Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 22.10.2009, Az. IX ZB 248/08

IX. Zivilsenat | REWIS RS 2009, 1013

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[X.][X.] 248/08 vom 22. Oktober 2009 in dem Rechtsstreit Nachschlagewerk: ja [X.]: nein [X.]R: ja ZPO § 180 Bei bereits aufgegebenen Geschäftsräumen kann eine Ersatzzustellung durch [X.] in den Briefkasten nicht erfolgen. [X.], [X.]uss vom 22. Oktober 2009 - [X.] 248/08 - [X.] - 2 - Der [X.]. Zivilsenat des [X.] hat durch [X.] Ganter, [X.] Dr. Gehrlein und [X.], die Richterin [X.] und [X.] [X.] am 22. Oktober 2009 beschlossen: Auf die Rechtsbeschwerde des [X.]n werden der [X.]uss des 6. Zivilsenats des [X.] vom 27. Au-gust 2008 und der [X.]uss der 12. Zivilkammer des [X.] vom 24. Juni 2008 aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Entscheidung - auch über die Kosten der Beschwerdeverfahren - an das [X.] zu-rückverwiesen. Gründe: [X.] Der [X.] begehrt die Fortsetzung eines gegen ihn gerichteten [X.] wegen behaupteter Verletzung seiner Pflichten aus einem Steuerberatervertrag. Gegen ihn erging [X.]. Er macht gel-tend, dieser sei nicht wirksam zugestellt worden, hilfsweise beantragt er [X.] in die versäumte Einspruchsfrist. 1 - 3 - Der [X.] betrieb sein Büro in einem mit der Hausnummer 5 gekenn-zeichneten Anbau des Wohnhauses mit der Hausnummer 3, in dem er mit [X.] lebt. Die Büroräume hatte er bis zur Aufgabe seiner Tätigkeit am 31. Oktober 2007 von seiner Ehefrau gemietet. Nach Einstellung der Berufstä-tigkeit entfernte der [X.] sein Kanzleischild sowie die Namensschilder von Klingel und Briefkasten (Briefschlitz in der Eingangstür). Dem für das Gebiet zuständigen Briefträger teilte er mit, dass er sein Büro geschlossen habe und dass für ihn bestimmte [X.] in den Briefkasten der Hausnummer 3 eingeworfen werden möge. Die ehemaligen Büroräume blieben in der Folge unbenutzt. 2 Der Kläger erwirkte zunächst den Erlass eines Mahnbescheides gegen den [X.]n, der am 9. Januar 2008 in den Briefkasten des Anbaus mit der Hausnummer 5 eingelegt wurde. Am 5. Februar 2008 erging ein Vollstre-ckungsbescheid, der laut [X.] am 7. Februar 2008 in Hausnummer 5 zugestellt wurde. Auf der [X.] ist vermerkt: "Weil die Übergabe des Schriftstückes in der Wohnung/in dem Geschäftsraum nicht möglich war, habe ich das Schriftstück in den zur Wohnung gehörenden Briefkasten oder in eine ähnliche Vorrichtung eingelegt." 3 Am 9. Juni 2008 ging der mit einem Wiedereinsetzungsantrag [X.] Einspruch des [X.]n beim Amtsgericht - Mahnabteilung - ein. Das [X.] hat den Wiedereinsetzungsantrag mit [X.]uss vom 24. Juni 2008 zurückgewiesen. Die sofortige Beschwerde, mit der der [X.] in erster Linie geltend machte, eine wirksame Zustellung des [X.]es sei nicht erfolgt, hatte keinen Erfolg. 4 - 4 - Mit der vom Beschwerdegericht zugelassenen Rechtsbeschwerde ver-folgt der [X.] sein Anliegen weiter. 5 I[X.] Das Rechtsmittel ist zulässig und begründet. 6 1. Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO statthaft, weil sie das Beschwerdegericht zugelassen hat. 7 Nach der seit 1. Januar 2002 geltenden Fassung des § 341 Abs. 2 ZPO hätte das [X.] über den Einspruch und die beantragte Wiedereinset-zung in die womöglich versäumte Einspruchsfrist allerdings durch [X.]eil [X.] müssen, auch wenn es über die beantragte Wiedereinsetzung isoliert vorab und nicht zusammen mit der Entscheidung über den Einspruch entschie-den hat ([X.], Versäumnisurteil v. 19. Juli 2007 - I ZR 136/05, NJW-RR 2008, 218 f Rn. 14 ff). Hätte das [X.] über das Wiedereinsetzungsgesuch rich-tigerweise durch [X.]eil erkannt, hätte der [X.] das die Wiedereinsetzung versagende [X.]eil mit der Berufung und das die Berufung zurückweisende [X.]eil gegebenenfalls mit der Revision anfechten können ([X.], aaO Rn. 18). 8 Der Umstand, dass das [X.] verfahrensfehlerhaft durch [X.] entschieden hat, kann sich allerdings nicht zum Nachteil des [X.]n auswirken ([X.], aaO). Hat das Gericht eine der Form nach unrichtige Ent-scheidung gewählt, steht den Parteien nach dem Grundsatz der [X.] sowohl das Rechtsmittel zu, das nach der Art der ergangenen Entschei-dung statthaft ist, als auch das Rechtsmittel, das bei einer in der richtigen Form 9 - 5 - getroffenen Entscheidung gegeben gewesen wäre ([X.], aaO Rn. 12). [X.] konnte der [X.] auch gemäß § 567 Abs. 1 Nr. 2 ZPO sofortige Be-schwerde einlegen und das Beschwerdegericht die Rechtsbeschwerde wegen grundsätzlicher Bedeutung gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Abs. 3 ZPO zu-lassen, wie es andernfalls aus diesem Grund auch die Revision gemäß § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO hätte zulassen können. Die Rechtsbeschwerde ist auch im Übrigen zulässig (§ 575 ZPO). 10 2. Die Rechtsbeschwerde ist begründet. 11 a) Der Antrag auf Wiedereinsetzung in die versäumte Einspruchsfrist konnte von Anfang an bei verständiger Würdigung nur so verstanden werden, dass darüber erst und nur dann zu entscheiden ist, wenn nicht festgestellt wer-den kann, dass der [X.] die Einspruchsfrist gewahrt hat ([X.], [X.]. v. 27. Mai 2003 - [X.], NJW 2003, 2460; v. 16. Januar 2007 - [X.], NJW 2007, 1457, 1458 Rn. 12; v. 11. Oktober 2007 - [X.], [X.], 712 Rn. 9). Dies hatten das [X.] und das Beschwerdegericht von Amts wegen zu prüfen ([X.], [X.]. v. 11. Oktober 2007 aaO Rn. 8). 12 b) Der [X.] hat die Einspruchsfrist gewahrt. Da eine wirksame Zu-stellung des [X.]es nicht erfolgt ist, hätte die Einspruchsfrist gemäß §§ 339, 700 ZPO frühestens mit einer möglichen Heilung des [X.] gemäß § 189 ZPO zu laufen beginnen können. Eine solche kommt erst mit der Kenntnisnahme des [X.]n von dem [X.] am 1. Juni 2008 in Betracht, an dem er nach seinem Vorbringen die [X.]sendung tatsächlich auffand. Deshalb war der am 9. Juni 2008 eingelegte Einspruch jedenfalls rechtzeitig. 13 - 6 - Eine wirksame Ersatzzustellung gemäß § 180 ZPO liegt entgegen der Ansicht der Vorinstanzen nicht vor. Diese setzt bei Geschäftsräumen voraus, dass eine Zustellung nach § 178 Abs. 1 Nr. 2 ZPO nicht ausführbar war. Dann kann ein Schriftstück in einen zu dem Geschäftsraum gehörenden Briefkasten oder in eine ähnliche Vorrichtung eingelegt werden. Mit der Einlegung gilt das Schriftstück dann als zugestellt, § 180 Sätze 1 und 2 ZPO. Ein Geschäftsraum in diesem Sinne lag jedoch bei der Zustellung nicht vor. 14 aa) Zutreffend geht das Beschwerdegericht davon aus, dass die Ersatz-zustellung nach § 180 Satz 1 ZPO voraussetzt, dass die Räume von dem [X.] tatsächlich als Geschäftsraum genutzt werden ([X.], [X.]