Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 21.06.2017, Az. 2 B 71/16

2. Senat | REWIS RS 2017, 9322

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Gegenstand

Zum Begriff des nicht genehmigten Fernbleibens


Gründe

1

[X.]ie zulässige, auf die Zulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung (§ 69 [X.]. § 132 [X.]bs. 2 Nr. 1 VwGO) und auf Verfahrensfehler (§ 69 [X.]. § 132 [X.]bs. 2 Nr. 3 VwGO) gestützte Beschwerde ist unbegründet.

2

1. [X.]er Beklagte steht als Polizeihauptkommissar (Besoldungsgruppe [X.]) in [X.]iensten der Klägerin. [X.] wurde ihm der [X.]ienstposten "Leiter Ermittlungsdienst" innerhalb der damaligen [X.] übertragen. Mit der [X.]uflösung der [X.] wurde er im [X.] auf den [X.]ienstposten "[X.]ienstgruppenleiter der [X.]" in der [X.] [X.] umgesetzt.

3

Im Februar 2011 leitete die Klägerin ein [X.]isziplinarverfahren gegen den Beklagten wegen der Nichtbeachtung von Weisungen hinsichtlich des Ortes des [X.]ienstantritts und -endes ein. Mit der im September 2014 mit dem Ziel der Zurückstufung erhobenen [X.] hat die Klägerin dem Beklagten insgesamt 30 Sachverhalte angelastet. Überwiegend geht es um den Vorwurf, der Beklagte habe seinen [X.]ienst nicht an dem dafür vorgesehenen Ort versehen sowie dienstliche Weisungen missachtet.

4

[X.]as Verwaltungsgericht hat die Klage abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, dass bei [X.] der disziplinarischen [X.]nschuldigungen und bei Berücksichtigung aller be- und entlastenden Umstände nur auf eine [X.]isziplinarmaßnahme mittleren Gewichts, mithin eine Kürzung der [X.]ienstbezüge, zu erkennen wäre. [X.]ieser stehe aber das [X.] wegen Zeitablaufs aus § 15 [X.]bs. 1 und 2 B[X.]G entgegen.

5

[X.]uf die Berufung der Klägerin hat das Oberverwaltungsgericht das Urteil des [X.] geändert und den Beklagten in das [X.]mt eines Polizeihauptkommissars (Besoldungsgruppe [X.] [X.]) zurückgestuft. Zur Begründung hat das Gericht ausgeführt: [X.]er Beklagte habe in 25 Fällen gegen seine [X.]ienstpflicht zur Befolgung von Weisungen verstoßen, indem er seinen [X.]ienst nicht in [X.] begonnen bzw. beendet habe. In mindestens 18 Fällen, die sich zum Teil in tatsächlicher Hinsicht mit den zuvor genannten überschnitten, habe er außerdem gegen die Weisung, die Inspektionsleitung über seinen [X.]ienstantritt bzw. sein [X.]ienstende an einem anderen Ort als [X.] zu informieren, und zusätzlich in zwölf Fällen gegen die Weisung, sich die [X.]usnahme von der Inspektionsleitung genehmigen zu lassen, verstoßen. In weiteren Einzelfällen habe der Beklagte gegen seine Pflicht zum Handeln nach den Grundsätzen der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit, gegen seine Wohlverhaltenspflicht, gegen die Pflicht, sich mit vollem Einsatz seinem Beruf zu widmen und gegen die Weisungsgebundenheit verstoßen. [X.]ie Zurückstufung sei die angemessene Maßnahme.

