Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 26.02.2021, Az. 5 C 16/19 D

5. Senat | REWIS RS 2021, 8323

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Gegenstand

Verfahrensbeteiligung "in Wahrnehmung eines Selbstverwaltungsrechts" gemäß § 198 Abs. 6 Nr. 2 GVG


Leitsatz

1. Der Begriff des Selbstverwaltungsrechts im Sinne der Rückausnahme des § 198 Abs. 6 Nr. 2 GVG erfasst nicht nur verfassungsrechtlich garantierte, sondern auch solche Selbstverwaltungsrechte von Trägern öffentlicher Verwaltung, die - wie bei kommunalen Zweckverbänden - einfachgesetzlich begründet sind.

2. Ein kommunaler Zweckverband ist ebenso wie eine Gemeinde an einem verwaltungsgerichtlichen Verfahren nur dann "in Wahrnehmung eines Selbstverwaltungsrechts" im Sinne von § 198 Abs. 6 Nr. 2 GVG beteiligt, wenn er in diesem Verfahren sein Selbstverwaltungsrecht gegenüber einem anderen Träger öffentlicher Gewalt geltend macht.

Tenor

Die Revision des [X.] gegen das Urteil des [X.] vom 1. Oktober 2019 wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Revisionsverfahrens.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten über eine Entschädigung für die überlange Dauer eines abgabenrechtlichen Klageverfahrens.

2

Der Kläger ist ein Zweckverband von Städten und Gemeinden in den [X.] M., [X.] mit der Aufgabe, im Verbandsgebiet die Trinkwasserversorgung und die Schmutzwasserbeseitigung durchzuführen. Gegenstand des vom Kläger als überlang gerügten Ausgangsverfahrens waren zwei von ihm erlassene Schmutzwasseranschluss-Beitragsbescheide vom Mai 2011, gegen die die betroffenen Bürger nach erfolglosem Widerspruchsverfahren im Juli 2016 Klage erhoben hatten. Das Ausgangsverfahren endete nach Klagerücknahme mit Einstellungsbeschluss vom 13. November 2018, nachdem der Kläger im September 2018 Verzögerungsrüge erhoben hatte.

3

Die daraufhin vom Kläger erhobene Klage auf Gewährung einer Entschädigung für immaterielle Nachteile, die durch die Überlänge des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens im Umfang von aus seiner Sicht mindestens 12ü Monaten entstanden seien, hat das Oberverwaltungsgericht abgewiesen. Der Kläger könne sich als Zweckverband zwar nicht auf die grundgesetzliche Gewährleistung des kommunalen Selbstverwaltungsrechts in Art. 28 Abs. 2 GG stützen. Es sei aber nach dem Wortlaut und der Entstehungsgeschichte nicht von vornherein ausgeschlossen, dass er sich auf § 198 Abs. 6 Nr. 2 [X.] berufen könne, weil ihm nach brandenburgischem Landesrecht ein Selbstverwaltungsrecht eingeräumt sei. Der Kläger sei aber zur Geltendmachung des Anspruchs gemäß § 198 Abs. 1 Satz 1 [X.] nicht aktivlegitimiert, weil er nicht Verfahrensbeteiligter im Sinne von § 198 Abs. 6 Nr. 2 [X.] gewesen sei. Träger der öffentlichen Verwaltung wie Gemeinden und kommunale Zweckverbände seien danach nur dann Verfahrensbeteiligte, wenn sie in Wahrnehmung eines Selbstverwaltungsrechts am Verfahren beteiligt seien. Diese Voraussetzung sei nur gegeben, wenn das Selbstverwaltungsrecht - anders als hier - selbst Streitgegenstand des als überlang gerügten Ausgangsverfahrens gewesen sei.

