Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 22.10.2014, Az. 6 C 7/13

6. Senat | REWIS RS 2014, 1962

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Gegenstand

Automatisierte Kennzeichenerfassung; Eingriff in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung


Leitsatz

Ein Eingriff in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung liegt nicht vor, wenn bei Einsatz einer Einrichtung der automatisierten Erfassung von Kraftfahrzeugkennzeichen und deren Abgleich mit Fahndungsdatenbeständen zwar eine Übereinstimmung des tatsächlich erfassten Kennzeichens mit einem im Fahndungsbestand vorhandenen Kennzeichen angezeigt wird, ein visueller Abgleich durch den damit betrauten Polizeibeamten aber eine mangelnde Übereinstimmung ergibt und das erfasste Kennzeichen sofort gelöscht wird, ohne dass die Anonymität des Inhabers aufgehoben wird.

Tatbestand

1

Der Kläger wendet sich gegen die automatisierte Erfassung und den automatisierten Abgleich seiner jeweiligen Kraftfahrzeugkennzeichen mit polizeilichen [X.] auf öffentlichen Verkehrsflächen in [X.].

2

Der Beklagte setzt seit dem [X.] auf Grundlage von Art. 33 Abs. 2 Satz 2 bis 5 [X.] auf seinem Gebiet stationäre und mobile Kennzeichenerfassungsgeräte ein. Derzeit betreibt er 25 automatisierte Kennzeichenerkennungssysteme, davon 22 stationäre, die insgesamt 30 Fahrspuren abdecken, und drei mobile. Die stationären Systeme sind aktuell auf zwölf Standorte verteilt und befinden sich insbesondere an Bundesautobahnen. Die mobilen Systeme werden anlassbezogen eingesetzt, z.B. bei internationalen Fußballturnieren oder ähnlichen Großereignissen. Der jeweilige Standort wird gemäß jährlich aktualisierter Lageerkenntnisse durch das [X.] bestimmt. Diese Lagebeurteilung wird im Innenministerium des [X.] dokumentiert und der Landesbeauftragte für Datenschutz jährlich hierüber informiert.

3

Die stationären Systeme bestehen aus Kameras, die den fließenden Verkehr auf jeweils einer Fahrspur von hinten erfassen und das Kennzeichen eines jeden durchfahrenden Fahrzeugs mittels nicht sichtbaren Infrarotblitzes bildlich aufnehmen. Der aus dem digitalen Bild des Kennzeichens durch eine spezielle (OCR-)Software ausgelesene digitale Datensatz mit den Buchstaben und Ziffern des Kennzeichens wird über eine Datenleitung an einen am Fahrbahnrand in einem verschlossenen Behälter untergebrachten stationären Rechner weitergeleitet, in dem das erfasste Kennzeichen automatisch mit verschiedenen im Rechner abgespeicherten (Fahndungs-)Dateien abgeglichen wird. Die erfassten Kraftfahrzeugkennzeichen werden ausschließlich mit Datensätzen verglichen, die aus Kennzeichen von Kraftfahrzeugen bestehen und aus dem Sachfahndungsbestand von [X.] sowie für den Schengenbereich von [X.] bzw. N[X.] stammen. [X.] und einzelfallbezogen findet auch ein Abgleich mit spezifischen Dateien (z.B. der Datei „Gewalttäter Sport“) statt. Bei mobilen Systemen erfolgt die Erfassung der Kennzeichen über am Fahrbahnrand aufgestellte Kameras. Der Abgleich wird über einen mobilen Rechner in einem vor Ort abgestellten Polizeifahrzeug vorgenommen.

