Bundesgerichtshof, Urteil vom 02.02.2021, Az. X ZR 170/18

10. Zivilsenat | REWIS RS 2021, 9000

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Gegenstand

Europäisches Patent: Auslegung eines im Patent eigenständig definierten Merkmals– Anhängerkupplung II


Leitsatz

Anhängerkupplung II

Bei der Auslegung eines Merkmals, das im Patent eigenständig definiert wird, ist nicht allein auf generelle Zielsetzungen in der Beschreibung abzustellen. Vielmehr sind auch die konkreten Funktionen zu berücksichtigen, die diesem Merkmal bei den Ausführungsbeispielen zukommen.

Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 2. Zivilsenats des [X.] vom 18. Oktober 2018 aufgehoben.

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil der 4c. Zivilkammer des [X.] vom 1. März 2018 wird zurückgewiesen.

Die Kosten der Rechtsmittel hat die Beklagte zu tragen.

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

Die Klägerin war zum Zeitpunkt der Klageerhebung eingetragene Inhaberin des am 20. Januar 2005 mit Wirkung für die [X.] angemeldeten [X.] Patents 1 557 299 (Klagepatent), das eine Anhängekupplung betrifft. Patentanspruch 1 hat nach einem Einspruchsverfahren folgenden Wortlaut (die im Einspruchsverfahren hinzugefügten Merkmale sind unterstrichen):

Anhängekupplung für Kraftfahrzeuge umfassend ein fahrzeugfestes Lagerelement (20), ein gegenüber dem fahrzeugfesten Lagerelement (20) von einer Arbeitsstellung (A) in eine Ruhestellung (R) und umgekehrt bewegbares [X.] (30), welches eine Kupplungskugel (34) und einen die Kupplungskugel (34) an einem ersten Ende (36) tragenden [X.] (32) umfasst, und eine eine Fixierstellung und eine Freigabestellung aufweisende [X.] (80), mit welcher das bewegbare [X.] (30) mindestens in der Arbeitsstellung (A) durch die Fixierstellung an dem Lagerelement (20) fixierbar ist,

dadurch gekennzeichnet, dass

das [X.] (30) in der Freigabestellung mittels eines dreiachsig schwenkbaren Gelenks (40) gelenkig mit dem Lagerelement (20) verbunden ist, dass das dreiachsig schwenkbare Gelenk ein Kugelgelenk (40) ist, dass das Kugelgelenk (40) eine von einem der Elemente (30, 20) umfasste [X.] (54) und eine vom anderen der Elemente (20, 30) umfasste, die [X.] (54) aufnehmende Gelenkpfanne (60) aufweist und dass das Kugelgelenk (40) in der Fixierstellung durch Anhängelasten bedingte Kräfte aufnimmt und diese auf das Lagerelement (20) überträgt.

2

Die Beklagte vertreibt in [X.] mit einem Gelenk, das einen Verschwenkvorgang ermöglicht, wie er in der nachfolgend wiedergegebenen Zeichnung schematisch dargestellt ist.

Abbildung

3

Hierzu ist das am Fahrzeug befestigte Ende der Kupplung mit Nuten und Verzahnungen versehen, die in der nachfolgend wiedergegebenen Zeichnung schematisch dargestellt sind.

Abbildung

4

Nach Auffassung der Klägerin machen diese Anhängekupplungen von der technischen Lehre des Klagepatents wortsinngemäß Gebrauch.

5

Das [X.] hat die Beklagte antragsgemäß zu Unterlassung, Auskunft und Rechnungslegung verurteilt und festgestellt, dass sie der Klägerin zum Schadensersatz verpflichtet ist. Das Berufungsgericht hat die Klage abgewiesen. Mit ihrer vom Senat zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter. Die Beklagte tritt dem Rechtsmittel entgegen.

Entscheidungsgründe

6

Die zulässige Revision hat Erfolg und führt zur Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.

7

I. Das Klagepatent betrifft eine Anhängekupplung.

8

1. Nach den Angaben der [X.] war im Stand der [X.]echnik aus der [X.] [X.] eine Anhängekupplung bekannt, bei der das [X.] um eine schräg im Raum stehende Schwenkachse gegenüber dem Lagerelement verschwenkbar ist. Die [X.] kritisiert daran, dass mit der um nur eine Achse möglichen Verschwenkbarkeit Raumverhältnisse vorausgesetzt werden, die nicht an jedem Kraftfahrzeug vorzufinden sind.

