Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 14.04.2016, Az. V ZB 112/15

V. Zivilsenat | REWIS RS 2016, 13010

© REWIS UG (haftungsbeschränkt)

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Entscheidungstext


Formatierung

Dieses Urteil liegt noch nicht ordentlich formatiert vor. Bitte nutzen Sie das PDF für eine ordentliche Formatierung.

PDF anzeigen

[X.]:[X.]:BGH:2016:140416BVZB112.15.0

BUN[X.]SGERICHTSHOF

BESCHLUSS
V ZB 112/15
vom

14. April 2016

in der Abschiebungshaftsache

-
2
-
Der V.
Zivilsenat des [X.] hat am 14. April 2016
durch die Vorsitzende Richterin Dr.
Stresemann, die Richterin Prof. Dr. Schmidt-Räntsch und [X.], [X.] und [X.]

beschlossen:

Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird unter Zurückweisung des Rechtsmittels im Übrigen festgestellt, dass die Beschlüsse der 4. Zivilkammer des [X.] vom 15.
September 2014 und des [X.] vom 23. Juli 2014 den Betroffenen insoweit in seinen Rechten verletzt haben, als die angeordnete Haft bis zum 25. Juli 2014 in der [X.] vollzogen worden ist.

Der Betroffene trägt die Kosten des [X.].

Der Gegenstandswert des [X.] beträgt

Gründe:

I.

Der Betroffene reiste im Jahr 2000 unerlaubt nach [X.] ein und stellte einen Asylantrag, der zurückgewiesen wurde. Diese Entscheidung ist seit dem 11. November 2003 rechtskräftig. Eine im Jahr 2004 versuchte [X.]
-
3
-
bung misslang, weil der Betroffene untertauchte. Nach seinen Angaben verließ er [X.], kehrte aber 2009 wieder zurück. Er wurde am 23. Juli 2014 in [X.] mit gefälschten Papieren angetroffen und festgenommen.

Mit Beschluss vom 23. Juli 2014 hat das Amtsgericht gegen den Be-troffenen Haft zur Sicherung der
Abschiebung nach [X.] für die Dauer von drei Monaten angeordnet, die zunächst in der [X.] und seit dem 26. Juli 2014 in dem [X.] vollzogen worden ist. Eine während des Verfahrens über die Beschwerde des Betroffenen gegen die Haftanordnung für den 1. September 2014 vorgesehene [X.] ist gescheitert, weil sich der Betroffene nach einem Hungerstreik Verlet-zungen am Handgelenk beigebracht hatte und deshalb -
am 8. Oktober 2014 -
begleitet abgeschoben werden sollte. Das [X.] hat die Beschwerde des Betroffenen mit Beschluss vom 15. September 2014
zurückgewiesen. Dagegen wendet sich der Betroffene mit der Rechtsbeschwerde, nach seiner Entlassung aus der Haft am 7. Oktober 2014 mit dem Antrag, die Rechtswidrigkeit des [X.] der angeordneten Haft festzustellen.

II.

Das Beschwerdegericht hält die Anordnung der Abschiebungshaft und ihre Fortdauer für rechtmäßig. Ob der kurzfristige Hungerstreik des Betroffenen b-schiebehindernis darstelle, sei eine Frage des materiellen Ausländerrechts. [X.] erneute persönliche Anhörung des Betroffenen sei nicht geboten gewesen, weil von ihr keine weiteren Erkenntnisse zu erwarten gewesen seien.

2
3
-
4
-
III.

Die
angefochtenen Entscheidungen
halten im Ergebnis einer rechtlichen Prüfung weitgehend stand.

1. Das Amtsgericht durfte [X.] gegen den Betroffenen in dem Zeitraum vom 23. bis zum 25. Juli 2014 nicht anordnen. In dem daran anschlie-ßenden Zeitraum ist die Anordnung dagegen nicht zu beanstanden.

a) Bis zum 25. Juli 2014 durfte das Amtsgericht [X.] nicht an-ordnen, weil abzusehen war, dass die Haft in der [X.] und damit unter Verletzung der im Lichte von Art. 16 Abs. 1 Satz 1 der Richtlinie 2008/115/[X.] auszulegenden Vorschrift des § 62a Abs. 1 [X.] vollzogen werden würde (vgl. näher
[X.], Beschluss vom 25. Juli 2014 -
V
[X.]/14, [X.] 2014, 230 Rn. 7 ff.).

b) Dieses Hindernis bestand aber seit dem 26. Juli 2014 nicht mehr.

[X.]) Der Haftrichter muss zwar im Hinblick auf das Gebot einer möglichst wirksamen Anwendung des Rechts
der Union (effet utile) die Anordnung von [X.] ablehnen, wenn absehbar ist, dass der Betroffene entgegen den Vorgaben des Unionsrechts untergebracht werden wird ([X.], Vorlagebe-schluss vom 11. Juli 2013 -
V [X.], NVwZ 2014, 166, Rn. 20 und [X.] vom 25. Juli 2014 -
V [X.]/14,
[X.]O
Rn. 5). Der weitere Vollzug einer unter Verstoß gegen diese Verpflichtung angeordneten Haft ist aber nur rechtswidrig, wenn der Richtlinie widersprechende Haftbedingungen [X.] werden. Stellt die beteiligte Behörde dagegen richtlinienkonforme [X.] her, steht der Fehler bei der Anordnung der Haft deren Aufrecht-4
5
6
7
8
-
5
-
erhaltung und deren weiteren Vollzug nicht entgegen (vgl. [X.], Beschluss vom 25. Juli 2014 -
V [X.]/14, [X.] 2014, 230 Rn. 11).

