Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 28.10.2009, Az. IV ZR 140/08

IV. Zivilsenat | REWIS RS 2009, 901

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[X.]IM NAMEN DES VOLKES URTEIL [X.]/08 Verkündet am:

28. Oktober 2009

Heinekamp

Justizhauptsekretär

als Urkundsbeamter

der Geschäftsstelle in dem Rechtsstreit Nachschlagewerk: ja [X.]Z: nein [X.]R: ja [X.] §§ 21, 22; BGB §§ 242 [X.], 123 1. Der anlässlich der Beantwortung von Gesundheitsfragen bei Anbahnung des [X.] arglistig getäuschte Versicherer ist bei einer Anfechtung nach § 123 BGB, § 22 [X.] a.F. nicht darauf beschränkt, den abgeschlossenen [X.] insoweit bestehen zu lassen, als er ihn auch ohne die Täuschung abgeschlossen hätte. Vielmehr kann er sich insgesamt vom Vertrag lösen, ohne dass es etwa auf eine Kausalität i.S. des § 21 [X.] a.F. ankäme (Fortführung von [X.], 148). 2. Erlangt der Versicherer im Vertrauen auf die Wirksamkeit einer zu weit gefassten und deshalb unwirksamen Schweigepflichtsentbindung (vgl. dazu [X.], 1669) Informationen über den Gesundheitszustand des Versicherten, die eine arglistige Täuschung durch die unrichtige Beantwortung von Gesundheitsfra-gen bei der Anbahnung des [X.] aufdecken, führt dies nicht in - 2 -

jedem Fall zur Unverwertbarkeit dieser Erkenntnisse. Vielmehr kann die insoweit gebotene Güterabwägung ergeben, dass der Versicherer weder unter dem Ge-sichtspunkt der unzulässigen Rechtsausübung (§ 242 BGB) an der Anfechtung, noch wegen eines prozessualen Verwertungsverbots an der Einführung der ge-wonnenen Erkenntnisse in einen Rechtsstreit gehindert ist. [X.], Urteil vom 28. Oktober 2009 - [X.]/08 - OLG Frankfurt am Main

LG Frankfurt am Main - 3 -

[X.] hat durch [X.], [X.], [X.], [X.] und die [X.] [X.] auf die mündliche Verhandlung vom 28. Oktober 2009 für Recht erkannt: Die Revision gegen das Urteil des 7. Zivilsenats des [X.] vom 21. Mai 2008 wird auf Kosten des [X.] zurückgewiesen. Von Rechts wegen
Tatbestand:

Der Kläger begehrt Leistungen aus einer beim [X.]n, einem Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit, abgeschlossenen selbständi-gen Berufsunfähigkeitsversicherung nebst Erstattung gezahlter Prämien und vorgerichtlicher Rechtsverfolgungskosten sowie die Feststellung des [X.] dieses [X.]. 1 Der Kläger beantragte am 16. Juli 2004 über eine Versicherungs-maklerin beim [X.]n den Abschluss einer Berufsunfähigkeitsversi-cherung. Im Antragsformular, das der für die Maklerin auftretende Zeuge S. ausfüllte, wurden insbesondere die Fragen nach Krankheiten, Unfallfolgen oder körperlichen Schäden des Rückens oder Nackens in-nerhalb der letzten fünf Jahre verneint. Tatsächlich war der Kläger im Dezember 1999, im Juli 2001 und im Mai 2004 jeweils wegen [X.] - 4 -

