Bundesfinanzhof, Urteil vom 12.04.2023, Az. I R 44/22 (I R 49/19, I R 17/16), I R 44/22, I R 49/19, I R 17/16

1. Senat | REWIS RS 2023, 3560

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Gegenstand

Nichtberücksichtigung "finaler" Verluste einer italienischen Betriebsstätte


Leitsatz

1. Die qualifizierte Rückfallklausel des Abschn. 16 Buchst. d des Protokolls zum DBA-Italien 1989, nach der die Einkünfte einer in einem Vertragsstaat ansässigen Person (nur dann) als aus dem anderen Vertragsstaat stammend gelten, wenn sie im anderen Vertragsstaat in Übereinstimmung mit dem Abkommen effektiv besteuert worden sind, ist auch auf negative Einkünfte anzuwenden. Von einer effektiven Besteuerung durch den anderen Staat ist im Falle von Verlusten jedenfalls dann auszugehen, wenn der andere Staat die Verluste in die steuerliche Bemessungsgrundlage einbezieht und einen Ausgleich mit positiven Einkünften eines anderen Veranlagungszeitraums ermöglicht. Nicht erforderlich ist hingegen, dass es zu irgend einem Zeitpunkt tatsächlich zu einem solchen Ausgleich kommt.

2. Der auf einem DBA (hier: DBA-Italien 1989) beruhende Ausschluss der Berücksichtigung von Verlusten einer in einem anderen Mitgliedstaat belegenen Betriebsstätte (sog. Symmetriethese) verstößt auch im Hinblick auf endgültige ("finale") Verluste weder gegen die unionsrechtliche Niederlassungsfreiheit (Anschluss an EuGH-Urteil W vom 22.09.2022 - C-538/20, EU:C:2022:717, DStR 2022, 1993; Bestätigung der Senatsrechtsprechung) noch gegen Art. 20 der Charta der Grundrechte der EU und das verfassungsrechtliche Gleichbehandlungsgebot.

Tenor

Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des [X.] vom 06.08.2014 - 2 K 355/12 aufgehoben.

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des gesamten Verfahrens hat die Klägerin zu tragen.

Tatbestand

I.

1

Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) ist eine inländische GmbH…. Im Rahmen der Expansion des Unternehmens in [X.] Länder eröffnete sie im Jahr 2004 eine Niederlassung in der [X.] ([X.]). Diese Niederlassung erwirtschaftete in den Jahren 2004 bis 2008 Verluste in folgender Höhe:

        

lt. in [X.] abgegebenen Steuererklärungen

         nach [X.] Gewinnermittlungsgrundsätzen

2004   

./.   … €

./.   … €

2005   

./.   … €

./.   … €

2006   

./.   … €

./.   … €

2007   

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./.   … €

2008   

./.   … €

./.   … €

Gesamt     

./.   … €

./.   … €

2

Im Dezember 2008 beschloss die Klägerin, dass die Geschäftstätigkeit in [X.] ab dem 01.01.2009 von der [X.] ([X.]) aus ausgeübt werden soll. Sie schloss die [X.] Niederlassung daher zum 31.12.2008. Weil sie in [X.] zu keinem Zeitpunkt Gewinne erzielt hat, konnte die Klägerin in eigener Person die Verluste dort weder durch einen Verlustrücktrag noch durch einen Verlustvortrag nutzen.

3

Mit ihrer Steuererklärung für das [X.] (Streitjahr) machte die Klägerin ausländische Betriebsstättenverluste von insgesamt … € gewinnmindernd geltend. Der Beklagte und Revisionskläger (Finanzamt --[X.]--) berücksichtigte diese Verluste jedoch bei der Festsetzung der Körperschaftsteuer nicht.

