Bundessozialgericht, Beschluss vom 21.02.2017, Az. B 1 KR 41/16 B

1. Senat | REWIS RS 2017, 15271

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Gegenstand

Sozialgerichtliches Verfahren - Nichtzulassungsbeschwerde - Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache


Tenor

Die Beschwerde der Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des [X.] vom 17. März 2016 wird als unzulässig verworfen.

Die Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 18 537,94 Euro festgesetzt.

Gründe

1

I. Die Klägerin ist Trägerin eines zur Versorgung der Versicherten in der gesetzlichen Krankenversicherung zugelassenen Krankenhauses. Die beklagte Krankenkasse ([X.]) behielt im Zusammenhang mit der Anschubfinanzierung für Maßnahmen der integrierten Versorgung im Zeitraum vom 1.4. bis 31.12.2004 von Rechnungen der Klägerin 18 537,94 Euro ein. Während das [X.] die Klage auf Zahlung der einbehaltenen Beträge abgewiesen hat, hat das L[X.] die Beklagte zur Zahlung von 18 537,94 Euro nebst Zinsen verurteilt. Zur Begründung seiner Entscheidung hat das L[X.] ua ausgeführt, die Einbehalte seien unzulässig, weil die Voraussetzungen einer integrierten Versorgung iSv § 140a Abs 1 S 1 [X.]B V nicht erfüllt seien. Für das Vorliegen einer integrierten Versorgung sei eine die Leistungen der Regelversorgung ersetzende "interdisziplinär-fachübergreifende" oder "verschiedene Leistungssektoren übergreifende" Versorgung erforderlich. Hieran fehle es. Gegenstand der Verträge seien Operationen, die durch kooperierende Ärzte in der jeweiligen Klinik erbracht werden sollten. Es sei nicht erkennbar, worin eine Änderung zur üblichen stationären Versorgung gemäß § 39 Abs 1 [X.]B V liegen solle. Allein der Austausch des Operateurs ohne Einbeziehung einer üblicherweise ambulant erbrachten Leistung sei keine sektorenübergreifende Versorgung (Urteil vom 17.3.2016).

2

Mit ihrer dagegen eingelegten Beschwerde wendet sich die Beklagte gegen die Nichtzulassung der Revision im L[X.]-Urteil.

3

[X.] Die Beschwerde der Beklagten ist unzulässig und daher gemäß § 160a Abs 4 S 1 Halbs 2 [X.]G iVm § 169 [X.] [X.]G zu verwerfen. Ihre Begründung entspricht nicht den aus § 160a Abs 2 [X.] [X.]G abzuleitenden Anforderungen an die Darlegung der geltend gemachten Revisionszulassungsgründe der Divergenz, der grundsätzlichen Bedeutung und des Verfahrensmangels.

4

1. Die Beklagte legt eine Divergenz nicht hinreichend dar. Wer sich auf den Zulassungsgrund der Divergenz (§ 160 Abs 2 [X.] [X.]G) beruft, muss entscheidungstragende abstrakte Rechtssätze im Urteil des Berufungsgerichts einerseits und in einem Urteil des B[X.], des [X.] oder des [X.] andererseits gegenüberstellen und Ausführungen dazu machen, weshalb beide miteinander unvereinbar sein sollen (vgl zB B[X.] Beschluss vom 19.9.2007 - [X.] KR 52/07 B - Juris RdNr 6) und das Berufungsurteil auf dieser Divergenz beruht (B[X.] Beschluss vom [X.] - [X.] KR 21/07 B - Juris RdNr 9). Erforderlich ist, dass das L[X.] bewusst einen abweichenden Rechtssatz aufgestellt und nicht etwa lediglich fehlerhaft das Recht angewendet hat (vgl zB B[X.] Beschluss vom 15.1.2007 - [X.] KR 149/06 B - RdNr 4; B[X.] SozR 3-1500 § 160 [X.]6 S 44 f mwN). Diesen Anforderungen genügt die Beschwerdebegründung der Beklagten nicht.

