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Landesorganstreitverfahren Sachsen: Ersatz für Aufwendungen für die Beschäftigung von Abgeordneten- und Fraktionsmitarbeitern erst nach einer Überprüfung auf frühere Tätigkeit für MfS/AfNS
[X.]
- 2 BvH 1/92 -
daß Artikel 1 in Verbindung mit Anlage I des [X.] zur Änderung des Gesetzes über die Rechtsverhältnisse der Mitglieder des Sächsischen [X.] - [X.]gesetz - vom 8. Januar 1992 (SächsGVBl S. 1) gegen Artikel 38 Absatz 1 Satz 2 und Artikel 48 Absatz 3 Satz 1 Grundgesetz verstößt und die Antragsteller zu 1. und 2. in ihren ihnen durch das Grundgesetz übertragenen Rechten verletzt.
Antragsteller:
Antragsgegner:
hat das [X.] - Zweiter Senat - unter Mitwirkung der [X.]innen und [X.]
Präsidentin [X.],
Kirchhof,
Winter,
[X.],
Jentsch,
Hassemer,
Broß,
Osterloh
am 25. November 1998 einstimmig beschlossen:
Der Antrag wird verworfen.
Gegenstand des Landesorganstreitverfahrens gemäß Art. 93 Abs. 1 Nr. 4, [X.] ist die Frage, ob der Sächsische [X.] ein Gesetz erlassen durfte, gemäß dem der Ersatz von Aufwendungen für die Beschäftigung von [X.]- und Fraktionsmitarbeitern davon abhängig gemacht wird, daß diese Mitarbeiter sich auf eine frühere Tätigkeit für das Ministerium für Staatssicherheit/Amt für Nationale Sicherheit ([X.]/[X.]) der [X.] überprüfen lassen und sich dabei keine Erkenntnisse ergeben, die bei einem Arbeitnehmer im öffentlichen Dienst eine außerordentliche Kündigung rechtfertigen.
1. In seiner ersten Sitzung beschloß der Sächsische [X.] am 27. Oktober 1990 das Gesetz zur Herstellung der Arbeitsfähigkeit des Sächsischen [X.] und der Sächsischen Landesregierung (Vorschaltgesetz), das als vorläufiges Organisationsstatut bis zum Inkrafttreten der Sächsischen Verfassung am 6. Juni 1992 galt. Dieses Gesetz enthielt zum Status und zur Ausstattung der [X.]sabgeordneten folgende Regelungen:
§ 2
(1)
Die [X.] sind Vertreter des ganzen Volkes. Bei der Ausübung ihres Amtes sind sie nur ihrem Gewissen unterworfen und an Aufträge und Weisungen nicht gebunden.
(2)
...
§ 3
Die [X.] haben Anspruch auf eine angemessene, ihre Unabhängigkeit sichernde Entschädigung. ...
Der Anspruch wurde durch das Gesetz über die Rechtsverhältnisse der Mitglieder des Sächsischen [X.] - [X.]gesetz ([X.]) - vom 26. Februar 1991 (SächsGVBl S. 44) konkretisiert. Danach erhalten die Mitglieder des [X.] unter anderem eine Aufwandsentschädigung (§ 6 [X.]) zur Abgeltung ihrer durch das Mandat veranlaßten Aufwendungen. Der den Aufwand für die Beschäftigung von Mitarbeitern regelnde § 6 Abs. 4 [X.] erhielt durch das Zweite Gesetz zur Änderung des Gesetzes über die Rechtsverhältnisse der Mitglieder des Sächsischen [X.] - [X.]gesetz - vom 8. Januar 1992 (SächsGVBl 1992 S. 1) folgende Fassung:
§ 6
Aufwandsentschädigung
...
(4) Mitglieder des [X.] erhalten für die Beschäftigung von Mitarbeitern Aufwendungsersatz nach Maßgabe des Haushaltsgesetzes und der Ausführungsbestimmungen, die vom Präsidium zu erlassen sind. Ersatzfähig sind nur Aufwendungen für die Beschäftigung von Mitarbeitern,
1. die die "Persönliche Erklärung" (Anlage [X.]dieses Gesetzes) an das Präsidium abgegeben haben und
2. bei denen sich keine Erkenntnisse ergeben, die eine außerordentliche Kündigung eines Mitarbeiters des Sächsischen [X.] rechtfertigen würden.
