Bundesgerichtshof, Beschluss vom 08.03.2022, Az. VI ZB 78/21

6. Zivilsenat | REWIS RS 2022, 835

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Gegenstand

Wiedereinsetzung in den vorigen Stand: Pflichten eines Rechtsanwalts bei der Signierung eines ein Rechtsmittel oder eine Rechtsmittelbegründung enthaltenden fristwahrenden elektronischen Dokuments


Leitsatz

Bei der Signierung eines ein Rechtsmittel oder eine Rechtsmittelbegründung enthaltenden fristwahrenden elektronischen Dokumentes gehört es zu den nicht auf das Büropersonal übertragbaren Pflichten eines Rechtsanwalts, das zu signierende Dokument zuvor selbst sorgfältig auf Richtigkeit und Vollständigkeit zu prüfen.

Tenor

Die Rechtsbeschwerde des Beklagten gegen den Beschluss des 2. Zivilsenats des [X.] vom 1. Juni 2021 wird als unzulässig verworfen.

Der Beklagte trägt die Kosten des [X.].

Gegenstandswert: bis 9.000 €

Gründe

I.

1

Der Beklagte wurde erstinstanzlich vom [X.] zur Zahlung von Schadensersatz verurteilt. Gegen das ihm am 26. Februar 2021 zugestellte Urteil legte der Beklagte fristgerecht Berufung ein. Am 26. April 2021 ging beim [X.] aus dem besonderen elektronischen Anwaltspostfach [X.]) der Instanzbevollmächtigten des Beklagten ein qualifiziert signierter [X.] ein, der mit "Berufungsbegründung" überschrieben war, aber nur aus einer Seite bestand. Nach Mitteilung der Geschäftsstelle des [X.], dass der angefügte [X.] nur aus der ersten Seite bestehe, ging am Morgen des 27. April 2021 sodann die vollständige, fünfseitige Berufungsbegründung ein. Am 3. Mai 2021 beantragte der Beklagte die Wiedereinsetzung in die versäumte Berufungsbegründungsfrist.

2

Zur Begründung hat der Beklagte vorgetragen, seine Rechtsanwältin habe am Morgen des 26. April 2021 ihre Sekretärin angewiesen, die fertige Berufungsbegründung zur Signierung in die Anwaltssoftware einzustellen. Unmittelbar vor dem [X.] habe seine Rechtsanwältin das eingestellte Dokument darauf geprüft, ob es sich um das richtige Dokument gehandelt habe. Ferner habe sie den [X.], bestehend aus insgesamt fünf Seiten, auch nochmals im Hinblick auf das zuständige Gericht, Aktenzeichen, Parteibezeichnung, die gestellten Anträge und die Vollständigkeit des [X.]es geprüft. Auf Seite 1 habe sie noch einen kleinen Tippfehler festgestellt und ihre Sekretärin angewiesen, diesen auszubessern und die Berufungsbegründung sodann abschließend zur Signatur einzustellen. Unmittelbar vor dem erneuten [X.] habe die Rechtsanwältin den [X.] nochmals geöffnet und überprüft, ob die angewiesene Änderung auf Seite 1 übernommen worden sei. Die Rechtsanwältin habe dabei festgestellt, dass die Büroangestellte den [X.] ausgebessert habe, und habe anschließend das Dokument signiert. Danach habe die Büroangestellte das Dokument per [X.] verschickt.

3

Im Nachgang habe sich herausgestellt, dass die Sekretärin weisungsgemäß den Fehler auf Seite 1 ausgebessert habe. Die geänderte Seite habe sie für die [X.] ausgedruckt. Anschließend habe sie das Word-Dokument in ein PDF-Dokument umgewandelt, um es sodann in die Anwaltssoftware zur Signierung einzustellen. Bei dem [X.] habe das Programm die Einstellung des vorangegangenen Druckvorgangs, nämlich Ausdruck nur der Seite 1, übernommen. Das habe die sonst sehr zuverlässige, geschulte und erfahrene Sekretärin übersehen. Die Rechtsanwältin sei ihren Pflichten nachgekommen. Nach der korrekten Änderung des [X.] habe sie davon ausgehen können und müssen, dass der [X.] im Übrigen genau wie zuvor vollständig eingestellt worden sei. Für die Rechtsanwältin habe daher kein Anlass bestanden, den restlichen [X.] nochmals bis zum Ende durchzusehen.

4

Zur Glaubhaftmachung hat der Beklagte eine anwaltliche Versicherung seiner Rechtsanwältin und eine eidesstattliche Versicherung von deren Sekretärin vorgelegt.

5

Das Berufungsgericht hat den Antrag auf Wiedereinsetzung zurückgewiesen und die Berufung als unzulässig verworfen. Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde des Beklagten.

II.