schmerzen, die zumindest mit drei Massageterminen therapiert wurden, bei seinem Hausarzt in Behandlung gewesen.
Im Februar 2005 beantragte der Kläger unter Beifügung einer ge-nerellen [X.], deren genauer Inhalt nicht feststeht, beim [X.]n Leistungen wegen Berufsunfähigkeit, da er wegen einer psychischen Erkrankung seine bisherige Tätigkeit als an-gestellter Musiklehrer dauerhaft nicht mehr ausüben könne. Unter [X.] auf unrichtige Angaben zu den Gesundheitsfragen bei Stellung des [X.] trat der [X.] im Oktober 2005 vom Vertrag zurück und focht seine Annahmeerklärung wegen arglistiger Täuschung an. 3 Der Kläger behauptet, nach seinem Wissen hätten den genannten Behandlungen beim Hausarzt lediglich harmlose Muskelverspannungen zu Grunde gelegen. Gleichwohl habe er diese dem Zeugen S. mit-geteilt. Dieser habe jedoch geäußert, wegen der Folgenlosigkeit der [X.] müsse hierzu nichts angegeben werden. 4 Der Kläger ist der Ansicht, da er keine gefahrerheblichen und [X.] mitteilungsbedürftigen Umstände verschwiegen habe, sei der [X.] weder zum Rücktritt noch zur Anfechtung berechtigt. Selbst wenn [X.] ein Anfechtungsgrund vorgelegen hätte, wäre der [X.] nach [X.] und Glauben nur zu einer eingeschränkten Anfechtung berechtigt, die den Versicherungsvertrag nicht vollständig beseitigt, sondern ledig-lich zu einem Ausschluss von Wirbelsäulenerkrankungen geführt hätte. Außerdem habe der [X.] die vom Hausarzt erlangten Erkenntnisse 5 - 5 -

ohnehin nicht verwerten dürfen, denn die erteilte Schweigepflichtentbin-dung sei unwirksam, da zu unbestimmt und zu weitgehend.
Der [X.] behauptet, der Hausarzt habe dem Kläger bei den Behandlungen seiner Beschwerden jeweils zutreffende Diagnosen (ins-besondere HWS/BWS- und [X.]) in einer für einen Laien ver-ständlichen Form mitgeteilt. Wegen der Beschwerden sei der Kläger zu-dem medikamentös und physiotherapeutisch behandelt worden. Die pflichtgemäße Angabe der Rückenbeschwerden bei Antragstellung hätte dazu geführt, dass der [X.] den Versicherungsvertrag nur unter Ausschluss von Wirbelsäulenerkrankungen abgeschlossen hätte. 6 Das [X.] hat die Klage abgewiesen, das Berufungsgericht die Berufung zurückgewiesen. Mit der zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein ursprüngliches Begehren weiter. 7 Entscheidungsgründe:

Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg. 8 [X.] Das Berufungsgericht hat den Versicherungsvertrag aufgrund der Anfechtung der Vertragsannahme wegen arglistiger Täuschung (§ 123 Abs. 1 BGB, § 22 [X.] a.F.) als insgesamt nichtig (§ 142 Abs. 1 BGB) angesehen, weshalb der [X.] leistungsfrei sei und ihm gleich-wohl die gezahlten Prämien gebührten (§§ 40 Abs. 1, 9 [X.] a.F.). 9 - 6 -

Die Frage nach Krankheiten oder körperlichen Schäden des Rü-ckens habe der Kläger unzutreffend verneint. Aufgrund der Bekundungen des Hausarztes stehe fest, dass bei allen drei Behandlungsterminen [X.] diagnostiziert und medikamentös sowie [X.] behandelt worden seien. In allen Fällen sei eine Krank-schreibung erfolgt. Der Kläger habe seine jeweiligen Beschwerden auch als gravierende, regelwidrige Zustände empfunden. Bei pflichtgemäßen Angaben des [X.] hätte der [X.] den [X.] unter Ausschluss von Wirbelsäulenerkrankungen abgeschlossen. 10 Der Kläger habe arglistig gehandelt, da ihm die nicht angegebenen Behandlungen bekannt gewesen seien und er es zumindest für möglich gehalten und damit gerechnet habe, dass der [X.] die nicht offen-barten Umstände in seine Risikoprüfung einbeziehen werde und dies zu einer Einschränkung des Versicherungsschutzes hätte führen können. Durch die Aussage des Hausarztes stehe fest, dass der Kläger von [X.] über die Ursachen der Rückenbeschwerden - insbesondere auch Wirbelblockierungen mit [X.] - jeweils unmissverständlich in-formiert worden sei. Die behaupteten Angaben des [X.] gegenüber dem Zeugen S. zu Arztbesuchen wegen Muskelverspannungen [X.] daher schon unzureichend, da irreführende Verkürzungen. Zudem sei aber durch die Beweisaufnahme widerlegt, dass der Kläger den Zeugen S. wie behauptet informiert habe. 11 Ein Verwertungsverbot bezüglich der durch die Nachfrage des [X.] beim Hausarzt gewonnen Informationen bestehe nicht. Zwar sei die im April 2005 erteilte [X.] als un-wirksam anzusehen. Ihren genauen Inhalt hätten die Parteien nicht [X.] - 7 -

