Bundesgerichtshof, Urteil vom 21.06.2012, Az. 4 StR 623/11

4. Strafsenat | REWIS RS 2012, 5343

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Gegenstand

Hauptverhandlung in Strafsachen: Ausschluss der Öffentlichkeit während der Verlesung des Anklagesatzes; Anfechtbarkeit bzw. Widerruflichkeit einer Zustimmungserklärung der Staatsanwaltschaft zu einem gerichtlichen Verständigungsvorschlag und Wegfall der Bindungswirkung der Verständigung für das Gericht


Leitsatz

1. Nach § 171b GVG darf die Öffentlichkeit auch während der Verlesung des Anklagesatzes von der Verhandlung ausgeschlossen werden.

2a. Die Zustimmungserklärung der Staatsanwaltschaft zu dem Verständigungsvorschlag des Gerichts ist als gestaltende Prozesserklärung unanfechtbar und unwiderruflich.

2b. Das Entfallen der Bindungswirkung der Verständigung für das Gericht nach § 257c Abs. 4 Satz 1 StPO tritt nicht kraft Gesetzes ein, sondern erfordert eine dahingehende gerichtliche Entscheidung.

Tenor

Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des [X.] vom 21. Juli 2011 wird verworfen.

Die Staatskasse trägt die Kosten des Rechtsmittels und die insoweit entstandenen notwendigen Auslagen des Angeklagten.

Von Rechts wegen

Gründe

1

Das [X.] hat den umfassend geständigen Angeklagten nach einer Verständigung (§ 257c [X.]) wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung und Beleidigung zu der Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt und deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt. Hiergegen richtet sich die zu Ungunsten des Angeklagten eingelegte Revision der Staatsanwaltschaft. Mit [X.] wendet sich die Staatsanwaltschaft gegen den Ausschluss der Öffentlichkeit während der Verlesung des Anklagesatzes und beanstandet im Zusammenhang mit der Verständigung, dass das [X.] es unterlassen habe, sich im Urteil mit den Gründen für das Festhalten an der Verständigung auseinanderzusetzen, obwohl aufgrund neu in der Hauptverhandlung zutage getretener Umstände Veranlassung bestanden habe, sich nach § 257c Abs. 4 [X.] von der Verständigung zu lösen. Die Sachrüge ist mit Angriffen gegen den Strafausspruch näher ausgeführt.

2

Das vom [X.] nicht vertretene Rechtsmittel bleibt ohne Erfolg.

I.

3

Nach den Feststellungen kam es zwischen dem Angeklagten und der Nebenklägerin im Erdgeschoss des vom Angeklagten allein bewohnten Hauses zunächst zum einvernehmlichen Geschlechtsverkehr, in dessen Verlauf der Angeklagte unvermittelt begann, ihn erregende und für die Nebenklägerin schmerzhafte Handlungen, unter anderem Schläge mit der flachen Hand gegen die Brust der Nebenklägerin, vorzunehmen, worauf die Nebenklägerin vergeblich versuchte, den Angeklagten wegzudrücken. Nachdem der Angeklagte die Nebenklägerin, die eine entsprechende Aufforderung zuvor abgelehnt hatte, in das im Obergeschoss gelegene Schlafzimmer geschoben hatte, führte er den Geschlechtsverkehr mit der auf dem Bett liegenden Nebenklägerin unter denselben Begleitumständen weiter. Als die Nebenklägerin ihn bei ihrer fortdauernden Gegenwehr mit ihren Fingernägeln am Hals verletzte, schlug der Angeklagte, der zu diesem Zeitpunkt erkannt hatte, dass die Fortführung des Geschlechtsverkehrs und die Schläge gegen die Brüste gegen den Willen der Nebenklägerin geschahen, ihr mit beiden Händen nacheinander ins Gesicht. Sodann setzte er den Geschlechtsverkehr mit der [X.] und jede Gegenwehr aufgebenden Nebenklägerin fort und urinierte ihr anschließend auf den Bauch. In der Folgezeit vollzog der Angeklagte mit der Nebenklägerin den Analverkehr unter Einsatz eines Gleitgels und - nach einer Unterbrechung, in der sich der Angeklagte von hinten an die Nebenklägerin anschmiegte und äußerte, er könne auch kuscheln - [X.] den vaginalen Geschlechtsverkehr, ehe er der Nebenklägerin erneut auf den Bauch urinierte. Bei Tatbegehung war die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten aufgrund des vorangegangenen [X.] nicht ausschließbar erheblich beeinträchtigt.

