Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 22.08.2017, Az. 1 A 10/17, 1 A 10/17 (1 A 3/17)

1. Senat | REWIS RS 2017, 6360

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Gegenstand

Keine erstinstanzliche Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichts für Einreise- und Aufenthaltsverbote


Leitsatz

Die erstinstanzliche Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichts nach § 50 Abs. 1 Nr. 3 VwGO erstreckt sich nicht auf ein von der obersten Landesbehörde zusammen mit einer Abschiebungsanordnung - unter Verstoß gegen die behördlichen Zuständigkeitsbestimmungen - verfügtes Einreise- und Aufenthaltsverbot.

Gründe

1

Mit Bescheid vom 15. Februar 2017 ordnete das [X.] gestützt auf § 58a [X.] die Abschiebung des [X.] in sein Heimatland an. Gleichzeitig wurde entschieden, dass das Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 5 [X.] unbefristet angeordnet wird. Gegen beide Entscheidungen hat der Kläger beim [X.] Klage erhoben.

2

Soweit sich die Klage gegen die Anordnung eines unbefristeten Einreise- und Aufenthaltsverbots richtet, ist das angerufene Gericht nicht zuständig. Insoweit war der Rechtsstreit daher nach Anhörung der Beteiligten gemäß § 83 VwGO i.V.m. § 17a Abs. 2 GVG an das sachlich (§ 45 VwGO) und örtlich (§ 52 Nr. 3 VwGO) zuständige Verwaltungsgericht [X.] zu verweisen.

3

Nach § 50 Abs. 1 Nr. 3 VwGO entscheidet das [X.] im ersten und letzten Rechtszug über Streitigkeiten gegen [X.] nach § 58a [X.] und ihre Vollziehung. Diese Zuständigkeit erstreckt sich nach dem Wortlaut nicht auf das vom Beklagten zusammen mit der Abschiebungsanordnung verfügte Einreise- und Aufenthaltsverbot. Dieses steht auch nicht in einem zwingenden Konnex mit der Abschiebungsanordnung. Allein der Umstand, dass die Abschiebungsanordnung und die Entscheidung zum Einreise- und Aufenthaltsverbot hier von der obersten Landesbehörde in einem Bescheid verfügt worden sind, ändert nichts daran, dass es sich bei der Entscheidung zum Einreise- und Aufenthaltsverbot um eine eigenständige ([X.] handelt. Aus Gründen der Verfahrens- und der Prozessökonomie und zur Verhinderung divergierender gerichtlicher Entscheidungen mag es sachdienlich sein, wenn die Behörde, die eine Abschiebungsanordnung nach § 58a [X.] erlässt, zugleich über die Dauer des damit einhergehenden Einreise- und Aufenthaltsverbots entscheidet und beide Entscheidungen der gerichtlichen Überprüfung durch ein und dasselbe Gericht unterliegen. Dies zu regeln ist indes Aufgabe des Gesetzgebers.

4

Den Regelungen in § 11 und § 58a [X.] und in § 50 VwGO kann eine derartige Konzentration auf eine Behörde und ein Gericht - de lege [X.] - nicht entnommen werden. Denn § 11 Abs. 5 [X.] erfasst auch Fallkonstellationen, in denen das Einreise- und Aufenthaltsverbot an die Anordnung oder den Vollzug einer Maßnahme anknüpft, die nicht in die Zuständigkeit der obersten Landesbehörde fällt. Außerdem fehlt es selbst bei [X.] der obersten Landesbehörde an einer eigenen Kompetenz zur abschließenden Entscheidung über die Dauer des Einreise- und Aufenthaltsverbots, da § 11 Abs. 5 Satz 2 [X.] der obersten Landesbehörde nur die Entscheidung über die Zulassung einer Ausnahme von der lebenslangen [X.] des § 11 Abs. 5 Satz 1 [X.] zuweist. Insoweit unterscheidet sich § 11 Abs. 5 Satz 2 [X.] etwa von den Regelungen in § 11 Abs. 7, § 75 Nr. 12 und § 71 Abs. 3 Nr. 1c [X.], die in bestimmten Fällen ausdrücklich und abweichend von der allgemeinen Zuständigkeit der Ausländerbehörden nach § 11 Abs. 2 [X.] i.V.m. § 71 Abs. 1 Satz 1 [X.] einer anderen Behörde die abschließende Entscheidung über die Anordnung bzw. Befristung eines Einreise- und Aufenthaltsverbots übertragen. Bei § 75 Nr. 12 [X.] hat der Gesetzgeber dies damit begründet, dass es aus verwaltungsökonomischen Gründen und aufgrund der größeren Sachnähe sinnvoll sei, dass das [X.] selbst zusammen mit der jeweiligen Abschiebungsandrohung oder Abschiebungsanordnung die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots für den Fall der Abschiebung vornimmt ([X.]. 18/5420 S. 28). Er hat deshalb ausdrücklich das [X.] für Migration und Flüchtlinge auch für die bei ablehnenden Entscheidungen zu erlassenden Befristungsentscheidungen (befristeten Einreiseverbote) für zuständig erklärt.