getragen. Es sei aber davon auszugehen, dass die Schweigepflichtent-bindung den Vorgaben, die das [X.] inzwischen im Beschluss vom 23. Oktober 2006 ([X.], 1669) aufgestellt habe, nicht entsprochen habe, denn vor der Entscheidung des [X.] seien allgemein umfassende Ermächtigungserklärungen verwendet worden. Dies führe jedoch nicht zu einem Verwertungsverbot. [X.] sich ein Arzt nach Prüfung, Informationen preiszugeben, seien diese grundsätzlich verwertbar. Das Berufungsgericht habe auch nicht etwa verfahrenswidrig an der Herbeiführung der Aussage mitge-wirkt. Zudem werde kein heimlicher Grundrechtseingriff perpetuiert, [X.] der [X.] habe sich offen Informationen verschafft, an denen er ein berechtigtes Interesse gehabt habe. Die Geltendmachung einer [X.] wegen einer psychischen Erkrankung habe den [X.]n berechtigt, die Krankheitsgeschichte des [X.] umfassend aufzu-klären, weshalb der Kläger entsprechende Entbindungserklärungen hätte abgeben müssen. Es komme daher nicht darauf an, ob der [X.] auch zu Nachforschungen berechtigt gewesen wäre, die speziell auf die Aufdeckung einer arglistigen Täuschung gezielt hätten. Eine [X.] ergebe, dass das Verwertungsinteresse des [X.]n das [X.] des [X.] überwiege.

I[X.] Das hält rechtlicher Nachprüfung stand. 13 1. Die Feststellungen des Berufungsgerichts zum Vorliegen einer arglistigen Täuschung durch unrichtige Angaben im Versicherungsantrag werden von der Revision als solche nicht mehr angegriffen. Sie wendet stattdessen ein, der [X.] sei in seinem Anfechtungsrecht darauf [X.] - 8 -

schränkt, den Versicherungsvertrag nicht insgesamt zu vernichten, [X.] auf einen Vertrag unter Ausschluss von Erkrankungen der [X.] zu reduzieren. Denn einen solchen Vertrag hätte der [X.] auch in Kenntnis der verschwiegenen Umstände abgeschlossen.
Damit kann die Revision keinen Erfolg haben. 15 a) Der zur Anfechtung Berechtigte hat nach § 142 Abs. 1 BGB die Möglichkeit, entweder am betroffenen Rechtsgeschäft festzuhalten oder dieses insgesamt und mit Rückwirkung (ex tunc) unwirksam zu machen. Der Senat hat die Geltung der umfassenden Nichtigkeitsfolge der An-fechtung für das Versicherungsrecht im Senatsurteil vom 1. Juni 2005 ([X.], 148) ausdrücklich bestätigt und dabei insbesondere den Umstand berücksichtigt, dass dem Versicherer trotz der anfänglichen Unwirksamkeit gemäß § 40 Abs. 1 [X.] a.F. die vereinbarten Prämien verbleiben. Weder muss sich der arglistig Getäuschte danach auf eine zeitliche Beschränkung der Nichtigkeitsfolge verweisen lassen, noch muss er sich grundsätzlich eine inhaltliche Beschränkung entgegenhal-ten lassen. Das Recht zur [X.] eröffnet die Möglichkeit, sich von einer durch Täuschung beeinflussten Willenserklärung vollständig zu lösen. Der Erklärende wird auch nicht an einer hypothetischen Erklärung festgehalten, die er bei Kenntnis der wahren Sachlage abgegeben hätte. Für die von der Revision eingeforderte Kausalitätserwägung ist insoweit kein Raum. 16 Zwar mag es Fallgestaltungen geben, in denen der Anfechtungsbe-rechtigte auch einen Mittelweg beschreiten und lediglich einzelne, inhalt-lich abgrenzbare Teile des Rechtsgeschäfts vernichten kann (vgl. [X.] 17 - 9 -