4

Das im Bildspeicher ([X.]) der automatisierten Kennzeichenerkennungssysteme digital erfasste Bild des Kennzeichens wird dort nach dem Datenbankabgleich sogleich mit einem Grauwert überschrieben. Die zum Abgleich verwendeten stationären oder mobilen Rechner verfügen über eine sog. Log-Datei, in der die Kennzeichen jedoch nicht bildlich, sondern in anonymisierter Form und mit einer kryptologischen Hashfunktion (als sog. MD5-Checksumme) des [X.] gespeichert werden. Ergibt sich beim Datenabgleich kein Treffer auf dem jeweiligen Rechner, wird das aufgenommene Kennzeichen nach dem Abgleich automatisch aus dem Arbeitsspeicher des Rechners gelöscht. Im Fall eines Treffers, d.h. einer vom System festgestellten Übereinstimmung zwischen dem erfassten Kennzeichen und den auf dem Rechner im Datenbanksystem abgespeicherten Datensätzen (der [X.]en) wird der Treffer temporär in der Datenbank auf diesem Rechner gespeichert und entweder gleichzeitig über eine Datenleitung an den Zentralrechner der Einsatzzentrale des jeweils zuständigen Polizeipräsidiums übermittelt oder auf dem mobilen Rechner (Notebook) vor Ort am Bildschirm aufgezeigt. Es erfolgt dann jeweils durch die zuständigen Polizeibeamten eine visuelle Kontrolle der vom System gemeldeten Übereinstimmung. Erweist sich der Treffer als Fehlermeldung, weil das tatsächlich erfasste und das in einer [X.] abgespeicherte Kraftfahrzeugkennzeichen tatsächlich doch nicht übereinstimmen, gibt der Polizeibeamte durch Betätigen des Buttons „Entfernen“ auf dem Rechner den Befehl, den gesamten Vorgang zu entfernen; in diesem Fall verbleibt auch auf dem Rechner in der Einsatzzentrale als „Spur“ der Treffermeldung nur noch die [X.]. Im Trefferfall, also bei Übereinstimmung des erfassten mit einem gespeicherten Kraftfahrzeugkennzeichen startet der Polizeibeamte eine manuelle Abfrage bei der betreffenden [X.], speichert dann den Vorgang bzw. die Daten und veranlasst gegebenenfalls weitere polizeiliche Maßnahmen. Im Zeitraum Juni bis einschließlich September 2011, für den erstmals detaillierte Zahlen ermittelt wurden, kam es monatlich zu etwa acht Millionen Kennzeichenerfassungen. Davon waren 40 000 bis 50 000 Treffermeldungen (Übereinstimmungen und Fehlermeldungen) und 500 bis 600 echte Treffer (nur Übereinstimmungen) pro Monat.

5

Der Kläger hat am 3. Juni 2008 Klage erhoben, gerichtet auf Unterlassung der Erfassung und des Abgleichs seiner Kraftfahrzeugkennzeichen. Zur Begründung hat er ausgeführt: Er pendele regelmäßig mit einem Personenkraftwagen zwischen seinem Hauptwohnsitz in [X.] ([X.]) und einem weiteren Wohnsitz in S. und sei auch ansonsten häufig in [X.], insbesondere im Grenzgebiet zu [X.], unterwegs. Seine jährliche Fahrleistung betrage ca. 25 000 km. Anlässlich dieser zahlreichen Fahrten müsse er damit rechnen, regelmäßig in standortfeste oder mobile Kennzeichenkontrollen des [X.] zu geraten. Auch wenn sein Kraftfahrzeugkennzeichen derzeit nicht in einer [X.] gespeichert sei, befürchte er, irrtümlich angehalten und kontrolliert zu werden. Es sei auch nicht ausgeschlossen, dass irgendwann eine Speicherung, womöglich irrtümlich, erfolgen werde. Durch die mit Sicherheit in der Vergangenheit bereits erfolgte und in Zukunft noch erfolgende Erfassung und den Abgleich seines Kraftfahrzeugkennzeichens werde er in seinen Grundrechten verletzt. Für den mit der Maßnahme verbundenen Grundrechtseingriff fehle es an einer wirksamen gesetzlichen Grundlage, da Art. 33 Abs. 2 Satz 2 und 3 sowie Art. 38 Abs. 3 [X.] verfassungswidrig seien.

6

Das Verwaltungsgericht hat die Klage als unbegründet abgewiesen. Der Verwaltungsgerichtshof hat die vom Verwaltungsgericht zugelassene Berufung des [X.] zurückgewiesen und zur Begründung u.a. ausgeführt, die Unterlassungsklage sei zulässig. Der Kläger sei aufgrund seiner zahlreichen Fahrten auf [X.] Autobahnen mit großer Wahrscheinlichkeit bereits mehrfach von einer Kennzeichenerfassung mit anschließendem Abgleich betroffen gewesen und müsse auch künftig jederzeit damit rechnen, zumal die Maßnahme heimlich erfolge, sodass er ihr nicht ausweichen könne und nachträglicher Rechtsschutz nicht in Betracht komme. Die Klage sei aber unbegründet. Kennzeichenerfassung und -abgleich griffen zwar in den Schutzbereich des Grundrechts des [X.] auf informationelle Selbstbestimmung ein. Dieser Eingriff beruhe jedoch auf einer verfassungsgemäßen gesetzlichen Grundlage.