9

2. Das Klagepatent betrifft vor diesem Hintergrund das technische Problem, eine Anhängekupplung zur Verfügung zu stellen, die in einfacher Weise bei unterschiedlichsten Raumverhältnissen einsetzbar ist.

3. Zur Lösung schlägt Patentanspruch 1 eine Anhängekupplung mit folgenden Merkmalen vor:

1. Anhängekupplung für Kraftfahrzeuge umfassend

2. ein fahrzeugfestes Lagerelement (20),

3. ein [X.] (30),

a) welches gegenüber dem fahrzeugfesten Lagerelement (20) von einer Arbeitsstellung (A) in eine Ruhestellung (R) und umgekehrt bewegbar ist und

b) welches eine Kupplungskugel (34) und einen die Kupplungskugel (34) an einem ersten Ende (36) tragenden [X.] (32) umfasst, und

4. eine [X.] (80),

a) welche eine Fixierstellung und eine Freigabestellung aufweist,

b) mit welcher das bewegbare [X.] (30) mindestens in der Arbeitsstellung (A) durch die Fixierstellung an dem Lagerelement (20) fixierbar ist.

5. Das [X.] (30) ist in der Freigabestellung mittels eines Gelenks (40) gelenkig mit dem Lagerelement (20) verbunden.

a) Das Gelenk ist [X.] schwenkbar und

b) ein Kugelgelenk (40),

aa) welches eine von einem Element (30, 20) umfasste [X.] (54) und eine vom anderen der Elemente (20, 30) umfasste, die [X.] (54) aufnehmende Gelenkpfanne (60) aufweist.

bb) Das Kugelgelenk (409) nimmt in der Fixierstellung durch Anhängelasten bedingte Kräfte auf und überträgt diese auf das Lagerelement.

4. Ein in der Beschreibung des Klagepatents geschildertes Ausführungsbeispiel ist in den nachfolgend wiedergegebenen Figuren 2 und 3 schematisch dargestellt.

Abbildung

Abbildung

Das [X.] (30), das unter anderem einen [X.] (32) und eine hinter dem Stoßfänger (18) liegende Kupplungskugel (34) aufweist, kann aus einer Arbeitsstellung (A) in eine Ruhestellung (R) verschwenkt werden. In der Ruhestellung (R) erstreckt sich der [X.] (32) zwischen der Rückseite (14) des unteren Fahrzeug-Heckbereichs (16) und dem Stoßfänger (18) und wird von diesem im Wesentlichen überdeckt (Abs. 75). Um diese Verschwenkung zu ermöglichen, ist das [X.] (30) mit "einem als Ganzes mit (40) bezeichneten im Raum um drei senkrecht zueinander verlaufende Achsen, das heißt [X.], schwenkbaren Gelenk an dem Lagerelement (20)" gelagert (Abs. 76). Dieses Gelenk erlaubt es, den [X.] (32) so weit in einer von der Kupplungskugel (34) wegweisenden Richtung (44) zu verschwenken, dass sich die Kugel (34) in einer Richtung (46) zur Fahrbahn (48) hin in eine [X.]auchstellung ([X.]) absenken lässt. In der [X.]auchstellung ([X.]) lässt sich die Kupplungskugel (34) um eine Drehachse (50) drehen und unter der Unterkante (38) des Stoßfängers (18) hindurchbewegen (Abs. 76).

Das [X.] schwenkbare Gelenk (40) besteht vorzugsweise aus einem Gelenkgehäuse (52), in dem eine [X.] (54) angeordnet ist, die im ihren Kugelmittelpunkt (62) allseits schwenkbar gelagert ist (Abs. 78).

II. Das Berufungsgericht hat die Abweisung der Klage im Wesentlichen wie folgt begründet:

Die [X.]e Verschwenkbarkeit gemäß Merkmal 5 a gewährleiste eine Vielzahl von Schwenkbewegungen, um den unterschiedlichsten Raumverhältnissen an Kraftfahrzeugen gerecht zu werden.

