Bundesverfassungsgericht, Nichtannahmebeschluss vom 13.05.2020, Az. 1 BvR 663/19

1. Senat 1. Kammer | REWIS RS 2020, 2832

Foto: © Bundesverfassungsgericht │ foto USW. Uwe Stohrer, Freiburg

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Gegenstand

Nichtannahmebeschluss: Zu den Anforderungen an die Grundlagen der richterlichen Entscheidungsfindung im Sorgerechtsverfahren - Übertragung der Kindesanhörung im Beschwerdeverfahren auf den Richter des AG - hier: Erfolglose Verfassungsbeschwerde bzgl Entscheidungen über Aufenthaltsbestimmungsrecht - Unzulässigkeit mangels hinreichender Begründung


Tenor

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

Gründe

1

Der Beschwerdeführer wendet sich mit seiner [X.]beschwerde gegen gerichtliche Entscheidungen, durch welche das Aufenthaltsbestimmungsrecht für seine zwei Kinder auf deren Mutter übertragen wurde. Er macht unter anderem die Verletzung seines Elternrechts aus Art. 6 Abs. 2 GG geltend. Insbesondere sei das Beschwerdegericht seiner Aufklärungspflicht nicht nachgekommen, weil es die Kinder nicht persönlich angehört habe und deren Anhörung durch den ersuchten [X.] in Abwesenheit der [X.] erfolgt sei.

2

Die [X.]beschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen. [X.] (§ 93a Abs. 2 [X.]) liegen nicht vor, weil sie unzulässig ist. Die Begründung der [X.]beschwerde genügt nicht den Anforderungen aus § 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 [X.].

3

1. Die Beschwerdebegründung zeigt die Möglichkeit eines Verstoßes gegen das Elternrecht des Beschwerdeführers aus Art. 6 Abs. 2 GG insgesamt nicht auf, auch nicht durch die Gestaltung des Verfahrens seitens des [X.].

4

a) Der Schutz des Elternrechts aus Art. 6 Abs. 2 GG, welches Vater und Mutter gleichermaßen zukommt, erstreckt sich auf die wesentlichen Elemente des Sorgerechts (vgl. [X.] 84, 168 <180>; 107, 150 <173>). In Fällen, in denen Fachgerichte ‒ wie hier ‒ nach der Trennung der Eltern auf Antrag eines Elternteils über die künftige Wahrnehmung der elterlichen Sorge entschieden haben, beschränkt sich die Kontrolle des [X.] darauf zu prüfen, ob die Fachgerichte die Tragweite der betroffenen Grundrechte grundlegend verkannt haben. Bei fehlendem Einvernehmen der Eltern bleibt es in erster Linie dem Familiengericht vorbehalten zu beurteilen, inwieweit nach § 1671 Abs. 1 BGB die gemeinsame Sorge aufgehoben und welchem Elternteil die [X.] übertragen werden soll (vgl. [X.], Beschluss der [X.] des [X.] vom 16. April 2014 - 1 BvR 3360/13 -, Rn. 7 f.; Beschluss der [X.] des [X.] vom 22. März 2018 - 1 BvR 399/18 -, juris, Rn. 14).

5

Die Aufhebung der gemeinsamen Sorge muss am Wohl des Kindes ausgerichtet sein (vgl. [X.] 55, 171 <179>). Das Kind ist als ein Wesen mit eigener Menschenwürde und dem eigenen Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit unter den besonderen Schutz des Staates gestellt. Jede gerichtliche Lösung eines Konflikts zwischen Eltern, die sich auf die Zukunft des Kindes auswirkt, muss daher das Kind in seiner Individualität als Grundrechtsträger berücksichtigen (vgl. [X.] 55, 171 <179>; [X.], Beschluss der [X.] des [X.] vom 7. Dezember 2017 - 1 BvR 1914/17 -, Rn. 27).