7

Schon an einem Grundrechtseingriff fehle es allerdings beim sog. „Nichttreffer“. In [X.] sei rechtlich und technisch sichergestellt, dass bei negativem Ergebnis eines unverzüglich nach der Erfassung vorgenommenen Abgleichs die erfassten Kennzeichen anonym blieben und sofort spurenlos und ohne die Möglichkeit, einen Bezug zum Fahrer, Beifahrer oder Halter eines Fahrzeugs herzustellen, gelöscht würden. Zu einem Grundrechtseingriff komme es nur dann, wenn ein erfasstes Kennzeichen in einem Speicher festgehalten werde und gegebenenfalls Grundlage weiterer Maßnahmen werden könne. Das sei nicht nur beim „echten Treffer“ der Fall, d.h. bei tatsächlicher Übereinstimmung der abgeglichenen Kennzeichen, sondern bereits beim sog. „unechten Treffer“, wenn sich nur infolge einer fehlerhaften Kennzeichenerkennung beim Abgleich mit dem Fahndungsbestand eine Übereinstimmung ergebe. Weil es relativ häufig zu „unechten Treffern“ komme, bestehe eine hinreichende Wahrscheinlichkeit, dass auch der Kläger insoweit in den Bereich des Grundrechtseingriffs gerate bzw. bereits geraten sei. Dieser Grundrechtseingriff finde in den Art. 33 Abs. 2 Satz 2 bis 5 i.V.m. Art. 13 Abs. 1 Nr. 1 bis 5 sowie Art. 38 Abs. 3 [X.] eine verfassungsgemäße gesetzliche Grundlage.

8

Gegen dieses Urteil richtet sich die vom Verwaltungsgerichtshof zugelassene Revision des [X.], zu deren Begründung er im Wesentlichen vorträgt, Kennzeichenerfassung und -abgleich griffen sowohl in sein allgemeines Persönlichkeitsrecht als auch sein Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung ein, und zwar auch bei einem „Nichttreffer“. Das sei jedenfalls deshalb der Fall, weil in Art. 38 Abs. 3 Satz 1 [X.] statt einer sofortigen nur eine unverzügliche Löschung angeordnet sei. Auch sei die Spurenlosigkeit der Löschung nicht gewährleistet. Eine Deanonymisierung sei mit vergleichsweise geringem Aufwand möglich, soweit Kennzeichen als MD5-Codes dauerhaft im Speicher der verwendeten Rechner verblieben. Die gegenteilige Überzeugungsbildung des Verwaltungsgerichtshofs sei fehlerhaft, weil sie auf einer unzutreffenden und unvollständigen Tatsachenbasis beruhe, die weiterer Aufklärung im Wege des [X.] bedurft hätte.

9

Art. 33 Abs. 2 Satz 2 bis 5 und Art. 38 Abs. 3 [X.] seien verfassungswidrig. In weiten Teilen fehle dem [X.] schon die Gesetzgebungskompetenz. Die Vorschriften verstießen zudem in mehrfacher Hinsicht gegen das Bestimmtheitsgebot. Art. 33 Abs. 2 Satz 2 bis 5, Art. 38 Abs. 3 [X.] genügten auch nicht den Anforderungen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes. Schließlich sei die Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG verletzt, weil die von einem Kennzeichenabgleich Betroffenen hierüber nicht informiert würden. Eine Benachrichtigung sei ohne Gefährdung des Zwecks der Maßnahme möglich durch hinter den Kontrollstellen aufgestellte Hinweisschilder.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des [X.] vom 17. Dezember 2012 und das Urteil des [X.] vom 23. September 2009 zu ändern und den [X.] zu verurteilen, es zu unterlassen, durch den verdeckten Einsatz automatisierter Kennzeichenerkennungssysteme Kennzeichen von Kraftfahrzeugen, die auf den Kläger zugelassen sind, zu erfassen und mit polizeilichen Dateien abzugleichen.

Der Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Er verteidigt das angefochtene Urteil.

Der Vertreter des [X.] beteiligt sich an dem Verfahren. Auch er verteidigt das angefochtene Urteil.

Entscheidungsgründe

Die Revision ist zulässig, aber unbegründet. Das angefochtene Urteil steht im Ergebnis mit [X.]undesrecht im Einklang.

