L e i t s a t z
zum Beschluß des [X.] vom 18. Juli 1995
- 2 BvQ 31/95 -
- Zum vorläufigen Rechtsschutz nach § 32 [X.] bei öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten innerhalb eines [X.] kurz vor Ernennung der [X.] des zuständigen [X.]verfassungsgerichts.
[X.]
- 2 BvQ 31/95 -
IM NAMEN DES VOLKES
In dem Verfahren
über den Antrag
im Wege der einstweiligen Anordnung
dem Antragsgegner bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache zu untersagen, die Antragstellerin auf eine Zusammenarbeit mit dem Ministerium für Staatssicherheit/Amt für Nationale Sicherheit ([X.]/[X.]) zu überprüfen, |
Antragstellerin: |
Dr. Ursula F i s c h e r , Mitglied des Thüringer [X.]s, Arnstädter Straße 51, [X.] | |
Antragsgegner : |
[X.] des Freistaats Thüringen, vertreten durch den Präsidenten, Arnstädter Straße 51, [X.] |
- Bevollmächtigter:
Prof. Dr. Wolfgang Löwer, Hobsweg 15, [X.] -
hat das [X.] - Zweiter Senat - unter Mitwirkung der [X.]innen und [X.]
Präsidentin [X.],
[X.],
Graßhof,
[X.],
Kirchhof,
Winter
am 18. Juli 1995 beschlossen:
- Der Thüringer [X.] darf bis zum Ablauf eines Monats nach dem Tag, an dem der Thüringer Verfassungsgerichtshof Beschlußfähigkeit (§ 8 des Gesetzes über den Thüringer Verfassungsgerichtshof vom 28. Juni 1994, GVBl S. 781) erlangt, in dem Verfahren zur Überprüfung der Antragstellerin auf eine Zusammenarbeit mit dem Ministerium für Staatssicherheit/Amt für Nationale Sicherheit (Mfs/[X.]) hierauf bezügliche Informationen nicht entgegennehmen; bereits bei dem [X.] eingegangene Informationen sind von dem Präsidenten des [X.]s unter Verschluß zu nehmen.
G r ü n d e :
A.
Das Verfahren betrifft die Überprüfung einer Abgeordneten des Thüringer [X.]s gegen ihren Willen auf eine Zusammenarbeit mit dem Ministerium für Staatssicherheit/Amt für Nationale Sicherheit ([X.]/[X.]) der ehemaligen [X.].
1. § 1 des Gesetzes über die Rechtsverhältnisse der Abgeordneten des Thüringer [X.]s (Thüringer [X.] - Thür[X.]) vom 7. Februar 1991 (ThürGVBl S. 27) in der Fassung der Neubekanntmachung vom 9. März 1995 (ThürGVBl S. 121) lautet:
"(1) Erwerb und Verlust der Mitgliedschaft im Thüringer [X.] regeln sich nach den Vorschriften des [X.]wahlgesetzes.
(2) Darüber hinaus verlieren Abgeordnete ihre Mitgliedschaft, wenn sie wissentlich als hauptamtliche oder inoffizielle Mitarbeiter mit dem Ministerium für Staatssicherheit, dem Amt für Nationale Sicherheit oder Beauftragten dieser Einrichtungen zusammengearbeitet haben."
Am 7. Mai 1991 beschloß der Ältestenrat des 1. Thüringer [X.]s Durchführungsvorgaben für eine anschließende Abgeordnetenüberprüfung.