5

Dies hindert den Gesetzgeber indes nicht, im Zuge einer ohnehin erforderlichen Anpassung des § 11 [X.] an die Richtlinie 2008/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger (ABl. L 348 S. 98) - [X.] - die Frage der behördlichen und gerichtlichen Zuständigkeit für ein an den Vollzug einer Abschiebungsanordnung nach § 58a [X.] anknüpfendes Einreise- und Aufenthaltsverbot einschließlich der Zuständigkeit für weitere daran anknüpfende Folgeentscheidungen - etwa für eine nachträgliche Änderung der Dauer und für die Erteilung einer Betretenserlaubnis - auf eine Behörde und ein Gericht zu konzentrieren. Einer gesetzlichen Überarbeitung des § 11 [X.] bedarf es schon deshalb, weil das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot des § 11 Abs. 1 [X.] im Anwendungsbereich der [X.] nicht mit deren Art. 11 Abs. 2 zu vereinbaren ist. Denn danach bedarf das mit einer Rückkehrentscheidung (vgl. Art. 3 Nr. 4 der Richtlinie) einhergehende Einreise- und Aufenthaltsverbot (vgl. Art. 3 Nr. 6 der Richtlinie) stets einer behördlichen oder richterlichen Einzelfallentscheidung, die auch seine Dauer festlegen muss.

6

Bei einer Änderung der Zuständigkeitsbestimmungen wird der Gesetzgeber auch der unionsrechtlichen Frage nachzugehen haben, ob eine Abschiebungsanordnung nach § 58a [X.] aufgrund des mit ihr verfolgten sicherheitspolitischen Zwecks in den Anwendungsbereich der Richtlinie 2008/115/EG - [X.] - fällt (vgl. hierzu etwa die Differenzierung zwischen rückführungsbedingten und nicht zu migrationsbedingten Zwecken erlassenen Einreiseverboten im Anhang zur Empfehlung der [X.] vom 1. Oktober 2015 für ein gemeinsames "[X.]", das von den zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten bei der Durchführung rückkehrbezogener Aufgaben heranzuziehen ist, [X.]) 6250 final S. 62, und zwischen Rückkehrentscheidungen gegen Ausländer wegen ihres illegalen Aufenthalts und nicht der [X.] unterfallenden Rückkehrverfahren aus anderen Beweggründen, insbesondere bei Gefahr für die öffentliche Ordnung, in der gutachterlichen Stellungnahme des [X.] vom 10. Oktober 2012 - avis n° 360317). Gleiches gilt für die Frage, ob die [X.] bei unterstellter Anwendbarkeit eine lebenslange [X.] - wie sie § 11 Abs. 5 [X.] bei [X.] nach § 58a [X.] im Regelfall vorsieht - zulässt (vgl. dazu u.a. die divergierenden Auffassungen des [X.] in seiner Entscheidung vom 15. Dezember 2011 - 2011/21/0237 - und des Schweizerischen [X.]s in seinem Urteil vom 26. August 2014 - C-5819/2012).

7

Mit der Verweisung des Rechtsstreits ist keinerlei Vorentscheidung über die Erfolgsaussichten der Klage verbunden. Das Verwaltungsgericht wird auch zu prüfen haben, ob für die Klage ein Rechtsschutzbedürfnis besteht, nachdem die Ausländerbehörde - in Reaktion auf die Ausführungen des Senats im einstweiligen Rechtsschutzverfahren - eine eigene Anordnung zur Dauer des Einreise- und Aufenthaltsverbots erlassen hat, die der Kläger nicht innerhalb eines Monats nach Erhalt der Verfügung angefochten hat.

8

Die Entscheidung über die Kosten bleibt gemäß § 83 Satz 1 VwGO i.V.m. § 17b Abs. 2 GVG der Endentscheidung vorbehalten.

Meta

1 A 10/17, 1 A 10/17 (1 A 3/17)

22.08.2017

Bundesverwaltungsgericht 1. Senat

Beschluss

Sachgebiet: A

§ 11 AufenthG, § 58a AufenthG, § 71 Abs 1 AufenthG, § 50 Abs 1 Nr 3 VwGO

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 22.08.2017, Az. 1 A 10/17, 1 A 10/17 (1 A 3/17) (REWIS RS 2017, 6360)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2017, 6360

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