II.

4

Die Verfahrensrügen dringen nicht durch.

5

1. Die Staatsanwaltschaft beanstandet gemäß § 338 Nr. 6 [X.] den Ausschluss der Öffentlichkeit bei der Verlesung des Anklagesatzes und macht geltend, § 171b [X.] lasse eine Beschränkung der Öffentlichkeit während der [X.] nicht zu.

6

a) Die Rüge ist zulässig erhoben (§ 344 Abs. 2 Satz 2 [X.]). Da die Beanstandung des Verfahrens die prinzipielle Reichweite der [X.] nach § 171b [X.] zum Gegenstand hat, sind die Einzelheiten der im Zusammenhang mit der Ausschließungsentscheidung der [X.] angefallenen Unterlagen, deren Vortrag der [X.] und die Verteidigung vermissen, für die Entscheidung über die Verfahrensrüge ohne Bedeutung.

7

b) Die Regelung des § 171b Abs. 3 [X.] i.V.m. § 336 Satz 2 [X.] steht der erhobenen Rüge nicht entgegen. Gemäß § 171b Abs. 3 [X.] unanfechtbar und daher gemäß § 336 Satz 2 [X.] der revisionsgerichtlichen Überprüfung entzogen ist die gerichtliche Entscheidung darüber, ob die in § 171b Abs. 1 Satz 1 [X.] normierten tatbestandlichen Voraussetzungen für einen Ausschluss der Öffentlichkeit im Einzelfall vorliegen (vgl. [X.], Urteil vom 21. Februar 1989 - 1 StR 786/88, [X.]R [X.] § 171b Abs. 1 Dauer 1; Beschluss vom 19. Dezember 2006 - 1 [X.], [X.], 514; vgl. auch den Entwurf der Bundesregierung für ein Erstes Gesetz zur Verbesserung der Stellung des Verletzten im Strafverfahren, BT-Drucks. 10/5305 S. 23 f.). Damit ist es dem Revisionsgericht verwehrt, die Begründung einer nach § 171b [X.] ergangenen Entscheidung inhaltlich zu überprüfen (vgl. [X.] in [X.], [X.], 26. Aufl., § 171b [X.], Rn. 25). Die Rüge der Staatsanwaltschaft zielt indessen nicht auf die Tragfähigkeit der von der [X.] für ihre Ausschließungsanordnung angeführten Gründe, sondern stellt die generelle Befugnis für den Ausschluss der Öffentlichkeit während der Verlesung des Anklagesatzes in Frage. Diese Beanstandung wird von § 171b Abs. 3 [X.] nicht ausgeschlossen.

8

c) Die Rüge ist unbegründet. Nach § 171b [X.] darf die Öffentlichkeit auch während der Verlesung des Anklagesatzes von der Verhandlung ausgeschlossen werden.