2. Die Antragstellerin ist Abgeordnete des 2. Thüringer [X.]s und Vorsitzende der [X.]. Sie war bereits im 12. [X.] auf eigenen Antrag gemäß § 44 b Abs. 1 Gesetz über die Rechtsverhältnisse der Mitglieder des [X.]es ([X.] - [X.]) vom 18. Februar 1977 (BGBl I S. 297) in der Fassung vom 20. Januar 1992 (BGBl I S. 67) überprüft worden, ohne daß Belastendes festgestellt wurde. Mit Schreiben vom 16. Dezember 1994 bat der Präsident des Thüringer [X.]s alle [X.]sabgeordneten, darunter auch die Antragstellerin, ihre Zustimmung zu einer Überprüfung des Vorliegens einer Belastung im Sinne des § 1 Abs. 2 Thür[X.] zu geben. Auch nach mehrmaliger Aufforderung verweigerte die Antragstellerin ebenso wie noch vier weitere Abgeordnete ihre Zustimmung. Am 18. Mai 1995 beschloß der Thüringer [X.], alle Mitglieder des [X.]s unabhängig von ihrer Einwilligung überprüfen zu lassen (ThürLT-Drucks 2/306). Mit Schreiben vom 19. Mai 1995 setzte der Präsident des [X.]s die Antragstellerin davon in Kenntnis, daß beim [X.] die Übermittlung entsprechender Daten beantragt worden sei.
3. Mit ihrem am 14. Juni 1995 beim [X.] eingegangenen Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung sowie mit dem am 12. Juli 1995 beim [X.] eingegangenen Antrag zur Hauptsache (2 BvH 2/95) macht die Antragstellerin geltend, ohne ihre Einwilligung sei eine Überprüfung ihrer Person auf eine Zusammenarbeit mit dem ehemaligen [X.]/[X.] mit der in Art. 53 Abs. 1 Verfassung des Freistaats Thüringen (ThürVerf) vom 25. Oktober 1993 (ThürGVBl S. 625) geschützten freien und gleichen Mandatsausübung unvereinbar. Eine dennoch durchgeführte Überprüfung verletze ihren repräsentativen verfassungsrechtlichen Status als Abgeordnete.
Der Erlaß einer einstweiligen Anordnung sei geboten, weil bereits in Kürze Mitteilungen des [X.] zu erwarten seien. Wegen des großen öffentlichen Interesses an der Überprüfung bestehe die erhebliche Gefahr, daß Einzelheiten aus den Auskünften nach ihrem Zugang beim [X.]spräsidenten alsbald an die Öffentlichkeit gelangten. Dasselbe sei auch in Überprüfungsverfahren der vergangenen Legislaturperiode geschehen. Selbst wenn sich die Verdächtigungen später als haltlos erwiesen, könnten sich schon vorher Nachteile für die Mandatsausübung einstellen. Die Schädigung ihres Ansehens in der Öffentlichkeit wirke selbst dann noch weiter, wenn sich der Verdacht später als haltlos erwiese.
4. Der Antragsgegner hält die Voraussetzungen zum Erlaß einer einstweiligen Anordnung nicht für gegeben.
5. Die Parlamente der fünf neuen Bundesländer hatten Gelegenheit, Stellung zu nehmen. Geäußert hat sich der Sächsische [X.].
6. Das Gesetz über den Thüringer Verfassungsgerichtshof (Thüringer Verfassungsgerichtshofsgesetz - ThürVerfGHG) vom 28. Juni 1994 (ThürGVBl S. 781) ist am Tage nach seiner Verkündung vom 5. Juli 1994 in [X.] getreten. Am 16. Juni 1995 wurden die nach § 2 ThürVerfGHG erforderlichen neun [X.] und Stellvertreter gewählt. Mit der Aushändigung der Ernennungsurkunden durch den [X.]spräsidenten und die Vereidigung durch den [X.] (§ 5 ThürVerfGHG) ist erst nach Ende der Parlamentsferien im August zu rechnen. Als Geschäftsstelle dienen nach § 10 Abs. 1 ThürVerfGHG die Geschäftseinrichtungen des Thüringer Oberverwaltungsgerichts.
B.
Der Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung ist in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet.
1. Nach § 32 Abs. 1 [X.] kann das [X.] im Streitfall einen Zustand durch einstweilige Anordnung vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist. Dabei müssen die Gründe, welche für die Verfassungswidrigkeit der angegriffenen Maßnahme sprechen, außer Betracht bleiben, es sei denn, der Antrag in der Hauptsache erwiese sich als von vornherein unzulässig oder offensichtlich unbegründet.
