Bundespatentgericht, Beschluss vom 20.10.2010, Az. 7 W (pat) 333/06

7. Senat | REWIS RS 2010, 2186

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Gegenstand

Patenteinspruchsverfahren – "Vorrichtung zum Heißluftnieten" – zur Erledigung des Einspruchs- bzw. Einspruchsbeschwerdeverfahren: Erledigung in der Hauptsache möglich – teilweise Erledigung bei Erlöschen des Patents durch Patentverzicht oder Nichtzahlung der Jahresgebühr – zum Rechtsschutzziel des Einspruchs - zum besonderen Rechtsschutzbedürfnis des Einsprechenden nach dem Erlöschen des Streitpatents – Ausgestaltung des auf rückwirkende Beseitigung eines Verwaltungsaktes gerichteten Einspruchs als Popularrechtsbehelf – zum Allgemeininteresse an der rückwirkenden Beseitigung der Patenterteilung – im Falle des Erlöschens des Streitpatents und des Ausschlusses, für die Vergangenheit noch Ansprüche aus dem Patent gegenüber dem Einsprechenden/Dritten geltend zu machen: Einspruchsverfahren ist in der Hauptsache (insgesamt) erledigt - Patentinhaber hat Wegfall des Allgemeininteresses darzulegen und nachzuweisen


Leitsatz

Vorrichtung zum Heißluftnieten

1. Auch das Einspruchs- bzw. Einspruchsbeschwerdeverfahren kann sich in der Hauptsache erledigen; denn bei der Erledigung der Hauptsache handelt es sich um einen allgemeinen Verfahrensgrundsatz, der in allen Verfahrensarten zum Tragen kommen kann.

2. Erlischt das Patent infolge eines Patentverzichts oder der Nichtzahlung der Jahresgebühr nach § 20 Abs. 1 PatG, erledigt sich das Einspruchs- bzw. Einspruchsbeschwerdeverfahren allerdings nur zum Teil, weil hierdurch das Rechtsschutzziel des Einspruchs nicht verwirklicht wird. Dieses ist nämlich auf die (nachträgliche) Beseitigung der Patenterteilung als begünstigender Verwaltungsakt mit Doppelwirkung gerichtet. Eine solche Wirkung kommt dem Erlöschen des Patents jedoch nicht zu. Vielmehr lässt das Erlöschen des Patents die Geltung dieses Verwaltungsaktes unberührt und verkürzt lediglich die sich aus der Patenterteilung ergebende Schutzdauer des Patents nach § 16 PatG. Damit kann es aber nur zu einer teilweisen Verwirklichung des mit dem Einspruch verfolgten Rechtsschutzziels führen.

3. Die Annahme einer vollständigen Erledigung der Hauptsache kann nicht davon abhängig gemacht werden, dass der Einsprechende nach dem Erlöschen des Streitpatents ein eigenes Rechtsschutzbedürfnis (abweichend von BGH GRUR 1997, 615 - Vornapf; BPatG [20. Senat] GRUR 2009, 612 - Auslösevorrichtung) oder ein besonderes Interesse analog § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO (abweichend von BPatG [21. Senat] GRUR 2010, 363 - Radauswuchtmaschine) geltend macht. Aus demselben Grund scheidet auch eine Verwerfung des Einspruchs als nachträglich unzulässig geworden entgegen BPatG [20. Senat] GRUR 2009, 612 - Auslösevorrichtung aus.