Bei der Auslegung des Merkmals 5 a gehe der Fachmann, ein Maschinenbauingenieur mit vertieften Kenntnissen der Getriebelehre und mehrjähriger Erfahrung in der Konstruktion von schwenkbaren [X.], von einem in der Fachsprache fest etablierten Verständnis aus, demzufolge jeder Gelenktyp sich durch einen ihm eigenen [X.] auszeichne. Damit werde im Falle einer Drehbeweglichkeit die Zahl der Drehachsen bezeichnet, um die relative Einzelbewegungen der Gelenkglieder im Verhältnis zueinander stattfinden könnten. Demnach besage der Begriff eines [X.] schwenkbaren Gelenks (Merkmal 5 a) folgerichtig, dass das [X.] gegenüber dem Lagerelement um drei verschiedene Drehachsen beweglich sei.

Die Beschreibung des Klagepatents definiere ein [X.] schwenkbares Gelenk als im Raum um drei senkrecht zueinander verlaufende Achsen schwenkbar. Dies bedeute ebenfalls, dass das Gelenk drei Freiheitsgrade für eine Verschwenkung des [X.]s aufweisen müsse. Soweit die Beschreibung eine senkrechte Anordnung der drei Achsen schildere, sei dies einer speziellen Ausgestaltung geschuldet, die fakultativ sei und nicht in Merkmal 5 a hineininterpretiert werden dürfe. Hingegen [X.] die [X.] um drei Raumachsen allgemein, was ein [X.]es schwenkbares Gelenk ausmache. Dies leuchte dem Fachmann auch deshalb ein, weil mit jedem weiteren Freiheitsgrad die angestrebte Einsatzflexibilität der patentgemäßen Schwenkkupplung steige und das Anliegen des Klagepatents gerade in dieser Hinsicht außerordentlich ambitioniert sei.

Bei der angegriffenen Ausführungsform sei Merkmal 5 a nicht verwirklicht, weil das Gelenk wegen der [X.] nur zwei Freiheitsgrade aufweise.

III. Diese Beurteilung hält der revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand.

Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts setzt eine [X.]e Verschwenkbarkeit im Sinne von Merkmal 5 a nicht voraus, dass das Gelenk drei Freiheitsgrade aufweist. Vielmehr genügt es, dass das [X.] um drei Achsen verschwenkt werden kann.

1. Wie auch das Berufungsgericht im Ausgangspunkt nicht verkannt hat, ist die Auslegung eines Patentanspruchs auch dann geboten, wenn dessen Wortlaut nach dem allgemeinen Sprachgebrauch oder Fachverständnis eindeutig zu sein scheint.

Ziel der Auslegung ist nicht ein bloß philologisches Verständnis. Zu ermitteln ist vielmehr der technische Sinngehalt des Patentanspruchs. Aus der Beschreibung und den Zeichnungen, die gemäß Art. 69 Abs. 1 Satz 2 EPÜ zur Auslegung heranzuziehen sind, kann sich ergeben, dass die Patentschrift Begriffe eigenständig definiert und insoweit ein patenteigenes Lexikon darstellt ([X.], Urteile vom 2. März 1999 - [X.], [X.], 909, 912 zu [X.] - Spannschraube; Urteil vom 12. Mai 2015 - [X.], [X.], 875 Rn. 16 - Rotorelemente).

2. Nach diesen Grundsätzen ist ein Gelenk schon dann als [X.] schwenkbar im Sinne von Merkmal 5 a anzusehen, wenn es eine Verschwenkung des [X.]s um drei unterschiedliche Raumachsen ermöglicht - unabhängig davon, ob die einzelnen Schwenkbewegungen gleichzeitig oder nur hintereinander möglich sind.

a) Wie auch das Berufungsgericht nicht verkannt hat, nimmt das Klagepatent hinsichtlich des Begriffs "[X.] schwenkbar" weder auf einen allgemeinen technischen Sprachgebrauch noch auf die Zahl der gleichzeitig möglichen Freiheitsgrade Bezug. Im Mittelpunkt steht vielmehr die Funktion, die dem so definierten Gelenk zukommt.