9

Die Vorschrift des § 171b [X.] knüpft an den Begriff der Verhandlung vor dem erkennenden Gericht in § 169 Satz 1 [X.] an und lässt beim Vorliegen der Voraussetzungen des § 171b Abs. 1 Satz 1 [X.] einen Ausschluss der Öffentlichkeit für sämtliche Abschnitte der Hauptverhandlung zu (vgl. [X.], Beschluss vom 10. März 1992 - 1 StR 105/92, [X.]R [X.] § 171b Abs. 1 Dauer 5; [X.] aaO, Rn. 21). Die [X.] nach § 171b [X.] reicht nicht weniger weit als bei den [X.] des § 171a [X.] und § 172 [X.], für welche ausdrücklich normiert ist, dass die Öffentlichkeit für die (Haupt-)Verhandlung oder einen Teil davon ausgeschlossen werden kann. Dafür spricht auch die Entstehungsgeschichte des § 171b [X.]. Durch die Schaffung des § 171b [X.] sollte der bis dahin in § 172 Nr. 2 [X.] in der Fassung vom 9. Mai 1975 geregelte Schutz des persönlichen Lebensbereichs eines Prozessbeteiligten oder Zeugen durch eine Änderung des [X.] zugunsten des Persönlichkeitsschutzes verbessert, der Ausschluss der Öffentlichkeit bei Erörterung von Umständen aus dem persönlichen Lebensbereich aus dem Zusammenhang der übrigen Ausschlussgründe gelöst und plakativ an die Spitze gestellt werden (vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung, BT-Drucks. 10/5305 S. 23). Dafür, dass bei dem neu in das Gerichtsverfassungsgesetz aufgenommenen § 171b [X.] - anders als bei § 172 [X.] - bestimmte Verfahrensabschnitte der Hauptverhandlung von der [X.] ausgenommen sein sollten, bietet die Entstehungsgeschichte keinen Anhalt. Das Gesetz enthält in § 173 [X.] lediglich für die Urteilsverkündung eine besondere Regelung, wonach die Verlesung der Urteilsformel stets öffentlich zu erfolgen hat und der Ausschluss der Öffentlichkeit während der Eröffnung der Urteilsgründe einen besonderen Beschluss des Gerichts nach §§ 171b, 172 [X.] erfordert. Die eine Gegenausnahme zu den [X.] der §§ 171a, 171b und 172 [X.] beinhaltende Bestimmung des § 173 [X.] ist entgegen der Ansicht der Revision einer ausdehnenden, ihren Anwendungsbereich auf andere [X.] erstreckenden Auslegung nicht zugänglich.

Die Hauptverhandlung beginnt mit dem [X.] (§ 243 Abs. 1 Satz 1 [X.]) und umfasst nach § 243 Abs. 3 Satz 1 [X.] die Verlesung des Anklagesatzes. Die Verlesung ist ein Teil der Verhandlung, für den bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen die Öffentlichkeit ausgeschlossen werden darf (vgl. für § 172 [X.] RG, Urteil vom 13. Mai 1927 - 1. D 392/1927; [X.] aaO, § 172 [X.], Rn. 39). Auch bei der Verlesung des Anklagesatzes können Umstände aus dem persönlichen Lebensbereich eines Prozessbeteiligten, Zeugen oder durch eine rechtswidrige Tat Verletzten zur Sprache kommen, die einen Ausschluss der Öffentlichkeit nach § 171b Abs. 1 Satz 1 [X.] zu rechtfertigen vermögen, weil deren öffentliche Erörterung schutzwürdige Interessen verletzen würde, ohne dass das Interesse an der öffentlichen Erörterung dieser Umstände überwiegt. Etwas anderes ergibt sich entgegen der Auffassung der Revision weder aus dem Umstand, dass der Inhalt des Anklagesatzes auf einer vorläufigen Bewertung des Ermittlungsergebnisses durch die Staatsanwaltschaft beruht, noch aus der verfahrensrechtlichen Funktion des Anklagesatzes zur Umgrenzung und Konkretisierung des Verfahrensgegenstandes.

2. Im Zusammenhang mit der Verständigung nach § 257c [X.] macht die Revision einen Verstoß gegen die §§ 257c, 261, 267 [X.] geltend. Sie beanstandet, das [X.] habe trotz des von der Staatsanwaltschaft erklärten Widerrufs der Zustimmung zu dem gerichtlichen Verständigungsvorschlag in den Urteilsgründen nicht ausgeführt, ob und aus welchen Gründen es an der Verständigung habe festhalten wollen. Die in der Hauptverhandlung neu zutage getretenen Umstände - die erheblichen psychischen Tatfolgen für die Nebenklägerin und das erst im weiteren Verlauf der Hauptverhandlung nach Intervention der Staatsanwaltschaft erfolgte Eingeständnis des erzwungenen Analverkehrs durch den Angeklagten - hätten der [X.] Anlass geben müssen, den der Verständigung zugrunde gelegten Strafrahmen zu verlassen.