2. Das [X.] ist zum Erlaß einer einstweiligen Anordnung noch zuständig. Art. 93 Abs. 1 Nr. 4 GG, § 13 Nr. 8 [X.] geben dem [X.] bei einem Organstreit nach [X.]verfassungsrecht nur eine subsidiäre Zuständigkeit. Hiernach ist gerichtliche Kontrolle in erster Linie durch das [X.]verfassungsgericht und nur hilfsweise durch das [X.] vorgesehen (vgl. [X.] 60, 319 <326>). Gegenwärtig kann der Thüringer Verfassungsgerichtshof noch nicht tätig werden.
Zwar sind die [X.] bereits gewählt. Ihre Ernennung und Vereidigung nach § 5 ThürVerfGHG steht jedoch noch aus und ist frühestens nach Ablauf der Parlamentsferien im August 1995 zu erwarten. Es mag zulässig sein, schon jetzt bei dem Thüringer Verfassungsgerichtshof gemäß § 10 Abs. 1 ThürVerfGHG Anträge zu stellen (vgl. dazu [X.], [X.]- und Kommunalverwaltung ([X.]) 1994, 443). Geht es um den Erlaß einer einstweiligen Anordnung, insbesondere bei besonderer Dringlichkeit, ist Rechtsschutz jedoch nur gegeben, wenn das Gericht nach einer Antragstellung gegebenenfalls auch sofort rechtsprechend tätig werden kann. Das ist nur möglich, wenn das Gericht bereits über die erforderliche Anzahl förmlich ernannter [X.] verfügt.
3. Soweit der Antrag in der Hauptsache sich gegen § 1 Abs. 2 Thür[X.] richte, ist er allerdings unzulässig. Insoweit wurde die Frist des § 64 Abs. 3 [X.]. § 71 Abs. 2 [X.] nicht gewahrt. Das Thüringer [X.] wurde bereits am 13. Februar 1991 verkündet. Jedenfalls seit der Konstituierung des Thüringer [X.]s am 10. November 1994 war die Antragstellerin auch [X.] (vgl. hierzu näher [X.], Beschluß vom 23.01.1995 - 2 BvR 6/94 und 7/94, Umdruck, S. 10). Ihr Antrag ist beim [X.] jedoch erst am 12. Juli 1995 eingegangen.
Im übrigen sind Bedenken gegen die Zulässigkeit des Antrags in der Hauptsache nicht ersichtlich.
4. Die Voraussetzung, daß der Antrag in der Hauptsache nicht offensichtlich unbegründet erscheinen darf, kann im vorliegenden Fall ungeprüft bleiben. Denn der schwere Nachteil im Sinne von § 32 Abs. 1 [X.], den es im Wege des Erlasses einer einstweiligen Anordnung abzuwehren gilt, besteht hier schon darin, daß die Antragstellerin den ihr zur Wahrnehmung ihrer Rechte als Abgeordnete des Thüringer [X.]s durch Art. 80 Abs. 1 Nr. 3 ThürVerf [X.]. §§ 11 Nr. 3, 38 ff. ThürVerfGHG eröffneten Rechtsweg zum Thüringer Verfassungsgerichtshof zwar gegenwärtig möglicherweise schon beschreiten, effektiven Rechtsschutz aber wegen der noch ausstehenden Ernennung und Vereidigung der - bereits gewählten - [X.] dort noch nicht finden kann. In dieser Lage bleibt es dem an sich zuständigen, in Kürze seine Tätigkeit aufnehmenden Verfassungsgerichtshof des Freistaats Thüringen überlassen, eine etwaige Erfolgsaussicht des Antrags am Maßstab des [X.]verfassungsrechts zu beurteilen. Da jedenfalls bis zu dem Zeitpunkt, zu dem die Antragstellerin beim Thüringer Verfassungsgerichtshof Rechtsschutz finden kann, ein überwiegendes Interesse des Antragsgegners daran, in den Besitz von Informationen über eine etwaige Zusammenarbeit der Antragstellerin mit dem Mfs/[X.] zu gelangen, nicht erkennbar ist, war die einstweilige Anordnung, wie aus dem Tenor ersichtlich, zu erlassen.
[X.] | [X.] | Graßhof | |||||||||
[X.] | Kirchhof | Winter | |||||||||