Bundessozialgericht, Beschluss vom 28.06.2018, Az. B 9 SB 53/17 B

9. Senat | REWIS RS 2018, 6972

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Gegenstand

Sozialgerichtliches Verfahren - Einverständnis zum Verzicht auf mündliche Verhandlung - kein Verbrauch des Einverständnisses durch Entscheidung über erfolglosen Befangenheitsantrag - keine weitere Frist zur Stellungnahme nach längerer Zeitdauer - Verlesung des protokollierten Einverständnisses nicht erforderlich - Nichtzulassungsbeschwerde


Tenor

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des [X.] vom 1. Juni 2017 wird als unzulässig verworfen.

Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Gründe

1

I. Der Kläger begehrt die Zuerkennung eines höheren Grades der Behinderung und des Merkzeichens G.

2

Das [X.] hat seine darauf gerichtete Klage als unzulässig abgewiesen ([X.]), das L[X.] hat die Berufung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung zurückgewiesen (Urteil vom 1.6.2017).

3

Gegen die Nichtzulassung der Revision in dieser Entscheidung hat der Kläger Beschwerde zum B[X.] eingelegt, für die ihm Prozesskostenhilfe bewilligt worden ist. Der Kläger macht als Verfahrensfehler geltend, das L[X.] habe nicht durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entscheiden dürfen.

4

II. Die Nichtzulassungsbeschwerde des [X.] ist unzulässig. Die Begründung genügt nicht den gesetzlichen Anforderungen, weil die behaupteten Verfahrensmängel nicht ordnungsgemäß dargetan worden sind (vgl § 160a Abs 2 S 3 [X.]G).

5

1. Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde darauf gestützt, es liege ein Verfahrensmangel vor, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne (§ 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 1 [X.]G), so müssen bei der Bezeichnung dieses [X.] (§ 160a Abs 2 S 3 [X.]G) zunächst substantiiert die ihn (vermeintlich) begründenden Tatsachen dargetan werden. Diese Darlegungen enthält die Beschwerde nicht. Es fehlt bereits an der zusammenhängenden und aus sich heraus verständlichen Darlegung des Streitgegenstands, der Verfahrens- und Prozessgeschichte sowie des vom L[X.] festgestellten Sachverhalts und damit der Umstände, die möglicherweise zu einem entscheidungsrelevanten Verfahrensfehler geführt haben. Es ist nicht Aufgabe des [X.], sich die erforderlichen Tatsachen aus dem Urteil und erst recht nicht aus den Verfahrensakten herauszusuchen.

6

Unabhängig davon hat der Kläger auch seine ausschnittsweise Schilderung prozessualer Vorgänge keinen Verfahrensfehler dargelegt. Seine Behauptung, er habe schon kein wirksames Einverständnis zu einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung nach § 124 Abs 2 [X.]G abgegeben, weil sein im Erörterungstermin zu Protokoll erklärtes Einverständnis nicht nochmals verlesen worden sei, hat der Kläger nicht hinreichend substantiiert. Wie die Beschwerde selber zutreffend ausführt, schreibt das Gesetz keine Form für den Verzicht auf die mündliche Verhandlung vor. Zwar wird sie in der Regel schriftlich erfolgen, sie kann aber auch durch mündliche Erklärung zur Niederschrift des Urkundsbeamten des Gerichts oder im Rahmen einer mündlichen Verhandlung oder - wie im Fall des [X.] - eines Erörterungstermins zu Protokoll abgegeben werden (vgl B[X.] Urteil vom 21.12.1961 - 9 RV 298/60 - [X.] zu § 124 [X.]G [X.] RdNr 19; [X.] in [X.]/Voelzke, jurisPK-[X.]G, § 124 RdNr 54 mwN). Verlesung und Genehmigung des Protokolls schreibt § 122 [X.]G iVm § 162 Abs 1 S 1 [X.] 1 ZPO nur für im Einzelnen aufgeführte Prozesserklärungen wie Klagerücknahme und Rechtsmittelverzicht vor, zu denen der Verzicht auf mündliche Verhandlung nicht gehört. Ebenso wenig handelt es sich dabei um eine sonstige Erklärung, deren Feststellung im Protokoll vorgeschrieben ist, § 160 Abs 3 Nr 3 [X.] 3 ZPO, noch um einen zu Protokoll erklärten Antrag iS von § 162 Abs 1 S 1 [X.] 2 ZPO. Ohnehin hat es nicht die Unwirksamkeit einer (einseitigen) Prozesshandlung zur Folge, wenn im Protokoll der Vermerk nach § 162 Abs 1 S 3 ZPO fehlt, sofern Abgabe und Inhalt der Erklärung anderweit festgestellt (bewiesen) werden können (Schultzky in [X.], ZPO, 32. Aufl 2018, § 162 Rd[X.] mwN).

