Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 05.04.2005, Az. VIII ZR 160/04

VIII. Zivilsenat | REWIS RS 2005, 4254

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[X.] [X.]/04

vom 5. April 2005 in dem Rechtsstreit

Nachschlagewerk: ja [X.]: nein [X.]R: ja

ZPO § 544 Abs. 7

Erweist sich die in einer Nichtzulassungsbeschwerde erhobene Rüge der Verletzung des rechtlichen Gehörs als begründet, so kann das Revisionsgericht der Beschwerde dadurch stattgeben, daß es in ein und demselben Beschluß das Berufungsurteil auf-hebt und den Rechtsstreit an das Berufungsgericht zurückverweist. Der Zulassung der Revision bedarf es nicht.

[X.], Beschluß vom 5. April 2005 - [X.]/04 - [X.] - 2 - Der [X.]. Zivilsenat des [X.] hat am 5. April 2005 durch die [X.], [X.], [X.], [X.] und die Richterin [X.] beschlossen: Auf die Nichtzulassungsbeschwerde des [X.] wird das Urteil des 14. Zivilsenats des [X.] in [X.] vom 27. April 2004 aufgehoben. Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Verfahrens der Nichtzulassungsbeschwerde, an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 1.408.829 • festgesetzt.

Gründe: [X.] Die Nichtzulassungsbeschwerde ist statthaft und auch im übrigen zuläs-sig (§§ 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2, 544 ZPO; § 26 Nr. 8 EGZPO). An sich wäre die Zulassung der Revision geboten, weil das Berufungsgericht bei seiner Ent-scheidung den Anspruch des [X.] auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) verletzt hat und deshalb die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des [X.] erfordert ([X.], Beschluß vom 11. Mai 2004 [X.], [X.] 159, 135, 139 ff = NJW 2004, 2222 = [X.], 1407 = [X.], 1135 unter [X.] b m.w.Nachw.). Der Zulassung der Revision und der Durchführung des Revisionsverfahrens bedarf es jedoch zur - 3 - Behebung dieses Verfahrensfehlers nicht; vielmehr kann das Revisionsgericht in Fällen der Verletzung des rechtlichen Gehörs nach der am 1. Januar 2005 in [X.] getretenen Vorschrift des § 544 Abs. 7 ZPO, die durch Art. 1 des Geset-zes über die Rechtsbehelfe bei Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Ge-hör ([X.]) vom 9. Dezember 2004 ([X.]) [X.] worden ist, in dem der Nichtzulassungsbeschwerde stattgebenden Be-schluß unter Aufhebung des angefochtenen Urteils den Rechtsstreit an das Be-rufungsgericht zurückverweisen. Von dieser Möglichkeit macht der Senat hier Gebrauch.
I[X.] Zu Recht rügt der Kläger mit seiner Nichtzulassungsbeschwerde, daß das Berufungsgericht bei der Auslegung der [X.] in § 5 Nr. 1 Satz 1 des Anteilskaufvertrages vom 29. Dezember 1994 sein Verfahrensgrundrecht auf rechtliches Gehör verletzt hat. Die Klausel hat folgenden Wortlaut: "Der Kaufpreis beträgt 49 % des Wertes der Gesellschaft (unter Berücksichtigung der Abspaltungen), abzüglich des nach dem
festgelegten Verfahren ermittelten Wertes der Geschäftsanteile, die gem. § 4 Abs. 2 Satz 2 [X.] den gasversorgten Kommunen zustehen." 1) Der Kläger hat, wie die Nichtzulassungsbeschwerde unter [X.] auf zahlreiche Aktenstellen im einzelnen dargetan hat, in den [X.] vorgetragen, die Parteien seien sich bei Vertragsschluß darüber einig gewesen, daß bei der Bemessung des Kaufpreises der Wert des verkauften Geschäftsanteils unter Ausklammerung des auszugliedernden "[X.]" - 4 - der Städte [X.]und [X.]ermittelt werden sollte. Diese übereinstim-mende Vorstellung der Parteien sei in der ursprünglichen Formulierung der Kaufpreisregelung in § 5 Nr. 1 Satz 1 des Anteilskaufvertrages nicht hinrei-chend deutlich zum Ausdruck gekommen. Auf nachhaltiges Drängen der Ver-handlungsführerin des [X.], der Zeugin [X.] , sei zur Verdeutlichung des [X.] sodann nach den Worten "des Wertes der Gesellschaft" der [X.] "(unter Berücksichtigung der Abspaltungen)" eingefügt worden. Zum Beweis für seine Behauptung hat der Kläger die Zeugen [X.] und [X.]so-wie den Verhandlungsführer der Beklagten, den [X.], benannt. 