Der Rüge bleibt der Erfolg versagt.

a) Nach der Konzeption des § 257c [X.] kommt eine Verständigung über das Ergebnis des Verfahrens durch einen Vorschlag des Gerichts und die Zustimmungserklärungen des Angeklagten sowie der Staatsanwaltschaft zustande. Das Gericht gibt nach § 257c Abs. 3 Satz 1 [X.] den Inhalt einer möglichen Verständigung bekannt und macht dabei regelmäßig von der Möglichkeit Gebrauch, gemäß § 257c Abs. 3 Satz 2 [X.] eine [X.] und [X.] anzugeben (vgl. [X.], Urteil vom 17. Februar 2011 - 3 [X.], [X.], 648; Beschluss vom 16. März 2011 - 1 StR 60/11, [X.], 134, 135). Für die in § 257c Abs. 3 Satz 4 [X.] als Vorschlag bezeichnete Bekanntgabe hat das Gericht das vom Angeklagten im Rahmen der Verständigung erwartete Prozessverhalten, bei dem es sich in aller Regel um ein Geständnis handeln wird (§ 257c Abs. 2 Satz 2 [X.]), genau zu bezeichnen und unter antizipierender Berücksichtigung dieses Verhaltens und Beachtung der Vorgaben des materiellen Rechts eine strafzumessungsrechtliche Bewertung des Anklagevorwurfs vorzunehmen (vgl. Entwurf der Bundesregierung für ein Gesetz zur Regelung der Verständigung im Strafverfahren, BT-Drucks. 16/12310 S. 14; [X.] in [X.]/Schlothauer/Weider, Gesetz zur Verständigung im Strafverfahren, § 257c Rn. 56). Die Verständigung kommt gemäß § 257c Abs. 3 Satz 4 [X.] zustande, wenn der Angeklagte und die Staatsanwaltschaft dem gerichtlichen Verständigungsvorschlag zustimmen. Die Zustimmungserklärung der Staatsanwaltschaft ist als gestaltende Prozesserklärung (vgl. [X.], [X.], 54. Aufl., Einleitung, Rn. 95, 102, 116) unanfechtbar und unwiderruflich (vgl. [X.] aaO, Rn. 28; [X.], Festschrift für [X.], 2011, S. 26; [X.] aaO, § 257c, Rn. 25). Die Staatsanwaltschaft hat auch dann von sich aus keine Möglichkeit, die getroffene Verständigung mit der daraus resultierenden Bindungswirkung für das Gericht nachträglich zu Fall zu bringen, wenn sie die Voraussetzungen des § 257c Abs. 4 Satz 1 und 2 [X.] für ein Entfallen der Bindungswirkung als gegeben ansieht (vgl. [X.] aaO, Rn. 39, 111; [X.] aaO; [X.] in [X.], [X.], § 257c, Rn. 30; [X.] in SK-[X.], 4. Aufl., § 257c, Rn. 25; [X.]/[X.] in [X.]/[X.], [X.], § 257c, Rn. 35).

b) Das Entfallen der Bindungswirkung der Verständigung für das Gericht tritt ungeachtet des insoweit unklaren Wortlauts des § 257c Abs. 4 Satz 1 [X.] nicht kraft Gesetzes von selbst ein, sondern erfordert eine dahingehende gerichtliche Entscheidung. Die Prüfung, ob eine mit dem materiellen Recht in Einklang stehende Ahndung auch bei veränderter Beurteilungsgrundlage noch im Rahmen der getroffenen Verständigung möglich ist, liegt im Verantwortungsbereich des Gerichts. Um ein materiell-rechtlich richtiges und gerechtes Urteil zu gewährleisten (BT-Drucks. 16/12310 S. 14), räumt § 257c Abs. 4 [X.] dem Gericht die Befugnis ein, sich unter den in § 257c Abs. 4 Satz 1 und 2 [X.] geregelten Voraussetzungen aus der Bindung durch die Verständigung zu lösen. Das Abweichen von der Verständigung ist das Gegenstück zu dem gerichtlichen Verständigungsvorschlag und stellt sich der Sache nach als Widerruf der zum Bestandteil der Verständigung gewordenen Strafrahmenzusage dar. Dies macht eine entsprechende Entscheidung des Gerichts erforderlich (vgl. [X.] aaO, Rn. 113; BT-Drucks. 16/12310 S. 15; a.A. [X.] aaO, S. 24). Die Notwendigkeit einer gerichtlichen Entscheidung folgt zudem aus der Regelung des § 257c Abs. 4 Satz 1 [X.], die das Entfallen der Bindung an die Verständigung unter anderem davon abhängig macht, dass das Gericht wegen der veränderten Beurteilungsgrundlage zu der Überzeugung gelangt, dass der in Aussicht gestellte Strafrahmen nicht mehr tat- oder schuldangemessen ist. Für die danach erforderliche Überzeugungsbildung bedarf es zwingend einer gerichtlichen Entscheidung. Die Entscheidung über das Abweichen von der Verständigung ist nach § 257c Abs. 4 Satz 4 [X.] unverzüglich mitzuteilen, um dem Angeklagten und den weiteren Verfahrensbeteiligten - insbesondere mit Blick auf das mit dem Entfallen der Bindung des Gerichts an die Verständigung gemäß § 257c Abs. 4 Satz 3 [X.] verknüpfte Verwertungsverbot für ein im Zuge der Verständigung abgelegtes Geständnis des Angeklagten - die Möglichkeit zu geben, ihr Prozessverhalten auf die neue Verfahrenslage einzurichten (vgl. BT-Drucks. 16/12310 S. 15).