4

Die Klägerin erhob im Dezember 2011 Sprungklage gegen den Körperschaftsteuerbescheid. Nachdem das [X.] nicht zugestimmt hatte, wurde das Verfahren als außergerichtlicher Rechtsbehelf fortgeführt. Im Dezember 2012 erhob die Klägerin Untätigkeitsklage, mit der sie zuletzt beantragt hat, die Körperschaftsteuer unter Berücksichtigung eines Verlusts aus der [X.]n Betriebsstätte von … € festzusetzen. Sie hat dabei für die Jahre 2004 bis 2006 und 2008 die Verluste der [X.]n Betriebsstätte nach [X.] [X.] angesetzt, für das [X.] hingegen die (geringeren) Verluste, wie sie in der gegenüber dem [X.]n Fiskus abgegebenen Steuerklärung erklärt worden sind.

5

Die Klage hatte Erfolg. Das Finanzgericht (FG) [X.] hat den seinerzeit angefochtenen Bescheid mit Urteil vom 06.08.2014 - 2 K 355/12 (Entscheidungen der Finanzgerichte 2014, 2084) antragsgemäß geändert.

6

Gegen das [X.] richtet sich die auf die Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des [X.].

7

Das [X.] beantragt, das [X.] aufzuheben und die Klage abzuweisen.

8

Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.

9

Das [X.] ([X.]) ist dem Revisionsverfahren gemäß § 122 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) beigetreten. Es stellt keinen förmlichen Antrag, unterstützt in der Sache aber die Auffassung des [X.].

Mit Beschluss vom 13.11.2017 hat der Senat das Verfahren bis zur Entscheidung des Gerichtshofs der [X.] ([X.]) in dem Verfahren [X.]/16 ausgesetzt. Die [X.] des [X.] hat in jenem Verfahren mit Urteil [X.] und [X.] vom 12.06.2018 ([X.]:C:2018:424, [X.] --[X.]-- 2018, 1353) entschieden. Mit Beschluss vom 15.12.2020 - I R 49/19 (I R 17/16) hat der Senat das Verfahren nochmals --bis zur Entscheidung des [X.] über das Vorabentscheidungsersuchen des [X.] ([X.], 205, [X.] 2021, 68)-- ausgesetzt. Der [X.] hat mit Urteil W (Abzugsfähigkeit dauernder Verluste einer gebietsfremden Betriebsstätte) vom 22.09.2022 - [X.]/20 ([X.]:[X.], [X.] 2022, 1993) über das Ersuchen entschieden.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision des [X.] ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Klageabweisung (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FGO). Entgegen der Annahme der Vorinstanz mindern weder der im Streitjahr entstandene Verlust noch die in den Jahren 2004 bis 2007 angefallenen Verluste der [X.] Zweigniederlassung der Klägerin die Bemessungsgrundlage der Körperschaftsteuer für das Streitjahr.

1. Die im Inland ansässige und hier mit ihren sämtlichen Einkünften unbeschränkt körperschaftsteuerpflichtige Klägerin erwirtschaftete mit ihrer in [X.] belegenen Niederlassung (Betriebsstätte) Einkünfte aus einem Unternehmen i.S. von Art. 7 Abs. 1 des Abkommens zwischen der [X.] und der [X.]ischen Republik zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen und zur Verhinderung der Steuerverkürzung vom 18.10.1989 --[X.]-[X.] [X.] ([X.] 1990, 743, [X.], 397). Die in der Betriebsstätte im Streitjahr entstandenen Verluste der Klägerin sind gemäß Art. 7 Abs. 1 i.V.m. Art. 24 Abs. 3 Buchst. a [X.]-[X.] 1989 von der Bemessungsgrundlage der [X.] Steuer ausgenommen.

a) Art. 7 Abs. 1 [X.]-[X.] 1989 bestimmt, dass Gewinne eines Unternehmens eines Vertragsstaats (hier: [X.]) nur in diesem Staat besteuert werden können, es sei denn, das Unternehmen übt seine Tätigkeit im anderen Vertragsstaat (hier: [X.]) durch eine dort gelegene Betriebsstätte aus (Satz 1). Übt das Unternehmen seine Tätigkeit auf diese Weise aus, so können die Gewinne des Unternehmens im anderen Staat besteuert werden, jedoch nur insoweit, als sie dieser Betriebsstätte zugerechnet werden können (Satz 2). Nach Art. 24 Abs. 3 Buchst. a Satz 1 [X.]-[X.] 1989 werden --abgesehen von hier nicht einschlägigen [X.] von der Bemessungsgrundlage der [X.] Steuer die Einkünfte aus [X.] sowie die dort gelegenen Vermögenswerte ausgenommen, die nach diesem Abkommen in [X.] besteuert werden können. [X.] behält aber nach Satz 2 der Vorschrift das Recht, die so ausgenommenen Einkünfte und Vermögenswerte bei der Festsetzung des Steuersatzes zu berücksichtigen.