NJW 1970, 1941). Mit einer solchen Möglichkeit des Anfechtungsberech-tigten korrespondiert jedoch grundsätzlich keine Pflicht, hiervon auch Gebrauch zu machen.
b) Der Streitfall gibt keinen Anlass, von diesem Grundsatz abzu-weichen. Die von der Revision geforderte Beschränkung der [X.] das vom arglistig täuschenden Antragsteller zu tra-gende Aufdeckungsrisiko sachwidrig auf den Versicherer verlagern. [X.] bliebe im Falle der Nichtaufdeckung der Falschangaben durch einen Vertrag verpflichtet, den er ohne die Täuschung nicht mit diesem Inhalt abgeschlossen hätte. Demgegenüber bliebe dem [X.] selbst im Falle der Aufdeckung seines arglistigen Verhaltens immer noch ein [X.] erhalten, zu dessen Abschluss der Versicherer nur bei [X.] bereit gewesen wäre. Die Versuchung eines Antragstel-lers, Vorerkrankungen zu verschweigen, würde hierdurch in nicht hin-nehmbarer Weise gesteigert (vgl. dazu [X.], 148, 153). 18 2. Auch soweit die Revision geltend macht, mangels wirksamer [X.] (vgl. [X.] aaO) sei der [X.] an der Verwertung der durch die Befragung des Hausarztes erlangten In-formationen gehindert gewesen, kann sie damit nicht durchdringen. Zwar ist - nachdem das Berufungsgericht zum Inhalt der vom Kläger abgege-benen Erklärung keine näheren Feststellungen getroffen hat - davon [X.], dass eine wirksame Entbindung des Hausarztes von der Schweigepflicht und eine wirksame Ermächtigung des [X.]n, bei diesem selbständig Informationen über den Gesundheitszustand des [X.] einzuholen, nicht vorgelegen haben. Dies führt jedoch weder dazu, dass der [X.] materiell-rechtlich daran gehindert wäre, seine [X.] - 10 -

listanfechtung auf die erlangten Informationen zu stützen, noch dazu, dass die Angaben, die der Hausarzt vor dem Berufungsgericht als Zeuge gemacht hat, prozessual nicht verwertbar wären.
a) Dabei kann dahinstehen, ob - wofür einiges spricht - die Erhe-bung der Gesundheitsdaten durch den [X.]n wegen des Fehlens ei-ner wirksamen Einwilligung des [X.] als rechtswidrig anzusehen ist. Denn selbst in diesem Falle wäre der [X.] hier nicht nach den Grundsätzen von [X.] und Glauben (§ 242 BGB) daran gehindert, sich im Rahmen der Anfechtung wegen arglistiger Täuschung auf die mittels der zu weit gefassten Schweigepflichtentbindung gewonnenen Erkennt-nisse über verschwiegene Vorerkrankungen zu berufen. Die Anfechtung wäre auch dann keine unzulässige Rechtsausübung. 20 Nicht jedes rechts- oder pflichtwidrige Verhalten führt stets oder auch nur regelmäßig zur Unzulässigkeit der Ausübung der hierdurch er-langten Rechtsstellung. [X.] Verhalten eines Vertragspartners kann zwar dazu führen, dass ihm die Ausübung eines ihm zustehenden Rechts zu versagen ist, wenn er sich dieses Recht gerade durch das treuwidrige Verhalten verschafft hat (vgl. [X.]Z 57, 108, 111). [X.] gilt, wenn das treuwidrige Verhalten darauf gerichtet war, die tatsächlichen Voraussetzungen der Rechtsausübung zu schaffen, etwa die zur Ausübung eines Rücktritts- oder Anfechtungsrechts erforderliche Tatsachenkenntnis zu erlangen. Lässt sich - wie hier - ein solches zielge-richtet treuwidriges Verhalten nicht feststellen, so muss durch eine um-fassende Abwägung der maßgeblichen Umstände des Einzelfalls ent-schieden werden, ob und inwieweit einem Beteiligten die Ausübung einer Rechtsposition nach [X.] und Glauben verwehrt sein soll (vgl. [X.]Z 68, 21 - 11 -

