Bundesgerichtshof, Urteil vom 08.04.2013, Az. AnwZ (Brfg) 16/12

Senat für Anwaltssachen | REWIS RS 2013, 6899

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Gegenstand

Erlaubnis zum Führen einer Fachanwaltsbezeichnung: Widerruf durch die Rechtsanwaltskammer nach unterbliebenem Fortbildungsnachweis


Tenor

Die Berufung gegen das Urteil des 2. Senats des [X.] vom 16. Januar 2012 wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.

Der Wert des Berufungsverfahrens wird auf 12.500 € festgesetzt.

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

Der Kläger ist Rechtsanwalt und führt die Bezeichnung "Fachanwalt für Arbeitsrecht". Am 6. Dezember 2010 erteilte die beklagte Rechtsanwaltskammer dem Kläger eine Rüge wegen Verletzung der Fortbildungspflicht im Kalenderjahr 2009. Mit Bescheid vom 14. April 2011 widerrief die Beklagte die Gestattung der Führung der Fachanwaltsbezeichnung, weil der Kläger in den Jahren 2009 und 2010 seiner Fortbildungsverpflichtung nicht nachgekommen sei.

2

Gegen diesen Bescheid hat der Kläger Klage erhoben. Er hat vorgetragen, im [X.] eine fünfstündige Fortbildung und im Jahr 2010 eine zehnstündige Fortbildung absolviert zu haben, und hat entsprechende Nachweise erbracht; für das [X.] hat er insgesamt 15 Zeitstunden an Fortbildung nachgewiesen. Der [X.] hat den Bescheid der Beklagten aufgehoben, weil dem Kläger allenfalls ein einmaliger, teilweiser und erstmaliger Verstoß gegen die Fortbildungspflicht im [X.] vorgeworfen werden könne, welcher den Widerruf nicht rechtfertige. Dass der Kläger die erforderlichen Nachweise zunächst nicht beigebracht habe, sei kein Widerrufsgrund.

3

Gegen dieses Urteil richtet sich die vom Senat zugelassene Berufung der Beklagten. Die Beklagte meint, die Rechtmäßigkeit des [X.] sei nach der Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt seines Erlasses zu beurteilen. Im Zeitpunkt des Erlasses des [X.] habe die Beklagte davon ausgehen müssen, dass der Kläger seiner Fortbildungspflicht nicht nachgekommen war, nachdem er trotz mehrfacher Aufforderungen keine Nachweise beigebracht habe. Jedenfalls liege kein Ermessensfehler vor. Bereits der Verstoß gegen die Nachweispflicht aus § 15 Abs. 3 [X.] rechtfertige den Widerruf.

4

Die Beklagte beantragt,

unter Aufhebung des angefochtenen Urteils des Niedersächsischen [X.]s vom 16. Januar 2012 die Klage abzuweisen.

5

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

6

Er verteidigt das angefochtene Urteil.

7

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

8

Die zulässige [X.]erufung bleibt ohne Erfolg. Der streitgegenständliche [X.] ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 112e Satz 2 [X.], § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Der Senat nimmt [X.]ezug auf die Gründe der Entscheidung des [X.] und sieht insoweit von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab (§ 112e Satz 2 [X.], § 130b Satz 2 VwGO). Hinsichtlich des [X.] der [X.]eklagten ist ergänzend folgendes auszuführen:

9

1. Entgegen der Ansicht der [X.]erufung hatte der [X.] bei seiner Entscheidung die erst im gerichtlichen Verfahren vorgelegten Nachweise über die in den Jahren 2009 und 2010 besuchten Fortbildungsveranstaltungen zu berücksichtigen.

a) Der bei [X.] für die gerichtliche Nachprüfung eines Verwaltungsakts maßgebliche [X.]eurteilungszeitraum bestimmt sich nach dem materiellen Recht, auf welchem der angefochtene Verwaltungsakt beruht ([X.], [X.]eschluss vom 29. Juni 2011 - [X.] ([X.]) 11/10, [X.]Z 190, 187 Rn. 10). Dieses legt nicht nur die tatbestandlichen Voraussetzungen für den Anspruch auf Aufhebung eines belastenden Verwaltungsakts fest, sondern bestimmt auch, zu welchem Zeitpunkt sie erfüllt sein müssen. Daher sind tatsächliche oder rechtliche Entwicklungen, die erst nach Abschluss des behördlichen Verwaltungsverfahrens eintreten und die zu einer abweichenden [X.]eurteilung führen würden, nur dann der jeweiligen gerichtlichen Entscheidung zugrunde zu legen, wenn das materielle Recht ihre [X.]erücksichtigung zulässt. Hier ist zu unterscheiden: Die Fortbildungspflicht des Fachanwalts (§ 43c Abs. 4 Satz 2 [X.], § 15 Abs. 1 und 2 [X.]) ist, wie sich aus § 15 Abs. 1 und 2 [X.] hinreichend deutlich ergibt, in jedem Kalenderjahr aufs Neue zu erfüllen. Ob der Fachanwalt Fortbildungsveranstaltungen im Umfang von mindestens zehn Zeitstunden besucht hat, steht erst nach Ablauf des jeweiligen Jahres fest, ändert sich dann aber auch nicht mehr. Ist ein Jahr verstrichen, kann sich der Rechtsanwalt in diesem Jahr nicht mehr fortbilden. Hinsichtlich der tatbestandlichen Voraussetzungen des § 43c Abs. 4 Satz 2 [X.] kommt es also weder auf den Zeitpunkt des Abschlusses des behördlichen Verwaltungsverfahrens noch auf den Zeitpunkt der letzten mündlichen Tatsachenverhandlung im gerichtlichen Verfahren an, sondern auf den Ablauf des jeweiligen Jahres. [X.]ei der Ausübung des in § 43c Abs. 4 Satz 2 [X.] vorgesehenen Ermessens kann die Anwaltskammer dagegen auch später eingetretene Umstände berücksichtigen, etwa dem Anwalt Gelegenheit geben, die versäumte Fortbildung im Folgejahr nachzuholen (vgl. [X.], Urteil vom 26. November 2012 - [X.] ([X.]) 56/11, [X.], 175 Rn. 9).