b) Obwohl in Art. 7 Abs. 1 [X.]-[X.] 1989 ausdrücklich nur Unternehmensgewinne erwähnt werden, sind nach Art. 24 Abs. 3 Buchst. a Satz 1 [X.]-[X.] 1989 auch negative Einkünfte [X.] die im Streitfall in Rede stehenden Verluste-- im Ansässigkeitsstaat des Steuerpflichtigen von der Bemessungsgrundlage der Körperschaftsteuer ausgenommen. Es entspricht ständiger Rechtsprechung (z.B. Senatsurteil vom 28.03.1973 - I R 59/71, [X.], 127, [X.] 1973, 531; Senatsbeschlüsse vom 29.11.2006 - I R 45/05, [X.], 149, [X.] 2007, 398; vom 11.03.2008 - I R 116/04, [X.], 1161; Senatsurteile vom 22.02.2017 - I R 2/15, [X.], 120, [X.] 2017, 709 und vom 22.02.2023 - I R 35/22 [I R 32/18], zur amtlichen [X.] bestimmt), dass Verluste ebenfalls aus der Bemessungsgrundlage der [X.] Steuer auszunehmen sind (sog. [X.]), wenn sich der in einer abkommensrechtlichen Verteilungsnorm verwendete Einkünftebegriff auf einen Nettobetrag bezieht.

c) Entgegen der Sichtweise der Klägerin wird die Freistellung der negativen Einkünfte im Streitfall nicht durch Abschn. 16 Buchst. d des Protokolls zum [X.]-[X.] 1989 vom 18.10.1989 (Protokoll) gehindert. Nach dieser Regelung gelten für die Zwecke des Art. 24 Abs. 3 Buchst. a [X.]-[X.] 1989 die Einkünfte einer in einem Vertragsstaat ansässigen Person (nur dann) als aus dem anderen Vertragsstaat stammend, wenn sie im anderen Vertragsstaat in Übereinstimmung mit dem Abkommen "effektiv besteuert worden sind".

aa) Im Ansatz zutreffend geht die Klägerin davon aus, dass es sich bei dieser Einkünfte-Herkunftsbestimmung um eine sogenannte echte [X.] handelt, die bewirkt, dass bei fehlender effektiver Besteuerung in dem [X.] das Besteuerungsrecht an den anderen Vertragsstaat zurückfällt (Senatsurteil vom 17.10.2007 - I R 96/06, [X.], 534, [X.] 2008, 953). Aufgrund des Erfordernisses der "effektiven" Besteuerung durch den [X.] ist die Bestimmung des Weiteren als sogenannte qualifizierte [X.] einzuordnen, die für die Freistellung nicht bloß eine abstrakte Steuerpflicht, sondern eine tatsächliche ("effektive") Besteuerung durch den [X.] voraussetzt (s. zur Unterscheidung von einfachen und qualifizierten [X.]n z.B. [X.]/[X.] in [X.]/[X.], [X.], 2. Aufl., Art. [X.]/[X.] 77 f.). Auch ist der Klägerin darin Recht zu geben, dass sich die Wirkung des Abschn. 16 Buchst. d des Protokolls auch auf negative Einkünfte erstreckt (s. allgemein zu negativen Einkünften bei [X.]n [X.]/[X.] in [X.]/[X.], [X.], 2. Aufl., Art. [X.]/[X.] 81; [X.], Internationales Steuerrecht --[X.]-- 2013, 721, 729; s.a. Senatsurteil vom 11.07.2018 - I R 52/16, [X.], 365, [X.] 2019, 105 zur unilateralen [X.] des § 50d Abs. 9 Satz 1 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes). Nach der Rechtsprechung des Senats beruht die Nichtberücksichtigung der ausländischen Betriebsstättenverluste durch den Ansässigkeitsstaat auf der im [X.] (hier: Art. 24 Abs. 3 Buchst. a [X.]-[X.] 1989) vereinbarten Freistellungsmethode (Senatsurteil vom 22.02.2023 - I R 35/22 [I R 32/18], m.w.N.). Da sich die [X.] des Abschn. 16 Buchst. d des Protokolls ausdrücklich auf Art. 24 Abs. 3 Buchst. a [X.]-[X.] 1989 bezieht, findet die [X.] auch in ihrem Bereich Anwendung.

