Bundessozialgericht, Urteil vom 23.07.2015, Az. B 2 U 6/14 R

2. Senat | REWIS RS 2015, 7636

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Gegenstand

(Gesetzliche Unfallversicherung - Auslegung: Verletztenrentenbeginn gem § 72 Abs 1 Nr 1 SGB 7 - Beendigung bzw Wegfall des Verletztengeldanspruchs: Änderung in der Höhe wegen beendeter Arbeitsunfähigkeit - ein Versicherungsfall - Mehrfachbeschäftigung - einheitlicher Verletztengeldanspruch - kein Ausschlussprinzip hinsichtlich einer Doppelleistung: zeitgleicher Bezug von Verletztenrente und geringerem Verletztengeld - Ungleichbehandlung der Versichertengruppe mit Mehrfachbeschäftigung gegenüber Versicherten mit einer Beschäftigung - Rentenberechnung bei Mehrfachbeschäftigung: JAV gem §§ 82 Abs 1 S 1, 87 SGB 7)


Leitsatz

Bei mehreren Beschäftigungen beginnt die Verletztenrente bereits dann, wenn sich die Höhe des Anspruchs auf Verletztengeld ändert, weil in einer der Beschäftigungen die Arbeitsunfähigkeit endet.

Tenor

Auf die Revision des [X.] wird das Urteil des [X.] vom 31. März 2014 aufgehoben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des [X.] vom 17. September 2014 zurückgewiesen.

Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten auch für das Berufungs- und Revisionsverfahren zu erstatten.

Tatbestand

1

Der Kläger begehrt von der Beklagten die Zahlung von Verletztenrente für einen [X.]raum, in dem ihm wegen Arbeitsunfähigkeit in einer weiteren Beschäftigung ein Anspruch auf Verletztengeld zusteht.

2

Der im Jahre 1970 geborene Kläger übte zwei Beschäftigungen aus. Er war in einem Getränkegroßhandel als Fahrer und daneben als Spinningtrainer tätig. Im [X.]raum vom 1.11.2009 bis 31.10.2010 erzielte er aus seiner Beschäftigung als Fahrer ein Bruttoentgelt von 36 770,37 Euro und aus der stundenweise entlohnten Beschäftigung als Spinningtrainer 3028,52 Euro. Am 8.11.2010 stürzte er während seiner Tätigkeit als Fahrer und erlitt dadurch einen Bruch des rechten Fußgelenkes. Er war bis [X.] in beiden Beschäftigungen arbeitsunfähig. Seit dem 30.5.2011 arbeitete er in seiner Beschäftigung in dem Getränkegroßhandel wieder vollschichtig, nunmehr als Staplerfahrer. In seiner weiteren Beschäftigung als Spinningtrainer war der Kläger über den [X.] hinaus arbeitsunfähig. Mit bestandskräftigem Bescheid vom 14.6.2012 bewilligte ihm die Beklagte Verletztengeld bis zum 31.5.2012. Für dessen Höhe berücksichtigte sie für die [X.] ab 30.5.2011 nur noch das Entgelt aus der Tätigkeit als Spinningtrainer. Als Folge des [X.] verblieben schmerzhafte Bewegungseinschränkungen des oberen Sprunggelenkes des rechten Fußes, die bei dem Kläger im [X.]raum vom 30.5.2011 bis 31.5.2012 eine Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von [X.] bedingten.

3

Mit einem Bescheid über Gesamtvergütung vom 12.6.2012 bewilligte die Beklagte dem Kläger wegen der Folgen des Arbeitsunfalls eine als vorläufige Entschädigung zu zahlende Rente für den [X.]raum vom 1.6.2012 bis 31.12.2012 nach einer MdE von [X.]. Für die Berechnung des Jahresarbeitsverdienstes ([X.]) legte sie die Summe der erzielten Arbeitsentgelte aus beiden Beschäftigungen zugrunde. Der Kläger machte mit seinem Widerspruch geltend, ihm sei bereits ab 30.5.2011 eine Verletztenrente zu gewähren, weil er in seiner Beschäftigung in dem Getränkegroßhandel aufgrund der Verletzungsfolgen nicht mehr in der vorherigen Position eingesetzt werden könne. Der Widerspruch blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom [X.]). Verletztenrente könne erst ab dem 1.6.2012 gezahlt werden, weil dies der Tag sei, der dem Tag folge, an dem der Anspruch auf Verletztengeld ende.