b) In welcher Form und bis zu welchem Zeitpunkt die Erfüllung der Fortbildungspflicht nachgewiesen werden kann, ist dagegen eine Frage des Verfahrensrechts. Weder die [X.]undesrechtsanwaltsordnung noch die Fachanwaltsordnung bestimmen hierfür eine Ausschlussfrist. Die Vorschrift des § 15 Abs. 3 [X.], nach welcher die Erfüllung der Fortbildungsverpflichtung der Rechtsanwaltskammer unaufgefordert nachzuweisen ist, ist insoweit unergiebig. Sie begründet eine "[X.]ringschuld" des Fachanwalts ([X.] in [X.]/Wolf/Göcken, Anwaltliches [X.]erufsrecht, § 15 [X.] Rn. 18), sagt aber nicht, dass die Nachweise im behördlichen oder gerichtlichen Verfahren nicht nachgereicht werden können. Dass die zuständige Rechtsanwaltskammer innerhalb eines Jahres seit Kenntnis der diesen rechtfertigenden Tatsachen über den Widerruf zu entscheiden hat (§ 25 Abs. 2 [X.]), spricht entgegen der Ansicht der [X.]erufung nicht gegen die Möglichkeit eines nachträglichen Nachweises der Erfüllung der Fortbildungsverpflichtung. Die Vorschrift des § 25 Abs. 2 [X.] entbindet die Kammer nicht davon, die in Anbetracht der Umstände des jeweiligen Einzelfalles erforderlichen und zumutbaren Ermittlungen durchzuführen. [X.] nach § 25 Abs. 2 [X.] tritt nämlich erst dann ein, wenn die Rechtsanwaltskammer ihre Ermittlungen abgeschlossen und zudem die nach § 25 Abs. 3 Satz 1 [X.] zwingend notwendige Anhörung des Rechtsanwalts durchgeführt hat; selbst die Einräumung einer Frist zur Nachholung einer versäumten Fortbildung kann den Fristbeginn hinausschieben (vgl. [X.], Urteil vom 26. November 2012 - [X.] ([X.]) 56/11, [X.], 175 Rn. 8 f.).

c) Nach allgemeinem Verwaltungsprozessrecht ist der gesamte Streitstoff bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung zu verwerten. Das Gericht entscheidet nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung (§ 112c Abs. 1 Satz 1 [X.], § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Der [X.] hat aus den vorgelegten [X.]escheinigungen die Überzeugung gewonnen, dass der Kläger Fortbildungsveranstaltungen im Umfang von fünf Zeitstunden im Jahre 2009 und im Umfang von zehn Zeitstunden im Jahre 2010 besucht hat. Die inhaltliche Richtigkeit der [X.]escheinigungen und daraus folgend die Richtigkeit der entsprechenden tatsächlichen Feststellungen des Urteils zieht die [X.]eklagte nicht in Zweifel.

2. Der Verstoß gegen die aus § 15 Abs. 3 [X.] folgende Pflicht, die Erfüllung der Fortbildungsverpflichtung der Rechtsanwaltskammer unaufgefordert nachzuweisen, rechtfertigt für sich genommen nicht einen Widerruf nach § 43c Abs. 4 Satz 2 [X.].