. v. 19. März 1998 - [X.], [X.], 862, 863; v. 2. Juli 2008 - [X.], [X.], 1747, 1748; für die vergleichbare Rechtslage bei der Wohnung vgl. etwa [X.], [X.]. v. 14. September 2004 - [X.], NJW-RR 2005, 415). 15 Ein Geschäftslokal ist vorhanden, wenn ein dafür bestimmter Raum - und sei er auch nur zeitweilig besetzt - geschäftlicher Tätigkeit dient und der [X.] dort erreichbar ist ([X.], [X.]. v. 19. März 1998, aaO; [X.]. v. 2. Juli 2008 - [X.], [X.], 1747, 1748 Rn. 7; für die vergleichbare Rechtsla-ge bei der Wohnung vgl. z.B. [X.], [X.]. v. 14. September 2004 aaO). 16 [X.]) Ebenfalls noch zutreffend hat das Beschwerdegericht gesehen, dass ein solcher Geschäftsraum nicht mehr vorliegt, wenn der vormalige Inhaber die Räumlichkeiten nicht mehr für seine Geschäftszwecke nutzt und [X.] und [X.] erkennbar sind. Wann diese Voraussetzungen vorliegen, ist bislang allerdings bei Geschäftsräumen höchstrichterlich nicht geklärt. 17 - 7 - cc) Bei der Frage, ob eine Wohnung mit der Folge aufgegeben worden ist, dass dort eine Zustellung nicht mehr vorgenommen werden kann, ist nach der ständigen Rechtsprechung des [X.] nicht allein auf die [X.] des bisherigen Inhabers der Wohnung abzustellen, dort künftig nicht mehr wohnen zu wollen. Dieser Wille muss vielmehr, ähnlich wie bei der Aufhe-bung des Wohnsitzes nach § 7 Abs. 3 BGB, in seinem gesamten Verhalten zum Ausdruck kommen. Der Wille des [X.] zur Aufgabe der [X.] muss also nach außen erkennbar und in seinem Verhalten Ausdruck ge-funden haben. Zwar setzt die Aufgabe einer Wohnung nicht voraus, dass ihr Inhaber alle Merkmale beseitigt, die den Anschein erwecken könnten, er wohne dort auch weiterhin. Der [X.] muss aber, wenn auch nicht gerade für den Absender eines zuzustellenden Schriftstückes oder die mit der Zustellung betraute Person, so doch jedenfalls für einen mit den Verhältnissen vertrauten Beobachter erkennbar sein. Hierauf kann nicht verzichtet werden, weil sonst Möglichkeiten zur Manipulation eröffnet würden ([X.], [X.]. v. 27. Oktober 1987 - [X.], [X.], 713; v. 13. Oktober 1993 - [X.], NJW-RR 1994, 564, 565; [X.]. v. 19. Juni 1996 - [X.], [X.], 2581; v. 14. September 2004 aaO). 18 [X.]) Das Beschwerdegericht meint, an die Erkennbarkeit von Aufgabewil-len und [X.] seien bei einem Geschäftslokal strengere Anforderungen zu stellen, jedenfalls wenn die Räume anschließend leer stehen. Der bisherige Inhaber der Geschäftsräume müsse jedenfalls in diesem Fall sicherstellen, dass an ihn gerichteter Schriftverkehr nicht in den Briefkasten der leer stehenden Räume eingelegt werde. Deshalb müsse er nach den Umständen den Brief-schlitz zukleben, ein Hinweisschild anbringen oder einen Nachsendeauftrag stellen. [X.] derartige Maßnahmen, spreche einiges dafür, dass der ehemalige Inhaber der Geschäftsräume es geradezu darauf anlege, an ihn [X.] - 8 - richtete [X.] nicht zu erhalten. Das bloße Entfernen des [X.] ge-nüge nicht, weil nicht davon ausgegangen werden könne, dass der jeweils täti-ge Zusteller mit den bisherigen örtlichen Gegebenheiten vertraut sei. ee) Dieser Auffassung kann nicht gefolgt werden. 