6

2. [X.]er vom Beklagten aufgeworfenen Frage,

ob ein Fernbleiben vom [X.]ienst im Sinne des § 96 [X.]bs. 1 [X.] vorliege, wenn der Beamte den [X.]ienst nicht an einem dienstlich bestimmten Ort, sondern an einer anderen in seinen Zuständigkeitsbereich gehörenden Niederlassung der Behörde beginnt und/oder beendet, und dort während der vorgegebenen [X.]ienstzeit auch tatsächlich [X.]ienst verrichtet,

kommt keine grundsätzliche Bedeutung zu. Eine Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung im Sinne von § 69 [X.]. § 132 [X.]bs. 2 Nr. 1 VwGO, wenn sie eine Frage des revisiblen Rechts von allgemeiner, über den Einzelfall hinausreichender Bedeutung aufwirft, die im konkreten Fall entscheidungserheblich ist (stRspr, vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 24. Januar 2011 - 2 B 2.11 - NVwZ-RR 2011, 329 Rn. 5 und vom 9. [X.]pril 2014 - 2 B 107.13 - [X.] 310 § 132 [X.]bs. 2 Ziff. 2 VwGO Nr. 20 Rn. 9). [X.]ie aufgeworfene Frage hat keine grundsätzliche Bedeutung, weil sie in der Rechtsprechung des [X.] bereits im Sinne des Berufungsgerichts geklärt ist.

7

[X.]er Begriff des nicht genehmigten Fernbleibens vom [X.]ienst knüpft an die formale [X.]ienstleistungspflicht des Beamten an. [X.]iese beamtenrechtliche Grundpflicht fordert vom Beamten in erster Linie, sich während der [X.] an dem vorgeschriebenen Ort aufzuhalten und dort die ihm übertragenen dienstlichen [X.]ufgaben wahrzunehmen (BVerwG, Urteile vom 25. September 2003 - 2 [X.] 49.02 - [X.] 240 § 9 [X.] Nr. 26 S. 41 f., vom 11. Oktober 2006 - 1 [X.] 10.05 - [X.] 232 § 73 [X.] Nr. 30 Rn. 34, vom 27. Februar 2014 - 2 [X.] 1.13 - BVerwGE 149, 117 Rn. 22 und vom 23. Juni 2016 - 2 [X.] 24.14 - BVerwGE 155, 292 Rn. 15).

8

[X.]ie Bestimmung von Zeit und Ort der [X.]ienstleistung ist Sache des [X.]ienstherrn. Sie kann sich aus normativen Vorgaben, aus allgemeinen [X.]nordnungen oder aus konkreten, individuellen Weisungen durch den [X.]ienstvorgesetzten ergeben. Je nach [X.]usgestaltung der Vorgaben zum konkreten [X.]ienstort kann sich der Beamte selbst dann nicht am rechten Ort befinden, wenn er sich zwar im Gebäude der bestimmten [X.]ienstleistung, jedoch nicht an der innerhalb des Gebäudes vom [X.]ienstherrn bestimmten Stelle befindet.

9

[X.]ie [X.]nwendung dieser Grundsätze auf den konkreten Einzelfall begründet nicht die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache.

3. [X.]er Vorwurf einer [X.]rt. 103 [X.]bs. 1 GG und § 108 [X.]bs. 2 VwGO verletzenden Überraschungsentscheidung trifft nicht zu.

[X.]er [X.]nspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs soll sicherstellen, dass ein Verfahrensbeteiligter Einfluss auf den Gang des gerichtlichen Verfahrens und dessen [X.]usgang nehmen kann. Zu diesem Zweck muss er Gelegenheit erhalten, sich zu allen tatsächlichen und rechtlichen Gesichtspunkten zu äußern, die entscheidungserheblich sein können. Zwar korrespondiert mit diesem [X.] keine umfassende Frage-, [X.]ufklärungs- und Hinweispflicht des Gerichts. Vielmehr kann regelmäßig erwartet werden, dass die Beteiligten von sich aus erkennen, welche Gesichtspunkte Bedeutung für den Fortgang des Verfahrens und die abschließende Sachentscheidung des Gerichts erlangen können, und entsprechend vortragen. Jedoch verlangt der Schutz vor einer Überraschungsentscheidung, dass das Gericht nicht ohne vorherigen Hinweis auf einen rechtlichen Gesichtspunkt abstellt, mit dem auch ein gewissenhafter und kundiger [X.] selbst unter Berücksichtigung der Vielfalt vertretbarer Rechtsauffassungen nicht zu rechnen braucht (stRspr, vgl. [X.], Beschluss vom 19. Mai 1992 - 1 BvR 986/91 - [X.]E 86, 133 <144 f.> sowie Kammerbeschluss vom 15. Februar 2011 - 1 BvR 980/10 - NVwZ-RR 2011, 460 Rn. 13 m.w.N.).

