Bundessozialgericht, Urteil vom 19.05.2022, Az. B 8 SO 1/21 R

8. Senat | REWIS RS 2022, 5714

© Bundessozialgericht, Dirk Felmeden

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Gegenstand

Sozialhilfe - Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung - einmaliger Bedarf - Wohnungserstausstattung - Anschaffung einer neuen Waschmaschine - Ersatzbeschaffung - ergänzendes Darlehen - Verfassungsmäßigkeit


Leitsatz

1. Ein Zuschuss für die Anschaffung von langlebigen Haushaltsgeräten ("weiße Ware") kommt nur bei Erstausstattung, nicht bei Ersatzbeschaffung in Betracht.

2. In der Sozialhilfe ist die Gewährung eines ergänzenden Darlehens zur Bedarfsdeckung verfassungsrechtlich unbedenklich, weil bei Festlegung der Rückzahlungsmodalitäten ausreichende Spielräume für Härtefälle bestehen.

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des [X.] vom 23. März 2021 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch für das Revisionsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand

1

[X.] ist ein Zuschuss für die Anschaffung einer Waschmaschine in Höhe von (noch) 99,90 Euro.

2

Die alleinstehende Klägerin bezog Leistungen nach dem [X.] ([X.]). 2015 gewährte ihr die [X.] ([X.]) [X.] rückwirkend ab 1.1.2014 eine Rente wegen voller Erwerbsminderung bis zum Erreichen der Altersgrenze 2017; seit dem [X.] erhält sie vom Beklagten ergänzend Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung (Grundsicherungsleistungen) nach dem [X.] Zwölftes Buch - Sozialhilfe - (SGB XII).

3

Im Rahmen eines Umzugs um den Jahreswechsel 2011/2012 entsorgte die Klägerin ihre alte, nicht mehr funktionstüchtige Waschmaschine und wusch die Wäsche seitdem mit der Hand, gelegentlich in einem Waschsalon. Im [X.] 2015 machte sie beim Beklagten erfolglos geltend, ihr sei nach Verschlechterung des Gesundheitszustands ein Zuschuss für die Anschaffung einer Waschmaschine zu gewähren (Bescheid vom 11.11.2015; Widerspruchsbescheid unter Beteiligung sozial erfahrener Dritter vom 27.1.2016).

4

Die hiergegen gerichtete Klage hat die Klägerin während des Berufungsverfahrens auf einen Betrag von 99,90 Euro begrenzt, nachdem sie eine Waschmaschine zum Preis von 299 Euro erworben und dabei verschiedene Gutscheine eingesetzt hatte. Die Klage hat keinen Erfolg gehabt (Urteil des Sozialgerichts Berlin vom [X.]; Urteil des Landessozialgerichts <[X.]> [X.] vom [X.]). Zur Begründung seiner Entscheidung hat das [X.] ausgeführt, ein Anspruch auf Leistungen für Wohnungserstausstattung bestehe nicht. Es handele sich um einen Erhaltungs- bzw Ersatzbedarf der gesetzgeberischen Konzeption, durch den der im Regelbedarf enthaltene Ansparbetrag auch dann abgedeckt werden müsse, wenn es sich um größere Anschaffungen handele. Die Gerichte seien im Übrigen nicht befugt, weitergehende Anspruchsnormen zu schaffen, die nicht im Gesetz vorgesehen seien.

5

Mit ihrer Revision rügt die Klägerin eine Verletzung von § 31 Abs 1 [X.]. Das [X.] ([X.]) habe hinsichtlich langlebiger existenznotwendiger Gebrauchsgüter (sog "weiße Ware") auf die Möglichkeit einer verfassungskonformen Auslegung und der Gewährung eines Zuschusses hingewiesen, um ggf einer Unterdeckung der Regelbedarfe zu begegnen. Im Wege einer verfassungskonformen Auslegung müssten auch Ersatzbeschaffungen der im Regelsatz nicht realitätsgerecht abgebildeten Kosten langlebiger Gebrauchsgüter über § 31 Abs 1 [X.] möglich sein oder ein Rechtsanspruch auf ein im Ergebnis nicht rückzahlbares Anschaffungsdarlehen nach § 37 SGB XII bestehen. Zur weiteren Begründung hat sie ein Kurzgutachten von L vom [X.] sowie eine Stellungnahme und ein Kurzgutachten von B vom [X.] bzw vom 9.5.2022 vorgelegt.

