X.] angeschlossen (vgl. [X.], Beschluss vom 18. Dezember 2012, [X.]/12).

4. Das einstweilige Verfügungsverfahren ist – wie in dem angegriffenen Beschluss zutreffend ausgeführt – einem Hauptsacheverfahren gleichzusetzen. Gegenstand beider Verfahren können Ansprüche auf Unterlassung gemäß § 139 Abs. 1 [X.], Vernichtung gemäß § 140a Abs. 1 [X.] oder Auskunft gemäß § 140b Abs. 1 [X.] sein (vgl. [X.], Patentgesetz, 9. Auflage, § 139 Rdnr. 406). Die lediglich summarische Prüfung im einstweiligen Verfügungsverfahren schließt die für Hauptsacheverfahren anerkannte Koordination mit einem gleichzeitig anhängigen [X.] nicht aus. Insofern sind nicht nur bei Hauptsacheverfahren, sondern auch bei parallel laufenden einstweiligen Verfügungsverfahren [X.] erstattungsfähig.

Vorliegend ist zum Zeitpunkt der Nichtigkeitsverhandlung am 30. Oktober 2013 weder ein Verletzungsverfahren noch ein einstweiliges Verfügungsverfahren anhängig gewesen. Bereits am 13. November 2012, also knapp ein Jahr vor der mündlichen Verhandlung ist durch das [X.] festgestellt worden, dass die einstweilige Verfügung vom 25. April 2012 wirkungslos ist. Insofern bedurfte es in der mündlichen Verhandlung am 30. Oktober 2013 keiner Abstimmung mehr mit dem einstweiligen Verfügungsverfahren.

Unbeachtlich ist auch die Erwägung der [X.], ein Hauptsacheverfahren wegen Patentverletzung noch anhängig zu machen. Maßgeblich für die Erstattungsfähigkeit von [X.] ist der Umstand, dass gleichzeitig zwei Verfahren laufen (Nichtigkeits- und Verletzungsverfahren oder Nichtigkeits- und einstweiliges Verfügungsverfahren) und demzufolge die Möglichkeit der Steuerung abhängig vom jeweils anderen Verfahren besteht. Dies ist jedoch nicht der Fall, wenn erst nach der mündlichen Verhandlung im [X.] ein Hauptsacheverfahren anhängig gemacht wird.

5. Die Erstattung der durch die Teilnahme des Rechtsanwalts der [X.] an der mündlichen Verhandlung am 30. Oktober 2013 entstandenen Kosten ist jedoch deshalb geboten, weil nach der Feststellung der Wirkungslosigkeit der einstweiligen Verfügung vom 25. April 2012 die Klägerin mit Schriftsatz vom 7. Januar 2013 Schadensersatz gemäß § 945 ZPO von der [X.] gefordert hat. Wie sie zutreffend ausführt, hängt ein möglicher Schadensersatzanspruch vom Schicksal des Streitpatents und damit vom Ausgang des [X.]s ab. Im Fall der ex tunc wirkenden Nichtigerklärung des Streitpatents hätte sich die Verfügung als von Anfang ungerechtfertigt erwiesen, so dass die Beklagte als die die Anordnung erwirkende [X.] der Klägerin Schadensersatz zu leisten gehabt hätte (vgl. auch [X.] GRUR 1994, 849 - Fortsetzungsverbot). Diese Interessenlage entspricht derjenigen in einem Hauptsacheverfahren, in dem die Durchsetzbarkeit eines Schadensersatzanspruchs gemäß § 139 Abs. 2 [X.] das Vorliegen einer patentierten Erfindung und folglich die zumindest teilweise Zurückweisung einer parallel anhängigen Nichtigkeitsklage voraussetzt.

Hierbei kann es keinen Unterschied machen, ob der Schadensersatzanspruch außergerichtlich oder bereits gerichtlich geltend gemacht worden ist. Die Aufgabe, unter mehreren in Betracht kommenden Angriffs- oder Verteidigungsstrategien diejenige auszuwählen, die ein möglichst konsistentes Vorgehen in beiden Verfahren ermöglicht und für den Ausgang des Rechtsstreits bedeutsame Argumentationslinien nicht in Frage stellt (vgl. [X.], Beschluss vom 18. Dezember 2012, a. a. O.), stellt sich unabhängig von der Art und Weise der Durchsetzung des Anspruchs. Maßgeblich kommt es darauf an, dass - wie im vorliegenden Fall - parallel zum [X.] ein von diesem abhängiger Schadensersatzanspruch geltend gemacht wird, was unter Zugrundelegung einer typisierenden Betrachtungsweise die Abstimmung der jeweiligen Vorgehensweise erforderlich macht.

[X.]

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO i. V. m. § 84 Abs. 2 [X.].

Der Wert des Erinnerungsverfahrens ergibt sich aus dem von der [X.] geltend gemachten Betrag.

Meta

1 Ni 36/12 (EP), KoF 27/14

23.11.2015

Bundespatentgericht 1. Senat

Beschluss

Sachgebiet: KoF

Zitier­vorschlag: Bundespatentgericht, Beschluss vom 23.11.2015, Az. 1 Ni 36/12 (EP), KoF 27/14 (REWIS RS 2015, 1958)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2015, 1958

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