c) Ein Abweichen von der Verständigung setzt unter anderem voraus, dass das Gericht wegen der veränderten Beurteilungsgrundlage zu der Überzeugung gelangt, dass der in Aussicht gestellte Strafrahmen nicht mehr tat- oder schuldangemessen ist. Dies ist in § 257c Abs. 4 Satz 1 [X.] ausdrücklich geregelt, gilt in gleicher Weise aber auch für die Fälle des § 257c Abs. 4 Satz 2 [X.]. Gegenstand der in § 257c Abs. 4 Satz 2 [X.] angesprochenen Prognose ist die strafzumessungsrechtliche Bewertung, die das Gericht bei seiner Zusage der Strafrahmengrenzen unter antizipierender Berücksichtigung des nach dem Inhalt des [X.] erwarteten Prozessverhaltens des Angeklagten vorgenommen hat. Von einem nicht der Prognose entsprechenden Verhalten des Angeklagten, das ein Abweichen von der Verständigung zu rechtfertigen vermag, kann daher nur dann die Rede sein, wenn das von der Erwartung abweichende tatsächliche Prozessverhalten aus der Sicht des Gerichts der Strafrahmenzusage die Grundlage entzieht.

Bei der Beantwortung der Frage, ob die in Aussicht gestellten Strafrahmengrenzen auch auf veränderter Beurteilungsgrundlage eine tat- und schuldangemessene Ahndung ermöglichen, kommt dem Gericht - wie auch sonst bei [X.] im Bereich der Strafzumessung - ein weiter Beurteilungsspielraum zu, der erst überschritten ist, wenn der zugesagte Strafrahmen nicht mehr mit den Vorgaben des materiellen Rechts in Einklang zu bringen ist. Dies wäre etwa anzunehmen, wenn die Strafrahmenzusage sich unter Berücksichtigung von neu eingetretenen oder erkannten Umständen oder des tatsächlichen Prozessverhaltens des Angeklagten so weit von dem Gedanken eines gerechten Schuldausgleichs entfernte, dass sie als unvertretbar erschiene. In diesem Fall wäre das Gericht jedenfalls aus Gründen sachlichen Rechts verpflichtet, von der getroffenen Verständigung abzuweichen. Da die Anforderungen des materiellen Strafrechts im Rahmen einer Verständigung nach § 257c [X.] nicht disponibel sind (vgl. nur BT-Drucks. 16/12310 S. 7 ff., 13 f.), wäre ein auf der Grundlage der Verständigung ergehendes Urteil sachlich-rechtlich fehlerhaft. Ob in einem Festhalten an der Verständigung bei nach Maßgabe von § 257c Abs. 4 Satz 1 und 2 [X.] unvertretbar gewordener Strafrahmenzusage zugleich ein [X.] gegen § 257c Abs. 4 [X.] läge, kann der Senat dahinstehen lassen. Denn im vorliegenden Fall hat das [X.] den ihm im Rahmen des § 257c Abs. 4 [X.] zukommenden Beurteilungsrahmen nicht überschritten. Die Revision der Staatsanwaltschaft zeigt keine nach § 257c Abs. 4 Satz 1 und 2 [X.] neu in die strafzumessungsrechtliche Bewertung einzubeziehenden Umstände auf, die geeignet sind, die Vertretbarkeit der von der [X.] in ihrem Verständigungsvorschlag in Aussicht gestellten [X.] und [X.] in Frage zu stellen. Dies gilt sowohl für den Umstand, dass der Angeklagte den gewaltsam erzwungenen Analverkehr erst im weiteren Verlauf der Hauptverhandlung glaubhaft eingeräumt hat, als auch für die erheblichen psychischen Folgen der Tat für die Nebenklägerin.