2) Das Berufungsgericht hat die Zeugen Œ ebenso wie bereits das Land-gericht - nicht vernommen. Es hat die Klausel vielmehr ausschließlich nach ihrem Wortlaut ausgelegt und unterstützend auf die Präambel des [X.] sowie die Bestimmung des § 4 Abs. 2 Satz 2 [X.] Bezug genommen. Dies rechtfertigt das Absehen von der Erhebung des angebotenen Beweises nicht. a) Es gehört zu den anerkannten Grundsätzen für die Auslegung einer Individualvereinbarung, daß zwar der Wortlaut einer Vereinbarung den [X.] der Auslegung bildet, daß jedoch der übereinstimmende Parteiwille dem Wortlaut und jeder anderen Interpretation vorgeht (st. Rspr., z.B. [X.], Urteil vom 20. Januar 1994 [X.], NJW 1994, 1528 = [X.], 551, unter [X.] a = [X.]R BGB § 133, Wille 13 m.w.Nachw.). Schon wegen dieses Vorrangs des (behaupteten) übereinstimmenden Parteiwillens hätte das [X.] den Beweisantrag des [X.] nicht übergehen dürfen. Es kommt hinzu, daß weder der Wortlaut der [X.] selbst eindeutig ist, noch die [X.] oder die Vorschrift des § 4 Abs. 2 Satz 2 [X.] [X.] Hinweise für die Auslegung der Vereinbarung geben. Welche erheblichen Schwierigkeiten die Auslegung der Regelung in § 5 Nr. 1 Satz 1 des [X.] - trages bereitet, zeigt besonders deutlich das erstinstanzliche Urteil, das einge-hende Erörterungen über den Sinn der Klausel, und zwar auch unter [X.] anderer vertraglicher Bestimmungen, enthält und zum entgegengesetzten Ergebnis, nämlich im Sinne des klägerischen Vortrages, gelangt ist. b) Das Grundrecht auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) gebietet es, daß sich das Gericht mit allen wesentlichen Punkten des Vortrags einer [X.] auseinandersetzt. Zwar muß nicht jede Erwägung in den [X.] aus-drücklich erörtert werden (§ 313 Abs. 3 ZPO). Aus dem Gesamtzusammenhang der Gründe muß aber hervorgehen, daß das Gericht die wesentlichen Punkte berücksichtigt und in seine Überlegungen mit einbezogen hat. Daran fehlt es hier. Nach der ausschließlich auf den Wortlaut der [X.] und ihren Zusammenhang mit der [X.] sowie der Vorschrift des § 4 Abs. 2 Satz 2 [X.] beschränkten Auslegung ohne jede Erwähnung des Beweisangebotes des [X.] muß davon ausgegangen wer-den, daß das Berufungsgericht die betreffenden Ausführungen des [X.] nicht zur Kenntnis genommen hat. Damit hat es das Verfahrensgrundrecht des [X.] auf Gewährung des rechtlichen Gehörs in dem entscheidenden Punkt des Klagevorbringens verletzt. Die Entscheidung beruht auf dieser Grund-rechtsverletzung; denn es ist nicht auszuschließen, daß das Berufungsgericht zu einem abweichenden Auslegungsergebnis gelangt wäre, wenn es die vom Kläger angebotenen Beweise erhoben hätte. II[X.] Für die nach Durchführung der Beweisaufnahme vorzunehmende erneu-te Auslegung der [X.] weist der Senat darauf hin, daß auch das - 6 - Gebot einer nach beiden Seiten interessengerechten Auslegung, gleichfalls ein in der Rechtsprechung des [X.] anerkannter wesentlicher Aus-legungsgrundsatz, eine Interpretation der [X.] in dem vom Kläger behaupteten Sinn nahe legt. Unstreitig hat die Summe der Beteiligungen der "gasversorgten" Gemeinden am Vermögen der [X.] vor der nach § 4 Abs. 2 Satz 2 [X.] vorzunehmenden Kürzung (auf 49 %) 78,7 % betragen. Durch die gesetzliche Kürzung auf den Minderheitsanteil von 49 % wurden die-sen Kommunen mithin 29,7 Prozentpunkte ihres Vermögens zugunsten der späteren privaten Investoren entzogen. Dies war, wie das Bundesverwaltungs-gericht in einem Urteil vom 11. November 2004 (3 [X.] - [X.] 2005, 59 un-ter [X.] d) näher dargelegt hat, vor dem Hintergrund der Umbruchsituation des Jahres 1990 und aus übergeordneten gesamtwirtschaftlichen Gründen unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten nicht zu beanstanden. Ist von den be-troffenen Kommunen aber aus schwerwiegenden Gründen des [X.] ein solcher Eingriff in ihr Eigentumsrecht hinzunehmen, so darf dieser Eingriff nach dem verfassungsrechtlichen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht weiter gehen als zur Erreichung des im Allgemeininteresse liegenden Zie-les erforderlich. Sinn und Zweck des § 4 Abs. 2 Satz 2 [X.] war es, durch die Einräu-mung eines gesetzlichen Mehrheitsanteils (von 51 %) - unabhängig von der tatsächlichen Größe des nach Abzug des kommunalen [X.] verblei-benden Anteils - dringend benötigte private Investoren für die Sanierung und den künftigen Betrieb der privatisierten ehemaligen Energiekombinate der [X.] zu gewinnen (BVerwG aaO). Dieser Anteil mußte einstweilen bei der damals noch unter der Bezeichnung "[X.]" handelnden [X.], die zunächst - vor der Veräußerung des Anteils an die Privatinvestoren - an deren Stelle tätig wurde und den Anteil bis zur Weiterveräußerung halten sollte. Dem Anliegen des Gesetzgebers wird jedoch auch durch eine Auslegung - 7 - der vorliegenden [X.] Rechnung getragen, bei der sich die Abspal-tung des [X.] der Städte [X.] und E.