bb) Entgegen der Auffassung der Klägerin liegen in Bezug auf die hier in Rede stehenden Verluste der [X.] Betriebsstätte die Voraussetzungen der Klausel für einen [X.] (keine effektive Besteuerung durch den [X.]) jedoch nicht vor.

Die Klägerin leitet insbesondere aus dem Tatbestandsmerkmal der "effektiven" Besteuerung ab, dass der [X.] in Bezug auf negative Einkünfte immer dann eintritt, wenn es im [X.] nicht tatsächlich zu einem Ausgleich des Verlusts mit anderen (positiven) Einkünften gekommen sei. Noch weiter gehend wird in der Literatur die Auffassung vertreten, dass es im Verlustfall generell nicht zu einer Besteuerung in [X.] i.S. des Abschn. 16 Buchst. d des Protokolls kommen könne ([X.] in [X.], [X.] Art. [X.] Rz 57).

Diesen Sichtweisen ist indessen nicht zu folgen. Vom Standpunkt der [X.] aus muss das Merkmal der effektiven Besteuerung in Abschn. 16 Buchst. d des Protokolls in einer Weise auf negative Einkünfte angewendet werden, die sinngemäß der Anwendung dieser [X.] auf positive Einkünfte entspricht.

Im Falle positiver Einkünfte setzt die Besteuerung im anderen Vertragsstaat indessen nicht voraus, dass eine tatsächliche Steuerzahllast entsteht (Weggenmann in [X.], [X.] Art. 24 Rz 57). Es kommt vielmehr schon dann nicht zu einem [X.], wenn der andere Vertragsstaat die betreffenden Einkünfte in die steuerliche Bemessungsgrundlage einbezieht; erfolgt sodann keine Besteuerung, weil zum Beispiel Freibeträge gewährt werden oder Verrechnungen mit Verlustvorträgen stattfinden, steht dies der Annahme einer Besteuerung durch den anderen Vertragsstaat nicht entgegen (s. allgemein zu qualifizierten [X.]n BMF-Schreiben vom 20.06.2013, [X.], 980, [X.]. 2.3; [X.], [X.] 2013, 721, 726 ff.; [X.]/[X.] in [X.]/[X.], [X.], 2. Aufl., Art. [X.]/[X.] 78; [X.] in [X.]/[X.], [X.], 7. Aufl., Vor Art. 6-22 Rz 20a; vgl. auch Protokoll Nr. 4 zu Art. 22 Abs. 1 Nr. 5 Buchst. b der [X.] für Doppelbesteuerungsabkommen, Stand August 2013, abgedruckt in [X.], Texte).

Übertragen auf negative Einkünfte bedeutet dies, dass von einer tatsächlichen beziehungsweise effektiven "Besteuerung" durch den anderen Staat jedenfalls dann auszugehen ist, wenn der andere Staat die Verluste in die steuerliche Bemessungsgrundlage einbezieht und einen Ausgleich mit positiven Einkünften eines anderen Veranlagungszeitraums ermöglicht. Nicht erforderlich ist hingegen, dass es zu irgendeinem Zeitpunkt tatsächlich zu einem solchen Ausgleich kommt (vgl. auch BMF-Schreiben in [X.], 980, [X.]. 2.5 Buchst. b: Berücksichtigung der Verluste in dem anderen Vertragsstaat --auch in anderen [X.] muss endgültig und vollständig ausgeschlossen sein, weil sie zu einer dort nicht besteuerten Kategorie von Einkünften gehören oder mit diesen in Verbindung stehen; [X.], [X.] 2013, 721, 729; [X.]/[X.] in [X.]/[X.], [X.], 2. Aufl., Art. [X.]/[X.] 81).