1. Das klägerische [X.]egehren ist als vorbeugende Unterlassungsklage statthaft (a), und es besteht dafür auch eine Klagebefugnis (b).

a) Die Unterlassungsklage stellt einen Unterfall der allgemeinen Leistungsklage dar. Mit ihr wird auf die Unterlassung eines öffentlich-rechtlichen Verwaltungshandelns geklagt. Die [X.] dieser Klage begegnet bei drohendem Verwaltungshandeln ohne Verwaltungsaktsqualität keinen [X.]edenken. Auch das Unterlassen einer hoheitlichen Maßnahme ist eine Leistung, und bei Verwaltungshandeln ohne Verwaltungsaktsqualität kann die Zulassung einer Unterlassungsklage auch nicht zur Umgehung der Zulässigkeitsvoraussetzungen einer Anfechtungsklage führen (Schenke, Verwaltungsprozessrecht 14. Auflage, 2014, Rn. 354). Das vom Kläger angegriffene öffentlich-rechtliche Verwaltungshandeln liegt im [X.]etrieb von derzeit 25 automatisierten Kennzeichenerkennungssystemen des [X.]. Sowohl die Erfassung als auch der Abgleich sind keine Verwaltungsakte im Sinne von Art. 35 Satz 1 [X.]ayVwVfG, weshalb eine Anfechtungsklage (§ 42 Abs. 1 VwGO) hier nicht in [X.]etracht kommt. Dies hat das [X.]erufungsgericht aus [X.] Landesrecht bindend abgeleitet.

Allerdings wendet der Kläger sich gegen mögliche künftige Eingriffe. [X.] der [X.]ürger ein [X.]ehördenhandeln abwehren, das er mit mehr oder minder großer Gewissheit erst in der Zukunft erwartet, geht es um eine nur vorbeugende Unterlassungsklage. Verwaltungsrechtsschutz ist allerdings grundsätzlich nachgängiger Rechtsschutz. Das folgt aus dem Grundsatz der Gewaltenteilung, der der Gerichtsbarkeit nur die Kontrolle der Verwaltungstätigkeit aufträgt, ihr aber grundsätzlich nicht gestattet, bereits im Vorhinein gebietend oder verbietend in den [X.]ereich der Verwaltung einzugreifen. Die Verwaltungsgerichtsordnung stellt darum ein System nachgängigen - ggf. einstweiligen - Rechtsschutzes bereit und geht davon aus, dass dieses zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) grundsätzlich ausreicht. Vorbeugende Klagen sind daher nur zulässig, wenn ein besonderes schützenswertes Interesse gerade an der Inanspruchnahme vorbeugenden Rechtsschutzes besteht, wenn mit anderen Worten der Verweis auf den nachgängigen Rechtsschutz - einschließlich des einstweiligen Rechtsschutzes - mit für den Kläger unzumutbaren Nachteilen verbunden wäre (stRspr; vgl. Urteile vom 12. Januar 1967 - [X.]VerwG 3 [X.] 58.65 - [X.]VerwGE 26, 23 = [X.] 427.3 § 338 [X.], vom 8. September 1972 - [X.]VerwG 4 [X.] 17.71 - [X.]VerwGE 40, 323 <326 f.>, vom 29. Juli 1977 - [X.]VerwG 4 [X.] 51.75 - [X.]VerwGE 54, 211 <214 f.>, vom 7. Mai 1987 - [X.]VerwG 3 [X.] 53.85 - [X.]VerwGE 77, 207 <212> = [X.] 418.711 [X.] Nr. 16 S. 34 und vom 25. September 2008 - [X.]VerwG 3 [X.] 35.07 - [X.]VerwGE 132, 64 Rn. 26).