Nach der Beschreibung hat das [X.] schwenkbare Gelenk die Funktion, den [X.] (32) unter dem Stoßfänger (38) hindurch in die hinter diesem gelegene Ruheposition (R) zu verbringen (Abs. 76 Z. 2-5; Abs. 7 Z. 41-44). Die Ausgestaltung als Kugelelement mit einer allseits schwenkbar gelagerten [X.], die drei Freiheitsgrade im Sinne des vom Berufungsgericht festgestellten allgemeinen technischen Sprachgebrauchs ermöglicht, wird nur als bevorzugte Ausführungsform bezeichnet (Abs. 78). Zwingend erforderlich ist diese Anzahl an Freiheitsgraden bei dem in den Figuren 2 und 3 dargestellten Ausführungsbeispiel nicht.

Bei diesem Ausführungsbeispiel wird die mit der Erfindung angestrebte Funktion durch drei aufeinanderfolgende [X.]eilbewegungen verwirklicht, bei denen das [X.] (30) jeweils nur um eine Achse verschwenkt wird. Das [X.] (30) muss damit zwar bezogen auf das Fahrzeug und den umgebenden Raum um drei Achsen verschwenkbar sein. Bezogen auf das Gelenk (40) genügt hingegen eine Verschwenkbarkeit um zwei Achsen, weil sich die Ausrichtung jeder Schwenkachse bei einer Verschwenkung um eine andere Achse verändert.

Diese funktionale Beschreibung spricht dafür, dass ein [X.] schwenkbares Gelenk im Sinne von Merkmal 5 a unabhängig vom allgemeinen technischen Sprachgebrauch lediglich diejenigen Freiheitsgrade aufweisen muss, die erforderlich sind, um die angestrebte Bewegung des [X.]s zu ermöglichen.

b) Für dieses Verständnis spricht zudem die in diesem Zusammenhang in der Beschreibung verwendete Formulierung, wonach ein [X.]es Gelenk "im Raum" um drei orthogonale Achsen schwenkbar sein muss (Abs. 76 Z. 6 f.).

Wie bereits oben dargelegt wurde, ermöglicht auch ein Gelenk mit nur zwei Freiheitsgraden, dass das [X.] (30) bezogen auf den Raum zeitlich versetzt um drei Achsen verschwenkt werden kann, wie dies im Ausführungsbeispiel beschrieben ist.

c) Vor diesem Hintergrund ergeben sich aus den allgemeinen Ausführungen in der Beschreibung des Klagepatents, wonach die patentgemäße Vorrichtung eine Vielzahl von Schwenkbewegungen ermöglicht (Abs. 7), keine weitergehenden Anforderungen.

Diesen Ausführungen lässt sich zwar die generelle Zielsetzung des Klagepatents entnehmen. In welcher Weise und in welchem Umfang diese Zielsetzung zu verwirklichen ist, ist aber durch Auslegung des Patentanspruchs zu bestimmen. Hierbei darf auch bei einer weitreichenden Zielvorgabe in den einleitenden Bemerkungen der Beschreibung nicht ohne weiteres davon ausgegangen werden, dass das Patent eine optimale Verwirklichung dieser Ziele fordert. Vielmehr sind auch die in der Beschreibung geschilderten Ausführungsbeispiele zu berücksichtigen, die in der Regel dazu dienen, den Gegenstand, für den Schutz beansprucht wird, anhand seiner technischen Funktionen zu verdeutlichen. Zwar kann sich aus dem Gesamtinhalt der Patentschrift im Einzelfall ergeben, dass einzelne oder sogar alle in der Beschreibung geschilderten Ausführungsbeispiele nicht alle im Patentanspruch vorgesehenen Merkmale verwirklichen. Sofern sich vermeintliche Widersprüche, die sich aus dem Wortlaut oder dem allgemeinen technischen Verständnis ergeben könnten, durch eine an einem sinnvollen Zusammenhang orientierte Auslegung vermeiden lassen, gebührt diesem Verständnis aber grundsätzlich der Vorrang ([X.], Urteil vom 2. Juni 2015 - [X.], [X.], 972 Rn. 22 - Kreuzgestänge; Urteil vom 10. Mai 2011 - [X.], [X.]Z 189, 330 = GRUR 2011, 701 Rn. 24 - [X.]; Urteil vom 4. Februar 2010 - [X.], [X.], 602 Rn. 27 - Gelenkanordnung; Urteil vom 31. März 2009 - [X.], [X.]Z 180, 215 = [X.], 653 Rn. 16 - Straßenbaumaschine).

