Bundespatentgericht, Beschluss vom 22.09.2011, Az. 10 ZA (pat) 8/11 zu 10 Ni 6/0

10. Senat | REWIS RS 2011, 3069

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Gegenstand

Patentnichtigkeitsklageverfahren - Kostenfestsetzung - Doppelvertretung durch Recht- und Patentanwalt


Leitsatz

Doppelvertretungskosten im Nichtigkeitsverfahren VII

Die Hinzuziehung eines Rechtsanwalts ist typischerweise jedenfalls dann notwendig, wenn zeitgleich mit dem Nichtigkeitsverfahren ein das Streitpatent betreffendes Verletzungsverfahren anhängig ist (Fortführung der Rechtsprechung im Anschluss an den Beschluss vom 31. März 2010 - 10 ZA (pat) 5/08 zu 10 Ni 8/07 (EU), BPatGE 51, 225 - Doppelvertretungskosten im Nichtigkeitsverfahren III = GRUR 2010, 371 =  Mitt. 2010, 318).

Tenor

In der Patentnichtigkeitssache

betreffend das [X.] Patent …

(hier Erinnerung gegen Kostenfestsetzungsbeschluss)

hat der 10. Senat (Juristischer Beschwerdesenat und Nichtigkeitssenat) des [X.] am 22. September 2011 unter Mitwirkung des Vorsitzenden [X.] sowie [X.] und Dipl.-Ing. Fetterroll

beschlossen:

1. Die Erinnerung der Beklagten gegen den Beschluss der Rechtspflegerin vom 29. April 2011 wird zurückgewiesen.

2. Die Beklagte trägt die Kosten des [X.].

Gründe

I.

1

Mit Urteil vom 22. April 2010 hat der Senat das [X.] Patent 199 59 955 (im Folgenden: Streitpatent) für nichtig erklärt und der [X.] die Kosten des Rechtsstreits auferlegt. Der Streitwert für das [X.] vor dem [X.] ist auf 3.000.000,-- € festgesetzt worden. Ein das Streitpatent betreffendes Verletzungsverfahren war während des [X.]s anhängig.

2

Die Klägerin hat die Kostenfestsetzung beantragt. Dabei hat sie u. a. für den neben dem Patentanwalt im [X.] mitwirkenden Rechtsanwalt eine 1,3 Verfahrensgebühr in Höhe von 13.644,80 € und eine 1,2 Terminsgebühr in Höhe von 12.595,20 €, die Telekommunikationspauschale in Höhe von 20,-- € sowie die Erstattung von Reisekosten in Höhe von 440,69 € beansprucht, die anlässlich der mündlichen Verhandlung entstanden waren. Insgesamt belaufen sich Kosten, die die Klägerin für die Mitwirkung des Rechtsanwalts am [X.] geltend macht, auf 26.700,69 €.

3

Mit [X.] vom 29. April 2011, der der [X.] am 10. Mai 2011 zugegangen ist, hat die Rechtspflegerin des [X.]s die der Klägerin von der [X.] zu erstattenden Kosten - einschließlich der oben genannten Kosten des mitwirkenden Rechtsanwalts - auf insgesamt 73.475,65 € festgesetzt. Zur Frage, ob die Kosten des mitwirkenden Rechtsanwalts auf eine zweckentsprechende Rechtsverfolgung der Klägerin beruhen, enthält der Beschluss keine Begründung.

4

Gegen den [X.] richtet sich die Erinnerung der [X.] und zwar insoweit, als die Kosten des mitwirkenden Rechtsanwalts in Höhe der 26.700,69 € als erstattungsfähig angesehen worden sind. Zur Begründung trägt die [X.] im Wesentlichen vor, eine Erstattung der Kosten für einen am [X.] teilnehmenden Rechtsanwalt sei nicht angezeigt und darüber hinaus auch unvereinbar mit der Rechtsprechung des [X.]s. Während die [X.] zu dieser Frage umfangreich vorgetragen habe, gehe der angefochtene Beschluss auf diese überhaupt nicht ein. Die [X.] macht deshalb auch die Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör geltend.

5

Die [X.] beantragt (sinngemäß),

6

den angefochtenen Beschluss insoweit aufzuheben, als mit ihm die Kosten eines mitwirkenden Rechtsanwalts in Höhe von 26.700,69 € mit angesetzt worden sind, und die der Klägerin zu erstattenden Kosten nur in Höhe von [X.] € festzusetzen.

7

Die Klägerin beantragt,

8

die Erinnerung zurückzuweisen.

9

Sie hält die Erinnerung für unbegründet. Zur Notwendigkeit und Gebotenheit der Teilnahme eines Rechtsanwalts am vorliegenden [X.] habe sie selbst ausführlich vorgetragen. Daher sei bei der [X.] eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör nicht gegeben. Im Übrigen sei nicht ersichtlich, dass der angefochtene Beschluss der Rechtspflegerin von der Rechtsprechung des [X.]s abweiche.