Ein solches spezifisches Interesse an vorbeugendem Rechtsschutz ergibt sich vorliegend aus dem Umstand, dass der [X.]eklagte dasjenige Kennzeichenerfassungssystem, von dem die behaupteten Rechtsverletzungen ausgehen, bereits betreibt und auch weiterhin einsetzen wird. Hinzu kommt, dass eine polizeiliche Kontrolle mit Hilfe von [X.] für den Kläger als Autofahrer nicht erkennbar ist, weil die Erfassung der einzelnen Kennzeichen beim Passieren der [X.] von hinten erfolgt und der verwendete [X.] unsichtbar ist. Die Erfassung geschieht damit heimlich mit der Folge, dass der Kläger ihr nicht ausweichen kann. Zudem sind dem Kläger die einzelnen Standorte der [X.] nicht bekannt. Aufgrund der Heimlichkeit der Maßnahme kommt ein nachträglicher Rechtsschutz gegen die Erkennung und den Datenabgleich nicht in [X.]etracht.

b) Die Zulässigkeit der vorbeugenden Unterlassungsklage lässt sich auch nicht wegen fehlender Klagebefugnis analog § 42 Abs. 2 VwGO in Frage stellen. Es erscheint nach dem Vortrag des [X.] sowie im Lichte der beträchtlichen Erfassungsreichweite der vom [X.] betriebenen Systeme möglich, dass ein dem Kläger [X.] KFZ-Kennzeichen künftig erfasst und gegen polizeiliche Dateien abgeglichen wird. Ferner erscheint nicht von vornherein ausgeschlossen, dass hiermit in Rechte des [X.] eingegriffen und diese verletzt werden. Ob letzteres tatsächlich der Fall ist, ist eine Frage der [X.]egründbarkeit seiner Klage.

2. Die Klage ist aber unbegründet. Der öffentlich-rechtliche Unterlassungsanspruch setzt die begründete [X.]esorgnis voraus, der [X.]eklagte werde künftig durch sein hoheitliches Handeln rechtswidrig in die geschützte Rechts- und Freiheitssphäre des [X.] eingreifen ([X.]eschluss vom 29. April 1985 - [X.]VerwG 1 [X.] 149.84 - juris Rn. 9). Die erhobene Unterlassungsklage setzt für ihren Erfolg somit voraus, dass dem Kläger durch die Anwendung der gesetzlichen Vorschriften über die automatisierte Kennzeichenerfassung (a) mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ein Eingriff in sein grundrechtlich geschütztes Recht auf informationelle Selbstbestimmung als Unterfall des allgemeinen Persönlichkeitsrechts droht (b). Das ist nach den tatsächlichen Feststellungen des Verwaltungsgerichtshofs, an die das [X.]undesverwaltungsgericht als Revisionsgericht gebunden ist, nicht der Fall.

a) Der öffentlich-rechtliche Unterlassungsanspruch richtet sich nur gegen hoheitliche Maßnahmen. Diese Voraussetzung ist hier erfüllt. Nach den Feststellungen im [X.]erufungsurteil beruht die vom Kläger angegriffene automatisierte Kraftfahrzeug-Kennzeichenüberwachung durch den [X.] auf den polizeirechtlichen Normen der Art. 33 Abs. 2 Satz 2 bis 5 i.V.m. Art. 13 Abs. 1 Nr. 1 bis 5 sowie Art. 38 Abs. 3 des Gesetzes über die Aufgaben und [X.]efugnisse der [X.]ayerischen Staatlichen Polizei (Polizeiaufgabengesetz - PAG) in der Fassung der [X.]ekanntmachung vom 14. September 1990 (GV[X.]l S. 397), zuletzt geändert durch Verordnung vom 22. Juli 2014 (GV[X.]l [X.]) und ist somit hoheitlicher Natur.

b) Dem Kläger droht nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ein Eingriff in sein Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung.

aa) Ein KFZ-Kennzeichen ist als personenbezogenes Datum in den Schutzbereich des Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung einbezogen. Zwar offenbart die [X.]uchstaben-Zahlen-Kombination, aus der es besteht, aus sich heraus noch nicht diejenige Person, der das Kennzeichen als Halter zuzuordnen ist. Diese Person ist jedoch durch Abfragen aus dem [X.] (vgl. §§ 31 ff. [X.]) bestimmbar. Dies genügt für den Einbezug in den grundrechtlichen Schutzbereich.

bb) Der grundrechtliche Schutz entfällt nicht schon deshalb, weil die betroffene Information öffentlich zugänglich ist, wie es für KFZ-Kennzeichen, die der Identifizierung dienen, sogar vorgeschrieben ist (§ 23 Abs. 1 Satz 3 StVO). Auch wenn der Einzelne sich in die Öffentlichkeit begibt, schützt das Recht der informationellen Selbstbestimmung dessen Interesse, dass die damit verbundenen personenbezogenen Informationen nicht im Zuge automatisierter Informationserhebung zur Speicherung mit der Möglichkeit der Weiterverwertung erfasst werden (vgl. [X.]VerfG, Urteil vom 11. März 2008 - 1 [X.]vR 2074/05 u.a. - [X.]VerfGE 120, 378 <399>).