4

Mit der Revision verfolgt der Kläger sein Entschädigungsbegehren weiter. Er trägt insbesondere vor, es sei nach § 198 Abs. 6 Nr. 2 [X.] ausreichend, dass sich das streitige Rechtsverhältnis im gerichtlichen Verfahren auf die Ausübung eines Selbstverwaltungsrechts zurückführen lasse. Die Befugnis zur Heranziehung der Nutzer einer öffentlichen Einrichtung sei Teil der Selbstverwaltungsgarantie des Art. 28 Abs. 2 GG, so dass denklogisch nicht nur der Erlass des [X.], sondern auch dessen Verteidigung vor Gericht eine Wahrnehmung des Rechts auf kommunale Selbstverwaltung sei. Eine unangemessene Verfahrensdauer schädige außerdem die Refinanzierung der kommunalen Selbstverwaltungsträger, so dass deren Ausschluss vom Entschädigungsanspruch des § 198 [X.] nicht nur dem Grundgedanken der Entschädigungsregelung widerspreche, sondern auch mit der Selbstverwaltungsgarantie des Art. 28 Abs. 2 GG in ihrer Ausprägung als kommunale Finanzhoheit nicht vereinbar sei. In der Rechtsprechung des [X.] sei außerdem anerkannt, dass Art. 19 Abs. 4 GG auch für juristische Personen des öffentlichen Rechts gelte.

5

Das beklagte Land verteidigt die angegriffene Entscheidung.

Entscheidungsgründe

6

[X.]ie zulässige Revision des [X.] ist nicht begründet. [X.]as Oberverwaltungsgericht hat im Einklang mit Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO) entschieden, dass der Kläger keinen Anspruch gemäß § 198 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 des Gerichtsverfassungsgesetzes ([X.]) in der Fassung der Bekanntmachung vom 9. Mai 1975 ([X.] I 1077), zuletzt geändert durch Art. 2 des Gesetzes vom 22. [X.]ezember 2020 ([X.] I S. 3256), auf Ausgleich eines immateriellen Nachteils wegen unangemessener [X.]auer des verwaltungsgerichtlichen Klageverfahrens hat. [X.]ie Revision ist daher zurückzuweisen (§ 144 Abs. 2 VwGO).

7

Nach § 198 Abs. 1 Satz 1 [X.] wird angemessen entschädigt, wer infolge unangemessener [X.]auer eines Gerichtsverfahrens als [X.] einen Nachteil erleidet. [X.]ie Voraussetzungen dieser Vorschrift sind hier nicht erfüllt. [X.]er Kläger ist als Behörde eines kommunalen Zweckverbandes nicht anspruchsberechtigt, weil er nicht [X.] im Sinne von § 198 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Abs. 6 Nr. 2 [X.] des als überlang gerügten Ausgangsverfahrens gewesen ist.

8

Nach der Legaldefinition des § 198 Abs. 6 Nr. 2 [X.] ist [X.] (im Sinne des § 198 Abs. 1 Satz 1 [X.]) jede Partei und jeder Beteiligte eines Gerichtsverfahrens mit Ausnahme der [X.]organe, der Träger öffentlicher Verwaltung und sonstiger öffentlicher Stellen, soweit diese nicht in Wahrnehmung eines Selbstverwaltungsrechts an einem Verfahren beteiligt sind. Zwischen den Beteiligten steht zu Recht nicht im Streit, dass der kommunale Zweckverband, für den der Kläger handelt, nach § 1 und § 3 Abs. 1 Satz 1 der Verbandssatzung des [X.] vom 19. Oktober 2005, zuletzt geändert durch Änderungssatzung vom 20. März 2019, die öffentliche Aufgabe der Trinkwasserversorgung und Schmutzwasserbeseitigung im Verbandsgebiet zu erfüllen hat und deswegen ein Träger öffentlicher Verwaltung im Sinne des § 198 Abs. 6 Nr. 2 [X.] ist. [X.]ie allein streitige Frage, ob der Zweckverband an dem als überlang gerügten Verfahren in Wahrnehmung eines Selbstverwaltungsrechts beteiligt war, ist zu verneinen. Ihm steht zwar ein Selbstverwaltungsrecht im Sinne von § 198 Abs. 6 Nr. 2 [X.] zu (1.). Seine Beteiligung als Beklagter an dem als überlang gerügten verwaltungsgerichtlichen Klageverfahren stellt sich aber nicht als Wahrnehmung des Selbstverwaltungsrechts im Sinne von § 198 Abs. 6 Nr. 2 [X.] dar (2.).