4. Das Erfordernis eines besonderen Rechtsschutzbedürfnis des Einsprechenden nach dem Erlöschen des Streitpatents kann auch nicht damit begründet werden, mit dem Erlöschen des Patents sei das Allgemeininteresse an seiner nachträglichen Beseitigung generell, d. h. unabhängig vom konkreten Einzelfall entfallen. Da das Gesetz den auf die rückwirkende Beseitigung eines Verwaltungsaktes gerichteten Einspruch ausdrücklich als Popularrechtsbehelf ausgestaltet hat, besteht das Allgemeininteresse auch an der rückwirkenden Beseitigung der Patenterteilung, ist also auch auf die Beseitigung seiner Folgen für die Zeit vor dem Erlöschen des Patents gerichtet. Daher gehören zum Allgemeininteresse auch die Interessen derjenigen, welche bereits vor dem Erlöschen des Patents von diesem als Verletzer oder Lizenznehmer betroffen worden sind. Damit ist die Ansicht, das Allgemeininteresse rechtfertige die auf Beseitigung der Patenterteilung gerichteten Anträge des Einsprechenden nur so lange, wie das Patent noch wirksam und in Kraft sei (so aber BPatG 4 W (pat) 9/86, wiedergegeben in: BGH GRUR 1997, 615 - Vornapf; zustimmend BPatG [21. Senat] GRUR 2010, 363, 364 - Radauswuchtmaschine), nicht zu vereinbaren. Da das Allgemeininteresse vom Gesetz vorausgesetzt wird, muss sein Wegfall vielmehr von Amts wegen ausdrücklich im jeweiligen Einzelfall konkret festgestellt werden; demgegenüber lässt sich die Annahme eines generellen Wegfalls des Allgemeininteresses weder aus § 59 Abs. 2 PatG noch daraus, dass in der Vergangenheit "allenfalls Einzelne" betroffen seien noch durch einen Hinweis auf die fortbestehende Möglichkeit zur Nichtigkeitsklage rechtfertigen (abweichend von BPatG [21. Senat] GRUR 2010, 363 - Radauswuchtmaschine).

5. Mit einem konkret festgestellten Wegfall des Allgemeininteresses wäre allerdings auch das mit dem Einspruch verfolgte rechtliche und wirtschaftliche (Individual-) Interesse des Einsprechenden befriedigt. Da bereits zweifelhaft ist, ob ein vom Allgemeininteresse nicht bereits erfasstes Individualinteresse - insbesondere ein ideelles - überhaupt ein Rechtsschutzbedürfnis begründen kann, kann dahinstehen, aus welchem rechtlichen Grund sich bei einem konkret festgestellten Wegfall des Allgemeininteresses das Erfordernis zur Darlegung eines besonderen Rechtsschutzbedürfnisses des Einsprechenden ergeben könnte. Die hierfür gegebenen Begründungen (BGH GRUR 1997, 615 - Vornapf; BPatG [21. Senat] GRUR 2010, 363 - Radauswuchtmaschine) vermögen hierzu allerdings nicht zu überzeugen.

6. In erweiternder Fortführung von BGH GRUR 1995, 571 - Künstliche Atmosphäre ist das Einspruchsverfahren aber in der Hauptsache (insgesamt) erledigt, wenn über das Erlöschen des Streitpatents hinaus auszuschließen ist, dass auch für die Vergangenheit noch Ansprüche aus dem Patent gegenüber dem Einsprechenden oder Dritten geltend gemacht werden können. Da dem Patentamt oder dem Bundespatentgericht solche Feststellungen aber von Amts wegen verschlossen sind, obliegt es daher dem Patentinhaber, im konkreten Einzelfall einen solchen Wegfall des Allgemeininteresses darzulegen und ggf. nachzuweisen. Hierfür reicht es aus, wenn der Patentinhaber gegenüber dem Deutschen Patent- und Markenamt eine allgemeine Freistellungserklärung für alle Ansprüche aus dem Streitpatent für die Vergangenheit abgibt oder ein Beschränkungsverfahren nach § 64 PatG mit dem Ziel des Widerrufs des Streitpatents betreibt. Zwar wird auch hierdurch das eigentliche Rechtsschutzziel des Einspruchs nicht erreicht, die Kombination von Patenterlöschung und Freistellungserklärung führt wegen des hiermit verbundenen vollständigen Ausschlusses von Ansprüchen aus der streitgegenständlichen (angeblichen) Erfindung aber zu denselben (tatsächlichen, insbesondere wirtschaftlichen) Folgen wie der Widerruf des Streitpatents, so dass das Ziel des Einspruchs auf eine andere Art und Weise als durch den Widerruf des Patents erreicht wird. Dies reicht nach der zivil- und verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung für die Bejahung einer Erledigung der Hauptsache aus, so dass in diesen Fällen, ohne dass es einer Prüfung eines evtl. Rechtsschutzbedürfnisses des Einsprechenden noch bedürfte, die Erledigung des Einspruchs- bzw. Einspruchsbeschwerdeverfahrens in der Hauptsache ausdrücklich von Amts wegen festzustellen ist.