nicht "kaufpreisaus-lösend" auswirkt. Zieht man nämlich von den ermittelten 78,7 % die Anteile die-ser beiden Kommunen - insgesamt unstreitig rd. 6,6 % - vor der Kürzung auf 49 % ab, so verbleiben immer noch 72,1 %, die sodann auf die gesetzliche Grenze von 49 % zu kürzen wären; nach dem Berechnungsschema des § 5 Nr. 1 Satz 1 des Kaufvertrages ergäbe sich dann keine kaufpreisauslösende Differenz zwischen dem (gekürzten) Anteil der verbleibenden Kommunen und dem Ausgangswert der [X.] von ebenfalls 49 % des Wertes der Gesellschaft. Das gesetzgeberische Ziel des § 4 Abs. 2 Satz 2 [X.] bliebe somit auch bei dieser Berechnung uneingeschränkt gewahrt. Damit wären - [X.] bei isolierter Betrachtung - die berechtigten Interessen beider Parteien gleichermaßen gewahrt. - 8 - Allerdings ist bei der Bewertung der beiderseitigen Interessen nicht auf die Sicht des Richters im Entscheidungszeitpunkt abzustellen. Maßgeblich ist vielmehr der Einfluß, den die Interessenlage der Parteien auf den objektiven Erklärungswert ihrer Äußerungen bei deren Abgabe hatte ([X.] 146, 280, 284). Daß die dargelegte Interessenlage der Parteien bei den Vertragsverhand-lungen am 29. Dezember 1994 auch Gegenstand der Diskussion der vom Klä-ger benannten Zeugen war, läßt sich den von der Nichtzulassungsbeschwerde in Bezug genommenen Aktenstellen hinreichend klar entnehmen.
Dr. Beyer [X.] Richter am [X.]

[X.] ist durch Urlaub

an der Unterschrift verhindert

[X.] [X.]

Meta

VIII ZR 160/04

05.04.2005

Bundesgerichtshof VIII. Zivilsenat

Sachgebiet: ZR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 05.04.2005, Az. VIII ZR 160/04 (REWIS RS 2005, 4254)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2005, 4254

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