Die Feststellungen hierüber trifft das Präsidium unter Abwägung aller Umstände. Die Sätze 1 bis 3 gelten entsprechend, soweit den Fraktionen vom [X.]Aufwendungen für Mitarbeiter erstattet werden.
...
Die mit der Gesetzesnovelle in das [X.]gesetz eingeführte Überprüfung der Mitarbeiter hatte zuvor auf einer Ergänzung vom 30. Oktober 1991 zu den Ausführungsbestimmungen des Präsidiums vom 29. Mai 1991 beruht. Nach den Ausführungsbestimmungen gehören die Mitarbeiter der [X.] und Fraktionen nicht dem öffentlichen Dienst an und stehen in keiner Rechtsbeziehung zum [X.].
2. Die Antragstellerin zu 1. war Fraktion, der Antragsteller zu 2. Abgeordneter des ersten Sächsischen [X.]. Die Fraktion stellte neun Mitarbeiter in ihrer Geschäftsstelle ein. Die Mitglieder der Antragstellerin zu [X.]beschäftigten im Rahmen einer [X.] Mitarbeiter und beauftragten den Antragsteller zu 2. mit der laufenden Geschäftsführung. Alle Mitarbeiter bis auf eine gaben nach Einleitung des [X.] die persönliche Erklärung mit dem Zusatz ab, daß die Rechtmäßigkeit der Regelung durch das [X.] bestätigt werden müsse. Eine Mitarbeiterin der Antragstellerin zu [X.]verweigerte bis zum 2. Juni 1992 die geforderte Erklärung. Der [X.] behielt den zunächst für die Monate März bis Mai unter Vorbehalt ausbezahlten Aufwandsersatz für diese Mitarbeiterin in Höhe von 13.102,59 DM im Wege der Aufrechnung ein.
1. Mit ihrem gegen den Sächsischen [X.]und den Präsidenten des Sächsischen [X.] gerichteten, am 9. Januar 1992 eingegangenen Antrag wenden sich die Antragsteller gegen die Neufassung des § 6 Abs. 4 [X.] durch das Zweite Gesetz zur Änderung dieses Gesetzes vom 8. Januar 1992. Sie machen im wesentlichen geltend, die Regelung verstoße gegen das Recht der [X.] und Fraktionen, über die Auswahl, die Einstellung und die Weiterbeschäftigung ihrer Mitarbeiter frei zu entscheiden. Sie rügen die Verletzung der Freiheit des [X.]status sowie des Anspruchs auf eine angemessene, die Unabhängigkeit sichernde Entschädigung (Art. 48 Abs. 3 Satz 1 und 3 GG). Weder der Status des [X.] noch derjenige des Mitarbeiters sei beamtenrechtlich oder öffentlich-rechtlich konstituiert. Die von § 6 Abs. 4 [X.] bezweckte Gleichstellung mit dem öffentlichen Dienst sei mit Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG nicht vereinbar.
2. Die Antragsgegner halten den Antrag für unzulässig, soweit er sich gegen den Präsidenten des Sächsischen [X.] richtet. Im übrigen sei der Antrag unbegründet. Der Zweck der Regelung liege darin, zur Wahrung der Funktions- und Arbeitsfähigkeit des [X.] die Mitarbeiter der [X.] und Fraktionen unter dem speziellen Aspekt der möglichen Verstrickung in das Unrechtssystem der früheren [X.] daraufhin zu überprüfen, ob sie die nötige Gewähr bieten, sich zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes zu bekennen und die Sicherheit des [X.] nicht zu gefährden. Darüber hinaus sei die angegriffene Regelung dadurch gerechtfertigt, daß es sich bei dem Aufwendungsersatz um Mittel aus dem Haushalt des [X.] handele und auch hier der im Einigungsvertrag zum Ausdruck kommende Grundsatz gelte, daß Bedienstete nicht aus öffentlichen Mitteln bezahlt werden sollen, wenn sie in der dort genannten Art und Weise in das Unrechtsregime der früheren [X.] verstrickt waren.
Der Antrag ist unzulässig.
1. Im Verfahren gegen den Antragsgegner zu [X.]ist der [X.] unzulässig, weil die gerügte Maßnahme, die Verabschiedung des [X.] zur Änderung des [X.]gesetzes, nur vom Antragsgegner zu 1. ausgegangen ist (vgl. [X.] 84, 304 <320 f.>; 86, 65 <70>).