9

1. Auf die Rückausnahme des § 198 Abs. 6 Nr. 2 [X.] können sich grundsätzlich alle Körperschaften des öffentlichen Rechts berufen, denen ein Selbstverwaltungsrecht eingeräumt worden ist. [X.]as gilt nicht nur für Gemeinden, deren Recht auf kommunale Selbstverwaltung in Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG (auch) verfassungsunmittelbar geregelt ist oder für Körperschaften des öffentlichen Rechts, deren Selbstverwaltungsrecht sich aus Grundrechten - wie zum Beispiel bei Universitäten (aus Art. 5 Abs. 3 GG) oder Rundfunkanstalten (aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG) - ableitet. Vielmehr genügt auch ein - wie hier - einfachrechtlich begründetes Selbstverwaltungsrecht. [X.]as ergibt sich aus Wortlaut und Entstehungsgeschichte des § 198 Abs. 6 Nr. 2 [X.], ohne dass dem der Sinn und Zweck der Vorschrift entgegenstehen.

a) [X.]er [X.] erfasst [X.] das Selbstverwaltungsrecht und begrenzt dieses nicht auf ein solches verfassungsrechtlichen Ursprungs. Auch die Gesetzesmaterialien sprechen dafür, dass der Gesetzgeber Selbstverwaltungskörperschaften ohne Einschränkung in den Schutz des § 198 Abs. 1 Satz 1 [X.] einbeziehen wollte, gleichgültig, ob deren Selbstverwaltungsrecht (auch) verfassungsrechtlich oder (nur) einfachrechtlich begründet ist. So werden sowohl in dem Referentenentwurf des [X.] vom 15. März 2010 ([X.] - abrufbar unter [X.]) als auch in der Stellungnahme des Bundesrates zum Gesetzesentwurf der Bundesregierung, mit der dieser die Wiedereinfügung der dort nicht übernommenen Rückausnahme aus dem Referentenentwurf in § 198 Abs. 6 Nr. 2 verlangt hatte, zwar lediglich Kommunen und damit Träger eines auch verfassungsrechtlich verbürgten Selbstverwaltungsrechts genannt, dies aber ausdrücklich nur beispielhaft. In beiden Begründungen kommt deutlich zum Ausdruck, dass staatliche Stellen ausnahmsweise, dann aber [X.] Anspruchsinhaber des Entschädigungsanspruchs sein sollen, wenn sie "als Kläger gegenüber dem Staat subjektive Rechte geltend [machen]" ([X.] S. 22) bzw. im Ausgangsrechtsstreit "dem Staat wie ein außenstehender [X.]ritter gegenüber[treten]" ([X.]. 17/3802 S. 36). [X.]ies kann grundsätzlich dann angenommen werden, wenn sie staatlichen Stellen gegenüber eigenständige Rechtspositionen geltend machen, die ihnen zur autonomen Ausübung zugewiesen sind, ohne dass es auf die Art der normativen Verankerung solcher Rechtspositionen ankommt.