a) Ihrem Wortlaut nach stellt die Vorschrift des § 43c Abs. 4 Satz 2 [X.] auf die unterlassene Fortbildung ab, nicht auf den unterbliebenen Nachweis. Nur hinsichtlich der Fortbildungspflichten verweist § 43c Abs. 4 Satz 2 [X.] auf die [X.]erufsordnung (Fachanwaltsordnung). Entgegen der Ansicht der [X.]eklagten ist die in § 15 Abs. 3 [X.] gesondert geregelte Nachweispflicht nicht Teil der Fortbildungspflicht. Gegenteiliges ergibt sich auch nicht aus § 15 Abs. 1 Satz 2 [X.]. Diese [X.]estimmung regelt die Anforderungen an Fortbildungsveranstaltungen, die nicht in Präsenzform durchgeführt werden. Voraussetzung dafür, dass sie als "Fortbildung" im Sinne von § 15 [X.] anerkannt werden können, ist unter anderem, dass der Nachweis der durchgängigen Teilnahme erbracht wird. [X.]ei diesem Nachweis handelt es sich nicht um den vom Anwalt zu erbringenden Nachweis der Erfüllung der Fortbildungsverpflichtung nach § 15 Abs. 3 [X.], sondern um eine Anforderung an die Fortbildungsveranstaltung als solche. Entspricht eine Fortbildungsveranstaltung den in § 15 Abs. 1 Satz 2 [X.] beschriebenen Anforderungen, entbindet dies den Anwalt, der an ihr teilgenommen hat, nicht von seiner Pflicht nach § 15 Abs. 3 [X.]. Auch bei Fortbildungen in der Form des § 15 Abs. 1 Satz 2 [X.] ist also zwischen der Fortbildung als solcher und ihrem Nachweis zu unterscheiden; gleiches gilt für alle anderen Fortbildungen, die nach § 15 Abs. 1 Satz 1 [X.] möglich sind.

Ergänzend gilt allerdings die Vorschrift des § 59b [X.] über die Satzungskompetenz der Satzungsversammlung der [X.]undesrechtsanwaltskammer (vgl. § 191a [X.]). Nach § 59b Abs. 2 Nr. 2 lit. b [X.] kann die [X.]erufsordnung (Fachanwaltsordnung) jedoch (nur) die Voraussetzungen für die Verleihung der Fachanwaltsbezeichnung sowie das Verfahrung der Erteilung, der Rücknahme und des Widerrufs der Erlaubnis regeln, nicht jedoch zusätzliche Widerrufsgründe. Ebenso wie die Erteilung von Erlaubnissen zum Führen von Fachanwaltsbezeichnungen (vgl. hierzu [X.], [X.]eschluss vom 14. Mai 1990 - [X.] ([X.]) 4/90, [X.]Z 111, 229, 234 ff.) bedarf auch der Widerruf einer gesetzlichen Grundlage. Diese findet sich in § 43c Abs. 4 Satz 2 [X.], nicht jedoch in der Fachanwaltsordnung außerhalb der durch § 43c Abs. 4 Satz 2 und § 59b [X.] gesetzten Grenzen.

b) Entgegen der Ansicht der [X.]erufung bleibt ein Verstoß gegen die [X.]eibringungspflicht des § 15 Abs. 3 [X.] nicht folgenlos, wenn auch an ihn allein ein Widerruf der Erlaubnis zum Führen der Fachanwaltsbezeichnung nicht geknüpft werden kann. Die Vorschrift des § 15 Abs. 3 [X.] bürdet dem Rechtsanwalt die Feststellungslast hinsichtlich der Erfüllung der Fortbildungspflicht auf. Die Voraussetzungen eines Widerrufs sind erfüllt, wenn sich nicht zur Überzeugung des Gerichts (oder der Kammer) feststellen lässt, dass der Rechtsanwalt die vorgeschriebenen Fortbildungen absolviert hat. Weist der Rechtsanwalt die Erfüllung der Fortbildungspflicht erst im Klageverfahren nach, hat die Kammer zwar den [X.] zurückzunehmen; die Kosten des in der Hauptsache erledigten Rechtsstreits hätte jedoch der Rechtsanwalt zu tragen. So hätte auch im vorliegenden Fall verfahren werden können. Der Verstoß gegen die Nachweispflicht kann schließlich auch mit einer Rüge (§ 74 [X.]), gegebenenfalls auch mit einer anwaltsgerichtlichen Maßnahme (§§ 113 f. [X.]) geahndet werden.

4. [X.] beruht auf § 112c Abs. 1 Satz 1 [X.] i.V.m. § 154 Abs. 2 VwGO, die Festsetzung des Streitwerts auf § 194 Abs. 1 [X.], § 52 Abs. 1 GKG. In Verfahren, welche das Führen von Fachanwaltsbezeichnungen betreffen, setzt der Senat den Streitwert regelmäßig auf 12.500 € fest (vgl. [X.], Urteil vom 26. November 2012 - [X.] ([X.]) 56/11, [X.], 175 Rn. 13). Umstände, die im vorliegenden Fall ein Abweichen von dieser Praxis erfordern könnten, sind nicht ersichtlich.

[X.]

               [X.]

Meta

AnwZ (Brfg) 16/12

08.04.2013

Bundesgerichtshof Senat für Anwaltssachen

Urteil

Sachgebiet: False

vorgehend BGH, 23. Juni 2012, Az: AnwZ (Brfg) 16/12, Beschluss

§ 43c Abs 4 S 2 BRAO, § 15 Abs 3 FAO, § 25 Abs 2 FAO, § 25 Abs 3 S 1 FAO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 08.04.2013, Az. AnwZ (Brfg) 16/12 (REWIS RS 2013, 6899)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2013, 6899

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