cc) Der Schutzumfang des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung beschränkt sich nicht auf Informationen, die bereits ihrer Art nach sensibel sind und schon deshalb grundrechtlich geschützt werden. Auch der Umgang mit personenbezogenen Daten, die für sich genommen - wie im Falle von KFZ-Kennzeichen - nur geringen Informationsgehalt haben, kann, je nach seinem Ziel und den bestehenden Verarbeitungs- und Verknüpfungsmöglichkeiten, grundrechtserhebliche Auswirkungen auf die Privatheit und Verhaltensfreiheit des [X.]etroffenen haben. Insofern gibt es unter den [X.]edingungen der elektronischen Datenverarbeitung kein schlechthin, also ungeachtet des [X.], belangloses personenbezogenes Datum mehr (vgl. [X.]VerfG, Urteil vom 11. März 2008 a.a.[X.] 398 f.).

dd) Auch dann, wenn - wie im vorliegenden Fall - die Erfassung eines größeren Datenbestandes letztlich nur Mittel zum Zweck für eine weitere Verkleinerung der Treffermenge ist, kann bereits in der Informationserhebung ein Eingriff liegen, soweit sie die Informationen für die [X.]ehörden verfügbar macht und die [X.]asis für einen nachfolgenden Abgleich mit Suchkriterien bildet. Maßgeblich ist, ob sich bei einer Gesamtbetrachtung mit [X.]lick auf den durch den Überwachungs- und Verwendungszweck bestimmten Zusammenhang das behördliche Interesse an den betroffenen Daten bereits derart verdichtet hat, dass ein [X.]etroffensein in einer einen Grundrechtseingriff auslösenden Qualität zu bejahen ist (vgl. [X.]VerfG, Urteil vom 11. März 2008 a.a.[X.] 398).

Dies zugrunde gelegt, bilden [X.] keinen für die Annahme eines Grundrechtseingriffs hinreichenden Gefährdungstatbestand, soweit die Daten unmittelbar nach der Erfassung technisch wieder spurenlos, anonym und ohne die Möglichkeit, einen Personenbezug herzustellen, ausgesondert werden. Zu einem Eingriff in den Schutzbereich des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung kommt es daher in den Fällen der elektronischen Kennzeichenerfassung dann nicht, wenn der Abgleich mit dem [X.] unverzüglich vorgenommen wird und negativ ausfällt (sogenannter Nichttrefferfall) sowie zusätzlich rechtlich und technisch gesichert ist, dass die Daten anonym bleiben und sofort spurenlos und ohne die Möglichkeit, einen Personenbezug herzustellen, gelöscht werden (vgl. [X.]VerfG, Urteil vom 11. März 2008 a.a.[X.] 399). Demgegenüber kommt es zu einem Eingriff in das Grundrecht, wenn ein erfasstes Kennzeichen im Speicher festgehalten wird und gegebenenfalls Grundlage weiterer Maßnahmen werden kann. Darauf vor allem ist die Maßnahme gerichtet, wenn das Kraftfahrzeugkennzeichen im [X.] aufgefunden wird. Ab diesem Zeitpunkt steht das erfasste Kennzeichen zur Auswertung durch staatliche Stellen zur Verfügung und es beginnt die spezifische Persönlichkeitsgefährdung für Verhaltensfreiheit und Privatheit, die den Schutz des Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung auslöst (vgl. [X.]VerfG, Urteil vom 11. März 2008 a.a.[X.] 399 f.).

Ausgehend von diesen durch das [X.]undesverfassungsgericht entwickelten Maßstäben ist im vorliegenden Fall für die Konstellation des „[X.]“ die Eingriffsqualität von Erfassung und Abgleich eines [X.] zu verneinen. Nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichtshofs vollzieht sich beides in dieser Konstellation ohne zeitlichen Verzug in vollständig automatisierter Weise und ist ferner gesichert, dass die Daten einer menschlichen Kenntnisnahme unzugänglich bleiben.