Der Senat folgt nicht der Auffassung der Klägerin, das Erfordernis eines tatsächlichen Ausgleichs des Verlusts mit positiven Einkünften sei im Falle des Abschn. 16 Buchst. d des Protokolls aus der Verwendung des Adjektivs "effektiv" abzuleiten, welches über den in anderen qualifizierten [X.]n verwendeten Begriff der fehlenden "tatsächlichen" Besteuerung durch den anderen Staat hinausgehe. Er verweist insoweit auf sein Urteil vom 10.05.2017 - I R 82/15 (zum [X.] --[X.]-- mit der [X.]), demzufolge es für die Reichweite der qualifizierten [X.]n keinen Unterschied macht, ob nach deren Wortlaut die Einkünfte "nicht besteuert" oder "effektiv nicht besteuert" werden. Hieran ist auch unter Berücksichtigung der von der Klägerin hervorgehobenen [X.] Fassung des Abkommenswortlauts für die [X.] des Abschn. 16 Buchst. d des Protokolls festzuhalten.

Dass die in der Zweigniederlassung entstandenen Verluste auf Grundlage der von der Klägerin für die Zweigniederlassung in [X.] abgegebenen Steuererklärungen in die Bemessungsgrundlage der [X.] Ertragsteuern eingegangen sind und nach [X.] Steuerrecht eine Verrechnung der Verluste mit etwaigen Gewinnen in nachfolgenden [X.] möglich gewesen wäre, wird auch von der Klägerin nicht in Abrede gestellt, sodass das Besteuerungsrecht nicht gemäß Abschn. 16 Buchst. d des Protokolls an [X.] zurückgefallen ist.

2. Dass sonach der im Streitjahr entstandene Verlust --ebenso wie die in den Vorjahren angefallenen Verluste-- der [X.] Zweigniederlassung von der Verlustberücksichtigung bei der Körperschaftsteuer ausgeschlossen sind, obgleich die Verluste infolge der Schließung der Zweigniederlassung in [X.] dort endgültig nicht nutzbar ("final") geworden sind, verstößt nicht gegen die unionsrechtliche Niederlassungsfreiheit (Art. 43 i.V.m. Art. 48 des [X.] [X.] i.d.F. des [X.] zur Änderung des [X.] [X.], der Verträge zur Gründung der [X.]en sowie einiger damit zusammenhängender Rechtsakte --[X.]-- (Amtsblatt der [X.]en --ABl[X.]-- 2002, Nr. [X.] 325, 1), jetzt Art. 49 i.V.m. Art. 54 des [X.] Arbeitsweise der [X.] i.d.[X.] zur Änderung des [X.] [X.] und des [X.] [X.] --A[X.]V-- (Amtsblatt der [X.] 2008, Nr. [X.] 115, 47).

a) Der gemäß Art. 267 A[X.]V für die Auslegung des Unionsrechts zuständige [X.] hat zuletzt durch das Urteil W ([X.]:[X.]:2022:717, [X.] 2022, 1993) entschieden, dass die Art. 49 und 54 A[X.]V dahin auszulegen sind, dass sie einer Steuerregelung eines Mitgliedstaats nicht entgegenstehen, nach der eine dort gebietsansässige Gesellschaft die endgültigen ("finalen") Verluste ihrer in einem anderen Mitgliedstaat belegenen Betriebsstätte von ihrem steuerpflichtigen Gewinn nicht abziehen kann, wenn der [X.] aufgrund eines [X.] auf seine Befugnis zur Besteuerung der Einkünfte dieser Betriebsstätte verzichtet hat. Nach Auffassung des [X.] ist im Fall der auf einem [X.] beruhenden Freistellung der ausländischen Einkünfte im [X.] wegen der fehlenden Besteuerungsbefugnis bei der Prüfung eines Verstoßes gegen die Niederlassungsfreiheit schon tatbestandlich eine Vergleichbarkeit mit der Behandlung reiner Inlandsfälle nicht gegeben.