299, 304; 55, 274, 279 f.; Looschelders/Olzen in [X.], BGB [2005] § 242 Rdn. 220, 251). Dies muss umso mehr gelten, wenn beiden Seiten ein Rechtsverstoß zur Last fällt. Die danach im Streitfall gebotene Abwägung der Parteiinteressen und sonstigen Fallumstände ergibt, dass das Interesse des [X.], den [X.]n an der Verwendung der rechtswidrig erhobenen Gesundheits-daten zu seinem Nachteil zu hindern, hinter dem Interesse des [X.]n zurückstehen muss, sich von dem nur mittels arglistiger Täuschung zu-stande gekommen Vertrag zu lösen. 22 aa) Das Interesse des [X.] an der Geheimhaltung seiner Ge-sundheitsdaten und Kontrolle des Umgangs damit ist ein Schutzgut von hohem Rang, das verfassungsrechtlich durch das Recht auf informatio-nelle Selbstbestimmung (Art. 1, 2 GG; vgl. z.B. [X.]E 84, 192, 194 f. m.w.N.) gewährleistet und auf [X.] des einfachen Rechts insbe-sondere durch §§ 3 Abs. 9, 4 Abs. 1, 28 Abs. 6 BDSG sowie durch den neu geschaffenen - im Streitfall jedoch noch nicht anwendbaren - § 213 [X.] geschützt ist. Dies zeigt sich insbesondere daran, dass eine Ver-wendung von Gesundheitsdaten nach den genannten Vorschriften grundsätzlich nur mit Einwilligung des Betroffenen und im Übrigen nur in eng begrenzten Ausnahmefällen zulässig ist. Demzufolge ist auch das Interesse des [X.], Informationen über ihn betreffende Erkrankungen - aktuelle wie vergangene - geheim zu halten und den Umgang damit zu kontrollieren, grundsätzlich hoch einzustufen. 23 - 12 -

Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung, insbesondere der Schutz von Gesundheitsdaten, gilt auch im Rahmen von [X.]. Der Schutzumfang wird im Verhältnis der [X.] einer Berufsunfähigkeitsversicherung jedoch dadurch modifiziert, dass es dem Versicherungsnehmer von Gesetzes wegen obliegt, dem Versicherer relevante Informationen über seinen Gesundheitszustand sowohl vor Vertragsschluss (§ 16 [X.] a.F.) als auch im Leistungsfall (§ 34 [X.] a.F.) zugänglich zu machen, soweit dies zur Einschätzung des Risikos bzw. zur Prüfung der Leistungspflicht des Versicherers er-forderlich ist. Das trägt dem legitimen Interesse des Versicherers an der Kenntnis und der Verwendung dieser Informationen Rechnung. Verstößt der Versicherungsnehmer gegen die Informationsobliegenheiten, kann der Versicherer daran vertragsrechtliche Sanktionen bis hin zur [X.] knüpfen (§ 6 Abs. 3 Satz 1 [X.] a.F.) bzw. sich sogar vom Vertrag insgesamt lösen (§§ 17, 22 [X.] a.F.). Das Recht missbilligt es zwar, wenn der Versicherer sich die Gesundheitsdaten ohne wirksame Einwilligung des Versicherungsnehmers selbst verschafft und schützt hierdurch dessen Dispositionsbefugnis über die ihn betreffenden Ge-sundheitsdaten. Die Kenntnis des Versicherers von diesen Daten und deren Verwendung werden als solche dagegen nicht beanstandet, [X.] als für die ordnungsgemäße Vertragsdurchführung letztlich unver-zichtbar anerkannt. Ein gesetzlich anerkanntes Interesse des [X.], seine relevanten Gesundheitsdaten geheim zu halten und trotzdem in den Genuss von Versicherungsleistungen aus einer Berufs-unfähigkeitsversicherung zu kommen, besteht demgegenüber nicht. 24 25 Im Streitfall hat der Kläger bei Vertragschluss Informationen zu Vorerkrankungen wenigstens bedingt vorsätzlich verschwiegen, um sich - 13 -