Die Rechtspflegerin hat der Erinnerung nicht abgeholfen.

II.

Die Erinnerung, die auf einen Teil des [X.]es - nämlich auf die Kosten des mitwirkenden Rechtsanwalts - beschränkt ist, ist gemäß § 23 Abs. 2 RPflG i. V. m. § 104 Abs. 3 ZPO, § 84 Abs. 2 [X.] zulässig. Die Erinnerung ist aber unbegründet, da die in Ansatz gebrachten Kosten des mitwirkenden Rechtsanwalts zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendig waren.

1. Rechtsgrundlage für die Erstattungsfähigkeit von Kosten eines mitwirkenden Rechtsanwalts im Patentnichtigkeitsverfahren vor dem [X.] ist die Regelung des § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO, die durch die Verweisungsnorm des § 84 Abs. 2 Satz 2 [X.] für anwendbar erklärt wird.

a.) Aus dem Umstand, dass für eine analoge Anwendung des § 143 Abs. 3 [X.] im Patentnichtigkeitsverfahren kein Raum ist, folgt nicht, dass die Erstattungsfähigkeit von [X.] grundsätzlich ausgeschlossen oder auf besonders gelagerte Ausnahmefälle zu beschränken wäre (vgl. B[X.]E 50, 85, 88 - "Doppelvertretung im Patentnichtigkeitsverfahren"; B[X.]E 51, 62, 64 - "Kosten des mitwirkenden Rechtsanwalts"; B[X.]E 51, 67, 69 - "[X.] im [X.] I"; vgl. für das Gebrauchsmusterrecht ebenso: B[X.]E 51, 81, 84 - "Medizinisches Instrument").

b.) Nach § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO hat die unterliegende [X.] die Kosten des Rechtsstreits zu tragen, insbesondere die dem Gegner erwachsenen Kosten zu erstatten, soweit sie zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig waren. Insoweit kommt es darauf an, ob eine verständige und wirtschaftlich vernünftige [X.] die die Kosten auslösende Maßnahme im Zeitpunkt ihrer Veranlassung als sachdienlich ansehen durfte. Dabei darf die [X.] ihr berechtigtes Interesse verfolgen und die zur vollen Wahrnehmung ihrer Belange erforderlichen Schritte ergreifen. Zudem ist bei der Prüfung der Notwendigkeit einer bestimmten Rechtsverfolgungs- oder Rechtsverteidigungsmaßnahme für geeignete Fallkonstellationen eine typisierende Betrachtungsweise geboten. Denn der Gerechtigkeitsgewinn, der bei einer übermäßig differenzierenden Betrachtung im Einzelfall zu erzielen ist, steht in keinem Verhältnis zu den sich einstellenden Nachteilen, wenn in nahezu jedem Einzelfall - wie hier - mit [X.] darüber gestritten werden könnte, ob die Kosten einer bestimmten Rechtsverfolgungs- oder Rechtsverteidigungsmaßnahme zu erstatten sind oder nicht (vgl. zu Fällen der Beauftragung eines auswärtigen Rechtsanwalts bzw. Unterbevollmächtigten z. B. BGH NJW-RR 2008, 1378; [X.], 1072 -Auswärtiger Rechtsanwalt V; [X.], 271 - "[X.]"; NJW 2003, 901 - "Auswärtiger Rechtsanwalt I").

Ausgehend von diesen Grundsätzen hat der hier erkennende 10. Senat des [X.]s bereits mit einer Entscheidung vom 31. März 2010 (B[X.]E 51, 225, 231 - "[X.] im [X.] III" = [X.] 2010, 371 ff.) entschieden, dass die Hinzuziehung eines Rechtsanwalts bei der Einleitung eines Patentnichtigkeitsverfahrens bzw. bei der Verteidigung im Patentnichtigkeitsverfahren typischerweise jedenfalls dann notwendig ist, wenn - so wie hier - zeitgleich mit dem [X.] ein das Streitpatent betreffendes Verletzungsverfahren anhängig ist.