6

Die Klägerin beantragt,
die Urteile des [X.] vom 21. Juli 2017 und des Landessozialgerichts [X.] vom 23. März 2021 sowie den Bescheid des Beklagten vom 11. November 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 27. Januar 2016 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, ihr 99,90 Euro zu zahlen.

7

Der Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

8

Er hält die angegriffenen Entscheidungen für zutreffend.

Entscheidungsgründe

9

Die zulässige Revision ist nicht begründet (§ 170 Abs 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz ). Zu Recht hat das [X.] entschieden, dass die Klägerin keinen Anspruch auf den begehrten einmaligen Zuschuss hat. Der angefochtene [X.]escheid des [X.]n ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten.

Gegenstand des Verfahrens ist der [X.]escheid vom 11.11.2015 in der Gestalt des Wi[X.]pruchsbescheids vom [X.] (§ 95 SGG), mit dem der [X.] es abgelehnt hat, der Klägerin den beantragten Zuschuss (im Sinne einer nicht zurückzuzahlenden Leistung, vgl [X.]SG vom 9.12.2016 - [X.] [X.] 15/15 R - [X.] 4-3500 § 90 [X.] Rd[X.] 1) für Wohnungserstausstattung zu gewähren. Der Anspruch auf Leistungen zur Deckung von Wohnbedarfen in Form eines einmaligen Zuschusses ist im Sinne eines eigenständigen Streitgegenstands abtrennbar (vgl zur Abtrennbarkeit des Streitgegenstands von den laufenden Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nur [X.] <[X.]SG> vom 19.5.2009 - [X.] [X.] 8/08 R - [X.], 181 = [X.] 4-3500 § 42 [X.], Rd[X.] 14; [X.]SG vom 9.6.2011 - [X.] [X.] 3/10 R - Rd[X.] 9). Ihr [X.]egehren verfolgt die Klägerin zu Recht mit der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 4 SGG) gerichtet auf die Zahlung von (noch) 99,90 Euro, weil sich der Anspruch von vornherein auf eine Geldleistung richtet (§ 10 Abs 3 [X.]).

Der angefochtene [X.]escheid ist formell rechtmäßig. Der [X.] ist sachlich (§ 46b [X.] in der Normfassung des Gesetzes zur Änderung des [X.] vom 20.12.2012 <[X.]G[X.]l I 2783> iVm § 2 Abs 1 des Gesetzes zur Ausführung des [X.] [X.]erlin in der [X.] ) und auf Grundlage des vom [X.] festgestellten tatsächlichen Aufenthalts der Klägerin im Stadtgebiet [X.] örtlich (§ 98 Abs 1 [X.] iVm § 1 Abs 1 AG-[X.]) zuständig für die begehrte Leistung.

Der angefochtene [X.]escheid ist auch materiell rechtmäßig.

Ein Anspruch nach §§ 42 [X.], 31 Abs 1 [X.] 1 [X.] (in der bis 31.12.2015 geltenden Normfassung des Gesetzes zur Ermittlung von [X.] und zur Änderung des [X.] und [X.] vom 24.3.2011, [X.]G[X.]l I 453) besteht nicht. Danach werden Leistungen für Erstausstattungen für die Wohnung einschließlich Haushaltsgeräten gesondert, dh neben dem Regelsatz (§§ 42 [X.] 1 [X.] iVm der Anlage zu § 28 [X.]), erbracht. Die nach dem Gesamtzusammenhang der Feststellungen des [X.] hilfebedürftige und unabhängig von der Arbeitsmarktlage und ohne Aussicht auf [X.]esserung des Leistungsvermögens dauerhaft voll erwerbsgeminderte, alleinstehende Klägerin war leistungsberechtigt nach dem Vierten Kapitel des [X.] (§ 19 Abs 2, §§ 41 ff [X.]; zur fehlenden [X.]indungswirkung der [X.]escheide des Rentenversicherungsträgers im Gerichtsverfahren und der Erforderlichkeit gerichtlicher Feststellungen zur Erwerbsminderung vgl nur [X.]SG vom 23.3.2010 - [X.] [X.] 17/09 R - [X.]SGE 106, 62 = [X.] 4-3500 § 82 [X.], Rd[X.] 16; [X.]SG vom 25.4.2013 - [X.] [X.] 21/11 R - [X.] 4-3500 § 43 [X.] Rd[X.] 15). Zu den berücksichtigungsfähigen [X.]edarfen rechnen auch die zusätzlichen [X.]edarfe nach dem [X.] Abschnitt des [X.] (§ 42 [X.] iVm § 31 Abs 1 [X.] 1 [X.]).