b) [X.]er Sinn und Zweck der §§ 198 ff. [X.], den Anspruch eines Verfahrensbeteiligten aus Art. 19 Abs. 4 und Art. 20 Abs. 3 GG sowie aus Art. 6 Abs. 1 der [X.] zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten - [X.] - auf Entscheidung seines gerichtlichen Verfahrens in angemessener [X.] einfachrechtlich durch einen effektiven Rechtsbehelf zu sichern, steht dem nicht entgegen. Einer Klärung, in welchen Fällen auch öffentlich-rechtlichen Körperschaften ausnahmsweise ein verfassungsrechtlicher Anspruch auf Rechtsschutz in angemessener [X.] zusteht, bedarf es in diesem Zusammenhang nicht. [X.]enn der Gesetzgeber wollte mit der Rückausnahme in § 198 Abs. 6 Nr. 2 [X.] jedenfalls bewusst über das hinausgehen, was insoweit konventions- und verfassungsrechtlich geboten war (vgl. Gegenäußerung der Bundesregierung zur Stellungnahme des Bundesrates, [X.]. 17/3802 S. 42).

Gemessen daran steht dem Zweckverband, für den der Kläger als Behörde tätig geworden ist, ein Selbstverwaltungsrecht im Sinne von § 198 Abs. 6 Nr. 2 [X.] zu. [X.]ieses ist zwar nicht durch das Grundgesetz geschützt. [X.]enn insoweit ist geklärt, dass sich ein Zweckverband, der eine öffentliche Wasserversorgungseinrichtung betreibt, weder unmittelbar noch mittelbar auf das Recht der kommunalen Selbstverwaltung aus Art. 28 Abs. 2 GG berufen kann (vgl. BVerwG, Beschluss vom 8. November 2013 - 8 B 6.13 - juris Rn. 5 m.w.N.). [X.]er kommunale Zweckverband, für den der Kläger im Ausgangsverfahren gehandelt hat, ist jedoch gemäß § 10 Abs. 2 des Gesetzes über kommunale Gemeinschaftsarbeit im [X.] vom 10. Juli 2014 (GVBl. I Nr. 32 S. 2), zuletzt geändert durch Art. 2 des Gesetzes vom 19. Juni 2019 (GVBl. I Nr. 38 S. 1), eine Körperschaft des öffentlichen Rechts (Satz 1), die ihre Angelegenheiten im Rahmen der Gesetze in eigener Verantwortung verwaltet (Satz 2). Ihm ist daher einfachrechtlich ein Selbstverwaltungsrecht zugewiesen, das sich zugleich als Selbstverwaltungsrecht im Sinne von § 198 Abs. 6 Nr. 2 [X.] darstellt.

2. Ein kommunaler Zweckverband kann aber an einem verwaltungsgerichtlichen Verfahren nur dann "in Wahrnehmung eines Selbstverwaltungsrechts" im Sinne von § 198 Abs. 6 Nr. 2 [X.] beteiligt sein, wenn er in diesem Verfahren ein Selbstverwaltungsrecht gegenüber einem anderen Träger öffentlicher Gewalt geltend macht.

a) [X.]ieses Auslegungsergebnis lässt sich allerdings nicht schon damit begründen, die genannte Formulierung des Gesetzes sei eng auszulegen, weil es sich dabei um eine (Rück-)Ausnahme von dem Grundsatz handelt, dass nach § 198 Abs. 6 Nr. 2 [X.] [X.]organe, Träger öffentlicher Verwaltung und sonstige öffentliche Stellen von dem Entschädigungsanspruch ausgenommen sind. [X.]enn auch [X.] sind nicht generell eng auszulegen. Ihre Interpretation folgt vielmehr den allgemeinen Auslegungsgrundsätzen, so dass auch diese Vorschriften je nach der ihnen innewohnenden Zweckrichtung einer einschränkenden oder ausdehnenden Auslegung zugänglich sind (BVerwG, Urteile vom 7. November 1995 - 9 C 73.95 - BVerwGE 100, 23 <30> und vom 11. [X.]ezember 2020 - 5 C 9.19 - juris Rn. 30 m.w.N.).