b) Die auf der abweichenden früheren Rechtsprechung des [X.] (Urteile [X.] vom 15.05.2008 - [X.]-414/06, [X.]:[X.]:2008:278, [X.] 2009, 692 und [X.] Ruhesitz am [X.] vom 23.10.2008 - [X.]-157/07, [X.]:[X.]:2008:588, [X.] 2009, 566) wie auch des erkennenden Senats (z.B. Urteile vom 17.07.2008 - I R 84/04, [X.], 398, [X.] 2009, 630; vom [X.] - I R 107/09, [X.], 35) beruhende Auffassung der Vorinstanz ist somit überholt. Vielmehr hat der [X.] seine bereits im Urteil Timac Agro [X.] vom 17.12.2015 - [X.]-388/14 ([X.]:[X.]:2015:829, [X.] 2016, 362) vollzogene Abkehr von jener Rechtsprechung (dazu Senatsurteil in [X.], 120, [X.] 2017, 709) bestätigt (s. das Senatsurteil vom 22.02.2023 - I R 35/22 [I R 32/18]). Der [X.] sieht für die Frage der Vergleichbarkeit der Verhältnisse einen maßgeblichen Unterschied darin, ob der "symmetrische" Ausschluss der Berücksichtigung der gebietsfremden Betriebsstättengewinne und -verluste --wie im Streitfall und im Fall Timac Agro [X.]-- auf einer bilateralen Vereinbarung ([X.]) mit dem Betriebsstättenstaat beruht oder ob der Ausschluss seine Grundlage --wie im Fall des [X.]-Urteils [X.] und [X.] ([X.]:[X.]:2018:424, [X.] 2018, [X.] in einer (unilateralen) Entscheidung des nationalen Steuerrechts hat (zustimmend [X.], [X.] 2022, 1997; [X.], [X.] 2022, 771; ablehnend z.B. Schnitger, [X.] 2022, 769 f.; [X.]/Kopec, [X.] 2022, 417, 419; [X.]/[X.], Die Unternehmensbesteuerung 2022, 601; [X.], [X.] 2022, 989; [X.]/[X.]/[X.]/[X.], Der Betrieb 2023, 731, 736 f.).

c) Der Anregung der Klägerin, den [X.] unter Hinweis darauf, dass von [X.] abgeschlossene [X.] als völkerrechtliche Verträge zu ihrer innerstaatlichen Wirksamkeit nach Art. 59 Abs. 2 des Grundgesetzes (GG) der Zustimmung durch Bundesgesetz bedürfen, erneut anzurufen, folgt der Senat nicht. Dem [X.]-Urteil W ([X.]:[X.]:2022:717, [X.] 2022, 1993) ist zu entnehmen, dass es dem [X.] für die Unterscheidung zwischen den auf bilateralen Vereinbarungen der betroffenen [X.] und den auf unilateralen Entscheidungen eines Staats beruhenden Verlustabzugsausschlüssen maßgeblich darum geht, einseitig und unabgestimmt von einem Staat getroffene Regelungen von solchen Regelungen abzugrenzen, die auf einer vertraglichen Verständigung der beteiligten [X.] über die Aufteilung der jeweiligen Besteuerungsbefugnisse beruhen. Die Frage, auf welche Weise ein völkerrechtlicher Vertrag in das jeweilige innerstaatliche Recht der Vertragsstaaten überführt wird, ist dagegen eher technischer Natur. Zwar ist ein [X.] Zustimmungsgesetz so zu interpretieren, dass es die Regelungen des [X.] selbst enthält und in das nationale Recht transformiert (vgl. Beschluss des [X.] vom 10.03.1971 - 2 BvL 3/68, [X.] 30, 272, [X.] 1973, 431). Das verfassungsrechtliche Erfordernis eines Zustimmungsgesetzes nimmt den von [X.] abgeschlossenen [X.] aber nicht den [X.]harakter bilateraler völkerrechtlicher Verträge über die Aufteilung der beiderseitigen Besteuerungsrechte. Dies erscheint so eindeutig, dass nach den Maßstäben der [X.]-Rechtsprechung (s. zuletzt Urteil [X.]onsorzio Italian Management e [X.]atania Multiservizi vom 06.10.2021 - [X.]-561/19, [X.]:[X.]:2021:799, Neue Juristische Wochenschrift 2021, 3303) von einer Vorlage an den [X.] abgesehen werden kann.