20 Nach der Regelung der §§ 178 ff ZPO wird für die Ersatzzustellung vor-ausgesetzt, dass eine Wohnung oder ein Geschäftsraum tatsächlich vorhanden ist. In beiden Fällen kann es deshalb bei einer Aufgabe der Wohnung oder des [X.] nur darum gehen, möglichen Manipulationen vorzubeugen. Es muss der Wille, die Geschäftsräume aufzugeben, nach außen erkennbaren Ausdruck gefunden haben. Insoweit gilt nichts anderes als bei Wohnräumen. Aus §§ 178 ff ZPO ergibt sich auch bei Geschäftsräumen keine Verpflichtung des Inhabers, bei einer tatsächlichen, nach außen erkennbaren Aufgabe des [X.] zusätzliche Vorsorge dafür zu treffen, dass Sendungen nicht gleichwohl in den Briefkasten oder Briefschlitz eingeworfen werden. Ebenso wenig besteht eine Verpflichtung, ein Schild anzubringen, auf dem ausdrücklich darauf hingewiesen wird, dass die Geschäftsräume aufgegeben sind. Damit würde dem Empfänger das Risiko der Wirksamkeit zweifelhafter Ersatzzustel-lungen auferlegt. Dies sieht § 180 ZPO nicht vor. Dem Zustellungsempfänger kann eine ungenaue oder sorglose Arbeit des Zustellers ebenso wenig zuge-rechnet werden wie dessen Irrtum über das Vorliegen eines Geschäfts- oder Wohnraums. 21 Im vorliegenden Fall hatte der [X.] unstreitig alle Kanzlei- und Na-mensschilder unmittelbar nach dem 31. Oktober 2007 entfernt und den [X.] geräumt. Mehr konnte von ihm nicht verlangt werden. Er hat damit für einen mit den Verhältnissen vertrauten Beobachter zweifelsfrei zum [X.] - 9 - druck gebracht, dass er die Geschäftsräume aufgab. Für einen Zusteller, der mit den Gegebenheiten vor Ort nicht vertraut war, gab es danach auch keinen Anhaltspunkt mehr dafür, dass die Räume die Geschäftsräume des [X.]n sein könnten. Der üblicherweise zuständige Briefträger war über die Aufgabe der Geschäftsräume ohnehin ausdrücklich unterrichtet. Dem Beschwerdegericht ist zwar darin zuzustimmen, dass es dem [X.] nach den besonderen Umständen des Einzelfalles wohl möglich gewe-sen wäre, sich gleichwohl Kenntnis von der [X.] zu verschaffen, die bei seinen ehemaligen Kanzleiräumen eingeworfen wurde. Das ändert aber nichts daran, dass die Voraussetzungen einer Ersatzzustellung nicht vorlagen. Auf die Mög-lichkeit des Zustellungsempfängers, sich Kenntnis von dem Inhalt von Sendun-gen zu verschaffen, die ohne das Vorliegen der Voraussetzungen einer Ersatz-zustellung eingeworfen wurden, kommt es in diesem Zusammenhang nicht an. 23 - 10 - ff) Da die Einspruchsfrist somit nicht versäumt war, kam es auf den nur hilfsweise gestellten Antrag auf Wiedereinsetzung nicht an. Das [X.] wird nunmehr dem Rechtsstreit Fortgang zu geben haben. 24 Ganter Gehrlein [X.] [X.] [X.] Vorinstanzen: [X.], Entscheidung vom 24.06.2008 - 12 O 1532/08 - [X.], Entscheidung vom 27.08.2008 - 6 W 77/08 -

Meta

IX ZB 248/08

22.10.2009

Bundesgerichtshof IX. Zivilsenat

Sachgebiet: ZB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 22.10.2009, Az. IX ZB 248/08 (REWIS RS 2009, 1013)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2009, 1013

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