Bundesgerichtshof, Beschluss vom 15.11.2023, Az. 2 ARs 386/23

2. Strafsenat | REWIS RS 2023, 8300

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Tenor

Der Abgabebeschluss des Amtsgerichts – Jugendrichter – [X.] vom 26. Juni 2023 wird aufgehoben.

Dieses Gericht ist für die Untersuchung und Entscheidung der Sache weiter zuständig.

Gründe

I.

1

Die Jugendrichter der Amtsgerichte [X.] und [X.] streiten um die Zuständigkeit für die Verhandlung und Entscheidung in einer [X.].

2

Der [X.] liegt eine Anklage der Staatsanwaltschaft [X.] gegen den heute 19-jährigen Angeklagten [X.]und der erwachsenen Mitangeklagten [X.]wegen gefährlicher Körperverletzung und weiterer Straftaten zugrunde. Die Jugendrichterin des Amtsgerichts [X.] hat die am 17. April 2023 eingegangene Anklage mit Beschluss vom 11. Mai 2023 zugelassen und das Hauptverfahren eröffnet.

3

Da der vormals in S.           wohnhafte Angeklagte [X.]           seit dem 17. April 2023 mit Wohnsitz in [X.]     gemeldet ist, hat das Amtsgericht [X.] den für den 4. Juli 2023 vorgesehenen Hauptverhandlungstermin aufgehoben und das Verfahren gemäß § 42 Abs. 3 Satz 1 JGG an das Amtsgericht [X.] abgegeben, da „die Angeklagten […] sich im Bezirk dieses Gerichts“ aufhielten.

4

Das Amtsgericht [X.] hält die Verfahrensabgabe für rechtsfehlerhaft und hat die Sache dem [X.] zur Entscheidung über die Zuständigkeit vorgelegt.

II.

5

1. Der [X.] ist als gemeinschaftliches oberes Gericht des Amtsgerichts [X.] (Bezirk des [X.]) und des Amtsgerichts [X.] (Bezirk des [X.]) aufgrund der zulässigen Vorlage des letztgenannten Gerichts gemäß § 42 Abs. 3 Satz 2 JGG zur Entscheidung des Zuständigkeitsstreits berufen.

6

2. Der Abgabebeschluss des Amtsgerichts [X.] vom 26. Juni 2023 ist aufzuheben. Die Voraussetzungen für eine Abgabe nach § 42 Abs. 3 Satz 1 JGG liegen nicht vor, weil der Angeklagte [X.]           seinen Aufenthaltsort nicht nach, sondern allenfalls zeitgleich mit der Erhebung der Anklage gewechselt hat (vgl. dazu [X.], Beschluss vom 18. März 2014 – 2 [X.], juris Rn. 1 mwN). Der Angeklagte [X.]           ist erst seit dem 17. April 2023 mit Wohnsitz in [X.]     gemeldet; an diesem Tag ist auch die Anklageschrift bei dem Amtsgericht [X.] eingegangen. Bei dieser Sachlage ist eine Verfahrensabgabe nicht zulässig.

7

Die Abgabe, die im richterlichen Ermessen steht („kann“), erwiese sich im vorliegenden Fall zudem als unzweckmäßig. Der Grundsatz, dass sich Jugendliche bzw. Heranwachsende vor dem für ihren Aufenthaltsort zuständigen Gericht verantworten sollen, das regelmäßig über die größte Sachnähe verfügt, kann zur Vermeidung erheblicher Verfahrenserschwernisse durchbrochen werden (vgl. [X.], Beschlüsse vom 16. April 2003 – [X.], juris Rn. 2; vom 11. Februar 2014 – 2 [X.], juris Rn. 1; vom 8. September 2015 – 2 [X.], juris Rn. 1; vom 28. April 2020 – 2 [X.], juris Rn. 3, und vom 10. Juni 2021 – 2 [X.], juris Rn. 5).

8

Eine Abgabe des Verfahrens an das für den neuen Wohnsitz des Angeklagten [X.]           zuständige Amtsgericht [X.] wäre aus verfahrensökonomischer Sicht nicht vertretbar. Die Jugendrichterin des Amtsgerichts [X.] hat über die Eröffnung des Hauptverfahrens entschieden und ist damit bereits in die Sache eingearbeitet, während sich der Jugendrichter des Amtsgerichts [X.] zunächst noch einarbeiten müsste. Dies würde zu weiterer, nicht hinnehmbarer Verzögerung des Verfahrens führen. Eine Hauptverhandlung vor dem Amtsgericht [X.] hätte nur für den Angeklagten selbst einen erhöhten [X.] zur Folge, der ihm ohne Weiteres zugemutet werden kann, zumal er inzwischen 19 Jahre alt ist. Bei dieser Sachlage tritt der erzieherisch relevante Gesichtspunkt der Entscheidungsnähe des für den Wohnsitz zuständigen Gerichts zurück (vgl. [X.], Beschluss vom 28. April 2020 – 2 [X.], juris Rn. 3 mwN).

Auf den Wohnsitz der erwachsenen Mitangeklagten A.            , die bei Tatbegehung weder Jugendliche noch Heranwachsende war und die überdies nicht nach [X.]      verzogen, sondern weiterhin in S.         gemeldet ist, kommt es für die Bestimmung der Zuständigkeit nicht an.

[X.]     

      

Zeng     

      

Grube 

      

[X.]     

      

Lutz     

      

Meta

2 ARs 386/23

15.11.2023

Bundesgerichtshof 2. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: ARs

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 15.11.2023, Az. 2 ARs 386/23 (REWIS RS 2023, 8300)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2023, 8300

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