5

Die Beklagte macht Abweichungen des Berufungsurteils von Entscheidungen des B[X.] geltend (B[X.]E 100, 52 = [X.]-2500 § 140d [X.]; B[X.] Beschluss vom [X.] - B 6 [X.] 16/14 B - Juris). Das B[X.] habe folgenden Rechtssatz aufgestellt:

        

"Neben dem Erfordernis der leistungssektorenübergreifenden Versorgung sind Verträge der in § 140b Abs 1 [X.]B V genannten Vertragspartner nur dann solche der integrierten Versorgung, wenn durch sie auch Leistungen, die bislang Gegenstand der vertragsärztlichen Versorgung sind, künftig ersetzt werden."

6

Hiervon abweichend habe das L[X.] folgenden Rechtsatz aufgestellt:

        

"In beiden Anwendungsbereichen (sektorenübergreifend und interdisziplinär) ist es erforderlich, dass außerhalb der überkommenen Struktur eine alternative Versorgungsform zur Verfügung gestellt wird, in der innovativ eine bessere, effektivere, die Angebote der Sektoren integrierende und die Ressourcen schonende Versorgung der Versicherten 'aus einer Hand' bewirkt wird."

7

Die Beklagte erläutert aber nicht schlüssig, weshalb diese Rechtssätze miteinander unvereinbar sein sollen. Soweit sie die vermeintliche Unvereinbarkeit in den Worten "außerhalb der überkommenen Struktur" sieht, setzt sie sich nicht damit auseinander, dass diese Worte mit dem Begriff der "alternativen Versorgungsstruktur" harmonieren und das B[X.] in der vermeintlich divergierenden Entscheidung die integrierte Versorgung selbst als eine gegenüber der bisherigen Regelversorgung alternative Versorgungsstruktur bezeichnet. Die Abweichung wird auch nicht mit der Begründung nachvollziehbar dargelegt, dass es nach Auffassung des L[X.] nicht erkennbar sei, worin eine Änderung zur üblichen stationären Versorgung gemäß § 39 Abs 1 [X.]B V liegen solle. Soweit das L[X.] mit dieser Aussage eine sektorenübergreifende Versorgung verneint, wird nicht schlüssig aufgezeigt, weshalb hierin ein Widerspruch zur Rechtsprechung des B[X.] liegt.

8

Nichts anderes gilt auch für den zweiten Halbsatz des vom L[X.] aufgestellten Rechtssatzes ("in der innovativ eine bessere, effektivere, die Angebote der Sektoren integrierende und die Ressourcen schonende Versorgung der Versicherten 'aus einer Hand' bewirkt wird"). Die Beklagte setzt sich nicht damit auseinander, dass das B[X.] bezüglich der integrierten Versorgung selbst von einer Innovation spricht, in der eine "bessere, effektivere, die Angebote der Sektoren integrierende und die Ressourcen schonende Versorgung der Versicherten bewirkt wird" (B[X.]E 100, 52 = [X.]-2500 § 140d [X.], Rd[X.]7). Die Beklagte legt deshalb auch nicht nachvollziehbar dar, weshalb der bezeichnete zweite Halbsatz des vom L[X.] aufgestellten Rechtssatzes, der der (angeblich divergierenden) Entscheidung des B[X.] entstammt, von folgendem weiteren Rechtssatz einer Entscheidung desselben B[X.]-Senats (B[X.] Beschluss vom [X.] - B 6 [X.] 16/14 B - Juris Rd[X.]4) abweichen soll:

        

"Über die Regelversorgung 'hinausreichen' muss die in den Integrationsverträgen geregelte Versorgung nur insofern, als es sich nach § 140a Abs. 1 Satz 1 [X.]B V um eine entweder 'interdisziplinär-fachübergreifende' oder 'verschiedene Leistungssektoren übergreifende' Versorgung handeln muss."