7

Ebenso wenig hinreichend substantiiert hat die Beschwerde ihre Behauptung, die Einverständniserklärung des [X.] sei durch seinen erfolglosen Befangenheitsantrag verbraucht worden. Nach der nahezu einhelligen Auffassung in Rechtsprechung und Rechtslehre bezieht sich das Einverständnis der Beteiligten mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung nur auf die jeweils nächste Entscheidung. Ist diese nicht das abschließende Urteil, so wird die Verzichtserklärung in der Regel durch jede gerichtliche Entscheidung verbraucht, die die Endentscheidung wesentlich sachlich vorbereitet (B[X.] Urteil vom [X.] - B[X.]E 44, 292 = [X.] 1500 § 124 [X.], [X.] RdNr 15). Indes hat die Beschwerde nicht dargelegt, in welcher Weise der erfolglose Befangenheitsantrag des [X.] die Entscheidung in seiner Sache sachlich vorbereitet haben sollte. Vielmehr handelt es sich um einen rein verfahrensrechtlichen Antrag, der das Verfahren in der Sache nicht gefördert hat und schon wegen seiner Erfolglosigkeit die Prozesslage in keiner Weise verändert hat. Dementsprechend geht auch der Beschluss über den Befangenheitsantrag hierüber nicht hinaus.

8

Soweit die Beschwerde schließlich eine Überraschungsentscheidung rügt, fehlt es ebenfalls an der hinreichenden Darlegung entsprechender Tatsachen. Eine Überraschungsentscheidung liegt vor, wenn das Gericht einen bis dahin nicht erörterten rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt zur Grundlage seiner Entscheidung macht und damit dem Rechtsstreit eine [X.] gibt, mit der auch ein gewissenhafter Prozessbeteiligter nach dem bisherigen [X.] selbst unter Berücksichtigung der Vielzahl vertretbarer Rechtsauffassungen nicht zu rechnen braucht (B[X.] Urteil vom [X.] - B 6 KA 44/08 R - [X.] 4-2500 § 103 [X.], [X.] RdNr 17 mwN). Die Beschwerde legt nicht dar, warum eine Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung über ein halbes Jahr nach Abgabe der entsprechenden Einverständniserklärungen der Beteiligten einen gewissenhaften Prozessbeteiligten hätte überraschen sollen. Die von der Beschwerde verlangte weitere Fristsetzung zur abschließenden Stellungnahme durch die Beteiligten sieht das Gesetz nicht vor. Vielmehr setzt ein Urteil ohne mündliche Verhandlung die Entscheidungsreife des Verfahrens voraus, die erst eintreten kann, wenn die Beteiligten bereits ausreichend Gelegenheit zur Stellungnahme hatten.

9

Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (vgl § 160a Abs 4 S 2 Halbs 2 [X.]G).

Die Beschwerde ist somit ohne Zuziehung [X.] zu verwerfen (§ 160a Abs 4 S 1 Halbs 2, § 169 [X.]G).

2. Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 Abs 1 [X.]G.

Meta

B 9 SB 53/17 B

28.06.2018

Bundessozialgericht 9. Senat

Beschluss

Sachgebiet: SB

vorgehend SG Stuttgart, 27. Juli 2016, Az: S 7 SB 1261/16, Gerichtsbescheid

§ 124 Abs 2 SGG, § 122 SGG, § 60 SGG, § 160a Abs 2 S 3 SGG, § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 1 SGG, § 42 ZPO, § 162 Abs 1 S 1 Alt 1 ZPO, § 162 Abs 1 S 1 Alt 2 ZPO, § 162 Abs 1 S 3 ZPO, § 160 Abs 3 Nr 3 Alt 3 ZPO

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Beschluss vom 28.06.2018, Az. B 9 SB 53/17 B (REWIS RS 2018, 6972)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2018, 6972

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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