Bundesgerichtshof, Urteil vom 21.07.2022, Az. X ZR 110/21

10. Zivilsenat | REWIS RS 2022, 4958

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Gegenstand

Rechtschutzbedürfnis bei Klage gegen erloschenes Patent erforderlich - Stammzellengewinnung


Leitsatz

Stammzellengewinnung

Das Interesse der Allgemeinheit an der Beseitigung eines zu Unrecht erteilten Patents rechtfertigt die Nichtigkeitsklage nur solange, als das Recht noch wirksam und in Kraft ist. Ab dem Zeitpunkt, in dem das Recht entfallen ist, ist die Nichtigkeitsklage nur zulässig, wenn dem Kläger ein Rechtsschutzbedürfnis zur Seite steht. Das allgemeine Interesse an der Sicherung einer gesetzeskonformen Erteilungspraxis des Patentamts - hier hinsichtlich § 2 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 PatG - ist nicht geeignet, ein Rechtsschutzbedürfnis zu begründen (Fortführung von BGH, Beschluss vom 17. April 1997 - X ZB 10/96, GRUR 1997, 615 - Vornapf).

Tenor

Die Berufung gegen das Urteil des 3. Senats ([X.]) des [X.] vom 5. Oktober 2021 wird auf Kosten des [X.] zurückgewiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

Der Beklagte war Inhaber des [X.] 2004 062 184 ([X.]), das am 23. Dezember 2004 angemeldet wurde und ein Verfahren zur embryonenerhaltenden Gewinnung pluripotenter Stammzellen betrifft.

2

Patentanspruch 1, auf den sieben weitere Ansprüche zurückbezogen sind, lautete:

Verfahren zur embryonenerhaltenden Gewinnung pluripotenter embryonaler Stammzellen, bei dem

a) in der [X.] pellucida von fixierten [X.] ein Kanal geöffnet wird,

b) durch diesen Kanal ein geeignetes Instrument zur Mobilisierung von Zellen durch den [X.] bis zur inneren Zellmasse geführt wird und mit diesem Instrument einige Stammzellen der inneren Zellmasse mobilisiert werden, und

c) die mobilisierten Stammzellen abgesaugt werden, mit der Maßgabe, dass die Entnahme die Lebensfähigkeit der [X.] nicht beeinträchtigt.

3

Der Kläger hat geltend gemacht, das Streitpatent sei wegen Verstoßes gegen den [X.] nach § 2 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 [X.] für nichtig zu erklären, soweit [X.] menschlichen Ursprungs erfasst seien. Die Blastocyste (Keimblase) ist ein bestimmtes Entwicklungsstadium der Embryogenese, in dem bei Menschen und Säugetieren die Einnistung in die Gebärmutter erfolgt.

4

Der Beklagte hat erklärt, der Klage nicht zu widersprechen und auf die Geltendmachung von Ansprüchen aus dem Streitpatent gegenüber dem Kläger zu verzichten.

5

Während des Verfahrens des ersten Rechtszugs ist das Streitpatent durch Nichtzahlung der Jahresgebühr erloschen.

6

Das Patentgericht hat die Klage als unzulässig abgewiesen und dem Kläger die Kosten des Rechtsstreits auferlegt. Hiergegen wendet sich der Kläger mit der Berufung, mit der er seinen Antrag erster Instanz weiterverfolgt. Der Beklagte tritt dem Rechtsmittel entgegen.

Entscheidungsgründe

7

Die zulässige Berufung ist nicht begründet.

8

I. Das Patentgericht ([X.], 117) hat zur Begründung seiner Entscheidung im Wesentlichen ausgeführt:

9

Die Nichtigkeitsklage sei infolge des Erlöschens des Streitpatents unzulässig geworden. Da das Allgemeininteresse an der Nichtigerklärung eines unberechtigten Schutzrechts mit dessen Erlöschen entfalle, sei die Nichtigkeitsklage ab diesem Zeitpunkt nur noch zulässig, wenn der [X.] ein Rechtsschutzbedürfnis zuzubilligen sei. Daran fehle es hier, weil Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger aus dem Streitpatent in Anspruch genommen werde, nicht vorgetragen seien.