d) Der Umstand, dass die Vertragsstaaten des [X.]-[X.] 1989 mit Abschn. 16 Buchst. d des Protokolls eine qualifizierte [X.] vereinbart haben, nach der das Besteuerungsrecht an [X.] zurückfällt, falls die Betriebsstätteneinkünfte in [X.] nicht effektiv besteuert werden, führt nicht dazu, dass von einem "unvollkommenen" Verzicht [X.]s auf sein Besteuerungsrecht hinsichtlich der [X.] Betriebsstätteneinkünfte ausgegangen werden müsste und die Grundsätze des [X.]-Urteils W ([X.]:[X.]:2022:717, [X.] 2022, 1993) auf [X.] Betriebsstättenverluste generell nicht anwendbar wären. Vielmehr bleibt es in den Fällen, in denen --wie im [X.] die Voraussetzungen der [X.] nicht vorliegen, bei dem abkommensbedingten "symmetrischen" Besteuerungsverzicht [X.]s und folglich nach den Maßstäben des [X.] bei einer fehlenden Vergleichbarkeit mit reinen Inlandsfällen. So stellt der [X.] in dem Urteil W ([X.]:[X.]:2022:717, [X.] 2022, 1993, s. Leitsatz) ausdrücklich auf den Besteuerungsverzicht hinsichtlich der Einkünfte "dieser Betriebsstätte" ab, das heißt auf den jeweiligen Einzelfall und nicht abstrakt auf eine Vielzahl denkbarer Konstellationen. Auch dies erscheint dem Senat zweifelsfrei.

3. Zuletzt hat die Klägerin im Hinblick auf eine Ungleichbehandlung inländischer und ausländischer Betriebsstättenverluste unbeschränkt Steuerpflichtiger zusätzlich einen Verstoß gegen Art. 20 der [X.]harta der Grundrechte der [X.] vom 18.10.2000 ([X.], Nr. [X.] 364, 1) --[X.]GrdR[X.]h-- geltend gemacht. Auch damit bleibt sie indessen ohne Erfolg.

Nach Art. 20 [X.]GrdR[X.]h sind alle Personen vor dem Gesetz gleich. Dieser allgemeine unionsrechtliche Gleichheitssatz gilt --wie die gesamte [X.]GrdR[X.]h-- gemäß Art. 51 Abs. 1 Satz 1 [X.]GrdR[X.]h für die Mitgliedstaaten ausschließlich bei der Durchführung des Rechts der [X.] --[X.]-- (vgl. [X.] vom 24.04.2013 - 1 BvR 1215/07, [X.] 133, 277; Senatsurteil vom 11.02.2015 - I R 3/14, [X.], 448, [X.] 2015, 816; Urteil des [X.] vom 30.08.2022 - X R 17/21, zur amtlichen [X.] bestimmt). Dementsprechend bezieht ihn die Klägerin vorliegend auf die unionsrechtliche Grundfreiheit der Niederlassungsfreiheit (Art. 43 i.V.m. Art. 48 [X.], Art. 49 i.V.m. Art. 54 A[X.]V).