auf diese Weise einen Versicherungsschutz zu erschleichen, der ohne die Täuschung in dieser Form für ihn nicht zu erlangen gewesen wäre. Mit diesem Verhalten hat er sich seinerseits bewusst gegen die Rechts-ordnung gestellt. Sein Bestreben, den [X.]n an der Verwendung eben dieser Informationen nur deshalb zu hindern, weil der [X.] [X.] Kenntnisse gestützt auf eine zu weit gefasste Schweigepflichtentbin-dung erworben hat, verdient daher im konkreten Fall - trotz des abstrakt betrachtet hohen Schutzguts - nur in begrenztem Maße Schutz.
[X.]) Auf der anderen Seite der Abwägung steht das legitime Inte-resse des Versicherers an der Aufdeckung von Falschangaben und der Verhinderung der ungerechtfertigten Inanspruchnahme von - insbeson-dere wiederkehrenden - Versicherungsleistungen (vgl. [X.], 148, 153 f.; [X.], 1669, 1672). 26 Für die [X.] bedeutet dies konkret, dass der Versicherer in der Lage sein muss, die ihm nach §§ 16, 34 [X.] a.F. zustehenden Informationen zum Gesundheitszustand des Versicherten einzuholen und zu überprüfen. Dies betrifft sowohl den Gesundheitszu-stand im Zeitpunkt der Geltendmachung von Leistungen, als auch den Gesundheitszustand bei Anbahnung des [X.]. [X.] hatte auch im Streitfall der [X.] ein schützenswertes Interesse, im Rahmen der Prüfung des - noch im Lauf des ersten Versicherungsjah-res gestellten Leistungsantrags - die Krankheitsvorgeschichte des [X.] umfassend aufzuklären und hierzu auch die Angaben des [X.] durch Nachfrage bei [X.] zu überprüfen. 27 - 14 -

Wenngleich hier wegen einer möglicherweise zu weit gefassten [X.] und mithin des Fehlens einer wirk-samen Einwilligung durch den Versicherungsnehmer objektiv von der Rechtswidrigkeit der Erhebung der Daten beim Hausarzt ausgegangen werden muss, so fällt dennoch zugunsten des [X.]n ins Gewicht, dass er dabei entsprechend einer langjährigen, bis zur Entscheidung des [X.]s vom 23. Oktober 2006 ([X.], 1669) auch vom Senat gebilligten Praxis verfahren ist. Er hat sich die Gesund-heitsdaten des [X.] mithin nicht etwa heimlich und im Bewusstsein der rechtlichen Unzulässigkeit seiner Vorgehensweise verschafft, [X.] offen und im Vertrauen auf die Wirksamkeit der erteilten Einwilli-gungserklärung beim Hausarzt angefragt. Aus diesen Gründen kann dem [X.]n auch nicht der Vorwurf gemacht werden, den Hausarzt zum Bruch seiner Schweigepflicht verleitet zu haben. 28 Es tritt hinzu, dass der [X.], wäre ihm die Entscheidung des [X.]s vom 23. Oktober 2006 (aaO) bereits bekannt gewesen, dieselben Informationen zum Gesundheitszustand des [X.] mittels gezielter Einzelermächtigungen oder aufgrund einer über den Kläger laufenden Informationsübermittlung hätte verlangen können (vgl. dazu [X.] aaO [X.]. 54 ff.). Der Kläger hätte es dann lediglich in der Hand gehabt, entweder seinen Hausarzt zur Auskunft zu ermächtigen und die entsprechenden Informationen an den [X.]n weiterzuleiten oder aber im Interesse der Vertraulichkeit seiner Gesundheitsdaten von einer Freigabe abzusehen und damit zugleich im Ergebnis auf den erho-benen Leistungsanspruch zu verzichten ([X.] aaO). Das zeigt, dass zwar die Informationsgewinnung durch den [X.]n an behe[X.]aren Verfahrensmängeln litt, seine materielle Berechtigung, die [X.] - 15 -