II. Diese Beurteilung hält der Überprüfung im Berufungsrechtszug stand.

1. Die auf Nichtigerklärung eines in [X.] stehenden Patents gerichtete Klage ist als [X.] ausgestaltet.

Solange ein Patent in [X.] steht, kann es grundsätzlich von jedermann mit der Nichtigkeitsklage angegriffen werden. Dem liegt die Erwägung zugrunde, dass der [X.] im Interesse der Allgemeinheit daran handelt, dass zu Unrecht erteilte technische Schutzrechte beseitigt werden (so schon [X.] 1893, 351; [X.], 209; [X.], [X.], 1877, § 27 [X.] III; Seligsohn, [X.], 6. Aufl. 1920, § 28 [X.] 4).

Danach ist der Kläger vom Nachweis eines eigenen Interesses an der Rechtsverfolgung entbunden, wenn und solange das angegriffene Patent noch in [X.] steht. Die Nichtigkeitsklage als [X.] stellt, wie der [X.] bereits ausgesprochen hat, eine Ausnahme von dem Grundsatz dar, dass eine behördliche Maßnahme nur unter Berufung auf eigene Rechte angegriffen werden kann und sich der Einzelne, sofern dies nicht gesetzlich vorgesehen ist, nicht zum Sachwalter von Belangen der Allgemeinheit machen kann ([X.], Beschluss vom 17. April 1997 - [X.], [X.], 615, 617 - [X.]).

2. Richtet sich die Klage - wie hier - gegen ein erloschenes Patent, ist sie hingegen nur zulässig, wenn dem Kläger ein Rechtsschutzbedürfnis zur Seite steht.

Das Interesse der Allgemeinheit an der Beseitigung eines zu Unrecht erteilten, nicht schutzfähigen Patents rechtfertigt die Nichtigkeitsklage nur solange, als das Recht noch wirksam und in [X.] ist. Ist es hingegen entfallen, kann es allenfalls noch Rechte Einzelner betreffen. Ab diesem Zeitpunkt kann ein Angriff auf das Schutzrecht nicht mehr mit Allgemeininteressen gerechtfertigt werden, vielmehr muss ein Rechtsschutzbedürfnis dargelegt werden ([X.], Urteil vom 13. Juli 2004 - [X.], [X.], 849 juris Rn. 12 - Duschabtrennung; Beschluss vom 14. Februar 1995 - [X.], [X.], 342 juris Rn. 9 - Tafelförmige Elemente; Urteil vom 26. Juni 1973 - [X.], [X.], 146 juris Rn. 25 f. - Schraubennahtrohr; [X.], Urteil vom 29. September 1964 - [X.], GRUR 1965, 231, 232 - Zierfalten; ebenso schon [X.] 1897, 636 (637); siehe ferner zum Gebrauchsmusterlöschungsverfahren [X.], Beschluss vom 12. März 1981 - [X.], GRUR 1981, 515 juris Rn. 13 f. - Anzeigegerät; Beschluss vom 18. März 1975 - [X.], [X.], 30 juris Rn. 11 f. - Lampenschirm; zum Einspruchsverfahren [X.] [X.], 615 - [X.]). Dies gilt sowohl dann, wenn das Streitpatent bereits bei Klageerhebung nicht mehr in [X.] steht, als auch bei einem Erlöschen des Streitpatents während des Rechtsstreits ([X.] GRUR 1965, 231, 233 - Zierfalten). Maßgeblich für das Vorliegen des [X.] ist der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung ([X.] [X.], 849 juris Rn. 12 - Duschabtrennung).

Die Rechtsprechung bejaht ein solches Rechtsschutzbedürfnis insbesondere dann, wenn der Kläger damit rechnen muss, dass er wegen Verletzungshandlungen in der Vergangenheit aus dem damals noch bestehenden Patent in Anspruch genommen wird ([X.], Urteil vom 26. Januar 2021 - [X.], [X.], 696 Rn. 7 - Phytase; Beschluss vom 13. Juli 2020 - [X.], [X.], 1074 Rn. 28 - Signalübertragungssystem).

Im Streitfall liegen hierfür keine Anhaltspunkte vor. Der Kläger macht keine Beeinträchtigung eigener subjektiver Rechte geltend, sondern beruft sich auf das allgemeine Interesse an der Sicherung einer gesetzeskonformen Erteilungspraxis des Patentamts. Dieses ist nicht geeignet, ein Rechtsschutzbedürfnis (gerade) des [X.] zu begründen ([X.] [X.], 615, 617 - [X.]).