Tenor

In der Einspruchssache

betreffend das Patent 103 52 821

hat der 7. Senat (Technischer Beschwerdesenat) des [X.] am 20. Oktober 2010 durch [X.] und [X.], [X.] und Dipl.-Ing. Schlenk

beschlossen:

1. Das Einspruchsverfahren ist in der Hauptsache erledigt.

2. [X.] wird zugelassen.

Gründe

I.

1

Die Einsprechende hat gegen das am 12. November 2003 angemeldete Patent 103 52 821 mit der Bezeichnung

2

3

dessen Erteilung am 19. Januar 2006 veröffentlicht worden ist, mit Schriftsatz vom 7. April 2006, der am selben Tag beim [X.] eingegangen ist, Einspruch erhoben.

4

Das Patent ist wegen Nichtzahlung der Jahresgebühr erloschen, was am 1. Juni 2010 in das [X.] eingetragen worden ist.

5

Auf den entsprechenden Hinweis des Senats hat die Patentinhaberin mit Schriftsatz vom 13. September 2010 gegenüber dem [X.]  erklärt, die Einsprechende sowie alle Dritte, seien sie ihr bekannt oder nicht, von allen möglichen Ansprüchen, gleich ob bekannt oder geltend gemacht, freizustellen.

6

Die Einsprechende hat hierauf mit Schriftsatz vom 22. September 2010 erklärt, kein Rechtsschutzinteresse am Fortgang des Verfahrens zu besitzen.

II.

7

A. Der Senat ist für die Entscheidung im vorliegenden Einspruchsverfahren auch nach der - mit Wirkung vom 1. Juli 2006 erfolgten - Aufhebung der [X.] des § 147 Abs. 3 [X.] auf Grund des Grundsatzes der "perpetuatio fori" gemäß § 261 Abs. 3 Nr. 2 ZPO analog i. V. m. § 99 Abs. 1 [X.] zuständig (vgl. [X.], 184, 185 -

8

B. Nachdem das Patent nach § 20 Abs. 1 Nr. 3 [X.] erloschen ist und die frühere Patentinhaberin alle von dem Patent Betroffenen von Ansprüchen aus der Vergangenheit ausdrücklich freigestellt hat, so dass solche möglichen Ansprüche aus dem angemeldeten und erteilten Patent nach § 362 BGB ebenfalls erloschen sind, ist das Einspruchsverfahren in der Hauptsache erledigt.

9

1. Auch das patentamtliche bzw. (für bis zum 30. Juni 2006 eingelegte Einsprüche) patentgerichtliche Einspruchsverfahren wie auch das patentgerichtliche Beschwerdeverfahren kann sich in der Hauptsache erledigen (für den Fall des [X.]s mit Freistellungserklärung ausdrücklich anerkannt in [X.] GRUR 1999, 571 -

Soweit

2. Nach allgemeiner Meinung ist ein Gerichtsverfahren erledigt, wenn ein nach Verfahrenseinleitung eingetretenes außerprozessuales Ereignis vorliegt, das sich auf die materiell-rechtlichen Voraussetzungen der Zulässigkeit oder Begründetheit des [X.] (also der Klage oder des verfahrenseinleitenden Antrags) in der Weise auswirkt, dass sie das ursprünglich zulässige und begründete Rechtsschutzziel nachträglich rechtlich oder tatsächlich gegenstandslos macht, weil dieses entweder bereits außerhalb des Prozesses erreicht wurde oder nicht mehr mit Aussicht auf Erfolg weiterverfolgt werden kann (vgl. [X.]Z 155, 392 [398]; [X.] NJW 2007, 3721 [3722]; BVerwG NVwZ 1989, 48; NVwZ 1993, 979; BVerwGE 46, 81 [83]; 73, 312 [314]; s. a. [X.]/Vollkommer, ZPO, 27. Aufl., § 91a Rn. 3 m. w. N.; Sodann/[X.]/[X.], VwGO, 3. Aufl., § 161 Rn. 130 ff.).