6

Sorgerechtsentscheidungen müssen danach den Willen des Kindes einbeziehen. Die Grundrechte des Kindes gebieten, bei der gerichtlichen Sorgerechtsregelung den Willen des Kindes zu berücksichtigen, soweit das mit seinem Wohl vereinbar ist (grundlegend [X.] 55, 171 <182>; vgl. zuletzt [X.], Beschluss der [X.] des [X.] vom 7. Dezember 2017 - 1 BvR 1914/17 -, Rn. 28 m.w.[X.]).

7

b) Dabei muss auch das gerichtliche Verfahren in seiner Ausgestaltung dem Gebot effektiven Grundrechtsschutzes entsprechen. Das bedeutet nicht nur, dass die Verfahrensgestaltung den Elternrechten Rechnung tragen muss, vielmehr steht auch das Verfahrensrecht unter dem Primat des Kindeswohls, dessen Schutz staatliche Eingriffe in das Elternrecht nach Art. 6 Abs. 2 Satz 2 GG erst legitimiert. Die Gerichte müssen daher ihr Verfahren so gestalten, dass sie möglichst zuverlässig die Grundlage einer am Kindeswohl orientierten Entscheidung erkennen können (vgl. [X.] 55, 171 <182>). Die Gestaltung des gerichtlichen Verfahrens einschließlich der Art und des Umfangs der Sachverhaltsermittlung liegen im Zuständigkeitsbereich der Fachgerichte. In Verfahren mit [X.] bleibt es dem erkennenden Gericht überlassen, welchen Weg es im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften für geeignet hält, um eine möglichst zuverlässige Grundlage für eine am Kindeswohl orientierte Entscheidung zu erlangen (vgl. [X.] 55, 171 <182>; 79, 51 <62>). Es begegnet auch keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, dass das Beschwerdegericht gemäß § 68 Abs. 3 Satz 2 [X.] nicht stets gehalten ist, eine erneute persönliche Anhörung der Beteiligten durchzuführen (siehe dazu [X.], Beschluss der [X.] des [X.] vom 22. September 2014 - 1 BvR 2102/14 -, Rn. 19).

8

c) Dass die angegriffenen Entscheidungen diesen Maßstäben nicht gerecht werden, zeigt die Begründung der [X.]beschwerde auch hinsichtlich der Beschwerdeentscheidung des [X.] vom 7. Januar 2019 nicht auf.

9

aa) Sie lässt insbesondere nicht erkennen, dass die Übertragung der Kindesanhörung im Beschwerdeverfahren auf den ersuchten [X.] des [X.] und die Verwertung der dort dokumentierten Äußerungen der Kinder in der Beschwerdeentscheidung des [X.] das aus Art. 6 Abs. 2 GG folgende Gebot verletzt, eine möglichst zuverlässige Grundlage für eine am Kindeswohl orientierte Entscheidung zu erlangen. Die Möglichkeit einer mit [X.]recht unvereinbaren Anwendung von § 68 Abs. 3 Satz 2 FamFG oder § 159 Abs. 1 FamFG durch das [X.] wird nicht dargelegt.

(1) Das [X.] ist im angegriffenen Beschluss vom 13. August 2018 nach Ausschöpfung sämtlicher ihm zur Verfügung stehender Erkenntnisquellen auf Grundlage des familienpsychologischen Sachverständigengutachtens, der Stellungnahmen des [X.] und der [X.] sowie des in Anhörungen gewonnenen persönlichen Eindrucks sowohl von den Eltern als auch von den Kindern nachvollziehbar zum Ergebnis gelangt, dass das Aufenthaltsbestimmungsrecht zum Wohle der Kinder auf die Mutter als [X.] zu übertragen ist.

(2) Auf dieser Grundlage war es dem [X.] aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht verwehrt, im Beschwerdeverfahren auf eine persönliche Anhörung der Kinder durch den erkennenden Senat zu verzichten und sie stattdessen durch den ersuchten [X.] anhören zu lassen.