3. Die mit einer Nichtigerklärung verbundene weitergehende Wirkung rechtfertigt keine andere Beurteilung.

Mit der Nichtigerklärung gelten die Wirkungen des Patents und der [X.]eldung als von Anfang an nicht eingetreten (§ 22 Abs. 2 iVm § 21 Abs. 3 Satz 1 [X.]). Dagegen erlischt das Patent mit der Nichtzahlung der Jahresgebühr nur mit Wirkung für die Zukunft.

Der Kläger macht insoweit geltend, eine Entscheidung in der Sache sei geboten, weil anderenfalls der Rechtsschein einer staatlichen Billigung der Verwendung menschlicher Embryonen bestehen bleibe.

Wie der [X.] bereits entschieden hat, genügt der Hinweis auf die weitergehende Wirkung einer Nichtigerklärung jedoch nicht, um ein eigenes rechtliches Interesse des [X.] an der Fortführung des Patentnichtigkeitsverfahrens zu begründen ([X.] GRUR 1965, 231, 233 - Zierfalten).

4. Anders als der Kläger meint, nötigt das Verfassungsrecht nicht dazu, ihm die Befugnis einzuräumen, das Interesse der Allgemeinheit am gesetzmäßigen Verhalten der Erteilungsbehörde auch nach dem Erlöschen des Patents gerichtlich geltend zu machen.

Die Verfassung gewährleistet, dass demjenigen, der geltend machen kann, durch die öffentliche Gewalt in seinen Rechten verletzt zu sein, der Rechtsweg offensteht (Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG). Dagegen ist es verfassungsrechtlich nicht geboten, jedermann das Recht einzuräumen, im Interesse der Allgemeinheit gerichtlich gegen (vermeintlich) rechtswidrige staatliche Maßnahmen vorzugehen ([X.], Beschluss vom 10. Juni 2009 - 1 BvR 198/08, [X.], 1426, 1427; Schmidt-Aßmann in [X.]/Herzog/Scholz, Grundgesetz, Stand Juli 2021, Art. 19 Abs. 4 Rn. 9). Dies gilt auch dann, wenn geltend gemacht wird, dass ein Patent für eine Erfindung, die auf die Verwendung von menschlichen Embryonen zu industriellen oder kommerziellen Zwecken gerichtet ist und damit gegen die öffentliche Ordnung oder die guten Sitten verstoßen würde, vom Patentamt unter Verstoß gegen § 2 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 [X.] erteilt worden sei.

Der Hinweis des [X.] auf die Entscheidung des [X.] zum Rechtsschutz gegen unzureichende Maßnahmen des Gesetzgebers zum Schutz vor den Gefahren des Klimawandels ([X.], Beschluss vom 24. März 2021 - 1 BvR 2656/18 u.a., [X.]E 157, 30 - Klimaschutz), führt zu keiner anderen Beurteilung. Das [X.] hat in dieser Entscheidung eine Befugnis zur Erhebung einer Verfassungsbeschwerde damit begründet, die Beschwerdeführer könnten geltend machen, in ihrem grundrechtlichen Anspruch auf Schutz des Lebens, der körperlichen Unversehrtheit und des Eigentums verletzt zu sein ([X.]E 157, 30 Rn. 96 ff.). Eine solche Betroffenheit in eigenen Rechten kann der Kläger hier, wie oben bereits ausgeführt wurde, nicht geltend machen.

III. Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 121 Abs. 2 [X.] und § 97 Abs. 1 ZPO.

Grabinski    

        

Hoffmann    

        

Deichfuß

        

Kober-Dehm    

        

Crummenerl    

        

Meta

X ZR 110/21

21.07.2022

Bundesgerichtshof 10. Zivilsenat

Urteil

Sachgebiet: ZR

vorgehend BPatG München, 5. Oktober 2021, Az: 3 Ni 31/19, Urteil

§ 2 Abs 2 S 1 Nr 3 PatG, § 81 PatG

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 21.07.2022, Az. X ZR 110/21 (REWIS RS 2022, 4958)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2022, 4958 GRUR 2022, 1628 REWIS RS 2022, 4958 MDR 2022, 1491-1492 REWIS RS 2022, 4958


Verfahrensgang

Der Verfahrensgang wurde anhand in unserer Datenbank vorhandener Rechtsprechung automatisch erkannt. Möglicherweise ist er unvollständig.

Az. 3 Ni 31/19

Bundespatentgericht, 3 Ni 31/19, 05.10.2021.


Az. X ZR 110/21

Bundesgerichtshof, X ZR 110/21, 21.07.2022.


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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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