Bundesgerichtshof, Beschluss vom 23.08.2023, Az. 2 ARs 268/23

2. Strafsenat | REWIS RS 2023, 6127

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Gegenstand

Bestimmung des örtlich zuständigen Jugendgerichts bei Aufenthaltswechsel des zwischenzeitlich volljährigen Angeklagten


Tenor

Der Abgabebeschluss des Amtsgerichts – Jugendrichter – [X.] vom 15. Dezember 2022 wird aufgehoben.

Dieses Gericht ist für die Untersuchung und Entscheidung der Sache weiter zuständig.

Gründe

I.

1

Die Jugendgerichte der Amtsgerichte [X.] und [X.] streiten um die Zuständigkeit für die Verhandlung und Entscheidung in zwei Jugendstrafsachen.

2

Den zwei Jugendstrafsachen liegen Anklagen der Staatsanwaltschaft [X.] gegen den heute 18-jährigen Angeklagten wegen Anstiftung zum Diebstahl und Unterschlagung in Tateinheit mit Nötigung zugrunde. Die ihm zur Last gelegten Straftaten soll der Angeklagte als Jugendlicher in [X.]     , dem Wohnort seiner Mutter, sowie in [X.]/U.    begangen haben. In den Anklageschriften werden insgesamt zwölf Zeugen benannt, von denen acht in [X.]      wohnhaft oder – als Polizeibeamte – über die dortige Polizeistation zu laden sind; weitere als Zeugen benannte Polizeibeamte sind bei den Polizeikommissariaten [X.]und [X.]     tätig. Der Angeklagte, der die Tatvorwürfe in seiner polizeilichen Beschuldigtenvernehmung bestritten bzw. keine Angaben zur Sache gemacht hat, war bei Anklageerhebung in [X.]    bei seiner Mutter wohnhaft. Mit Beschluss vom 30. Juli 2022 hat das Amtsgericht – [X.] – [X.] in der Sache 5 Ds 230 Js 21650/22 (324/22) die Anklage zugelassen und das Hauptverfahren eröffnet.

3

Am 11. September 2022 hat sich der Angeklagte in [X.]    abgemeldet und ist zu seinem Vater nach M.     im Bezirk des Amtsgerichts [X.] verzogen. Das Amtsgericht [X.] hat sodann die beiden Verfahren gemäß § 42 Abs. 3 Satz 1 JGG an das Amtsgericht – [X.] – [X.] abgegeben. Dieses hat die Übernahme abgelehnt, weil sie unzweckmäßig sei.

II.

4

1. Der [X.] ist als gemeinschaftliches oberes Gericht des Amtsgerichts [X.] ([X.]) und des Amtsgerichts [X.] (Oberlandesgerichtsbezirk [X.]) aufgrund der zulässigen Vorlage des letztgenannten Gerichts gemäß § 42 Abs. 3 Satz 2 JGG zur Entscheidung des [X.] berufen.

5

2. Der Abgabebeschluss des Amtsgerichts [X.] Helmstedt vom 15. Dezember 2022 ist aufzuheben. Zwar liegen die Voraussetzungen für eine Abgabe nach § 42 Abs. 3 Satz 1 JGG vor, nachdem der Angeklagte seinen tatsächlichen Aufenthaltsort nach Anklageerhebung gewechselt hat (vgl. dazu Senat, Beschluss vom 18. März 2014 – 2 [X.], juris Rn. 1 mwN). Die Abgabe, die im richterlichen Ermessen steht („kann“), erweist sich im vorliegenden Fall aber als unzweckmäßig. Der Grundsatz, dass sich Jugendliche vor dem für ihren Aufenthaltsort zuständigen Gericht verantworten sollen, das regelmäßig über die größte Sachnähe verfügt, kann zur Vermeidung erheblicher Verfahrenserschwernisse durchbrochen werden (vgl. Senat, Beschlüsse vom 16. April 2003 – [X.], juris Rn. 2; vom 11. Februar 2014 – 2 [X.], juris Rn. 1; vom 8. September 2015 – 2 [X.], juris Rn. 1; vom 28. April 2020 – 2 [X.], juris Rn. 3 und vom 10. Juni 2021 – 2 [X.], juris Rn. 5).

6

Dies ist hier geboten. Eine Abgabe des Verfahrens an das für den neuen Wohnsitz des Angeklagten zuständige Amtsgericht [X.] ist aus verfahrensökonomischer Sicht nicht vertretbar. Der [X.] des Amtsgerichts [X.] hat über die Eröffnung des Hauptverfahrens in einem der zwei Strafverfahren entschieden und ist damit bereits in die Sache eingearbeitet, während sich der [X.] des Amtsgerichts [X.] zunächst noch einarbeiten müsste. Dies würde zu weiterer, nicht hinnehmbarer Verzögerung des Verfahrens führen, das ohnehin schon nicht mit der in Jugendstrafsachen gebotenen Beschleunigung geführt worden ist. Im Falle einer Hauptverhandlung vor dem Amtsgericht [X.] müssten überdies sämtliche Zeugen aus [X.]     , [X.]bzw. [X.]    anreisen (einfache Fahrtstrecke zwischen 742 und 775 km), was für den Angeklagten mit einem entsprechenden Kostenrisiko verbunden wäre (vgl. §§ 74, 109 Abs. 2 JGG). Eine Hauptverhandlung vor dem Amtsgericht [X.] hätte demgegenüber nur für den Angeklagten selbst einen erhöhten [X.] zur Folge, der ihm ohne Weiteres zugemutet werden kann, zumal zwei weitere gegen den Angeklagten geführte Strafverfahren, die nicht Gegenstand der Vorlage gemäß § 42 Abs. 3 Satz 2 JGG sind, beim Amtsgericht [X.] anhängig sind. Darüber hinaus wohnt seine Mutter nach wie vor im dortigen Bezirk.

7

Hinzu kommt schließlich, dass der Angeklagte zu den [X.] zwar noch Jugendlicher war, inzwischen jedoch volljährig ist. Bei dieser Sachlage tritt der erzieherisch relevante Gesichtspunkt der Entscheidungsnähe des für den Wohnsitz zuständigen Gerichts zurück (vgl. Senat, Beschluss vom 28. April 2020 – 2 [X.], juris Rn. 3 mwN).

[X.]     

      

Zeng     

      

Meyberg

      

Grube     

      

Schmidt     

      

Meta

2 ARs 268/23

23.08.2023

Bundesgerichtshof 2. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: ARs

§ 42 Abs 3 S 1 JGG

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 23.08.2023, Az. 2 ARs 268/23 (REWIS RS 2023, 6127)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2023, 6127

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