b) [X.]as [X.], dass ein kommunaler Zweckverband in einem verwaltungsgerichtlichen Ausgangsverfahren ein Selbstverwaltungsrecht gegenüber einem anderen Träger öffentlicher Gewalt geltend machen muss, um gemäß § 198 Abs. 6 Nr. 2 [X.] als [X.] im entschädigungsrechtlichen Sinne zu gelten, folgt aus Wortlaut, Entstehungsgeschichte sowie Sinn und Zweck dieser Vorschrift.

aa) [X.]afür spricht in gewichtiger Weise bereits die grammatikalische Auslegung des § 198 Abs. 6 Nr. 2 [X.]. Ein Recht - hier das Selbstverwaltungsrecht - in einem Gerichtsverfahren "wahrzunehmen", meint dem Wortsinn nach, dieses Recht in diesem Verfahren geltend zu machen, es zu verteidigen bzw. von ihm Gebrauch zu machen. [X.]as Selbstverwaltungsrecht als subjektive Rechtsstellung steht einem Träger öffentlicher Verwaltung nur im Verhältnis zu anderen staatlichen Stellen zu, so dass nur diese in das Selbstverwaltungsrecht eingreifen und es verletzen können. Eine "Wahrnehmung" des Selbstverwaltungsrechts im Sinne einer Geltendmachung oder Verteidigung desselben kommt deshalb bei Körperschaften, die - wie kommunale Zweckverbände - selbst Teil der öffentlichen Verwaltung sind, nur im Verhältnis zu anderen Trägern öffentlicher Gewalt in Betracht. Wie das Selbstverwaltungsrecht, das Kommunen nach Art. 28 Abs. 2 GG eingeräumt ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 26. Februar 2021 - 5 C 15.19 [X.] - Rn. 13 ff., zur [X.] in der Entscheidungssammlung vorgesehen), verleiht auch das einfachrechtlich begründete Selbstverwaltungsrecht eines kommunalen Zweckverbandes diesem keine abwehrrechtlich geschützte Position gegenüber den Bürgern. Es dient vielmehr der Kompetenzverteilung im Verhältnis zu anderen [X.] und betrifft nicht das Außenverhältnis zu den Bürgern. Ein kommunaler Zweckverband kann daher eine Verletzung seines Selbstverwaltungsrechts grundsätzlich nur gegenüber einem anderen Träger öffentlicher Gewalt, nicht aber gegenüber dem Bürger gerichtlich geltend machen. An einem verwaltungsgerichtlichen Verfahren, an dem - wie hier - ein Bürger beteiligt ist, kann er unter diesem Blickwinkel von vornherein nicht "in Wahrnehmung eines Selbstverwaltungsrechts" beteiligt sein. [X.]iese gesetzliche Wortwahl spricht damit zugleich gegen die aus dem Vortrag des [X.] sinngemäß zu entnehmende Ansicht, der Gesetzgeber habe jegliches Handeln eines Zweckverbandes, das sich auf Angelegenheiten der Selbstverwaltung bezieht, erfassen und auch die sich aus der Wahrnehmung von Selbstverwaltungsangelegenheiten ergebenden gerichtlichen Streitigkeiten mit Bürgern in den Schutz des § 198 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Abs. 6 Nr. 2 [X.] einbeziehen wollen. [X.]em steht auch entgegen, dass der Gesetzgeber in § 198 Abs. 6 Nr. 2 [X.] gerade nicht auf die Wahrnehmung einer Selbstverwaltungsaufgabe oder Selbstverwaltungsangelegenheit abgestellt, sondern die Voraussetzung formuliert hat, dass der Träger öffentlicher Verwaltung in "Wahrnehmung eines Selbstverwaltungsrechts an einem Verfahren beteiligt" sein muss.