4

Das [X.] hat mit Urteil vom [X.] die Bescheide der Beklagten abgeändert und sie verurteilt, dem Kläger bereits vom 30.5.2011 an Verletztenrente nach einer MdE von [X.] zu gewähren. Die den Beginn der Verletztenrente regelnde Vorschrift des § 72 Abs 1 Nr 1 [X.]B VII sei so auszulegen, dass bei Bestehen mehrerer [X.] bereits der Wegfall des ersten Anspruchs zum Beginn der Rentenzahlung führe. Auf die Berufung der Beklagten hat das L[X.] mit Urteil vom 31.3.2014 das Urteil des [X.] aufgehoben und die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, der Kläger habe erst ab 1.6.2012 Anspruch auf Verletztenrente, weil bis zum 31.5.2012 wegen der gesundheitlichen Folgen des Arbeitsunfalls ein Anspruch auf Verletztengeld bestanden habe. Zwar regele § 72 Abs 1 Nr 1 [X.]B VII nicht ausdrücklich den Rentenbeginn für den Fall, dass einem Verletztengeldanspruch mehrere Beschäftigungen zugrunde lägen und die unfallbedingte Arbeitsunfähigkeit in diesen Beschäftigungen zu unterschiedlichen [X.]punkten ende. Der Wille des Gesetzgebers gehe jedoch dahin, dass im Falle einer Ersterkrankung Verletztenrente nicht gleichzeitig mit Verletztengeld bezogen werden könne, weil [X.] aus dem System der gesetzlichen Unfallversicherung grundsätzlich vermieden werden sollten.

5

Der Kläger rügt mit seiner Revision die Verletzung des § 72 [X.]B VII. Diese Vorschrift müsse unter Berücksichtigung des Art 12 GG so ausgelegt werden, dass bei mehreren Beschäftigungen für den Rentenbeginn auf das Ende der Arbeitsunfähigkeit abzustellen sei, das bei Ausübung nur einer Beschäftigung zum Wegfall des Anspruchs auf Verletztengeld führen und damit den Beginn der Verletztenrente bestimmen würde. Die Rechtsauffassung des L[X.] beruhe auf einer überkommenen, der heutigen Berufswelt nicht mehr ausreichend Rechnung tragenden Vorstellung, dass ein Versicherter sein Erwerbseinkommen in aller Regel aus einer einzigen Beschäftigung beziehe.

6

Der Kläger beantragt,

        

das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 31. März 2014 aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des [X.] vom 17. September 2014 zurückzuweisen.

7

Die Beklagte beantragt,

        

die Revision zurückzuweisen.

8

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Entscheidungsgründe

9

Die zulässige Revision des [X.] ist begründet. Das Urteil des [X.] beruht auf einer Verletzung des § 72 Abs 1 [X.]B VII. Das [X.] hat zu Unrecht das Urteil des [X.] aufgehoben und die Klagen abgewiesen. Der Kläger hat auch für die [X.] vom 30.5.2011 bis 31.5.2012 Anspruch auf Zahlung einer Verletztenrente.

Das [X.] hat zu Recht auf die vom Kläger zulässig erhobene kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 1, Abs 4 [X.]G) die angefochtenen Bescheide abgeändert und die Beklagte zur Gewährung einer Verletztenrente als vorläufige Entschädigung dem Grunde nach (§ 130 Abs 1 Satz 1 [X.]G) auch für die [X.] vom 30.5.2011 bis 31.5.2012 verurteilt. Die Voraussetzungen für eine Verletztenrente nach einer MdE von [X.] lagen auch in diesem [X.]raum vor (hierzu unter 1.). Einem Rentenbeginn am 30.5.2011 stand nicht entgegen, dass der Kläger in diesem [X.]raum einen Anspruch auch auf ein Verletztengeld hatte, für dessen Höhe lediglich die Einnahmen aus der Beschäftigung als Spinningtrainer zu berücksichtigen waren (hierzu unter 2.). Über die Höhe der Verletztenrente (dazu unter 3.) hatte der [X.] nicht zu entscheiden.

