Bundessozialgericht, Beschluss vom 26.05.2020, Az. B 1 KR 14/19 B

1. Senat | REWIS RS 2020, 2275

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Gegenstand

Sozialgerichtliches Verfahren - Nichtzulassungsbeschwerde - grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache - Darlegung der Klärungsfähigkeit


Tenor

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Beschluss des [X.] vom 19. Februar 2019 wird als unzulässig verworfen.

Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

Gründe

1

I. Die bei der beklagten Krankenkasse ([X.]) versicherte, am 1997 geborene Klägerin hatte neun kariöse Zähne, zu deren Behandlung sie bei der Beklagten einen vertragszahnärztlichen Heil- und Kostenplan ([X.]; 30.4.2012) einreichte, der für die Füllungen Kompositmaterialien (Kunststoff) vorsah. Die Beklagte lehnte die Übernahme der Mehrkosten gegenüber den preisgünstigeren Amalgamfüllungen ab (Bescheid vom [X.], Widerspruchsbescheid vom [X.]). Die Klägerin ließ vor und während des Klageverfahrens den überwiegenden Teil der beantragten Behandlung (bis auf die Zähne 35 und 37 sowie weitere vom [X.] nicht erfasste Zähne) bei drei Zahnärzten durchführen (Juni 2012 , Juli 2014 und April/Mai 2018 ). Die dritte Behandlung beruhte auf einem [X.] vom 6.3.2018. Das [X.] hat nach Einholung eines Sachverständigengutachtens die auf Zahlung von 748,97 [X.] und auf Übernahme der Mehrkosten für die noch nicht ausgeführten Füllungen gerichtete Klage abgewiesen (Urteil vom 27.6.2018). Das L[X.] hat - teilweise unter Bezugnahme auf die Gründe des [X.]-Urteils - die Berufung zurückgewiesen. Die Berufung sei zulässig, weil die Klägerin auch die Versorgung mit weiteren Kunststofffüllungen begehre. Sie sei aber unbegründet. § 28 Abs 2 Satz 1 [X.]B V gewährleiste eine nach den Regeln der ärztlichen Kunst ausreichende und zweckmäßige zahnmedizinische Versorgung. Bei Wahl einer darüber hinausgehenden Versorgung seien Mehrkosten nach Maßgabe des § 28 Abs 2 Satz 2 bis 5 [X.]B V vom Versicherten zu tragen. Preisgünstigere Amalgamfüllungen entsprächen ausweislich des Sachverständigengutachtens, dem sich der Senat anschließe, weiterhin einer ausreichenden und zweckmäßigen Versorgung. Zwar sehe [X.] des [X.] für zahnärztliche Leistungen ([X.]) gemäß § 87 Abs 2 und 2h [X.]B V unter Berücksichtigung der Verordnung ([X.]) 2017/852 des [X.]päischen Parlaments und des Rates vom 17.5.2017 über Quecksilber und zur Aufhebung der Verordnung ([X.]) [X.] 1102/2008 vor, dass Jugendliche bis zur Vollendung des 15. Lebensjahres auch ohne eine gegenüber Amalgam bestehende Kontraindikation ab 1.7.2018 Anspruch auf Versorgung mit Kompositfüllungen im Seitenzahnbereich hätten. Diese Regelung gelte aber nicht rückwirkend (Beschluss vom 19.2.2019).

2

Die Klägerin wendet sich mit ihrer Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im L[X.]-Beschluss.

3

II. Die Beschwerde ist unzulässig und daher gemäß § 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm § 169 Satz 3 [X.]G zu verwerfen. Ihre Begründung entspricht nicht den aus § 160a Abs 2 Satz 3 [X.]G abzuleitenden Anforderungen an die Darlegung der geltend gemachten Revisionszulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung (§ 160 Abs 2 [X.] 1 [X.]G, dazu 1.) und des Verfahrensfehlers (§ 160 Abs 2 [X.] 3 [X.]G, dazu 2.).

4

1. Wer sich auf den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 [X.] 1 [X.]G) beruft, muss eine Rechtsfrage klar formulieren und ausführen, inwiefern diese Frage im angestrebten Revisionsverfahren klärungsfähig (entscheidungserheblich) sowie klärungsbedürftig und über den Einzelfall hinaus von Bedeutung ist (vgl zB B[X.] vom 17.4.2012 - B 13 R 347/11 B - [X.] 4-2600 § 72 [X.] 5 Rd[X.] 17 mwN; zur verfassungsrechtlichen Unbedenklichkeit dieses Maßstabs [X.] vom 14.4.2010 - 1 BvR 2856/07 - [X.] 4-1500 § 160a [X.] 24 Rd[X.] 5 f mwN). Dem wird das Beschwerdevorbringen nicht gerecht.