§ 68 Abs. 3 Satz 2 FamFG eröffnet dem Beschwerdegericht die Möglichkeit, von einer persönlichen Anhörung abzusehen, wenn diese bereits im ersten Rechtszug vorgenommen worden ist und von einer erneuten Anhörung keine neuen Erkenntnisse zu erwarten sind. [X.]ach von [X.] wegen nicht zu beanstandender einfachrechtlicher Auslegung durch die Rechtsprechung des [X.] ist diese Voraussetzung insbesondere dann erfüllt, wenn die erstinstanzliche Anhörung des Betroffenen nur kurze Zeit zurückliegt, sich nach dem Akteninhalt keine neuen entscheidungserheblichen Tatsachen oder rechtlichen Gesichtspunkte ergeben, das Beschwerdegericht das in den Akten dokumentierte Ergebnis der erstinstanzlichen Anhörung nicht abweichend werten will und es auf den persönlichen Eindruck des Gerichts von dem Betroffenen nicht ankommt (vgl. [X.], Beschluss vom 6. [X.]ovember 2013 - [X.] 650/12 -, juris, Rn. 11 m.w.[X.]). Macht das Beschwerdegericht von dieser Möglichkeit Gebrauch, muss es in seiner Entscheidung die Gründe hierfür in nachvollziehbarer Weise darlegen ([X.], Beschluss vom 2. März 2011 - [X.] 346/10 -, juris, Rn. 13; Beschluss vom 6. [X.]ovember 2013 - [X.] 650/12 -, juris, Rn. 11).

Dem genügend hat das Beschwerdegericht angenommen, dass von einer erneuten persönlichen Anhörung der Kinder ‒ nur wenige Monate nach der erstinstanzlichen Anhörung ‒ keine neuen Erkenntnisse zu erwarten waren. Es hielt zudem mit gleichfalls nachvollziehbarer Begründung die Gewinnung eines persönlichen Eindrucks für entbehrlich. [X.]ach seiner Auffassung genügte es für die Entscheidung nach § 1671 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 [X.]r. 2 BGB, die Einschätzung der Kinder zum zukünftigen Wohnort sowie ihre Einschätzung ihrer Situation nach dem Umzug nach [X.] als Sachinformationen in Erfahrung zu bringen. Die [X.]beschwerde zeigt nicht substantiiert auf, warum es dafür auf den persönlichen Eindruck des [X.] von den Kindern angekommen wäre und warum das gewählte Verfahren der Anhörung durch den ersuchten [X.] deshalb dem [X.]gebot möglichst zuverlässiger Klärung der tatsächlichen Grundlagen einer am Kindeswohl ausgerichteten Entscheidung nicht gerecht geworden sein soll.

Die [X.]beschwerde legt auch nicht die Möglichkeit dar, dass die Verwertung der Ergebnisse der Kindesanhörung durch den ersuchten [X.] des Amtsgerichts in der Beschwerdeentscheidung mit den aus Art. 6 Abs. 2 GG folgenden Anforderungen an die Verfahrensgestaltung nicht zu vereinbaren ist. Dies könnte etwa in Betracht kommen, wenn das erkennende Gericht den vom ersuchten [X.] gewonnenen persönlichen Eindruck als (vermeintlich) eigenen seiner Entscheidung zugrunde legt (vgl. zum einfachen Recht dazu [X.], in: [X.], FamFG, 4. Aufl. 2018, § 159 Rn. 18 f. m.w.[X.]). Ein solches Vorgehen des [X.] zeigt die [X.]beschwerde nicht auf; es lässt sich dem angegriffenen Beschluss vom 7. Januar 2019 auch nicht entnehmen. Die somit verfassungsrechtlich nicht zu beanstandende Anhörung durch den ersuchten [X.] ergab im Übrigen keine Anhaltspunkte für die im Beschwerdeverfahren erhobene Behauptung des Beschwerdeführers, die Kinder würden sich in ihrer neuen Umgebung nicht wohlfühlen und nunmehr lieber beim Beschwerdeführer leben wollen.

bb) [X.]rechtlich ebenfalls nicht zu beanstanden ist es, dass die Kindesanhörung durch den ersuchten [X.] in Abwesenheit der [X.] erfolgte. Der Beschwerdebegründung gelingt es auch in diesem Zusammenhang nicht, einen Verstoß gegen die Pflicht, die tatsächlichen Grundlagen einer am Kindeswohl orientierten Entscheidung sorgfältig zu ermitteln, aufzuzeigen.