1. Gemäß § 56 Abs 1 Satz 1 [X.]B VII (in der seit dem [X.] unverändert geltenden Fassung des [X.], [X.] 1254) haben Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit infolge eines Versicherungsfalls über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus um wenigstens [X.] gemindert ist, Anspruch auf eine Rente. Diese wird bei Minderung der Erwerbsfähigkeit als Teilrente geleistet und in Höhe des [X.] der Vollrente festgesetzt, der dem Grad der MdE entspricht (§ 56 Abs 3 Satz 2 [X.]B VII). Die Verletztenrente soll gemäß § 62 Abs 1 [X.]B VII während der ersten drei Jahre nach dem Versicherungsfall als vorläufige Entschädigung festgesetzt werden, wenn der Umfang der MdE noch nicht abschließend festgestellt werden kann. Diese Voraussetzungen waren für eine Rente nach einer MdE von [X.] auch im hier streitigen [X.]raum vom 30.5.2011 bis 31.5.2012 erfüllt. Insbesondere bedingte der Gesundheitsschaden, den der Kläger durch den mit Bescheid der Beklagten vom 12.6.2012 anerkannten Arbeitsunfall vom 8.11.2010 erlitten hatte, in dieser [X.] eine MdE von [X.]. Dies hat das [X.] den [X.] bindend (§ 163 [X.]G) festgestellt.

2. Die dem Kläger zustehende Verletztenrente war ihm ab dem 30.5.2011 zu zahlen. Der Anspruch des [X.] auf Verletztengeld änderte sich in der Höhe ab diesem Tage, weil er in seiner Beschäftigung in dem Getränkegroßhandel wieder arbeitsfähig war. Diese Änderung in der Höhe des Anspruchs auf Verletztengeld genügt für § 72 Abs 1 [X.] [X.]B VII. Gemäß § 72 Abs 1 [X.]B VII (in der ebenfalls seit dem [X.] unverändert geltenden Fassung des [X.], [X.] 1254) werden Renten von dem Tag an gezahlt, der auf den Tag folgt, an dem der Anspruch auf Verletztengeld endet ([X.]) oder der Versicherungsfall eingetreten ist, wenn kein Anspruch auf Verletztengeld entstanden ist ([X.]). Zwar steht nach dem bestandskräftigen, die Beteiligten gemäß § 39 [X.]B X bindenden Bescheid der Beklagten vom 14.6.2012 fest, dass ein Anspruch auf Verletztengeld wegen der unfallbedingten Arbeitsunfähigkeit des [X.] in der Beschäftigung als Spinningtrainer über den 30.5.2011 hinaus bis zum 31.5.2012 bestand. Für dessen Höhe waren jedoch ab dem 30.5.2011 nur noch die geringen Einnahmen aus dieser Beschäftigung zu berücksichtigen, weil der Kläger in seiner Beschäftigung im Getränkegroßhandel ab dem 30.5.2011 arbeitsfähig war. Wäre der Kläger ausschließlich als Fahrer beschäftigt gewesen, hätte die Verletztenrente unstreitig am 30.5.2011 begonnen. § 72 Abs 1 [X.] [X.]B VII ist so auszulegen, dass bei mehreren Beschäftigungen ein Anspruch auf Verletztenrente bereits dann beginnt, wenn der Anspruch auf Verletztengeld sich in der Höhe ändert und nunmehr in niedrigerer Höhe besteht, weil in einer von mehreren Beschäftigungen die Arbeitsunfähigkeit endet.