Im Streitfall würde ein Gelenk mit drei Freiheitsgraden eine noch weitergehende Flexibilität ermöglichen. Dem Umstand, dass die Beschreibung des Streitpatents auch ein Ausführungsbeispiel, bei dem dieses Optimum nicht erreicht wird, als erfindungsgemäß schildert, und dass der Patentanspruch ein darüber hinausgehendes Maß an Flexibilität nicht vorsieht, ist jedoch zu entnehmen, dass es ausreicht, wenn das [X.] bezogen auf den Raum um drei Achsen verschwenkbar ist.

d) Schließlich enthält der Begriff einer [X.]en Verschwenkbarkeit auch keine Vorgabe, das Gelenk mit oder ohne eine Bahnführung zu realisieren.

Patentanspruch 1 überlässt die Art und Weise, in der die Verschwenkung um (bezogen auf den Raum) drei Achsen durchgeführt wird, dem Fachmann. Merkmal 5 a ist angesichts dessen auch dann verwirklicht, wenn mit Hilfe einer Bahnführung ein bestimmter Bewegungsvorgang fest vorgegeben ist, sofern dieser zumindest eine zeitlich aufeinanderfolgende Verschwenkung um drei unterschiedliche Raumachsen umfasst.

e) Diese Auslegung steht nicht in Widerspruch zur Entscheidung der Einspruchsabteilung des Europäischen Patentamts.

Die Einspruchsabteilung hat die (gemäß Art. 54 Abs. 3 EPÜ nur für die Neuheitsprüfung relevante) [X.] Patentanmeldung 1 533 149 als nicht neuheitsschädlich angesehen, weil dort zwar eine [X.] offenbart ist, nicht aber ein [X.] schwenkbares Element (Beschluss vom 30. Juni 2010, [X.] oben). Diese Beurteilung erweist sich auf der Grundlage der vom Senat zugrunde gelegten Auslegung als zutreffend. Das in der Entgegenhaltung offenbarte Gelenk ermöglicht nur Drehbewegungen um eine Achse sowie leichte [X.]aumelbewegungen um eine zweite Achse, nicht hingegen eine Verschwenkung um drei Raumachsen im oben aufgezeigten Sinn.

3. Ausgehend von dieser Auslegung ist Merkmal 5a bei der angegriffenen Ausführungsform wortsinngemäß verwirklicht.

Nach den insoweit nicht angefochtenen Feststellungen des Berufungsgerichts wird das [X.] der angegriffenen Ausführungsform zunächst horizontal quer zur Fahrzeuglängsrichtung, sodann vertikal und schließlich horizontal in Fahrzeuglängsrichtung verschwenkt. Dies ist bezogen auf den Raum eine Verschwenkung um drei unterschiedliche Achsen.

Ob der bei der angegriffenen Ausführungsform gewählte Bewegungsablauf in jeder Hinsicht mit dem im ersten Ausführungsbeispiel des Klagepatents geschilderten Ablauf übereinstimmt, ist unerheblich. Patentanspruch 1 enthält keine Festlegung auf den beispielhaft geschilderten Bewegungsablauf. Er lässt es vielmehr genügen, wenn eine Verschwenkung um drei unterschiedliche Raumachsen stattfindet.

IV. Das angefochtene Urteil erweist sich nicht aus anderen Gründen als im Ergebnis richtig.

Bei der angegriffenen Ausführungsform ist auch das Merkmal 5b verwirklicht.

1. Entgegen der Auffassung der [X.] ist auch für die Auslegung des Begriffs "Kugelgelenk" nicht der allgemeine technische Sprachgebrauch ausschlaggebend, wie er etwa in der VDI-Richtlinie 2156 zum Ausdruck kommt. Vielmehr ist auch insoweit die Funktion maßgeblich, die das Streitpatent dem so bezeichneten Gelenk beimisst.