Auch für die Konstellation des „unechten“ Treffers, die im Urteil des [X.]undesverfassungsgerichts vom 11. März 2008 keiner gesonderten Würdigung unterzogen worden ist, ist die Eingriffsqualität der Maßnahme zu verneinen. Zwar wird das erfasste Kennzeichen in dieser Konstellation durch den Polizeibeamten, der mit dem visuellen Abgleich betraut ist, zur Kenntnis genommen. Der Polizeibeamte beschränkt sich jedoch nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichtshofs auf die Vornahme dieses Abgleichs und löscht den Vorgang umgehend, wenn der Abgleich negativ ausfällt. In diesem Stadium ist das behördliche Interesse an den betroffenen Daten nicht bereits derart verdichtet, dass - bezogen auf den Inhaber des [X.] - ein [X.]etroffensein in einer einen Grundrechtseingriff auslösenden Qualität zu bejahen ist. Das behördliche Interesse ist in diesem Stadium nur ein systembezogenes Korrekturinteresse. Mithilfe des visuellen Abgleichs soll ausgeschlossen werden, dass aufgrund des unvollkommenen Lesemodus des Systems polizeiliche Maßnahmen in [X.]ezug auf Kennzeichen eingeleitet werden, die zwar im [X.] notiert sind, tatsächlich aber die [X.] gar nicht passiert haben. Der Inhaber des tatsächlich erfassten Kennzeichens hat insoweit nicht mehr hinzunehmen als eine lediglich kurzzeitige Wahrnehmung der [X.]uchstaben-Zahlen-Kombination durch den Polizeibeamten, der seinerseits nicht über die rechtliche [X.]efugnis verfügt - und auch der Sache nach keinen Anlass hätte -, eine Abfrage aus dem [X.] vorzunehmen. Die Anonymität des Inhabers bleibt folglich gewahrt.

In der Konstellation des „echten“ Treffers wird hingegen die [X.] überschritten. Hat der abgleichende Polizeibeamte die vom System gegebene Treffermeldung verifiziert, verdichtet sich das behördliche Interesse an den Daten. Durch die vorgesehene manuelle Abfrage aus der [X.] wird die Identität des Kennzeicheninhabers gelüftet. Durch die weiter vorgesehene Abspeicherung des Vorgangs werden die gewonnenen Daten über Zeitpunkt und Ort der Erfassung für den Staat verfügbar gemacht. Dieser ist hierdurch in die Lage versetzt, weitere Maßnahmen gegen den [X.]etroffenen einleiten zu können. Der [X.]etroffene ist hierdurch in einer einen Grundrechtseingriff auslösenden Qualität berührt.

ee) Im vorliegenden Fall kann es hinsichtlich der Person des [X.] zum Szenarium eines „echten“ Treffers nach derzeitigem Sachstand nicht kommen, da nach den vorinstanzlichen Feststellungen sein KFZ-Kennzeichen nicht im [X.] gespeichert ist. Die bloße Eventualität, es könnte zukünftig zu einer solchen Speicherung kommen, muss außer [X.]etracht bleiben. Der öffentlich-rechtliche Unterlassungsanspruch vermittelt keine Handhabe, ein behördliches Handeln abzuwehren, dem nur bei künftigem Hinzutreten außergewöhnlicher Umstände Eingriffsqualität gegenüber dem Anspruchsteller zuwüchse.

3. Die Kosten der ohne Erfolg eingelegten Revision fallen dem Kläger zur Last (§ 154 Abs. 2 VwGO).

Meta

6 C 7/13

22.10.2014

Bundesverwaltungsgericht 6. Senat

Urteil

Sachgebiet: C

vorgehend Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, 17. Dezember 2012, Az: 10 BV 09.2641, Urteil

Art 19 Abs 4 GG, § 31 StVG, § 43 VwGO, Art 13 Abs 1 Nr 1 PolAufgG BY 1990, Art 13 Abs 1 Nr 2 PolAufgG BY 1990, Art 13 Abs 1 Nr 3 PolAufgG BY 1990, Art 13 Abs 1 Nr 4 PolAufgG BY 1990, Art 13 Abs 1 Nr 5 PolAufgG BY 1990, Art 33 Abs 2 S 2 PolAufgG BY 1990, Art 33 Abs 2 S 3 PolAufgG BY 1990, Art 33 Abs 2 S 4 PolAufgG BY 1990, Art 33 Abs 2 S 5 PolAufgG BY 1990, Art 38 Abs 3 PolAufgG BY 1990, Art 2 Abs 1 GG, § 23 Abs 1 StVO

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 22.10.2014, Az. 6 C 7/13 (REWIS RS 2014, 1962)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2014, 1962

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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