[X.]anach war das Berufungsgericht nicht gehalten, den Beklagten ausdrücklich auf seine Bewertung der Umstände des Verfahrens hinzuweisen. [X.]ie Beteiligten müssen zur Gewährung rechtlichen Gehörs zwar Gelegenheit haben, zu allen Tatsachen und Beweisergebnissen Stellung zu nehmen. [X.]as Gericht ist aber nicht verpflichtet, seine Beweiswürdigung den Beteiligten vorab mitzuteilen, solange nur auf Grundlage der vorhandenen Tatsachen mit einer solchen Beweiswürdigung zu rechnen war. [X.]lle Tatsachen, die dem Berufungsurteil zugrunde liegen, waren dem Beklagten und seinem Prozessbevollmächtigten entweder aus eigener Kenntnis oder aus den ausführlichen Schriftsätzen der Klägerin in beiden Instanzen des [X.]isziplinarverfahrens sowie aus den [X.]kten bekannt. [X.]uch wenn das Verwaltungsgericht die Frage nach dem Tatvorwurf offen gelassen hat, hatte der Beklagte jede Gelegenheit, spätestens im Berufungsverfahren zu den von Seiten der Klägerin vorgebrachten Umständen Stellung zu nehmen und gegebenenfalls Beweisanträge zu stellen. Ebenso muss dem anwaltlich vertretenen Beklagten klar gewesen sein, dass im Berufungsverfahren eine vollständig neue Beweiswürdigung vorzunehmen war und somit auch eine andere Bewertung der tatsächlichen Umstände die Berufungsentscheidung tragen könnte. Gleichwohl hat er darauf verzichtet, in der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht Beweisanträge zu Tatsachen zu stellen, die er nunmehr im Beschwerdeverfahren als unrichtig bezeichnet.

[X.]er Beklagte argumentiert im Beschwerdeverfahren weitgehend im Stile eines bereits zugelassenen Rechtsmittels, indem er versucht, die Rechtmäßigkeit des ihm vorgeworfenen Verhaltens zu erklären und vom Gericht angenommene Tatsachen als unrichtig darzustellen. [X.]ie Gegenüberstellung anderer Tatsachen oder einer anderen rechtlichen Bewertung derselben ist aber nicht geeignet, Verfahrensfehler darzulegen. Von einer Überraschungsentscheidung kann nicht schon ausgegangen werden, wenn das Berufungsgericht zu einem anderen Ergebnis gelangt als die Beteiligten oder das Verwaltungsgericht.

[X.]ie Kostenentscheidung beruht auf § 77 B[X.]G und § 154 [X.]bs. 2 VwGO. Einer Festsetzung des Streitwerts für das Beschwerdeverfahren bedarf es nicht, weil für das Verfahren Gebühren nach dem Gebührenverzeichnis der [X.]nlage zu § 78 Satz 1 B[X.]G erhoben werden.

Meta

2 B 71/16

21.06.2017

Bundesverwaltungsgericht 2. Senat

Beschluss

Sachgebiet: B

vorgehend OVG Lüneburg, 26. Juli 2016, Az: 6 LD 7/15, Urteil

§ 96 Abs 1 BBG, § 69 BDG, § 132 Abs 2 Nr 1 VwGO

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 21.06.2017, Az. 2 B 71/16 (REWIS RS 2017, 9322)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2017, 9322

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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1 BvR 980/10

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