3. Nach diesen Rechtsprechungsgrundsätzen führt das Erlöschen des Streitpatents nach § 20 [X.] im Einspruchsverfahren nur zu einer Teilerledigung der Hauptsache.

a) Gegenstand des [X.] ist, wie sich aus § 59 Abs. 1 Satz 3 i. V. m. § 21 [X.] sowie aus § 61 [X.] ergibt, der Widerruf des erteilten Patents nach § 21 [X.]. Darunter ist - insoweit abweichend von der Begriffsbildung im allgemeinen Verwaltungsverfahren (vgl. §§ 48, 49 VwVfG) - die nachträgliche

b) Durch das Erlöschen des Patents gem. § 20 Abs. 1 [X.] wird das Rechtsschutzziel des Einspruchs aber nur zum Teil auf andere Art und Weise als durch den Widerruf des Patents nach § 21 [X.] erreicht.

aa) Nach § 20 Abs. 1 Nr. 1 und 3 [X.] bewirkt die Nichtzahlung der Jahresgebühr und der [X.] das Erlöschen des Patents. Nach allg. M. wird damit im Fall der Nichtzahlung der Jahresgebühr und nach h.M. auch im Fall des [X.]s (vgl. hierzu [X.] GRUR 1999, 571, 572 -

bb) Indem das Erlöschen des Patents den Verwaltungsakt der Patenterteilung nicht rückwirkend beseitigt, sondern nur hinsichtlich seiner zeitlichen Wirksamkeit - und insofern auch nur zum Teil, nämlich für den ohne das Erlöschen verbliebenen Rest der [X.] - einschränkt, wird das Ziel des Einspruchs, die Wirkungen der Patentanmeldung und -erteilung durch den Widerruf des Patents nachträglich mit Rückwirkung ("ex tunc") zu beseitigen (vgl. § 21 Abs. 3 Satz 1 [X.]), entgegen einer verbreiteten, nicht näher begründeten Ansicht (vgl. [X.]/[X.], 10. Aufl., § 59 Rn. 46 c; Busse/[X.]/[X.], [X.], 6. Aufl., § 59 Rn. 28 m. w. N.; zweifelnd [X.]/[X.], 8. Aufl., § 59 Rn. 250 m. w. N. und [X.]. 442) aber nicht auf andere Art und Weise verwirklicht. Diese begrenzte Auswirkung des Erlöschens des Patents steht somit der Annahme einer vollständigen Erledigung des [X.] in der Hauptsache entgegen. Wegen der sich aus dem Erlöschen des Patents ergebenden zeitlichen Verkürzung der Wirkungen der Patenterteilung nach § 16 [X.] liegt vielmehr nur eine

4. Eine (vollständige) Erledigung der Hauptsache liegt aber in erweiternder Fortführung von [X.] GRUR 1995, 571 -

a) Nach allgemeiner Ansicht kann ein Gerichtsverfahren in der Hauptsache auch dann erledigt sein, wenn

b) Dies kann entgegen einem Teil der Rechtsprechung (vgl. [X.] GRUR 1981, 515 -

aa) Nach den Vorschriften des [X.] über das Einspruchsverfahren ist der Einspruch - soweit er auf mangelnde Patentfähigkeit gestützt wird - als Popularrechtsbehelf ausgestaltet, da er nach § 59 Abs. 1 Satz 1 [X.] von jedem eingelegt werden kann, ohne dass es hierzu der Geltendmachung eines besonderen rechtlichen oder wirtschaftlichen Interesses bedürfte. Da darüber hinaus, wie sich aus § 61 Abs. 1 Satz 2 [X.] ergibt, die Dispositionsbefugnis des Einsprechenden dadurch deutlich eingeschränkt ist, dass er selbst durch Rücknahme seines Einspruchs den Fortgang des [X.] nicht hindern kann, kommt dem Interesse der Allgemeinheit an der Klärung der Schutz(un)fähigkeit der Erfindung in diesem Verfahren besonderes Gewicht zu (vgl. [X.] GRUR 1999, 571, 572 -

bb) Für die von der vorgenannten Rechtsprechung vertretene Annahme, der zu Folge das Einspruchsverfahren nach dem sich nur auf die Zukunft auswirkenden Erlöschen des Streitpatents nach § 20 [X.] nur fortgesetzt werden kann, wenn der Einsprechende ein (eigenes) Rechtsschutzinteresse vorgetragen hat, wäre daher nur dann Raum, wenn dem Interesse der Allgemeinheit an der Klärung der Schutz(un)fähigkeit der Erfindung durch das Erlöschen des Streitpatents umfassend Rechnung getragen wäre. Der Wegfall des Allgemeininteresses kann aber entgegen der vorgenannten Rechtsprechung nicht generell, sondern nur aufgrund konkreter Ermittlungen im jeweiligen Einzelfall festgestellt werden.