d) Ausführungen in den Urteilsgründen zum Festhalten an oder Abweichen von der Verständigung sind entgegen der Ansicht der Revision nicht erforderlich. Während in dem Referentenentwurf des [X.] für ein Gesetz zur Regelung der Verständigung im Strafverfahren ursprünglich die Feststellung in den Urteilsgründen vorgesehen war, dass dem Urteil eine Verständigung zugrunde liegt (vgl. Referentenentwurf S. 6 f. bei [X.] aaO, Anhang 4), verlangt die Gesetz gewordene Regelung des § 267 Abs. 3 Satz 5 [X.] lediglich die Angabe, dass dem Urteil eine Verständigung (§ 257c [X.]) vorausgegangen ist. Die Vorschrift soll auch für die Urteilsgründe Transparenz herstellen (vgl. BT-Drucks. 16/12310 S. 15). Die Darstellung des Inhalts der Verständigung ist dabei nicht geboten. Insoweit findet die notwendige Dokumentation gemäß § 273 Abs. 1a Satz 1 [X.] in der Sitzungsniederschrift statt, welche die Grundlage einer vom Revisionsgericht auf Verfahrensrüge hin gegebenenfalls vorzunehmenden Prüfung des Verfahrens nach § 257c [X.] bildet (vgl. [X.], Beschlüsse vom 11. Oktober 2010 - 1 [X.], [X.], 170; vom 19. August 2010 - 3 [X.], [X.]R [X.] § 267 Abs. 3 Satz 5 Offenlegung 1; vom 13. Januar 2010 - 3 [X.], [X.], 348). Für das Abrücken von der Verständigung nach § 257c Abs. 4 [X.] verbleibt es mangels einer anderen gesetzlichen Regelung bei dem Grundsatz, dass [X.] im Urteil nicht zu erörtern sind (vgl. [X.], Beschlüsse vom 27. Mai 2009 - 1 StR 99/09, [X.], 2612, 2613; vom 8. Mai 2007 - 1 [X.], [X.], 244; a.A. für § 257c Abs. 4 [X.] aaO, § 267, Rn. 23a; [X.] aaO, § 257c, Rn. 41). Die Mitteilung nach § 257c Abs. 4 Satz 4 [X.] über die Entscheidung zum Abgehen von der Verständigung und deren Gründe ist gemäß § 273 Abs. 1a Satz 2 [X.] in das Sitzungsprotokoll aufzunehmen und nimmt an dessen Beweiskraft teil.

III.

Die Sachrüge bleibt - auch unter Berücksichtigung des § 301 [X.] - ebenfalls ohne Erfolg. Die Strafzumessung und die Bewährungsentscheidung im angefochtenen Urteil halten einer rechtlichen Prüfung stand.