Anders als das [X.] meint, bestehen bei einer auf nur einem Versicherungsfall beruhenden Arbeitsunfähigkeit in mehreren Beschäftigungen nicht mehrere [X.], die jeweils zu unterschiedlichen [X.]punkten enden können, sondern nur ein einheitlicher Verletztengeldanspruch. Verletztengeld wird gemäß § 45 Abs 1 Satz 1 [X.] [X.]B VII erbracht, wenn der Versicherte infolge des Versicherungsfalls in der bisher ausgeübten Tätigkeit arbeitsunfähig ist. Die den Anspruch auf Verletztengeld begründende Arbeitsunfähigkeit ist nicht auf diejenige in der versicherten Tätigkeit beschränkt, deren Verrichtung zu dem Arbeitsunfall geführt hat (vgl [X.] in: Schulin, Handbuch des Sozialversicherungsrechts, Unfallversicherung, § 47 Rd[X.] 47). Die den Anspruch auf Verletztengeld begründende Arbeitsunfähigkeit kann sich bei mehreren Beschäftigungen auf alle Tätigkeiten auswirken oder aber auch nur im Hinblick auf einzelne Tätigkeiten einer von mehreren Beschäftigungen bestehen (vgl [X.], [X.]B VII, 4. Aufl 2009, § 47 Rd[X.]5). Dementsprechend berechnet sich die Höhe des [X.] nach § 47 Abs 1 [X.]B VII bei mehreren Beschäftigungen nicht nur unter Berücksichtigung der Entgelte aus der versicherten Tätigkeit, deren Verrichtung zum Unfall geführt hat, sondern aus dem Gesamtbetrag der Arbeitsentgelte in allen Beschäftigungen, an deren Ausübung der Versicherte infolge einer durch den Versicherungsfall bedingten Arbeitsunfähigkeit gehindert ist. Ist der Versicherte nur in einer Beschäftigung arbeitsunfähig, ist hingegen nur das Entgelt aus dieser Tätigkeit für die Höhe des [X.] zugrundezulegen (vgl B[X.] vom [X.] - B[X.]E 37, 189 = [X.] 2200 § 560 [X.]; [X.] in: [X.]/[X.]/[X.]/[X.], [X.]B VII, § 47 [X.] 26, Stand September 2010; [X.] in: [X.]/[X.]/[X.], [X.]B VII, 4. Aufl 2014, § 47 Rd[X.], 31 f; [X.], [X.]B VII, 4. Aufl 2009, § 47 Rd[X.]5; § 82 Rd[X.] 9; [X.] in: Schulin, Handbuch des Sozialversicherungsrechts, Unfallversicherung, § 47 Rd[X.] 47).

Der Wortlaut des § 72 Abs 1 [X.] [X.]B VII ist insofern offen. Er umfasst nicht zwangsläufig allein die Beendigung des (einheitlichen) Anspruchs auf Verletztengeld dem Grunde nach. Unter dem Ende des [X.] im Sinne dieser Regelung kann auch die Änderung des [X.] der Höhe nach verstanden werden mit der Folge, dass bei mehreren Beschäftigungen ein sich durch den Wegfall der Arbeitsunfähigkeit in Bezug auf eine Beschäftigung ergebender niedrigerer Verletztengeldanspruch dem Rentenanspruch nicht entgegensteht. Der Anspruch auf Verletztengeld "endet" auch, soweit er der Höhe nach aufgrund einer geringeren Bemessungsgrundlage entfällt.