cc) Die Annahme, mit dem Erlöschen des Streitpatents sei generell - also nicht nur im jeweiligen Einzelfall - das Allgemeininteresse an der Beseitigung eines zu Unrecht erteilten Patents entfallen, kann nicht mit der Behauptung begründet werden, das Allgemeininteresse rechtfertige die auf Beseitigung der Patenterteilung gerichteten Anträge des Einsprechenden nur so lange, wie das Patent noch wirksam und in [X.] sei (so aber B[X.] 4 W (pat) 9/86, wiedergegeben in: [X.] GRUR 1997, 615 -

aaa) Die Frage, was unter dem Interesse der Allgemeinheit an der Klärung der Schutz(un)fähigkeit der Erfindung, welche im Einspruchsverfahren besonderes Gewicht zukommen soll (vgl. [X.] GRUR 1999, 571, 572 -

bbb) Hierzu gehören allerdings nicht die Interessen von Unternehmen, welche ihr unternehmerisches Handeln allein durch Respektierung des Streitpatents in der Vergangenheit, d. h. vor dem Erlöschen des Streitpatents, bereits ausrichtet haben (vgl. hierzu B[X.] B[X.] GRUR 2010, 363, 364 re. [X.]. unten -

ccc) Daneben liegt die Klärung der Frage, ob das Streitpatent zu Recht erteilt worden ist, aber auch im Interesse derjenigen, welche vom Streitpatent bereits vor seinem Erlöschen betroffen worden sind, indem sie es - gleich ob bewusst oder unbewusst -

ddd) Da das Interesse der Allgemeinheit an der Überprüfung, ob das Streitpatent zu Recht erteilt worden ist, aber vom Gesetz wie oben dargelegt

eee) Das Erfordernis solcher konkreter Feststellungen im Einzelfall kann nicht durch Hinweis auf § 59 Abs. 2 [X.] verneint werden. Zwar besteht hiernach für solche Personen, die sich mit dem Patentinhaber wegen der Berechtigung zur Nutzung der Erfindung bereits gerichtlich auseinandersetzen, sei es im Wege der Verletzungsklage (§ 59 Abs. 2 Satz 1 [X.]) oder der negativen Feststellungsklage (§ 59 Abs. 2 Satz 2 [X.]), die Möglichkeit des Beitritts zum Einspruchsverfahren, die auch nach Erlöschen des Streitpatents bis zum förmlichen Abschluss des [X.] noch besteht. Dies steht aber der Annahme, auch nach Erlöschen des Streitpatents bestehe das Allgemeininteresse an der Klärung der Rechtsmäßigkeit der Patenterteilung wegen Vorgängen in der Vergangenheit fort, nicht ent-gegen. Diese Möglichkeit steht nämlich nur den Personen offen, die vom Patentinhaber bereits in Anspruch genommen worden sind

fff) Auch der Hinweis, soweit (…) konkrete Verletzungshandlungen in Betracht kommen, seien "allenfalls Einzelne betroffen" (vgl. B[X.] GRUR 2010, 363, 364 re. [X.]. unten, offenbar im [X.] an B[X.] 4 W ([X.]/86, wiedergegeben in: [X.] GRUR 1997, 615 - [X.]), bietet keinen Anlass für eine abweichende Beurteilung. Für die dabei zum Ausdruck kommende suggestive - wie sich aus dem Gebrauch des Wortes "allenfalls" ergibt - Unterstellung, dass es sich bei den "Einzelnen" nur um eine geringe Anzahl betroffener - also um "vereinzelte" - Personen bzw. Unternehmen  handele, fehlt es schon an tatsächlichen Anhaltspunkten; vielmehr kann je nach Art des Patents, des betroffenen technischen Gebietes und der auf diesem tätigen Mitbewerber nicht grundsätzlich ausgeschlossen werden, dass der hierunter fallende Personenkreis, dessen Interessen im Einspruchsverfahren mit zu berück-sichtigen sind, besonders groß ist.