5

Die Klägerin formuliert folgende Rechtsfragen:

"(1)   

Sind unter den anerkannten und erprobten plastischen Füllungsmaterialien im Sinne des Abschnitt [X.] [X.]. 4 Satz 1 der o. g. [X.] [gemeint ist die Richtlinie des [X.] für eine ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche vertragszahnärztliche Behandlung; [X.] des Senats] auch amalgamfreie Kunststofffüllungen im Sinne einer ausreichenden, zweckmäßigen und wirtschaftlichen vertragszahnärztlichen Versorgung zuzahlungsfrei entsprechend § 218 Abs. 2 [X.]B V als Sachleistung zu verstehen, so dass die zahnärztliche Behandlung mit Kompositen/Kunststoffmaterialien zur vertragsärztlichen Versorgung gehört?

(2)     

Können Komposite/Kunststofffüllungen, also amalgamfreie plastische Füllungsmaterialien im Sinne des Abschnitt [X.] [X.]. 4 Satz 1 der o. g. [X.] für Jugendliche unter 15 Jahren vor Inkrafttreten der Verordnung ([X.]) 2017/852 des [X.]päischen Parlaments und des Rates vom 17. Mai 2017 über Quecksilber und zur Aufhebung der Verordnung ([X.]) [X.]. 1102/2008, und vor Inkrafttreten des Artikel 10 Abs. 2 bei [X.], die im Zeitpunkt der des [X.] einer Krankenkasse hinsichtlich der Übernahme der für die Kunststofffüllungen entstehenden Mehrkosten noch keine 15 Jahre alt gewesen, im Rahmen der vertragsärztlichen Versorgung zuzahlungsfrei eingesetzt werden?

(3)     

Können auch amalgamfreie Komposit/Kunststofffüllungen als vergleichbare günstigste plastische Füllung als Sachleistung im Sinne des § 28 Abs. 2 Satz 3 [X.]B V vom Zahnarzt abgerechnet werden?"

6

Die Klägerin zeigt nicht die Klärungsfähigkeit der Rechtsfragen auf. Dazu wäre darzustellen gewesen, dass das B[X.] im angestrebten Revisionsverfahren überhaupt über die aufgeworfenen Fragen entscheiden müsste, die Fragen also entscheidungserheblich sind (vgl B[X.] vom 13.1.2017 - B 12 R 23/16 B - juris Rd[X.] 20; vgl zur verfassungsrechtlichen Unbedenklichkeit dieses Maßstabs [X.] vom 18.12.1991 - 1 BvR 1411/91 - [X.] 3-1500 § 160a [X.] 7 S 14 = juris Rd[X.] 8). Das L[X.] hat festgestellt, dass es sich bei Amalgamfüllungen um eine den Regeln der zahnärztlichen Kunst entsprechende, ausreichende und zweckmäßige Versorgung handelt, auch soweit die Klägerin vor Vollendung ihres 15. Lebensjahres im Juni 2012 Zahnfüllungen erhalten hat. Dies ergebe sich unzweifelhaft aus den Ausführungen der Sachverständigen Prof. Dr. P. Zudem hätten auch die Behandler keine Kontraindikation begründet, die eine Versorgung der Klägerin mit Kunststofffüllungen eröffnet hätte, sondern private Behandlungsverträge über die zusätzlichen Materialkosten geschlossen. Hiernach stehe der Klägerin für die Zukunft kein Anspruch auf Versorgung mit teureren Kunststofffüllungen und für die Vergangenheit kein Kostenerstattungsanspruch bzgl der Differenz zwischen der günstigeren Regelversorgung und den teureren in Anspruch genommenen Kunststofffüllungen zu.