Für die Gewährung eines Zuschusses für die Ersatzbeschaffung eines Haushaltsgeräts, das verschleißbedingt nicht mehr gebrauchstüchtig ist, bietet § 31 Abs 1 [X.] 1 [X.] aber keine Rechtsgrundlage. Die Gewährung eines Zuschusses für die Anschaffung von Haushaltsgeräten kommt nur in [X.]etracht, wenn es sich um einen Fall der Erstausstattung handelt (vgl zuletzt [X.]SG vom 16.2.2022 - [X.] [X.] 14/20 R - Rd[X.] 15 für [X.] 4 vorgesehen mwN). An dieser Rechtsprechung hält der [X.] auch unter [X.]erücksichtigung der Argumentation der Klägerin fest.

Leistungen nach § 31 Abs 1 [X.] 1 [X.] für Wohnungserstausstattung können zwar auch für einen erneuten [X.]edarfsanfall (Ersatzbeschaffung) als "Wohnungserstausstattung" gewährt werden. Nach den bindenden, von der Klägerin nicht mit Verfahrensrügen abgegriffenen Feststellungen des [X.] (§ 163 SGG) wurde der Untergang der alten [X.] der Klägerin und damit der [X.] vorliegend aber durch Abnutzung über einen längeren Zeitraum ausgelöst. Damit fehlt es an einer erheblichen vom durchschnittlichen [X.]edarf abweichenden speziellen [X.]edarfslage, die für einen Anspruch auf "Erstausstattung" in Fällen der Ersatzbeschaffung Voraussetzung wäre (vgl [X.]SG vom 6.8.2014 - [X.] 4 [X.]/13 R - [X.] 4-4200 § 23 [X.] Rd[X.] 16 f).

Daran ändert der Umstand nichts, dass die Klägerin den abnutzungs- und verschleißbedingten Verlust der [X.] zunächst selbst kompensiert hat; denn der [X.]edarf ist nicht erst entstanden, als die Klägerin zu einer Kompensation des Defekts der [X.] aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr in der Lage war. Der Anspruch auf Leistungen der Erstausstattung iS des § 31 Abs 1 [X.] 1 [X.] entfällt zwar alleine durch Zeitablauf nicht, solange ein ungedeckter [X.]edarf besteht. Er ist nicht zeitlich, sondern bedarfsbezogen zu verstehen (vgl [X.]SG vom 20.8.2009 - [X.] 14 [X.]/08 R - [X.] 4-4200 § 23 [X.] Rd[X.] 14 f; [X.]SG vom 19.9.2008 - [X.] 14 AS 64/07 R - [X.]SGE 101, 268 = [X.] 4-4200 § 23 [X.], Rd[X.]). Gerade deshalb führt aber allein der Zeitablauf und/oder das Hinzutreten weiterer Umstände, die für sich genommen keinen eigenständigen [X.]edarf auf Erstausstattung im dargestellten Sinne auslösen, nicht zum Entstehen des Anspruchs.