9

2. Die Beklagte legt auch die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache nicht hinreichend dar. Wer sich - wie hier die Beklagte - auf den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 [X.] [X.]G) beruft, muss eine Rechtsfrage klar formulieren und ausführen, inwiefern diese Frage im angestrebten Revisionsverfahren entscheidungserheblich sowie klärungsbedürftig und über den Einzelfall hinaus von Bedeutung ist (vgl zB B[X.] SozR 3-1500 § 160a [X.]1 [X.]8; B[X.] SozR 3-4100 § 111 [X.] S 2 f; B[X.] SozR 3-2500 § 240 [X.] f mwN). Die Beklagte richtet ihr Vorbringen hieran nicht aus.

a) Die Beklagte formuliert als erste Rechtsfrage,

        

"ob eine sektorenübergreifende Versorgung im Sinne von § 140a Abs. 1 [X.]B V a.F. stets vertragliche Leistungen aus unterschiedlichen Leistungssektoren voraussetzt, oder ob es ausreicht, wenn Leistungserbringer aus unterschiedlichen Leistungssektoren am Versorgungsgeschehen beteiligt sind".

Die Beklagte zeigt aber den Klärungsbedarf nicht hinreichend auf. Sie legt nicht ausreichend dar, wieso mit Blick auf die Rechtsprechung des B[X.] zur Begriffsdefinition der sektorenübergreifenden Versorgung noch Klärungsbedarf bestehen soll. Hierzu hat das B[X.] ausgeführt (B[X.]E 100, 52 = [X.]-2500 § 140d [X.], Rd[X.]5, 18): "Der Begriff der Leistungssektoren iS des § 140a Abs 1 S 1 [X.]B V ist gesetzlich nicht definiert (so ausdrücklich die Begründung des Gesetzentwurfs zum [X.], BT-Drucks 15/1525, [X.], Zu [X.]13 <§ 140a>, [X.]). Sein Inhalt ist deshalb nur durch eine am Zweck der integrierten Versorgung orientierte Auslegung zu bestimmen (Beule, Rechtsfragen der integrierten Versorgung, 2003, [X.]). Die Zielrichtung dieser Versorgungsform besteht zunächst darin, die starren Grenzen zwischen ambulanter und stationärer Versorgung zu durchbrechen und den [X.]n die Möglichkeit zu eröffnen, außerhalb der bisherigen Regelversorgung eine alternative Versorgungsstruktur zu entwickeln. … Daraus kann allerdings nicht abgeleitet werden, nur solche Verträge seien von § 140a Abs 1 [X.]B V erfasst, die Leistungen aus den beiden 'Hauptsektoren' anbieten. Vielmehr sind unter Zugrundelegung eines funktionellen Ansatzes sowohl innerhalb des ambulanten als auch innerhalb des stationären [X.] weitere Leistungssektoren zu unterscheiden, die Gegenstand von [X.] sein können."

Die Beklagte erläutert nicht, weshalb sich die Beantwortung der von ihr aufgeworfenen Frage nicht ohne Weiteres der B[X.]-Rspr entnehmen lässt, die ausdrücklich auf die Leistungssektoren, nicht aber auf die Leistungserbringer abstellt. Sie legt auch keinen erneuten Klärungsbedarf dar. Ist eine Frage bereits von der höchstrichterlichen Rechtsprechung entschieden, ist sie grundsätzlich nicht mehr klärungsbedürftig (vgl zB B[X.] Beschluss vom 21.10.2010 - [X.] [X.]/10 B - RdNr 7 mwN). Eine Rechtsfrage, über die bereits höchstrichterlich entschieden worden ist, kann wieder klärungsbedürftig werden, wenn der Rechtsprechung in nicht geringfügigem Umfang widersprochen wird und gegen sie nicht von vornherein abwegige Einwendungen vorgebracht werden (vgl zB B[X.] SozR 1500 § 160a [X.]3 S 19 mwN), was im Rahmen der Beschwerdebegründung ebenfalls darzulegen ist (vgl zum Ganzen auch B[X.] Beschluss vom 22.12.2010 - [X.] KR 100/10 B - Juris RdNr 7). Daran fehlt es. Die Beklagte legt nicht dar, dass der Rechtsprechung des B[X.] in nicht geringfügigem Umfang widersprochen wird.

b) Den Anforderungen an die Begründung einer grundsätzlichen Bedeutung genügen auch nicht die Ausführungen zu der weiteren von der Beklagten aufgeworfenen Rechtsfrage,

        

"ob die Mitteilungen der Krankenkassen an die [X.] ausreichend sind, um die 'Erforderlichkeit' des [X.] gemäß § 140d [X.]B V a.F. nachzuweisen, oder ob hierzu weitergehende prognostische Kalkulationen erforderlich sind".