6

Die statthafte (§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 522 Abs. 1 Satz 4, § 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO) Rechtsbeschwerde hat keinen Erfolg. Sie ist unzulässig. Eine Entscheidung des [X.] ist nicht zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO). Der angefochtene Beschluss verletzt nicht den Anspruch des Beklagten auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip).

7

1. Nach Auffassung des Berufungsgerichts ist der Wiedereinsetzungsantrag unbegründet, weil es zu den Pflichten eines Rechtsanwalts gehöre, für einen mangelfreien Zustand des ausgehenden [X.]es zu sorgen. Die Rechtsanwältin des Beklagten habe sich daher nicht darauf verlassen dürfen, dass das von ihrer Sekretärin erneut in die Anwaltssoftware zur Signatur eingestellte PDF-Dokument vollständig war; sie habe das Dokument, das sie nach eigenem Vorbringen geöffnet habe, vielmehr nochmals vollständig überprüfen müssen. Dann wäre ihr aufgefallen, dass das Dokument nur eine Seite umfasst habe.

8

2. Diese Ausführungen halten rechtlicher Nachprüfung stand. Die Zurückweisung des Antrags auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist ist nicht zu beanstanden. Der Beklagte hat nicht glaubhaft gemacht, dass er ohne ein ihm nach § 85 Abs. 2 ZPO zurechenbares Verschulden seiner Prozessbevollmächtigten daran gehindert gewesen wäre, die Berufungsbegründungsfrist einzuhalten.

9

a) Es gehört zu den Aufgaben eines Verfahrensbevollmächtigten, dafür zu sorgen, dass ein fristgebundener [X.] rechtzeitig erstellt wird und innerhalb der Frist bei dem zuständigen Gericht eingeht. Dabei gehört die Erstellung fristwahrender Rechtsmittel oder Rechtsmittelbegründungen zu den Aufgaben, die ein Rechtsanwalt seinem angestellten Büropersonal nicht übertragen darf, ohne das Arbeitsergebnis auf seine Richtigkeit und Vollständigkeit selbst sorgfältig zu überprüfen ([X.], Beschlüsse vom 5. Mai 2021 - [X.] 552/20, NJW-RR 2021, 998 Rn. 14; vom 16. September 2015 - [X.], NJW-RR 2016, 126 Rn. 9; vom 22. Juli 2015 - [X.] 583/14, [X.], 142 Rn. 12). Ein Rechtsanwalt handelt daher schuldhaft, wenn er eine Rechtsmittelbegründungsschrift unterschreibt, ohne sie zuvor auf Richtigkeit und Vollständigkeit zu überprüfen (vgl. [X.], Beschluss vom 6. Mai 1992 - [X.] 39/92, [X.], 79, juris Rn. 2).

Dies gilt auch, wenn ein [X.] zum [X.] vorgelegt wird. Dass ein Rechtsanwalt bei der ersten Vorlage des fehlerhaften [X.]es seiner Kontrollpflicht nachgekommen und die richtigen Anweisungen zur Korrektur gegeben hat, ist nicht entscheidend. Maßgebend ist vielmehr, dass der - bislang nicht unterzeichnete - [X.] [X.] in seinen eigenen Kontroll- und damit auch Verantwortungsbereich gelangt. Unterzeichnet er ihn diesmal ungeprüft, ist dies einer stets schuldhaften Blankounterzeichnung gleichzustellen (vgl. [X.], Beschluss vom 6. Mai 1992 - [X.] 39/92, [X.], 79, juris Rn. 2).

b) Nichts anderes kann im elektronischen Rechtsverkehr für die elektronische Signatur gelten. Eine qualifizierte elektronische Signatur hat die gleiche Rechtswirkung wie eine handschriftliche Unterschrift (vgl. Art. 25 Abs. 2 der Verordnung [[X.]] Nr. 910/2014 des [X.] und des Rates vom 23. Juli 2014 über elektronische Identifizierung und Vertrauensdienste für elektronische Transaktionen im Binnenmarkt und zur Aufhebung der Richtlinie 1999/93/[X.] [eIDAS-VO]). Die anwaltlichen Sorgfaltspflichten im Zusammenhang mit der Signierung eines elektronischen Dokuments entsprechen daher ebenso denen bei der Leistung einer Unterschrift wie sie bei der Übermittlung von fristgebundenen Schriftsätzen im Wege des elektronischen Rechtsverkehrs per [X.] denen bei Übersendung von Schriftsätzen per Telefax entsprechen (vgl. zu letzterem [X.], Beschlüsse vom 11. Mai 2021 - [X.], NJW 2021, 2201 Rn. 21; vom 29. September 2021 - [X.], NJW 2021, 3471 Rn. 12). Auch bei der Signierung eines ein Rechtsmittel oder eine Rechtsmittelbegründung enthaltenden fristwahrenden elektronischen Dokumentes (§ 130a Abs. 3 Satz 1 ZPO) gehört es daher zu den nicht auf das Büropersonal übertragbaren Pflichten eines Rechtsanwalts, das zu signierende Dokument zuvor selbst sorgfältig auf Richtigkeit und Vollständigkeit zu prüfen.

c) Nach diesen Grundsätzen hat die Instanzbevollmächtigte des Beklagten sorgfaltswidrig gehandelt, als sie das ihr im zweiten Durchgang zur Signierung zugeleitete elektronische Dokument zwar geöffnet und auf Korrektur des im ersten Durchgang monierten [X.], nicht aber auf Vollständigkeit im Übrigen überprüft hat.

Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde war eine erneute Überprüfung hier nicht deshalb entbehrlich, weil die Instanzbevollmächtigte des Beklagten im ersten Durchgang das ihr zur Signierung zugeleitete Dokument vollständig überprüft und ihrer Sekretärin die [X.] erteilt hatte, den Tippfehler auf der ersten Seite der Berufungsbegründung zu korrigieren. Zwar ist nach der ständigen Rechtsprechung des [X.] ein der Partei zuzurechnendes Verschulden ihres Anwalts an der Fristversäumung grundsätzlich nicht gegeben, wenn der Rechtsanwalt einer Kanzleiangestellten, die sich bisher als zuverlässig erwiesen hat, eine konkrete Einzelweisung erteilt, die bei Befolgung die Fristwahrung gewährleistet hätte. Ein Rechtsanwalt darf darauf vertrauen, dass eine solche Büroangestellte eine konkrete [X.] befolgt. Ihn trifft unter diesen Umständen nicht die Verpflichtung, sich anschließend über die Ausführung seiner Weisung zu vergewissern (vgl. Senatsbeschluss vom 9. Dezember 2003 - [X.], NJW-RR 2004, 711, 712, juris Rn. 4 f.; [X.], Beschlüsse vom 5. Mai 2021 - [X.] 552/20, NJW-RR 2021, 998 Rn. 15; vom 16. September 2015 - [X.], NJW-RR 2016, 126 Rn. 11; vom 5. Juni 2013 - [X.] 47/10, NJW-RR 2013, 1393 Rn. 12; vom 20. März 2012 - [X.], [X.], 1737 Rn. 10).

Doch unterscheidet sich der hier vorliegende Fall von den der genannten Rechtsprechung zugrundeliegenden Fällen maßgeblich. Dort war ein von dem Rechtsanwalt bereits unterzeichneter und mit der Korrekturanweisung dem Büropersonal übergebener [X.] nicht mehr in den Einflussbereich des Rechtsanwalts gelangt. Hier indessen wurde der Instanzbevollmächtigten des Beklagten ein - nur die erste Seite der Berufungsbegründung enthaltendes, nicht signiertes - Dokument zur Signierung zugeleitet. Ursächlich dafür, dass dieses fehlerhafte Dokument per [X.] an das Berufungsgericht übermittelt und dadurch die Berufungsbegründungsfrist versäumt wurde, war der Umstand, dass die Instanzbevollmächtigte des Beklagten es ungeprüft signiert hat. Damit hat sie eine neue Gefahr geschaffen. Diese bereits für den herkömmlichen Schriftverkehr entwickelten Grundsätze (vgl. [X.], Beschluss vom 6. Mai 1992 - [X.] 39/92, [X.], 79, juris Rn. 4) gelten umso mehr für den elektronischen Rechtsverkehr, bei dem in einer vergleichbaren Situation nicht lediglich eine Seite eines handschriftlich korrigierten konkreten [X.]es ausgetauscht, sondern - wie der Streitfall zeigt - durch Scan-, Kopier- und [X.] ein letztlich neues elektronisches Dokument - und damit eine gänzlich neue Gefahrenquelle - geschaffen wird.

3. War dem Antrag auf Wiedereinsetzung nicht stattzugeben, hat das Berufungsgericht die Berufung des Beklagten wegen Versäumung der Berufungsbegründungsfrist zu Recht als unzulässig verworfen (§ 520 Abs. 2 und 3 ZPO).

[X.]     

      

[X.]     

      

Müller

      

Klein     

      

Böhm     

      

Meta

VI ZB 78/21

08.03.2022

Bundesgerichtshof 6. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZB

vorgehend OLG Nürnberg, 1. Juni 2021, Az: 2 U 649/21

§ 85 Abs 2 ZPO, § 130a Abs 3 ZPO, § 233 S 1 ZPO, § 520 ZPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 08.03.2022, Az. VI ZB 78/21 (REWIS RS 2022, 835)

Papier­fundstellen: MDR 2022, 617-618 REWIS RS 2022, 835 NJW 2022, 1964 REWIS RS 2022, 835 WM 2023, 190 REWIS RS 2022, 835

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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