Nach Einbeziehung der einmaligen [X.]eihilfen nach dem [X.]undessozialhilfegesetz ([X.]SHG) in die Regelleistung geht der Gesetzgeber im Sinne einer typisierenden [X.]etrachtung davon aus, dass alle wohnraumbezogenen [X.]edarfe, die nicht im Zusammenhang mit der spezifischen Situation der Erstausstattung stehen, von der Regelleistung umfasst werden (vgl [X.]SG vom 6.8.2014 - [X.] 4 [X.]/13 R -[X.] 4-4200 § 23 [X.] Rd[X.]; [X.]SG vom 24.2.2011 - [X.] 14 [X.]/10 R - [X.] 4-4200 § 23 [X.] Rd[X.]; zur Übertragbarkeit der von den für das SG[X.] II zuständigen [X.]en des [X.]SG entwickelten Grundsätze auf das [X.] vgl [X.]SG vom 16.2.2022 - [X.] [X.] 14/20 R - für [X.] 4 vorgesehen; [X.]SG vom 20.12.2017 - [X.] [X.] 59/17 [X.]). [X.]ei vorübergehenden Spitzen eines vom Regelbedarf umfassten [X.]edarfs kommt nur die Gewährung eines Darlehens (§ 37 Abs 1 [X.]) in [X.]etracht (vgl [X.]SG vom 6.8.2014 - [X.] 4 [X.]/13 R - [X.] 4-4200 § 23 [X.] Rd[X.] unter Hinweis auf [X.]VerfGE vom [X.] - 1 [X.]vL 1/09 ua - [X.]VerfGE 125, 175 = [X.] 4-4200 § 20 [X.], Rd[X.]07; vgl zur Darlehensgewährung nach § 37 [X.] auch [X.]SG vom 18.7.2019 - [X.] [X.] 4/18 R - [X.] 4-3500 § 54 [X.] Rd[X.]), wie es hier im Wi[X.]pruchsbescheid von dem [X.]n angeboten worden ist.

Zu einer erweiternden Auslegung des § 31 Abs 1 [X.] 1 [X.], wonach die Kosten für die Anschaffung von langlebigen und deshalb typischerweise teuren Haushaltsgeräten (sog weiße Ware) auch dann als Zuschuss zahlen zu wären, wenn die Neuanschaffung verschleißbedingt notwendig wird, sieht sich der [X.] nicht gedrängt. Weder an der Verfassungsmäßigkeit der Höhe der Regelleistung für sich genommen, die hier für das [X.] auf der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe ([X.]) 2008 bzw im Zeitpunkt der Selbstbeschaffung der [X.] im Frühjahr 2018 auf der [X.] 2013 beruht, noch an der Verfassungsmäßigkeit des dargestellten Konzepts, eine ggf auftretende Unterdeckung wegen der Ersatzbeschaffung von Wohnungsausstattung einschließlich der Haushaltsgeräte (nur) durch die Gewährung eines Darlehens zu kompensieren, hat der [X.] Zweifel (vgl zur Verfassungsmäßigkeit der Höhe, [X.]emessung und Fortschreibung <§ 28a [X.]> des Regelsatzes nach 2010 [X.]VerfG vom 23.7.2014 - 1 [X.]vL 10/12, 1 [X.]vL 12/12, 1 [X.]vR 1691/13 - [X.]VerfGE 137, 34 = [X.] 4-4200 § 20 [X.]0; für die [X.], 2015 und 2016 vgl [X.]SG vom [X.] - [X.] [X.] 42/17 [X.]H - Rd[X.] mwN; zur Fortschreibung der Regelsätze nach 2016 vgl [X.]SG vom 24.1.2018 - [X.] 14 AS 374/17 [X.]; [X.]SG vom 1.9.2021 - [X.] [X.] 24/21 [X.]H).