Der sich aus der Gesetzessystematik ergebende Sinn und Zweck des § 72 Abs 1 [X.] [X.]B VII spricht dafür, dass bei mehreren Beschäftigungen die Verletztenrente nicht erst mit dem Wegfall des [X.], sondern auch dann beginnt, wenn der Anspruch auf Verletztengeld nur noch in niedrigerer Höhe besteht, weil in einer der Beschäftigungen die Arbeitsunfähigkeit geendet hat. Durch die Vorschrift des § 72 Abs 1 [X.] [X.]B VII soll die nahtlose Zahlung von Verletztenrente im [X.] an die Zahlung von Verletztengeld gewährleistet werden. Damit wird ein fortlaufender Ausgleich des unfallbedingten Schadens sichergestellt. Während das Verletztengeld den konkreten unfallbedingten Einkommensverlust bis zur möglichen Wiederherstellung der Erwerbsfähigkeit ersetzen soll, wird die Verletztenrente zum Ausgleich des abstrakten Schadens aufgrund einer unfallbedingt geminderten Erwerbsfähigkeit und zur Kompensation immaterieller Schäden gewährt. So wird die Verletztenrente auch dafür geleistet, dass ggf größere Anstrengungen erbracht werden müssen, um die bisherigen Einnahmen zu erwirtschaften, und dass ggf berufliche Veränderungen mit [X.] nicht möglich sind (vgl B[X.] vom 8.12.1992 - 1 RK 11/92 - B[X.]E 71, 299, 301 f = [X.] 3-2500 § 61 [X.] mwN, und vom 31.3.1998 - [X.] RA 49/96 R - B[X.]E 82, 83, 93 = [X.] 3-2600 § 93 [X.] 7). Bei mehreren Beschäftigungen kann die Verletztenrente diese Funktion nur erfüllen, wenn sie bereits mit dem Eintritt der Arbeitsfähigkeit in einer Beschäftigung, die zu einer geringeren Höhe des [X.] führt, beginnt. Andernfalls würde im Hinblick auf diese Beschäftigung keine Leistung aus der gesetzlichen Unfallversicherung gewährt, obwohl nach der Konzeption des Gesetzes ein Schadensausgleich entweder durch ein Verletztengeld oder eine Verletztenrente erfolgen soll und auch erfolgen würde, würde nur diese Beschäftigung als einzige ausgeübt.

Dass damit in Fällen der Ausübung mehrerer Beschäftigungen ggf Verletztenrente zeitgleich neben einem Verletztengeld bezogen werden kann, steht dieser Auslegung nicht entgegen. Entgegen der Ansicht des [X.] gibt es in der gesetzlichen Unfallversicherung kein Ausschlussprinzip, das einer solchen "Doppel"leistung entgegensteht. § 72 Abs 1 [X.] [X.]B VII verfolgt den Zweck, die Zahlung von Verletztenrente nach dem Ende des [X.] ohne Unterbrechung sicherzustellen. Das führt zwar bei Vorliegen nur einer Beschäftigung regelmäßig dazu, dass Verletztengeld und Verletztenrente nicht gleichzeitig bezogen werden können. Den gesetzlichen Regelungen des [X.]B VII ist jedoch nicht zu entnehmen, dass der Bezug einer Verletztenrente neben anderen Leistungen der gesetzlichen Unfallversicherung zwingend ausgeschlossen sein soll. So kann etwa nach § 48 [X.]B VII bei Wiedererkrankung eines Rentenbeziehers neben der Verletztenrente Verletztengeld bezogen werden.

Des Weiteren spricht auch die Entstehungsgeschichte des § 72 Abs 1 [X.] [X.]B VII gegen einen solchen zwingenden Ausschluss. Während die bis zum 31.12.1996 geltende Vorschrift des § 580 [X.] für den Beginn der Verletztenrente auf den Wegfall der Arbeitsunfähigkeit abstellte, ist nunmehr nach § 72 Abs 1 [X.] [X.]B VII das Ende des [X.] maßgebend. Der Gesetzgeber wollte mit dieser Regelung den Bezug einer Verletztenrente neben der Zahlung von Übergangsgeld zur Vermeidung einer unzureichenden Versorgung ermöglichen. Für schwerverletzte Versicherte, die während einer beruflichen Rehabilitation auf ein gegenüber dem Verletztengeld niedrigeres Übergangsgeld angewiesen waren, sollte ein früherer Rentenbeginn sichergestellt werden (vgl Gesetzesentwurf der Bundesregierung zum [X.], [X.]). Schließlich ist auch dem Urteil des [X.]s vom 15.5.2012 (B 2 U 31/11 R - NZS 2012, 909) ein solcher zwingender Ausschluss eines gleichzeitigen Bezugs beider Leistungen nicht zu entnehmen, weil diese Entscheidung nur den zeitgleichen Bezug von Verletztenrente und Verletztengeld bei Ausübung lediglich einer Beschäftigung betraf. Insofern trifft es zu, dass aus denselben Einnahmen bzw Entgeltbestandteilen innerhalb eines [X.] nicht zugleich ein Anspruch auf Verletztengeld und Verletztenrente berechnet werden kann. Auch bei einem Doppelbezug von Verletztengeld und Verletztenrente im Rahmen des § 48 [X.]B VII wird für die beiden Leistungen in der Regel jeweils auf einen anderen [X.] abgestellt, der für das Verletztengeld von dem Verdienst abhängt, den der Versicherte in der zwischenzeitlich wieder aufgenommenen Beschäftigung erzielte (vgl hierzu LPK-[X.]B VII-[X.], 4. Aufl 2014, Rd[X.] zu § 48 [X.]B VII und [X.], [X.]B VII, 4. Aufl 2009, Rd[X.] 4 zu § 48; vgl hierzu auch noch unter 3. am Ende).