[X.]ach § 159 Abs. 4 Satz 3 FamFG soll die Anhörung eines Kindes in Anwesenheit des bestellten [X.] stattfinden. [X.]ach der Rechtsprechung des [X.] kann hiervon zwar nur ausnahmsweise abgesehen werden, wenn dies im Einzelfall aus Gründen einer besseren Sachaufklärung geboten ist und das Gericht hierüber nach pflichtgemäßem Ermessen unter Beachtung der gesetzlichen Aufgabe des [X.] befunden hat ([X.], Beschluss vom 18. Juli 2012 - [X.] 661/11 -, juris, Rn. 14). Allerdings hat hier das Beschwerdegericht entgegen der Annahme des Beschwerdeführers die [X.] schon nicht von einer Teilnahme an der Anhörung durch den ersuchten [X.] ausgeschlossen, sondern ihr durch die Ladung zum Termin die Möglichkeit einer Teilnahme eröffnet. Die [X.] hat aufgrund ihrer eigenen Entscheidung von einer Teilnahme abgesehen und stattdessen zuvor nochmals Kontakt mit den Kindern aufgenommen, um hierdurch ihre gesetzliche Aufgabe, den Interessen der Kinder im gerichtlichen Verfahren Geltung zu verschaffen, zu erfüllen. Dass das Beschwerdegericht durch diese Verfahrensgestaltung den oben dargestellten Maßstäben nicht gerecht wurde, zeigt der Beschwerdeführer daher nicht substantiiert auf. Er setzt sich auch weder mit der Ermessensausübung des Gerichts auseinander noch legt er dar, inwieweit eine Möglichkeit zur Verpflichtung der [X.] zur Teilnahme an der Anhörung bestand. [X.]äherer Ausführungen dazu bedurfte es vor allem deshalb, weil § 159 Abs. 4 Satz 3 FamFG als Anwesenheitsrecht nicht aber als Anwesenheitspflicht gedeutet wird, mithin der Verfahrensbeistand auf die Teilnahme an der Anhörung verzichten kann (vgl. [X.], in: [X.], FamFG, 4. Aufl. 2018, § 159 Rn. 22 m.w.[X.]). Verlauf und Resultat der ausführlich dokumentierten Anhörung durch den ersuchten [X.], zu welcher die Kinder im Übrigen von beiden Eltern begleitet wurden, lassen auch nicht ansatzweise erkennen, dass die Verfahrensgestaltung nicht am Kindeswohl orientiert war.

2. Die Möglichkeit der Verletzung sonstiger Grundrechte oder grundrechtsgleicher Rechte des Beschwerdeführers legt die Begründung der [X.]beschwerde ebenfalls nicht in einer § 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 [X.] entsprechenden Weise dar.

3. Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 [X.] abgesehen.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Meta

1 BvR 663/19

13.05.2020

Bundesverfassungsgericht 1. Senat 1. Kammer

Nichtannahmebeschluss

Sachgebiet: BvR

vorgehend OLG Bamberg, 6. Februar 2019, Az: 2 UF 168/18, Beschluss

Art 6 Abs 2 GG, § 1671 Abs 1 S 1 BGB, § 1671 Abs 1 S 2 Nr 2 BGB, § 68 Abs 3 S 2 FamFG, § 159 Abs 4 S 3 FamFG

Zitier­vorschlag: Bundesverfassungsgericht, Nichtannahmebeschluss vom 13.05.2020, Az. 1 BvR 663/19 (REWIS RS 2020, 2832)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2020, 2832


Verfahrensgang

Der Verfahrensgang wurde anhand in unserer Datenbank vorhandener Rechtsprechung automatisch erkannt. Möglicherweise ist er unvollständig.

Az. 1 BvR 663/19

Bundesverfassungsgericht, 1 BvR 663/19, 13.05.2020.


Az. 2 UF 168/18

OLG Bamberg, 2 UF 168/18, 06.02.2019.

OLG Bamberg, 2 UF 168/18, 07.01.2019.


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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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