7

Soweit die Klägerin meint, ihr stehe gleichwohl eine "zuzahlungsfreie" Versorgung mit Kunststofffüllungen und Kostenerstattung für die Vergangenheit zu, legt sie nicht dar, warum die Rechtsfragen in dem von ihr angestrebten Revisionsverfahren noch entscheidungserheblich zu klären sind. Insbesondere zeigt sie nicht auf, weshalb sie angesichts der Feststellungen des L[X.] Anspruch auf eine über die Regelversorgung hinausgehende Versorgung mit Erstattung der von ihr getragenen Mehrkosten haben könnte, obwohl § 28 Abs 2 Satz 2 [X.]B V vorsieht, dass die Versicherten die Mehrkosten zu tragen haben, und die [X.]n nach § 28 Abs 2 Satz 3 [X.]B V in diesen Fällen die vergleichbare preisgünstigste plastische Füllung als Sachleistung abrechnen müssen. Soweit die Klägerin ihre Beschwerde auch auf eine Verfahrensrüge stützt und mit ihr andere Feststellungen des L[X.] angreift, berührt dies die Beachtlichkeit der vorgenannten Feststellungen für das Beschwerdeverfahren nicht. Zudem erfüllt die Aufklärungsrüge nicht die [X.] (vgl 2.).

8

2. Die Klägerin bezeichnet nicht entsprechend den gesetzlichen Anforderungen den geltend gemachten Verfahrensmangel.

9

Nach § 160 Abs 2 [X.] 3 [X.]G ist die Revision zuzulassen, wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann; der Verfahrensmangel kann nicht auf eine Verletzung von § 109 [X.]G und § 128 Abs 1 Satz 1 [X.]G (Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung) und auf eine Verletzung des § 103 [X.]G (Amtsermittlungsgrundsatz) nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das L[X.] ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Um einen Verfahrensmangel in diesem Sinne geltend zu machen, müssen die Umstände bezeichnet werden, die den entscheidungserheblichen Mangel ergeben sollen (stRspr, vgl zB B[X.] vom 18.2.1980 - 10 BV 109/79 - [X.] 1500 § 160a [X.] 36 mwN). Wer sich - wie hier die Klägerin - auf eine Verletzung der Amtsermittlungspflicht nach § 103 [X.]G stützt, muss ua einen für das Revisionsgericht ohne Weiteres auffindbaren Beweisantrag bezeichnen, die Rechtsauffassung des L[X.] wiedergeben, aufgrund der bestimmte Tatsachen als klärungsbedürftig hätten erscheinen müssen und die von dem betreffenden Beweisantrag berührten Tatumstände darlegen, die zu weiterer Sachaufklärung Anlass gegeben hätten (stRspr; vgl zB B[X.] vom 12.12.2003 - B 13 RJ 179/03 B - [X.] 4-1500 § 160a [X.] 3 Rd[X.] 5 mwN).

Der Senat braucht nicht zu entscheiden, ob die Klägerin mit Hinweis auf ihre Ausführungen auf Seite 4 im Schriftsatz vom 29.11.2018 einen Beweisantrag iS des § 160 Abs 2 [X.] 3 [X.]G bezeichnet hat. Die Klägerin legt jedenfalls nicht dar, dass das L[X.] sich nach seiner Rechtsauffassung hätte veranlasst sehen müssen aufzuklären, ob bei ihr Panikattacken wegen der Versorgung mit Amalgam zu befürchten seien und ihr deshalb die Versorgung mit Amalgam nicht zumutbar sei. Das L[X.] hat dies offengelassen. Unverhältnismäßige und unangemessen heftige psychische Reaktionen könnten allenfalls die Notwendigkeit einer psychotherapeutischen Behandlung zu Lasten der Beklagten begründen, nicht aber deren Verpflichtung zu einer überobligatorischen Versorgung. Die Klägerin verweist in ihren Ausführungen selbst darauf, dass es auf die rechtliche Sicht des L[X.] ankomme. Sie setzt sich aber nicht einmal ansatzweise mit der rechtlichen Begründung des L[X.] auseinander, dass eine nach allgemeinen Grundsätzen gegen das Wirtschaftlichkeitsgebot (§ 12 Abs 1 [X.]B V) verstoßende Versorgung nicht dadurch wirtschaftlich werde, dass damit eine unverhältnismäßige und unangemessen heftige psychische Reaktion abgewendet werden könne.

3. Der Senat sieht von einer weiteren Begründung ab (§ 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 [X.]G).

4. [X.] beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 [X.]G.

Meta

B 1 KR 14/19 B

26.05.2020

Bundessozialgericht 1. Senat

Beschluss

Sachgebiet: KR

vorgehend SG Hamburg, 27. Juni 2018, Az: S 42 KR 945/13, Urteil

§ 160a Abs 1 S 1 SGG, § 160a Abs 2 S 3 SGG, § 160 Abs 2 Nr 1 SGG

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Beschluss vom 26.05.2020, Az. B 1 KR 14/19 B (REWIS RS 2020, 2275)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2020, 2275

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1 BvR 2856/07

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