Das Patentnichtigkeitsverfahren hat entscheidende Bedeutung für den Ausgang eines korrespondierenden oder auch erst noch beabsichtigten [X.]. In diesen Fällen ist regelmäßig das Vorgehen in beiden Verfahren aufeinander abzustimmen, beispielsweise im Hinblick auf die Beurteilung der Tragweite einer beschränkten Verteidigung im [X.]. Unabhängig von einer möglichen Nichtigerklärung oder Beschränkung des Patents kann selbst im Fall der Abweisung der Nichtigkeitsklage eine vom [X.] in den Entscheidungsgründen vorgenommene Auslegung des Patentanspruchs von wesentlichem Einfluss für die vom Verletzungsgericht vorzunehmende Ermittlung des Schutzbereichs des Streitpatents und damit für die Verletzungsfrage sein (vgl. [X.], 757, 760 f. - Düngerstreuer). In solchen Fällen eines parallelen Verletzungs- und [X.]s geht es somit weniger um die Frage, ob ein Patentanwalt kraft seiner Ausbildung zur alleinigen Führung eines [X.]s imstande ist. Es geht hier vielmehr um die enge Verzahnung von Verletzungs- und [X.], wegen der es für eine effektive Rechtsverfolgung bzw. Rechtsverteidigung stets sachdienlich erscheint, dass der Rechtsanwalt, der die [X.] im Verletzungsverfahren vertritt, auch zu der Vertretung im [X.] hinzugezogen wird. Dies gilt auch im Hinblick auf eine erschöpfende gütliche Beilegung der zwischen den [X.]en bestehenden Rechtsstreitigkeiten, auf die das Gericht in jeder Lage des Verfahrens hinwirken soll (§ 99 Abs. 1 [X.] i. V. m. § 278 Abs. 1 ZPO). Auch insofern ist eine enge Abstimmung zwischen beiden Verfahren und damit eine Beteiligung von Patentanwalt und Rechtsanwalt erforderlich und sinnvoll.

c.) Eine solche Beurteilung hinsichtlich der Notwendigkeit der Kosten führt zwar, da oft neben dem [X.] ein das Streitpatent betreffendes Verletzungsverfahren anhängig ist, dazu, dass in den meisten Fällen die Kosten des mitwirkenden Rechtsanwalts zu erstatten sein werden. Dies ist aber als Folge der typisierenden Betrachtungsweise hinzunehmen, zumal allein die Häufigkeit einer Rechtsverfolgungs- oder Rechtsverteidigungsmaßnahme nicht deren Notwendigkeit in Frage zu stellen vermag. Es erscheint jedenfalls nicht sachgerecht, in jedem einzelnen Fall einer Parallelität von Verletzungs- und [X.] zu prüfen, ob die Hinzuziehung eines Rechtsanwalts im [X.] notwendig gewesen ist.

d.) Die [X.] irrt zudem insoweit, als sie meint, eine Erstattung der Kosten für einen am [X.] teilnehmenden Rechtsanwalt sei nicht in Einklang mit der Rechtsprechung des [X.]s. Der erkennende Senat ist mit der vorstehend dargestellten Rechtsauffassung dem 1. Senat des [X.]s gefolgt, der mit den Entscheidungen "[X.] im [X.] I und II" vom 21. November 2008 bzw. 22. Dezember 2008 ebenfalls überzeugende Argumente gefunden hat (vgl. B[X.]E 51, 67 ff. und 51, 72 ff.). Auch der 5. Senat und der 3. Senat des [X.]s haben sich der Auffassung, dass die Hinzuziehung eines mitwirkenden Rechtsanwalts zum Patentnichtigkeitsverfahrens bei gleichzeitigem Verletzungsverfahren typischerweise notwendig ist, mittlerweile angeschlossen (vgl. B[X.]E 52, 154, 157 - "[X.] im [X.] IV" und B[X.]E 52, 159, 163 - "[X.] im [X.] V"). Der 4. Senat des [X.]s vertritt wohl eine differenzierte Sicht, die eine typisierende Betrachtungsweise nicht in jedem Falle zulasse, wobei auch er anerkennt, dass der Umstand eines parallel geführten Verletzungsverfahren oftmals für die Erstattungsfähigkeit der Kosten eines beim [X.] mitwirkenden Rechtsanwalts sprechen könne (vgl. B[X.]E 51, 76, 79 - "Doppelvertretung im [X.]"; B[X.]E 52, 146, 149 - "Mitwirkender Rechtsanwalt II"). Die hier vertretene Rechtsauffassung entspricht daher innerhalb der Rechtsprechung des [X.]s der überwiegenden Meinung., während die Gegenmeinung, nämlich dass die Notwendigkeit der Kosten eines mitwirkenden Rechtsanwalts in jedem Einzelfall schlüssig darzulegen sei, - soweit ersichtlich - nur noch vom 2. Senat des [X.]s in voller Strenge vertreten wird (vgl. B[X.]E 50, 85, 87 - "Doppelvertretung im Patentnichtigkeitsverfahren").

2. [X.] beruht auf § 84 Abs. 2 [X.] i. V. m. § 97 Abs. 1 ZPO, wonach der Erinnerungsführerin die Kosten des Erinnerungsverfahrens aufzuerlegen sind. Der Wert des Erinnerungsverfahrens entspricht der Höhe des Betrages, den die [X.] als zu Unrecht angesetzt angegriffen hat.

Meta

10 ZA (pat) 8/11 zu 10 Ni 6/0

22.09.2011

Bundespatentgericht 10. Senat

Beschluss

Sachgebiet: Ni

§ 91 ZPO

Zitier­vorschlag: Bundespatentgericht, Beschluss vom 22.09.2011, Az. 10 ZA (pat) 8/11 zu 10 Ni 6/0 (REWIS RS 2011, 3069)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 3069

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