daten des [X.] für seine Leistungsprüfung zu verlangen, jedoch au-ßer Frage steht.
cc) [X.] man diese Umstände gegeneinander ab, so setzt sich das Interesse des Versicherers an der Verwertung der beim Hausarzt er-hobenen Daten durch. Der Rechtsverstoß des [X.]n bei der Erhe-bung der Daten erweist sich angesichts des vorangegangenen Rechts-verstoßes des [X.] als nicht von einem solchen Gewicht, dass ihm deswegen die [X.] verwehrt wäre. 30 b) Auch prozessual war weder der [X.] daran gehindert, die Informationen zu den Vorerkrankungen des [X.] unter Berufung auf das Zeugnis des Hausarztes in das Verfahren einzuführen, noch war es dem Berufungsgericht verwehrt, den Hausarzt als Zeugen zu vernehmen und seine Angaben zu verwerten. 31 Aus denselben Erwägungen, die zum Ausschluss eines materiellen Verwertungsverbots geführt haben, besteht kein Anlass, dem [X.]n im Prozess die Berufung auf die gewonnenen Erkenntnisse zu verwehren oder für das Gericht ein Verwertungsverbot zu begründen (vgl. dazu [X.], Urteil vom 9. September 2009 - 5 [X.]/08-93). [X.] anderes ergibt sich auch nicht aus den Urteilen des XI[X.] Zivilsenats des [X.] ([X.]Z 162, 1; 166, 283; [X.], Urteil vom 12. Januar 2005 - [X.] ZR 60/03 - FamRZ 2005, 342), wonach heimlich ein-geholte Abstammungsgutachten im Vaterschaftsanfechtungsverfahren "auch als Parteivortrag ungeeignet [seien], die Schlüssigkeit einer [X.] herbeizuführen" ([X.]Z 166, 283 [X.]. 10). Der hier zu entscheidende Fall unterscheidet sich von den vom XI[X.] Zivilsenat 32 - 16 -

entschiedenen Fällen bereits dadurch, dass die geschützten Daten nicht heimlich, sondern offen und im Vertrauen auf die Wirksamkeit der erteil-ten Einwilligung erhoben wurden. Darüber hinaus hat der Parteivortrag im Vaterschaftsanfechtungsverfahren eine besondere verfahrensrechtli-che Bedeutung. Um das vom Untersuchungsgrundsatz geprägte Vater-schaftsanfechtungsverfahren in Gang zu bringen, muss der Kläger ledig-lich Umstände vortragen, die bei objektiver Betrachtung geeignet sind, Zweifel an der Abstammung des Kindes von dem als Vater geltenden Kläger zu wecken und die Möglichkeit der Abstammung des Kindes von [X.] als nicht ganz fern liegend erscheinen zu lassen ([X.]Z 162, 1, 3). Die Beweiserhebung erfolgt sodann von Amts wegen. Diese Besonderheit rechtfertigt es, das Verwertungsverbot dort bereits auf den Parteivortrag zu beziehen. Dem durch den [X.] und die Parteienmaxime geprägten regulären Zivilverfahren ist ein bereits am Vortrag ansetzendes Verwertungsverbot dagegen fremd. - 17 -

Die Verwertbarkeit der Aussage des Hausarztes ergibt sich bereits daraus, dass auch der Kläger selbst diesen zum betreffenden [X.] als Zeugen benannt und ihn insoweit konkludent von der Schwei-gepflicht entbunden hat (vgl. [X.] in [X.], ZPO 27. Aufl. § 385 Rdn. 11). 33 [X.] [X.] [X.]

[X.] [X.] Vorinstanzen: [X.], Entscheidung vom 01.12.2006 - 2/8 O 259/06 - [X.], Entscheidung vom 21.05.2008 - 7 U 22/07 -

Meta

IV ZR 140/08

28.10.2009

Bundesgerichtshof IV. Zivilsenat

Sachgebiet: ZR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 28.10.2009, Az. IV ZR 140/08 (REWIS RS 2009, 901)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2009, 901

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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I- 4 U 41/13 (Oberlandesgericht Düsseldorf)


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7 U 22/07

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