bb) [X.]er sich damit bereits aus dem Wortlaut des § 198 Abs. 6 Nr. 2 [X.] ergebende Befund, dass die Beteiligung am Gerichtsverfahren durch die Geltendmachung des Selbstverwaltungsrechts gegenüber einem anderen Hoheitsträger gekennzeichnet sein muss, wird durch die Entstehungsgeschichte der Norm bekräftigt. So macht bereits die Begründung des [X.] vom 15. März 2010 deutlich, dass mit der Wahrnehmung des Selbstverwaltungsrechts in einem Verfahren die gerichtliche Geltendmachung der daraus folgenden subjektiven Rechtsposition gegenüber dem Staat gemeint ist. Wörtlich heißt es in dem Referentenentwurf zu der dort bereits vorgesehenen Rückausnahme des § 198 Abs. 6 Nr. 2 [X.]: "Nicht unter den Begriff des Verfahrensbeteiligten fallen damit staatliche Stellen, [...] es sei denn, sie machen - wie beispielsweise Kommunen - als Kläger gegenüber dem Staat subjektive Rechte geltend" ([X.] S. 22). Nachdem die im Referentenentwurf vorgeschlagene Regelung zunächst keinen Eingang in den Gesetzesentwurf der Bundesregierung gefunden hatte ([X.]. 540/10 S. 3, 33), wurde der entsprechende Zusatz in § 198 Abs. 6 Nr. 2 [X.] auf Vorschlag des Bundesrates in seiner Stellungnahme vom 15. Oktober 2010 ([X.]. 17/3802 S. 36), dem die Bundesregierung in ihrer Gegenäußerung zustimmte ([X.]. 17/3802 S. 42), wieder in den Gesetzesentwurf, der schließlich verabschiedet wurde, aufgenommen. [X.]ass sich der Gesetzgeber dabei die ursprünglichen Überlegungen des [X.] zu eigen gemacht hat, folgt aus der uneingeschränkten Bezugnahme des Bundesrates auf diesen.

cc) [X.]er aus Wortlaut und Entstehungsgeschichte der Norm gewonnene Befund wird durch teleologische Erwägungen bestätigt. [X.]em Sinn und Zweck der Rückausnahme in § 198 Abs. 6 Nr. 2 [X.] steht nicht entgegen, dass kommunale Zweckverbände in einem verwaltungsgerichtlichen Verfahren nur dann einen Anspruch auf Entschädigung wegen überlanger [X.]auer des Verfahrens haben können, wenn sie gegenüber einem anderen Träger öffentlicher Gewalt ein Selbstverwaltungsrecht geltend machen. Ziel der Regelung ist es, auch Körperschaften des öffentlichen Rechts einen effektiven Rechtsbehelf zur Gewährleistung eines Gerichtsverfahrens in angemessener [X.] zur Verfügung zu stellen, soweit sie darauf wie ein Bürger einen verfassungsrechtlich begründeten Anspruch haben. [X.]as erschließt sich aus der Gesetzesbegründung unter Einbeziehung des Zwecks der §§ 198 ff. [X.] sowie der Gründe, die den Gesetzgeber bewogen haben, [X.]organe, Träger öffentlicher Verwaltung und andere öffentliche Stellen grundsätzlich von dem Anspruch auf Entschädigung wegen überlanger [X.]auer eines Gerichtsverfahrens nach § 198 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 [X.] auszuschließen.

Zweck des Gesetzes über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren ist die Schließung einer bis dahin bestehenden Rechtsschutzlücke. [X.]ie Schaffung des Gesetzes als innerstaatlicher Rechtsbehelf gegen überlange Gerichtsverfahren stellt sich als Reaktion auf eine entsprechende Forderung des [X.] dar (vgl. insbesondere [X.], Urteil vom 2. September 2010 - Nr. 46344/06, [X.]/[X.] - NJW 2010, 3355). [X.] für den gesetzlich normierten Entschädigungsanspruch wegen unangemessener Verfahrensdauer in § 198 Abs. 1 [X.] ist mithin die Verletzung des in Art. 19 Abs. 4 und Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG sowie Art. 6 Abs. 1 [X.] verankerten Rechts eines Verfahrensbeteiligten auf Entscheidung eines gerichtlichen Verfahrens in angemessener [X.] (vgl. [X.]. 17/3802 S. 1 f., 15 ff., 18; BVerwG, Urteil vom 11. Juli 2013 - 5 C 23.12 [X.] - BVerwGE 147, 146 Rn. 38 m.w.N.).