Im Hinblick auf die unionsrechtliche Niederlassungsfreiheit ergibt sich jedoch bereits aus der oben zitierten [X.]-Rechtsprechung (Urteile W, [X.]:[X.]:2022:717, [X.] 2022, 1993 und Timac Agro [X.], [X.]:[X.]:2015:829, [X.] 2016, 362), dass insoweit zwischen unbeschränkt Steuerpflichtigen, die eine Betriebsstätte in einem anderen Mitgliedstaat der [X.] unterhalten, deren (positive wie negative) Einkünfte aufgrund eines [X.] der Besteuerung durch den Ansässigkeitsstaat entzogen sind, und reinen Inlandsfällen keine vergleichbaren Verhältnisse bestehen. Es erscheint ausgeschlossen, dass für die Vergleichbarkeitsprüfung im Rahmen des allgemeinen Gleichheitssatzes des Art. 20 [X.]GrdR[X.]h andere Maßstäbe heranzuziehen sein könnten, als sie der [X.] für das Merkmal der Vergleichbarkeit bei der Prüfung auf eine Diskriminierung im Anwendungsbereich der Niederlassungsfreiheit aufgestellt hat. Aus dem von der Klägerin herangezogenen [X.]-Urteil Pfleger u.a. vom 30.04.2014 - [X.]-390/12 ([X.]:[X.]:2014:281, [X.] Zeitschrift für Wirtschaftsrecht 2014, 597) ergibt sich nichts Gegenteiliges.

4. Der Senat hält den auf der abkommensrechtlichen [X.] beruhenden Ausschluss des Abzugs --gegebenenfalls auch "[X.] ausländischer Betriebsstättenverluste für vereinbar mit dem Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG. Die Voraussetzungen für die Einleitung eines Normenkontrollverfahrens nach Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG i.V.m. § 80 des Gesetzes über das [X.] sind daher nicht erfüllt.

Der Umstand, dass sich [X.] mit dem [X.], in dem der Steuerpflichtige die Betriebsstätte unterhält, im Rahmen eines [X.] darauf verständigt hat, die (positiven wie negativen) Betriebsstätteneinkünfte von der [X.] Steuer freizustellen und der Besteuerungshoheit allein des [X.]s zu unterstellen, ist ein hinreichender sachlicher Grund für den Ausschluss der Verlustberücksichtigung. Die Freistellung hat zur Folge, dass die der [X.] des [X.]s überlassenen Einkünfte infolge des [X.] [X.]s der inländischen Besteuerung entzogen sind; sie gelten als nicht vorhanden, von ihnen ist [X.] Einkommensteuer nicht zu entrichten (vgl. BVerfG-Beschluss in [X.] 30, 272, [X.] 1973, 431).

Das Fundamentalprinzip der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit steht der sachlichen Rechtfertigung des Ausschlusses der Verlustberücksichtigung nicht entgegen. Im Bereich des internationalen Steuerrechts wird das Leistungsfähigkeitsprinzip durch das Prinzip der zwischenstaatlichen Verteilungsgerechtigkeit (Quellen- oder Territorialitätsprinzip), das der Aufteilung von Steuersubstrat auf mehrere [X.] dient, eingeschränkt (vgl. Hey in Tipke/Lang, Steuerrecht, 24. Aufl., Rz 3.45, m.w.N.). Insofern ist im Bereich der Betriebsstättenbesteuerung der territoriale Bezug der Quelle zum Staatsgebiet des [X.]s als entscheidendes Kriterium für die bilaterale Aufteilung der Besteuerung (vgl. allgemein [X.] in [X.]/[X.], [X.], 7. Aufl., Grundlagen Rz 23) sachgerecht. Dies gilt nach Dafürhalten des Senats gleichermaßen für die Besteuerung positiver Einkünfte wie für die steuerliche Verlustberücksichtigung.

5. [X.] beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.

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I R 44/22 (I R 49/19, I R 17/16), I R 44/22, I R 49/19, I R 17/16

12.04.2023

Bundesfinanzhof 1. Senat

Urteil

vorgehend FG Hamburg, 6. August 2014, Az: 2 K 355/12, Urteil

Art 7 Abs 1 DBA ITA 1989, Art 24 Abs 3 Buchst a DBA ITA 1989, Art 43 EG vom 26.02.2001, Art 48 EG vom 26.02.2001, Art 49 AEUV, Art 54 AEUV, Art 20 EUGrdRCh, Art 3 Abs 1 GG, Abschn 16 Buchst d DBAProt ITA 1989, Nr 16 Buchst d DBAProt ITA 1989, Art 267 AEUV, Art 59 Abs 2 GG

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Urteil vom 12.04.2023, Az. I R 44/22 (I R 49/19, I R 17/16), I R 44/22, I R 49/19, I R 17/16 (REWIS RS 2023, 3560)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2023, 3560

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