[X.]) So liegt es hier seit dem 26. Juli 2014. Im [X.] an den [X.] hat das [X.] seine Unterbrin-gungspraxis geändert. Es hat den Vollzug der [X.] in der [X.] umgehend beendet und ihn in anderen Einrichtungen fortge-setzt, die den Anforderungen der Richtlinie genügen (Runderlass des [X.] vom 25. Juli 2015 -
15-39.16.04-2-13-339(2604), veröffentlicht im Sammelblatt [X.]). Im Zuge dieser Maßnahme ist auch der Betroffene in eine solche Gewahrsamseinrichtung [X.] worden. Dem weiteren Vollzug standen deshalb die [X.] nicht mehr entgegen.

c) Die Anordnung der Haft durch das Amtsgericht ist für den Zeitraum ab dem 26. Juli 2016 nicht zu beanstanden. Von einer Begründung wird gemäß §
74 Abs. 7 FamFG abgesehen.

2. Die Entscheidung des [X.] ist ebenfalls nicht zu bean-standen, soweit die Haft nach dem 25. Juli 2014 aufrechterhalten worden ist. Etwas anderes ergibt sich, anders als der Betroffene meint, nicht daraus, dass es ihn nicht erneut persönlich angehört hat. Dazu war es auch im Hinblick auf den Suizidversuch nicht verpflichtet.

a) Allerdings verletzt die Aufrechterhaltung der angeordneten Siche-rungshaft durch das Beschwerdegericht die Rechte des Betroffenen nach Art. 104 Abs. 1 GG, wenn dessen zwingend gebotene erneute persönliche Anhö-rung unterbleibt (vgl. [X.], Beschluss vom 10. Oktober 2013
-
V [X.], 9
10
11
12
-
6
-
[X.] 2014, 39 Rn. 9; Beschluss vom 18. Dezember 2014 -
V [X.]/13,
juris Rn. 9 mwN); es kommt in diesem Fall auch nicht darauf an, ob die Haft in der Sache zu Recht aufrechterhalten worden ist (vgl. [X.], Beschluss vom 17.
Juni 2010 -
V [X.], [X.] 2010, 384 Rn. 9 mwN).
Das Beschwerde-gericht ist indessen im Unterschied zum Haftrichter nicht in jedem Fall verpflich-tet, den Betroffenen vor seiner Entscheidung (erneut) persönlich anzuhören. Es darf davon vielmehr unter den in § 68 Abs. 3 Satz 2 FamFG genannten Voraus-setzungen absehen. Zu einer Verletzung der Rechte des Betroffenen nach Art.
2 Abs. 2 Satz 2,
Art. 104 Abs. 1 GG führt ein Absehen von der erneuten persönlichen Anhörung des Betroffenen im Beschwerdeverfahren deshalb nur, wenn diese Voraussetzungen nicht vorlagen und die Anhörung auch im Be-schwerdeverfahren zwingend geboten war ([X.],
Beschluss
vom
29.
Oktober 2015 -
V [X.], [X.] 2016, 54 Rn. 6).

b) Das war hier nicht der Fall.

[X.]) Im Verlauf des Beschwerdeverfahrens hat die beteiligte Behörde zwar mitgeteilt, der Betroffene habe in der [X.] einen Suizidversuch unternommen. Daraus konnte sich, wie der Betroffene im Ansatz zu Recht geltend macht, ein Abschiebungshindernis ergeben. Es ist auch rich-tig, dass das Beschwerdegericht von einer erneuten persönlichen Anhörung des Betroffenen nicht ohne Weiteres nach § 68 Abs. 3 FamFG absehen darf, wenn solche Tatsachen nach dem Erlass der Haftanordnung eintreten. Dazu ist es vielmehr nur befugt, wenn diese Tatsachen für die Entscheidung offensicht-lich unerheblich sind ([X.], Beschluss vom 10. Oktober 2012 -
V [X.], [X.] 2013, 40 Rn. 11).