[X.]iese verfassungsrechtliche Verortung legt eine Interpretation nahe, nach der Träger öffentlicher Verwaltung grundsätzlich nur insoweit in § 198 Abs. 6 Nr. 2 [X.] einbezogen werden sollten, als diesen gemäß Art. 19 Abs. 4, Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG oder aus anderen verfassungsrechtlichen Gründen ein Recht auf effektiven Rechtsschutz durch Entscheidung eines gerichtlichen Verfahrens in angemessener [X.] zusteht. Kommunale Zweckverbände können sich aber in einem verwaltungsgerichtlichen Verfahren weder auf Art. 19 Abs. 4 GG oder den allgemeinen Justizgewährleistungsanspruch gemäß Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG noch auf die subjektive Rechtsstellungsgarantie nach Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG berufen.

[X.]ie Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG findet auf kommunale Zweckverbände keine Anwendung. Art. 19 Abs. 4 GG garantiert dem Einzelnen bei Rechtsverletzungen durch die öffentliche Gewalt effektiven Rechtsschutz als Grundrecht und gilt deshalb grundsätzlich nicht für inländische juristische Personen des öffentlichen Rechts. [X.]iese können sich nach ständiger Rechtsprechung des [X.] zwar auf die Prozessgrundrechte aus Art. 103 Abs. 1 und Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG berufen, nicht jedoch auf die materiellen Grundrechte (vgl. etwa [X.], Beschluss vom 19. August 2011 - 2 [X.]/10 - [X.]E 129, 108 <118>; Kammerbeschlüsse vom 22. Februar 2019 - 2 BvR 2203/18 - NVwZ 2019, 642 Rn. 17 ff. und vom 9. November 2020 - 2 BvR 163/15 - juris Rn. 5, jeweils m.w.N.).

Aus dem gleichen Grund können kommunale Zweckverbände im Bereich der Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben mangels Beschwerdeberechtigung den allgemeinen Justizgewährleistungsanspruch aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG nicht geltend machen, der außerhalb des auf den Rechtsschutz gegen Akte der öffentlichen Gewalt beschränkten Anwendungsbereichs des Art. 19 Abs. 4 GG effektiven Rechtsschutz insbesondere in der Straf-, Zivil- und Arbeitsgerichtsbarkeit gewährleistet (vgl. zu Gemeinden [X.], Beschluss vom 8. Juli 1982 - 2 BvR 1187/80 - [X.]E 61, 82 <103 f.>; Kammerbeschlüsse vom 21. Februar 2008 - 1 BvR 1987/07 - NVwZ 2008, 778 Rn. 7 f. und vom 9. November 2020 - 2 BvR 163/15 - juris Rn. 5). [X.]ie Frage, ob etwa im Bereich rein fiskalischen Handelns eines Zweckverbandes etwas anderes gilt (vgl. [X.], [X.] vom 29. Mai 2007 - 2 BvR 695/07 - [X.]K 11, 241 <249>), stellt sich hier nicht und ist gegebenenfalls in einer zivilprozessualen Verfahrenskonstellation zu entscheiden.

Kommunale Zweckverbände haben schließlich auch keinen Anspruch auf wirkungsvollen Rechtsschutz in angemessener [X.] aus Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG, weil sie sich schon - wie oben dargelegt - auf die verfassungsrechtliche Garantie der kommunalen Selbstverwaltung weder unmittelbar noch mittelbar berufen können. Ihnen kommt der aus der subjektiven Rechtsstellungsgarantie des Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG abgeleitete Anspruch auf effektiven Rechtsschutz also - anders als im Fall der Gemeinden - selbst dann nicht zugute, wenn sie in einem gerichtlichen Verfahren eine Beeinträchtigung ihres Selbstverwaltungsrechts durch andere Träger öffentlicher Verwaltung geltend machen.