In der Regelleistung ist ein pauschaler, den [X.] in üblichen [X.]edarfssituationen wi[X.]piegelnder (vgl [X.]VerfG vom [X.] - 1 [X.]vL 1/09, 3/09, 4/09 - [X.]VerfGE 125, 175, = [X.] 4-4200 § 20 [X.], Rd[X.]04) Einzelbetrag für Innenausstattung, Haushaltsgeräte und Haushaltsgegenstände enthalten (Abteilung 05 für Erwachsene; im Einzelnen Schwabe, [X.] 2015, 1 ff; [X.], [X.] 2018, 1 ff). Die Ausgaben für [X.]n, Wäschetrockner, Geschirrspül- und [X.]ügelmaschinen ([X.] 2008 laufende Nummer 23, Code 0531 200, vgl [X.]T-Drucks 17/3404, [X.] bzw [X.] 2013 laufende Nummer 24, Code 0531 200, [X.]T-Drucks 18/9984, [X.]; vgl auch Statistisches [X.]undesamt Fachserie 15 Heft 7, 2013, [X.] Haushaltsbuch, [X.] Rubrik N/09 <[X.]n ohne Installationskosten>, abrufbar unter [X.]) sind dabei zu 100 Prozent berücksichtigt worden. Gegen diese gesetzgeberische Konzeption, wonach [X.]edürftige Mittel zur [X.]edarfsdeckung eigenverantwortlich ausgleichen und ansparen müssen, hat auch das [X.]VerfG aus verfassungsrechtlicher Sicht ausdrücklich keine Einwände ([X.]VerfG vom 23.7.2014 - 1 [X.]vL 10/12, 1 [X.]vL 12/12, 1 [X.]vR 1691/13 - [X.]VerfGE 137, 34 = [X.] 4-4200 § 20 [X.]0, Rd[X.]9; vgl auch [X.]VerfG vom [X.] - 1 [X.]vL 1/09 ua - [X.]VerfGE 125, 175 = [X.] 4-4200 § 20 [X.], Rd[X.]05 am Ende).

Soweit das [X.]VerfG darauf hingewiesen hat, dass aus der statistischen [X.]erechnung des Regelbedarfs in Orientierung an den auf der Grundlage einer Stichprobe berechneten Verbrauchsausgaben eines Teils der [X.]evölkerung die Gefahr folgen könne, dass mit der Festsetzung der Gesamtsumme für den Regelbedarf die Kosten für einzelne bedarfsrelevante Güter nicht durchgängig gedeckt seien (vgl dazu auch [X.]R-Drucks 559/03, [X.] und [X.]T-Drucks 15/1514, [X.] zu § 38 [X.] des Entwurfs, jetzt § 37 [X.]), und dem entweder der Gesetzgeber durch zusätzliche Ansprüche auf Zuschüsse zur Sicherung des existenznotwendigen [X.]edarfs oder die Sozialgerichte durch die verfassungskonforme Auslegung anspruchsbegründender Normen begegnen könnten ([X.]VerfG vom 23.7.2014 - 1 [X.]vL 10/12, 1 [X.]vL 12/12, 1 [X.]vR 1691/13 - [X.]VerfGE 137, 34 = [X.] 4-4200 § 20 [X.]0, Rd[X.]5 f, 120; zur Kritik vgl [X.]orchert, [X.] 2015, 657), folgt daraus vorliegend keine andere rechtliche Würdigung. Die vom [X.]VerfG in diesem Zusammenhang geäußerten Zweifel an der Darlehensregelung im SG[X.] II, die mit einer Reduzierung der existenzsichernden Leistung in Höhe von zehn Prozent durch Aufrechnung der Darlehensschuld ab dem Folgemonat der Auszahlung verbunden ist (vgl dazu [X.] in: [X.] , Sozialrecht - Tradition und Zukunft 2013, 39, 58 ff; [X.], NZS 2021, 201, 205; [X.] info also 2021, 104, 107 f), sind auf das [X.] nicht übertragbar; denn die dortigen Regelungen zur Rückzahlung und ihren Modalitäten sind so ausgestaltet, dass [X.] im Einzelfall bestehen, um Härten abzufangen (vgl bereits [X.]SG vom 18.7.2019 - [X.] [X.] 4/18 R - [X.] 4-3500 § 54 [X.] Rd[X.]).

Eine zuschussweise Gewährung, wie sie die Klägerin begehrt, kommt auf Grundlage von § 37 Abs 1 [X.] zwar nicht in [X.]etracht (vgl [X.]SG vom 18.7.2019 - [X.] [X.] 4/18 R - [X.] 4-3500 § 54 [X.] Rd[X.]). Liegen die Tatbestandsvoraussetzungen vor, hat der Hilfebedürftige in aller Regel einen Anspruch auf das Darlehen ("soll"); eine Leistungsversagung kann nur in atypischen Ausnahmefällen erfolgen, die angesichts der Tatsache, dass der die darlehnsweise Gewährung auslösende [X.]edarf zum existenznotwendigen [X.]edarf gehört, kaum denkbar sind. Auch im Fall der Klägerin war für eine solche Ausnahme nichts ersichtlich, wie der [X.] zutreffend erkannt hat.