Für eine Auslegung des § 72 Abs 1 [X.] [X.]B VII in dem Sinne, dass bereits bei einer Veränderung in der Höhe des [X.] aufgrund wieder eingetretener Arbeitsfähigkeit in einer Beschäftigung der Verletztengeldanspruch im Sinne der Norm "endet", spricht schließlich auch, dass eine andere Auslegung zu verfassungsrechtlich problematischen Ergebnissen führen könnte. Zwar ist entgegen der Auffassung des [X.] eine Verletzung seines Grundrechts aus Art 12 GG nicht ersichtlich, denn die Regelung des Rentenbeginns in § 72 Abs 1 [X.] [X.]B VII berührt schon nicht den Schutzbereich des Art 12 Abs 1 GG. Sie greift nicht unmittelbar in die Freiheit der Berufswahl oder der Berufsausübung ein. Auch ein mittelbarer Eingriff in die Berufsfreiheit erfolgt nicht, weil § 72 Abs 1 [X.] [X.]B VII nicht in einem engen Zusammenhang zur Berufsausübung steht und keine objektiv berufsregelnde Tendenz erkennen lässt (vgl hierzu zB [X.] vom 5.11.2014 - 1 [X.] - [X.]E 137, 350 mwN).

Jedoch trägt die vom [X.] vertretende Auslegung des § 72 Abs 1 [X.] [X.]B VII, die hier zu einem späteren Rentenbeginn führt, dem Gleichheitssatz des Art 3 Abs 1 GG nicht hinreichend Rechnung. Der allgemeine Gleichheitssatz des Art 3 Abs 1 GG ist verletzt, wenn eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten anders behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen könnten (stRspr des [X.]; vgl zB vom 27.2.2007 - 1 BvL 10/00 - [X.]E 117, 272, 300 = [X.] 4-2600 § 58 [X.] 7; vgl auch das Urteil des [X.]s vom 19.12.2013 - B 2 U 17/12 R - [X.] 4-2700 § 73 [X.]). Hier wird die Gruppe der Versicherten mit mehreren Beschäftigungen gegenüber der Gruppe der Versicherten mit nur einer Beschäftigung hinsichtlich des Rentenbeginns ungleich behandelt. Während bei Versicherten mit nur einer Beschäftigung nach Eintritt der Arbeitsfähigkeit und dem Ende des [X.] unmittelbar am darauf folgenden Tag bei einer rentenberechtigenden MdE die Verletztenrente beginnt, hätten in ihrer Hauptbeschäftigung ebenfalls arbeitsfähige Versicherte, wenn sie eine Nebenbeschäftigung ausgeübt haben, solange keinen Anspruch auf eine Verletztenrente, wie sie wegen der in der Nebenbeschäftigung weiter bestehenden Arbeitsunfähigkeit einen Anspruch auf Zahlung eines (Rest-) [X.] haben, auch wenn dieses - wie beim Kläger - deutlich geringer als die sonst zu gewährende Verletztenrente ist. Für diese Ungleichbehandlung lassen sich keine Gründe von solcher Art und solchem Gewicht finden, die diese Ungleichbehandlung rechtfertigen könnten. Das System der gesetzlichen Unfallversicherung geht ersichtlich nicht davon aus, dass jeweils das Innehaben nur einer Beschäftigung privilegiert werden oder dass gleichzeitige Beschäftigungen bei mehreren Arbeitgebern mit nachteiligen Folgen belegt werden sollten. Auch ist weder der Systematik des Leistungsrechts der gesetzlichen Unfallversicherung noch den Gesetzesmaterialien - wie oben dargelegt - ein generelles Verbot der zeitgleichen Gewährung von Verletztengeld und Verletztenrente zu entnehmen. Die vom [X.] erwogene, aber nicht näher belegte Möglichkeit, dass eine zeitgleiche Gewährung von Verletztengeld und Verletztenrente eine dem Gesundungsprozess gegenläufige Motivation bewirken könnte, könnte die aufgezeigte Ungleichbehandlung ebenfalls nicht rechtfertigen. Verletztenrente wird neben Verletztengeld bei mehreren Beschäftigungen in der vorliegenden Fallgestaltung gerade im Hinblick auf eine Beschäftigung gewährt, in der wieder Arbeitsfähigkeit besteht und damit der Gesundungsprozess abgeschlossen sein dürfte.