[X.]) So liegt es hier.
13
14
15
-
7
-
(1) Der Suizidversuch eines Betroffenen kann zwar auch im Verfahren der Freiheitsentziehung Bedeutung erlangen.
Uneingeschränkt gilt das aber nur, wenn er die Haftfähigkeit des Betroffenen in Frage stellt. Denn diese muss der Haftrichter prüfen ([X.], Beschluss vom 12. Mai 2011 -
V [X.], juris Rn. 8 und vom 30. Oktober 2013 -
V [X.], [X.] 2014, 138
Rn. 7). Anders liegt es dagegen, wenn der Suizidversuch die Frage nach einem Ab-schiebungshindernis nach § 60 Abs. 7 [X.] aufwirft. Die Prüfung dieser Frage ist Aufgabe der Verwaltungsgerichte, nicht des [X.]. Der [X.] hat in einem solchen Fall nur zu prüfen, ob die Abschiebung trotz des von dem Betroffenen geltend gemachten [X.]s durchgeführt werden kann ([X.], Beschlüsse vom 12. Juni 1986 -
V [X.], [X.], 109, 112, vom 25. Februar 2010 -
V [X.]/09 -
NVwZ 2010,
726 Rn. 23 f.
und vom 11. Oktober 2012 -
V [X.], [X.] 2013, 40 Rn. 11; zu weitgehend daher [X.], Beschluss vom 27. August 2010 -
329 [X.], juris Rn.
13
f.). Dazu hat er eigene Ermittlungen anzustellen; insbesondere muss er sich über den Stand und die Erfolgsaussichten eines behördlichen oder verwal-tungsgerichtlichen Verfahrens erkundigen, in dem über das Vorliegen etwaiger [X.] entschieden wird (vgl. [X.], Beschlüsse vom 10.
Mai 2012 -
V [X.], juris Rn. 14 und vom 11. Oktober 2012
-
V [X.], [X.]O).

(2) Danach musste das Beschwerdegericht den Betroffenen nicht per-sönlich anhören.

(a) Weder die Mitteilung der beteiligten Behörde vom 2. September 2014 noch die Stellungnahme des -
anwaltlich vertretenen -
Betroffenen dazu vom 10. September 2014 ergaben Anhaltspunkte dafür, dass der Betroffene nach dem Suizidversuch nicht (mehr) haftfähig war. Der Suizidversuch hat nach den 16
17
18
-
8
-
von dem Betroffenen nicht angezweifelten Angaben der beteiligten Behörde in den ersten Tagen der Haft noch vor dessen
Verlegung in den [X.] in [X.] stattgefunden. Als Auslöser des Suizidversuchs hat die beteiligte Behörde die Abschiebung gesehen und deshalb einen neuen Ab-schiebungsversuch mit Sicherheitsbegleitung und ärztlicher Aufsicht vorbereitet. In seiner Stellungnahme zu dieser Mitteilung hat auch der Betroffene selbst die Abschiebung, nicht die Haft,
als möglichen Auslöser eines neuen Suizidver-suchs gesehen und die Haft deshalb als unverhältnismäßig angesehen, weil die Abschiebung nicht gelingen werde.

(b) Anhaltspunkte dafür, denen das Beschwerdegericht in seinem be-schränkten Prüfungsrahmen hätte nachgehen müssen, boten die Mitteilung der beteiligten Behörde und die Stellungnahme des Betroffenen ebenfalls nicht. Die Behörde hat dargelegt, dass sie die Abschiebung mit den geschilderten Vorkeh-rungen am 8. Oktober 2014, mithin noch während der angeordneten Haft, durchführen wolle. Dass und aus welchen
Gründen dies nicht gelingen könnte, war nicht ersichtlich und wurde von dem Betroffenen auch nicht geltend ge-macht und wird von ihm auch jetzt nicht näher erläutert. Dass dieser
gegen die Abschiebung wegen des Suizidversuchs (einstweiligen) Rechtsschutz bei den Verwaltungsgerichten beantragt hatte
oder beantragen würde, war nicht anzu-nehmen. Der Betroffene hat sich in seiner Stellungnahme auf den Hinweis be-schränkt, die Ausländerbehörde habe der Frage
nachzugehen, ob der Suizid-versuch der Abschiebung entgegenstehe.
19
-
9
-
IV.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 81 Abs. 1 Satz 1 und 2, § 83 Abs.
2, § 84, § 430 FamFG, Art. 5 Abs. 5 [X.] analog. Der [X.] hält es für angemessen, dem Betroffenen die Kosten des Verfahrens vollständig aufzuer-legen, weil sein Antrag nur in einem verhältnismäßig geringfügigen Umfang [X.] ist.

[X.]Schmidt-Räntsch Czub

Kazele Göbel

Vorinstanzen:
AG [X.], Entscheidung vom 23.07.2014 -
51 XIV 790 B -

LG [X.], Entscheidung vom 15.09.2014 -
4 [X.] -

20

Meta

V ZB 112/15

14.04.2016

Bundesgerichtshof V. Zivilsenat

Sachgebiet: ZB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 14.04.2016, Az. V ZB 112/15 (REWIS RS 2016, 13010)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2016, 13010

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

V ZB 137/14 (Bundesgerichtshof)

Ab- und Zurückschiebungshaftanordnung: Rechtswidrigkeit wegen Verstoßes gegen die EG-Richtlinie über die Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger …


V ZB 137/14 (Bundesgerichtshof)


V ZB 174/14 (Bundesgerichtshof)


V ZB 20/14 (Bundesgerichtshof)


V ZB 74/15 (Bundesgerichtshof)

Haft zur Sicherung der Rücküberstellung: Zulässigkeit eines Antrags auf Feststellung der Rechtswidrigkeit nach Haftentlassung im …


Referenzen
Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.