Soweit der Gesetzgeber kommunale Zweckverbände gleichwohl über das verfassungsrechtlich Notwendige hinaus in den Anwendungsbereich der Rückausnahme nach § 198 Abs. 6 Nr. 2 [X.] einbezogen hat, gibt es jedenfalls keine Anhaltspunkte dafür, er habe dies zugleich auch auf verwaltungsgerichtliche Verfahren unter Beteiligung von Bürgern erstrecken wollen und damit für sie sogar eine bessere Behandlung bezweckt, als sie in Bezug auf den Entschädigungsanspruch von [X.] wegen für Gemeinden geboten war. [X.]aran ändert sich auch dann nichts, wenn die überlange [X.]auer von verwaltungsgerichtlichen Verfahren, wie dies der Kläger in der mündlichen Verhandlung im Hinblick auf das beklagte Land vorgetragen hat, keinen Einzelfall, sondern einen strukturellen Mangel darstellt und zu Belastungen für die Refinanzierung kommunaler Aufgabenerfüllung führen sollte (vgl. BVerwG, Urteil vom 26. Februar 2021 - 5 C 15.19 [X.] - Rn. 24).

Aus der weiteren Absicht des Gesetzgebers, mit § 198 [X.] den Anforderungen der [X.] zu tragen (vgl. z.B. [X.]. 17/3802 S. 39, 42), ergibt sich kein weitergehender Schutz von Selbstverwaltungsträgern. [X.]enn gemäß Art. 34 Satz 1 [X.] haben grundsätzlich nur natürliche Personen und nichtstaatliche Organisationen oder Personengruppen das Recht, den [X.] mit der Verletzung eines Konventionsrechts zu befassen, so dass sich Gemeinden als Träger öffentlicher Verwaltung unabhängig von ihrem eventuell autonomen Status nicht auf das Recht auf ein faires Verfahren gemäß Art. 6 Abs. 1 Satz 1 [X.] berufen können (stRspr, vgl. z.B. [X.], Entscheidung vom 23. Oktober 2010 - Nr. 50108/06 - [X.]ösemealti Belediyesi/[X.] - NVwZ 2011, 479 <480> m.w.N.). Für einen aus Städten und Gemeinden gebildeten Zweckverband kann nichts anderes gelten.

3. Gemessen daran war der Kläger hier an dem verwaltungsgerichtlichen Ausgangsverfahren, dessen Überlänge er rügt, schon deshalb nicht im Sinne von § 198 Abs. 6 Nr. 2 [X.] in Wahrnehmung eines Selbstverwaltungsrechts beteiligt, weil sein Gegner in diesem Klageverfahren kein anderer Träger öffentlicher Gewalt, sondern ein Bürger gewesen ist, der einen Beitragsbescheid angefochten hat und der das Recht des [X.] auf Selbstverwaltung weder in Zweifel gezogen hat noch überhaupt zu beeinträchtigen vermochte.

4. [X.]ie Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.

Meta

5 C 16/19 D

26.02.2021

Bundesverwaltungsgericht 5. Senat

Urteil

Sachgebiet: C

vorgehend Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg, 1. Oktober 2019, Az: OVG 3 A 1.19, Urteil

§ 198 Abs 6 Nr 2 GVG, § 198 Abs 6 Nr 1 GVG, § 198 Abs 2 GVG, § 198 Abs 1 S 1 GVG, Art 28 Abs 2 S 1 GG, Art 19 Abs 4 GG, § 164 VwGO, § 165 VwGO

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 26.02.2021, Az. 5 C 16/19 D (REWIS RS 2021, 8323)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2021, 8323

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2 BvG 1/10

2 BvR 2203/18

2 BvR 163/15

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