Entscheidend für die vorzunehmende verfassungsrechtliche Gesamtschau ist aber, dass § 37 Abs 4 Satz 1 [X.] im [X.] an die Darlehensgewährung keine zwingende Aufrechnung vorsieht, sondern die Rückzahlungsmodalitäten unter einen umfassenden Ermessensvorbehalt stellt. Sowohl die Frage, ob das Darlehen überhaupt zurückgezahlt werden muss, steht im pflichtgemäßen Ermessen des Sozialhilfeträgers als auch die Frage, zu welchem Zeitpunkt eine Rückzahlung ggf durch Einbehalt von der laufenden Leistung zu beginnen hat, und schließlich auch die Frage, in welcher Höhe Teilbeträge zurückzuzahlen sind. Erfolgt ein Einbehalt von der laufenden Leistung, ist dieser auf fünf Prozent der Regelbedarfsstufe 1 - das sind derzeit 22 Euro 45 Cent monatlich - beschränkt, kann aber im [X.] auch niedriger festzusetzen sein. Der Anspruch auf die Ausübung pflichtgemäßen, dh alle individuellen Umstände des Einzelfalls erfassenden Ermessens (§ 39 Abs 1 Sozialgesetzbuch Erstes [X.]uch - Allgemeiner Teil - ) ist gerichtlich voll überprüfbar. Damit bestehen die vom [X.]VerfG geforderten [X.] für Härtefälle (vgl [X.]VerfG vom 5.11.2019 - 1 [X.]vL 7/16 - [X.]VerfGE 152, 68 = [X.] 4-4200 § 31a [X.], Rd[X.]0) und es wird auf gesetzlicher Grundlage ein am individuellen Existenzsicherungsbedarf ausgerichtetes und grundrechtliche [X.]elange des Hilfebedürftigen berücksichtigendes Verwaltungshandeln sichergestellt.

Auch ein Anspruch auf Grundlage von § 42 [X.] 1 iVm § 27a Abs 4 Satz 1 Alt 2 [X.] aF (abweichende Festlegung des individuellen [X.]edarfs im Einzelfall) kommt nicht in [X.]etracht, da ein lediglich einmalig auftretender [X.]edarf nicht dem Anwendungsbereich dieser Norm unterfällt, die einen laufenden höheren [X.]edarf voraussetzt (vgl [X.]SG vom [X.] - [X.] 7 [X.]/20 R - Rd[X.]0, für [X.] 4 vorgesehen = [X.] 2022, 19).

Auch aus § 73 [X.] ergibt sich der geltend gemachte Anspruch nicht. Der Anwendungsbereich dieser Norm ist nicht eröffnet, da keine atypische [X.]edarfslage gegeben ist; denn bei den Kosten für die [X.] handelt es sich um solche Kosten, die dem Regelbedarf zuzuordnen sind (vgl zur Abgrenzung der atypischen [X.]edarfslage des § 73 [X.] von den [X.] [X.]SG vom 16.12.2010 - [X.] [X.] 7/09 R - [X.]SGE 107, 169 = [X.] 4-3500 § 28 [X.], Rd[X.] 13 mwN; [X.]SG vom 29.5.2019 - [X.] [X.] 8/17 R - [X.] 4-4200 § 24 [X.] Rd[X.] 14).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Krauß                                   Richter Dr. [X.]ieresborn                                 Luik
                                           ist wegen Urlaubs an der
                                           Unterschrift gehindert

                                             Krauß

Meta

B 8 SO 1/21 R

19.05.2022

Bundessozialgericht 8. Senat

Urteil

Sachgebiet: SO

vorgehend SG Berlin, 21. Juli 2017, Az: S 212 SO 231/16, Urteil

§ 41 Abs 1 SGB 12, § 41 Abs 3 SGB 12, § 42 Nr 2 SGB 12, § 31 Abs 1 Nr 1 SGB 12, § 37 Abs 1 SGB 12, § 37 Abs 4 S 1 SGB 12, Art 1 Abs 1 GG, Art 20 Abs 1 GG

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Urteil vom 19.05.2022, Az. B 8 SO 1/21 R (REWIS RS 2022, 5714)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2022, 5714

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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