2. Der Antrag ist auch im übrigen unzulässig. Die Frage, ob die Antragsteller mit Ablauf der 1. Wahlperiode des Sächsischen [X.] die Parteifähigkeit verloren haben, kann dahinstehen. Jedenfalls fehlt das im [X.]verfahren erforderliche Rechtsschutzbedürfnis (vgl. [X.] 62, 1 <33>; 67, 100 <127>; 68, 1 <77>; 87, 207 <208 f.>). Abzustellen ist gemäß Art. 93 Abs. 1 Nr. 4, [X.] auf das objektive Interesse an der Klärung der öffentlich-rechtlichen Streitigkeit.
Ein solches objektives Interesse an der Klärung der Frage, ob der Erlaß des § 6 Abs. 4 [X.] wegen seines Einflusses auf die freie Auswahl der Mitarbeiter die Antragsteller in ihren verfassungsmäßigen Rechten verletzt hat, besteht nicht mehr. Denn zum einen hat sich der verfassungsrechtliche Maßstab geändert (a), zum anderen gehören die zu überprüfende Maßnahme und ihre tatsächlichen Grundlagen der Vergangenheit an (b). Losgelöst von der historischen Situation des Ausgangsfalls kommt der hier aufgeworfenen Frage für das künftige Verfassungsleben keine Bedeutung mehr zu.
a) Der Senat hätte die angegriffene Maßnahme am Maßstab des sogenannten Vorschaltgesetzes zu überprüfen, das als vorläufiges Organisationsstatut nur bis zum Inkrafttreten der Sächsischen Verfassung am 6. Juni 1992 galt. Auch ist inzwischen der Sächsische Verfassungsgerichtshof berufen, auf die Landesverfassung bezogene Streitigkeiten zu entscheiden.
b) Streitgegenstand ist das zwischen dem Antragsteller und dem Antragsgegner bestehende verfassungsrechtliche Verhältnis zum Zeitpunkt der angegriffenen Maßnahme. Auch der Erlaß eines Gesetzes kann eine solche Maßnahme sein, wenn es im Widerspruch zu Verfassungsnormen steht und dadurch Rechte eines Beteiligten verletzt. Gegenstand des [X.] ist hier die Frage, ob der Erlaß des [X.] zur Änderung des [X.]gesetzes am 8. Januar 1992 die Antragsteller in ihren Rechten als Fraktion oder als Abgeordnete verletzt hat. Für die Beurteilung der Rechtslage kommt es auf diesen Zeitpunkt an, in dem der Beschluß gefaßt worden ist. Denn Maßnahme ist nicht das Gesetz als solches, sondern dessen Erlaß durch die gesetzgebende Körperschaft.
Der Erlaß der gesetzlichen Regelung kann nur aus seinem damaligen historischen Zusammenhang und im Hinblick auf den dem Gesetzgeber zustehenden Wertungs- und Gestaltungsspielraum beurteilt werden. Vor dem damaligen Hintergrund des Übergangs von der Diktatur zu dem freiheitlich verfaßten Staat hat der Gesetzgeber eine Regelung erlassen, die durch Unsicherheit und Unkenntnis über das Fortwirken der alten Strukturen und Denkweisen des SED-Regimes in den ersten Jahren nach der [X.] veranlaßt war. Man vermochte noch nicht zu beurteilen, in welchem Maße sich die Funktionäre der untergegangenen [X.] dem Übergang zum freiheitlich-demokratischen Rechtsstaat widersetzen und ob insbesondere ehemalige Mitarbeiter des Staatssicherheitsdienstes ihre frühere Tätigkeit in den neuen staatlichen Institutionen fortsetzen würden. Diese besondere Situation des politischen Umbruchs besteht heute nicht mehr und wird sich nicht unter denselben Bedingungen wiederholen. Deshalb besteht heute kein objektives Interesse, die Verfassungsmäßigkeit des damaligen Gesetzes zu beurteilen.
[X.] | Kirchhof | Winter | |
[X.] | Jentsch | Hassemer | |
Broß | Osterloh |
Meta
25.11.1998
Sachgebiet: BvH
Zitiervorschlag: Bundesverfassungsgericht, Entscheidung vom 25.11.1998, Az. 2 BvH 1/92 (REWIS RS 1998, 41)
Papierfundstellen: REWIS RS 1998, 41 BVerfGE 99, 332-337 REWIS RS 1998, 41
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