Die Beklagte legt die Klärungsfähigkeit dieser Rechtsfrage schon deshalb nicht ausreichend dar, weil sich die Frage auch nach ihrem Vortrag nur stellen kann, wenn die streitgegenständlichen [X.] eine sektorenübergreifende Versorgung vorsehen, woran es nach der Entscheidung des L[X.] gerade fehlt. Ist das Urteil des L[X.] - wie hier - auf zwei voneinander unabhängige Begründungen gestützt, muss der geltend gemachte Zulassungsgrund für alle Begründungen gelten oder für jede Begründung ein Zulassungsgrund dargelegt werden (B[X.] SozR 1500 § 160a [X.]; B[X.] SozR 1500 § 160a [X.]; B[X.] [X.]-1500 § 160 [X.]1 Rd[X.]7). Zur - nach Auffassung des L[X.] - fehlenden sektorenübergreifenden Versorgung hat die Beklagte weder die Divergenz zur Rspr des B[X.] noch die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache hinreichend dargelegt (dazu [X.] 1. und [X.] 2. a).

3. Die Beklagte legt auch einen Verfahrensmangel nicht hinreichend dar. Nach § 160 Abs 2 [X.] [X.]G ist die Revision zuzulassen, wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann. Der Verfahrensmangel kann nicht auf eine Verletzung von § 109 und § 128 Abs 1 S 1 [X.]G (Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung) und auf eine Verletzung des § 103 [X.]G (Amtsermittlungsgrundsatz) nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das L[X.] ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Um einen Verfahrensmangel in diesem Sinne geltend zu machen, müssen die Umstände bezeichnet werden, die den entscheidungserheblichen Mangel ergeben sollen (vgl zB B[X.] SozR 1500 § 160a [X.]4, 24, 36). Die Beklagte richtet ihren Vortrag nicht danach aus. Sie macht geltend, das L[X.] habe den Streitgegenstand verkannt, weil es seine Entscheidung auch darauf gestützt habe, dass eine plausible prognostische Kalkulation dazu fehle, dass die Einbehalte rechnerisch zur Umsetzung der konkreten integrierten Versorgungsform erforderlich gewesen seien. [X.] und entscheidend sei nur gewesen, ob die abgeschlossenen Verträge überhaupt [X.] im Sinne der Rspr seien.

Ob die Beklagte damit einen Verfahrensfehler darlegt, kann offenbleiben. Sie legt angesichts der alternativen Begründung für die Entscheidung des L[X.] (s [X.] 2. aE) jedenfalls nicht dar, dass die Entscheidung des L[X.] hierauf beruht.

4. Der Senat sieht von einer weiteren Begründung ab (§ 160a Abs 4 S 2 Halbs 2 [X.]G).

5. [X.] beruht auf § 197a Abs 1 S 1 Teils 3 [X.]G iVm § 154 Abs 2 VwGO, diejenige über den Streitwert auf § 197a Abs 1 S 1 Teils 1 [X.]G iVm § 63 Abs 2 S 1, § 52 Abs 1 und 3, § 47 Abs 1 und 3 GKG.

Meta

B 1 KR 41/16 B

21.02.2017

Bundessozialgericht 1. Senat

Beschluss

Sachgebiet: KR

vorgehend SG Dessau-Roßlau, 27. Juni 2012, Az: S 21 KR 104/08, Urteil

§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG, § 160a Abs 2 S 3 SGG

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Beschluss vom 21.02.2017, Az. B 1 KR 41/16 B (REWIS RS 2017, 15271)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2017, 15271

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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