3. Da das [X.] die Beklagte entsprechend dem Antrag des [X.] nur dem Grunde nach zur Gewährung einer Verletztenrente nach einer MdE um [X.] ab 30.5.2011 verurteilt hat, war über die Höhe der Rente nicht zu entscheiden. Allerdings hat das [X.] in seinen insoweit nicht die Entscheidung tragenden Gründen seines Urteils ausgeführt, die Rentenhöhe sei nach den allgemeinen Vorschriften über den Jahresverdienst unter Berücksichtigung der Entgelte aus allen Beschäftigungen zu berechnen. Der [X.] sieht sich deshalb veranlasst, auf Folgendes hinzuweisen: Der Berechnung der Rente gemäß § 56 Abs 3 [X.]B VII für den [X.]raum vom 30.5.2011 bis 31.5.2012 dürfte als [X.] wohl nur das Arbeitsentgelt aus der Tätigkeit als Fahrer zugrundezulegen sein. Zwar errechnet sich der [X.] nach §§ 81, 82 Abs 1 Satz 1 [X.]B VII grundsätzlich aus dem Gesamtbetrag der Arbeitsentgelte und Arbeitseinkommen des Versicherten in den 12 Kalendermonaten vor dem Monat, in dem der Versicherungsfall eingetreten ist. Allerdings dürfte in Fällen der [X.] gemäß § 82 Abs 1 Satz 1, § 87 [X.]B VII für den für die Rentenberechnung maßgebenden [X.] nicht das Entgelt aus der Beschäftigung zu berücksichtigen sein, in der noch Arbeitsunfähigkeit und deshalb ein Verletztengeldanspruch besteht. Andernfalls würde der Kläger dann tatsächlich eine "Doppelleistung" bezogen auf seinen Verdienst aus der Nebenbeschäftigung erhalten, jedenfalls solange dieser weitere Verletztengeldanspruch besteht.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 183, 193 [X.]G.

Meta

B 2 U 6/14 R

23.07.2015

Bundessozialgericht 2. Senat

Urteil

Sachgebiet: U

vorgehend SG Freiburg (Breisgau), 17. September 2013, Az: S 9 U 4942/12, Urteil

§ 56 Abs 1 S 1 SGB 7, § 56 Abs 3 S 2 SGB 7, § 72 Abs 1 Nr 1 SGB 7, § 82 Abs 1 S 1 SGB 7, § 87 SGB 7, Art 3 Abs 1 GG

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Urteil vom 23.07.2015, Az. B 2 U 6/14 R (REWIS RS 2015, 7636)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2015, 7636

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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