1. Die Annahme einer alkoholbedingten erheblichen Verminderung der Schuldfähigkeit im Sinne des § 21 StGB ist nicht zu beanstanden. Das [X.] hat ohne Rechtsfehler, gestützt auf die durch die Bekundungen der Nebenklägerin partiell bestätigten Angaben des Angeklagten, den Umfang des Alkoholkonsums des Angeklagten festgestellt und auf dieser Grundlage sachverständig beraten eine maximale Blutalkoholkonzentration des Angeklagten zur Tatzeit von 2,9 Promille ermittelt. Ausgehend von dieser in den Blutkreislauf aufgenommenen Alkoholmenge, die zutreffend als gewichtiges Beweisanzeichen für eine die Steuerungsfähigkeit erheblich beeinträchtigende [X.] gewertet worden ist (vgl. [X.], Beschlüsse vom 22. Oktober 2004 - 1 [X.], [X.]R StGB § 21 Blutalkoholkonzentration 37; vom 9. November 1999 - 4 StR 521/99, [X.], 136; Urteil vom 29. April 1997 - 1 [X.], [X.]St 43, 66, 69 ff.), hat es eine Gesamtwürdigung der sonstigen Begleitumstände unter Einbeziehung des Verhaltens des Angeklagten und dessen nicht gegebener Alkoholgewöhnung vorgenommen und ist zu der Überzeugung gelangt, dass eine erhebliche Beeinträchtigung des Hemmungsvermögens aufgrund der Alkoholisierung nicht ausgeschlossen werden kann. Dies lässt weder eine unzutreffende Anwendung des [X.] noch anderweitige Rechtsfehler erkennen.

2. Die grundsätzlich dem Tatrichter vorbehaltene Strafzumessung kann vom Revisionsgericht nur auf Rechtsfehler überprüft werden; eine ins Einzelne gehende Richtigkeitskontrolle ist ausgeschlossen (st. Rspr.; vgl. nur [X.], Beschluss vom 10. April 1987 - [X.], [X.]St 34, 345, 349). Einen Rechtsfehler zeigt die Revision nicht auf. Die [X.] hat die erheblichen psychischen Tatfolgen für die Nebenklägerin zu Lasten des Angeklagten berücksichtigt. Die dem nach §§ 21, 49 Abs. 1 StGB und §§ 46a, 49 Abs. 1 StGB doppelt geminderten Strafrahmen des § 177 Abs. 2 Satz 1 StGB entnommene Strafe ist zwar milde, sie liegt aber nicht außerhalb des dem Tatrichter eröffneten Beurteilungsrahmens.

3. Ohne Erfolg wendet sich die Revision schließlich gegen die dem Angeklagten gewährte Strafaussetzung zur Bewährung. Den dem Tatrichter bei der Gesamtwürdigung nach § 56 Abs. 1 und 2 StGB eingeräumten Beurteilungsspielraum [X.], StGB, 59. Aufl., § 56, Rn. 11, 25 m.w.N.) hat das [X.] nicht überschritten. Es hat alle wesentlichen für die Entscheidung maßgeblichen Gesichtspunkte erwogen und sich für die Bejahung besonderer Umstände im Sinne des § 56 Abs. 2 StGB in rechtlich nicht zu beanstandender Weise auf die bisherige Unbestraftheit des Angeklagten, sein Geständnis und den gelungenen Täter-Opfer-Ausgleich gestützt. Vor dem Hintergrund dieser von der [X.] angeführten gewichtigen Milderungsgründe liegt auch in dem Fehlen von Ausführungen im Urteil zur Frage, ob die Verteidigung der Rechtsordnung ausnahmsweise die Vollstreckung der Strafe gebietet (§ 56 Abs. 3 StGB), kein Rechtsfehler. Denn einer ausdrücklichen Erörterung der Voraussetzungen des § 56 Abs. 3 StGB bedarf es nur dann, wenn aus den Urteilsgründen ersichtliche Umstände die Anwendung dieser Vorschrift nahelegen (vgl. [X.], Urteile vom 14. Juli 1994 - 4 StR 252/94, [X.]R StGB § 56 Abs. 3 Verteidigung 15; vom 30. Oktober 1990 - 1 StR 500/90, [X.]R StGB § 56 Abs. 3 Verteidigung 9).

Ernemann                               Roggenbuck                               Mutzbauer

                        Bender                                      [X.]

Meta

4 StR 623/11

21.06.2012

Bundesgerichtshof 4. Strafsenat

Urteil

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Essen, 21. Juli 2011, Az: 52 KLs 9/11 - 12 Js 1129/10

§ 171b GVG, § 257c Abs 3 S 4 StPO, § 257c Abs 4 S 1 StPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 21.06.2012, Az. 4 StR 623/11 (REWIS RS 2012, 5343)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 5343

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