2. Danach genügt zur Verwirklichung der Merkmalsgruppe 5 b ein Gelenk, das aus einer Kugel und einer diese umgebende Gelenkpfanne besteht und damit die Voraussetzungen für eine [X.]e Schwenkbewegung im Sinne von Merkmal 5 a schafft.

a) Die Ermöglichung einer solchen Schwenkbewegung ist die Funktion, zu deren Verwirklichung das Streitpatent ein [X.]es Gelenk und vorzugsweise ein Kugelgelenk einsetzt. Folglich ist ein Gelenk unabhängig vom allgemeinen Sprachgebrauch als Kugelgelenk anzusehen, wenn es diese Funktion verwirklicht.

b) Vor diesem Hintergrund führt der Umstand, dass ein Gelenk mit einer allseits schwenkbar gelagerten [X.] in der bereits oben zitierten Passage der Beschreibung (Abs. 78) als vorzugswürdig bezeichnet wird, nicht zu einer abweichenden Beurteilung.

Eine allseits schwenkbare Lagerung ist nach den Feststellungen des Berufungsgerichts und dem Vorbringen der Revisionserwiderung nach allgemeinem Sprachgebrauch eine für Kugelgelenke charakteristische Eigenschaft. In der Beschreibung des Streitpatents werden das Vorhandensein einer [X.] und einer diese aufnehmenden Gelenkpfanne sowie die allseits schwenkbare Lagerung der Kugel aber nicht als zwingend zusammengehörende Merkmale geschildert. Dies steht in Einklang damit, dass eine solche Verschwenkbarkeit zur Verwirklichung der erfindungsgemäßen Funktion nicht erforderlich ist. Der Umstand, dass nur die [X.] und die Gelenkpfanne in Patentanspruch 1 Niederschlag gefunden haben, spricht angesichts dessen dafür, dass die zuletzt genannte Eigenschaft nicht zwingend vorhanden sein muss.

V. Der Rechtsstreit ist zur Endentscheidung reif (§ 563 Abs. 3 ZPO).

Die Berufung gegen die Entscheidung des [X.] erweist sich als unbegründet.

1. Entgegen der Auffassung der Revisionserwiderung sind zur Auslegung von Merkmal 5 b und zu der Frage, ob dieses Merkmal bei der angegriffenen Ausführungsform verwirklicht ist, weder die Einholung eines Sachverständigengutachtens noch ergänzende tatrichterliche Feststellungen erforderlich.

a) Die Auslegung des Patentanspruchs ist eine Rechtsfrage, deren Beurteilung dem [X.] nicht zugänglich ist. Die für die Auslegung maßgeblichen tatsächlichen Grundlagen sind durch die vom Berufungsgericht getroffenen Feststellungen hinreichend geklärt. Aus dem Vorbringen der Revisionserwiderung ergeben sich keine Anhaltspunkte dafür, dass zusätzliche Feststellungen erforderlich sein könnten.

b) Die Ausgestaltung der angegriffenen Ausführungsform ergibt sich aus den insoweit nicht angefochtenen Feststellungen des Berufungsgerichts. Auch insoweit ist nicht ersichtlich, dass ergänzende Feststellungen in Betracht kommen.

2. Wie das [X.] zutreffend und insoweit nicht angegriffen ausgeführt hat, sind bei der angegriffenen Ausführungsform auch alle übrigen Merkmale des Patentanspruchs 1 wortsinngemäß verwirklicht und alle weiteren Voraussetzungen für die mit der Klage geltend gemachten Ansprüche gegeben.

VI. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 Satz 1 und § 97 Abs. 1 ZPO.

[X.]     

      

Grabinski     

      

Hoffmann

      

Deichfuß     

      

Marx     

      

Meta

X ZR 170/18

02.02.2021

Bundesgerichtshof 10. Zivilsenat

Urteil

Sachgebiet: ZR

vorgehend OLG Düsseldorf, 18. Oktober 2018, Az: I-2 U 15/18

§ 69 Abs 1 EuPatÜbk

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 02.02.2021, Az. X ZR 170/18 (REWIS RS 2021, 9000)

Papier­fundstellen: MDR 2021, 955-956 GRUR 2021, 942 REWIS RS 2021, 9000

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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Referenzen
Wird zitiert von

2 Ni 3/20 (EP)

Zitiert

X ZR 43/13

X ZR 103/13

X ZR 16/09

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