Da es sich allerdings um abgeschlossene Vorgänge in der Vergangenheit handelt, ließe sich jedenfalls die Frage, wie groß der betroffene Personenkreis ist, der vom Patentinhaber bereits in Anspruch genommen wurde oder ihm, ohne dass er bislang diesem gegenüber Unterlassungs- und/oder Schadenersatzansprüche geltend gemacht hat, bekannt ist, ohne Mühe feststellen, indem dem Patentinhaber auferlegt wird, entsprechende Angaben zu machen. Auch insoweit setzt die Annahme, das Allgemeininteresse sei infolge des Erlöschens entfallen, aber konkrete Ermittlungen im jeweiligen Einzelfall voraus. Soweit der betroffene Personenkreis unbekannt ist, vermag eine bloße Unkenntnis aber nicht den Schluss zu rechtfertigen, das Allgemeininteresse sei stets (also in allen Einspruchsfällen) entfallen.

ggg) Auch die Möglichkeit für betroffene Dritte, weiterhin gegen das Streitpatent Nichtigkeitsklage zu erheben, vermag dies nicht zu rechtfertigen. Da Einspruchsverfahren und Nichtigkeitsklage nach der gesetzlichen Regelung nebeneinander möglich sind, wobei lediglich während der Einspruchsfrist oder bei einem noch andauernden Einspruchsverfahren die Nichtigkeitsklage unzulässig ist (vgl. § 81 Abs. 2 [X.]), kann aus der vom Gesetz eingeräumten

hhh) Werden mit dem Allgemeininteresse an der Klärung der Frage der Schutz(un)fähigkeit des Streitpatents aber auch die Interessen derjenigen berücksichtigt, welche das Streitpatent bereits vor seinem Erlöschen benutzt haben, ist dies mit der eingangs erwähnten Annahme von Teilen der Rechtsprechung, ein Allgemeininteresse bestehe nur hinsichtlich des Personenkreises, der von einem noch in [X.] befindlichen wirksamen Patent betroffen ist oder sein wird, nicht in Einklang zu bringen. Damit lässt sich die Schlussfolgerung, ein Allgemeininteresse an der Klärung der Schutz(un)fähigkeit des Streitpatents bestehe mit dessen Erlöschen nicht mehr, nur auf der Grundlage konkreter Feststellungen im Einzelfall treffen. Für die Annahme, das Allgemeininteresse fehle in allen Fällen, besteht demgegenüber kein Raum.

dd) Soweit aufgrund konkreter Feststellungen im Einzelfall feststünde, dass ein

c) Über das bloße Erlöschen des Streitpatents hinaus ist die Hauptsache aber in erweiternder Fortführung von [X.] GRUR 1995, 571 -

6. Nachdem die Patentinhaberin vorliegend eine solche umfassende Freistellungserklärung gegenüber dem [X.] abgegeben hat, ist nach den vorstehenden Überlegungen das Einspruchsverfahren in der Hauptsache damit für erledigt zu erklären.

A. Gründe für eine Kostenauferlegung aus Billigkeitsgründen nach § 62 Abs. 1 Satz 1 [X.] sind weder vorgetragen noch anderweitig ersichtlich. Stellt nämlich in ständiger Rechtsprechung der Erfolg des Einspruchs in Form eines vollständigen Patentwiderrufs schon keinen Billigkeitsgrund nach dieser Vorschrift dar, besteht kein Anlass für eine Kostenauferlegung, wenn das Einspruchsziel wie vorliegend auf andere Art und Weise erreicht wird und sich das Einspruchsverfahren hierdurch erledigt hat.

C. Die Rechtsbeschwerde war zuzulassen, weil die Frage, welche Auswirkungen das Erlöschen des Streitpatents hat, eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung darstellt (§ 100 Abs. 2 Nr. 1 [X.]), die zudem zwischen den einzelnen Senaten des [X.] streitig ist, so dass die Rechtsbeschwerde auch zur Fortbildung des Rechts und zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des [X.] erfordert (§ 100 Abs. 2 Nr. 2 [X.]).

Meta

7 W (pat) 333/06

20.10.2010

Bundespatentgericht 7. Senat

Beschluss

Sachgebiet: W (pat)

Zitier­vorschlag: Bundespatentgericht, Beschluss vom 20.10.2010, Az. 7 W (pat) 333/06 (REWIS RS 2010, 2186)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2010, 2186

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X ZB 4/11 (Bundesgerichtshof)


Referenzen
Wird zitiert von

21 W (pat) 320/06

21 W (pat) 308/08

7 W (pat) 332/09

7 W (pat) 334/05

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