Bundessozialgericht, Urteil vom 27.09.2011, Az. B 4 AS 202/10 R

4. Senat | REWIS RS 2011, 2944

© Bundessozialgericht, Dirk Felmeden

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Gegenstand

Arbeitslosengeld II - Sonderbedarf - Wohnungserstausstattung - Ersatzbeschaffung bei fahrlässigem Einrichtungsverlust bei Zuzug aus dem Ausland - sozialgerichtliches Verfahren - statthafte Klageart - Verschuldensgesichtspunkte - Zurückverweisung


Leitsatz

Einem Anspruch auf Ersatzbeschaffung einer Wohnungserstausstattung nach dem SGB 2 bei Zuzug aus dem Ausland steht ein in der Vergangenheit liegender fahrlässiger Verlust vorhandener Möbel nicht entgegen.

Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Oberverwaltungsgerichts der [X.] vom 21. April 2010 aufgehoben.

Der Rechtsstreit wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das [X.] Niedersachsen-Bremen zurückverwiesen.

Tatbestand

1

[X.]treitig ist, ob und ggf in welcher Höhe die Klägerin einen Anspruch auf Übernahme der Kosten für eine Wohnungserstausstattung hat.

2

Die 1973 geborene Klägerin arbeitete seit 1999 für die Firma [X.] Wegen eines Wechsels ihres Arbeitgebers nach [X.]panien im Jahre 2003 entschloss sie sich, dort für ihn tätig zu werden und zog - mit Übernahme der Transportkosten durch den Arbeitgeber - mit ihrem gesamten Hausstand in eine von diesem angemietete Wohnung in [X.]/[X.]. Zum [X.] kündigte der Arbeitgeber ihr aus wirtschaftlichen Gründen. Die Klägerin erhielt nach ihrer Rückkehr nach [X.] von dem Beklagten ab 20.4.2006 Leistungen zur [X.]icherung des Lebensunterhalts nach dem [X.]GB II.

3

Den Antrag auf Erstausstattung einer Wohnung vom 10.9.2006 begründete die Klägerin damit, dass ihr Arbeitgeber ihr angeboten habe, die Möbel und den gesamten Haushalt in [X.]panien einzulagern. Als sie ihm telefonisch mitgeteilt habe, dass sie zum 1.10.2006 den gesamten Hausstand benötige, habe er ihr gesagt, dass die ganzen Möbel "weg seien". [X.]ie besitze nur noch einen "Koffer mit Klamotten". Der Beklagte lehnte den Antrag ab (Bescheid vom 18.9.2006; Widerspruchsbescheid vom 11.10.2006).

4

Das [X.] [X.] hat die angefochtenen Bescheide aufgehoben und den Beklagten entsprechend dem Klageantrag verurteilt, der Klägerin für eine Erstausstattung 1003,90 Euro zu gewähren (Urteil vom 13.12.2007). Die Klägerin habe einen Anspruch auf Erstausstattung für die Wohnung einschließlich Haushaltsgeräten, weil sie ohne eigenen Hausrat sei. Zur Überzeugung der Kammer habe sie einen eigenen Haushalt in [X.]panien gehabt, der untergegangen sei. Der Anspruch werde nicht dadurch ausgeschlossen, dass sie den Verlust des Hausstandes nicht bei der [X.] Polizei angezeigt und keine zivilrechtlichen [X.]chritte gegen den Arbeitgeber eingeleitet habe. Auch der Umstand, dass die Klägerin sich in der Zwischenzeit von einer Freundin Möbel geliehen habe, schließe den Anspruch nicht aus. Der Beklagte habe die Höhe der Wohnungserstausstattung nach seinen Verwaltungsanweisungen zu § 23 Abs 3 [X.]atz 5 [X.]GB II auf 1003,90 Euro pauschaliert.

5

Auf die Berufung des Beklagten hat das O[X.] [X.] das Urteil des [X.] aufgehoben und die Klage abgewiesen (Urteil vom [X.]). Zur Begründung seiner Entscheidung hat das Berufungsgericht ausgeführt, eine Ersatzbeschaffung für eine Wohnungsausstattung komme nur in besonders gelagerten Ausnahmefällen in Betracht, etwa bei Zerstörung einer Wohnung durch Brand oder bei längerer Haft. Ein vergleichbarer Ausnahmefall könne indes unter Berücksichtigung der Umstände des vorliegenden Falls nicht angenommen werden. [X.]elbst wenn man der Klägerin den Verlust ihrer Wohnungseinrichtung in [X.]panien "abnehme", scheide die Gewährung von [X.]ozialleistungen für eine (erneute) Wohnungserstausstattung aus, weil sie den Verlust durch fahrlässiges Verhalten mit zu verantworten und nicht das ihr Zumutbare unternommen habe, um den (vollständigen und ersatzlosen) Verlust abzuwenden. Angesichts der Veränderung in den wirtschaftlichen Verhältnissen ihres Arbeitgebers habe sie nicht damit rechnen dürfen, dass ihr Arbeitgeber für den Rücktransport der Möbel in gleicher Weise wie für den Hintransport sorge. Unabhängig hiervon sei es von ihr fahrlässig gewesen, den Hausstand einschließlich aller persönlichen Dinge in der beschriebenen Art in einer von dem Arbeitgeber angemieteten Garage unterzustellen und dort für längere [X.] zu lagern. [X.]elbstständig tragend komme hinzu, dass die Klägerin nichts unternommen habe, nachdem ihr früherer Arbeitgeber ihr mitgeteilt habe, dass die Möbel verschwunden seien. Es sei ihr ohne Weiteres zuzumuten gewesen, die notwendigen Erkundigungen einzuholen (zB bei einem [X.] Konsulat) und sodann weitere [X.]chritte einzuleiten, wie etwa eine Kontaktaufnahme mit dem Vermieter ihres früheren Arbeitgebers und die Aufgabe einer [X.]trafanzeige bei der [X.] Polizei.

6

Mit ihrer vom [X.]enat zugelassenen Revision rügt die Klägerin eine Verletzung des § 23 Abs 3 [X.]atz 1 Nr 1 [X.]GB II. Das B[X.]G habe bereits entschieden, dass der Anspruch nach § 23 Abs 3 [X.]atz 1 Nr 1 [X.]GB II bedarfsbezogen zu verstehen sei. Entscheidend sei, ob ein Bedarf für die Ausstattung einer Wohnung bestehe, der nicht bereits durch vorhandene Möbel und Einrichtungsgegenstände gedeckt sei. Unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des B[X.]G und der Motive des Gesetzgebers liege hier ein Ausnahmefall vor, in dem wegen des Untergangs des vorhandenen Mobiliars von einer "Erstausstattung" auszugehen sei. Da der Beklagte nach dem Inhalt der Verwaltungsanweisungen in [X.] stets Pauschalen bewillige, belaufe sich der zuzusprechende Geldbetrag auf 1003,90 Euro. Unabhängig von seinem Vorliegen führe das vom Berufungsgericht festgestellte fahrlässige Verhalten nicht zu einem Wegfall des Anspruchs. Insofern habe das B[X.]G bereits betont, dass eine "Verwirkung" des Anspruchs auf Erstausstattung - entsprechend den Voraussetzungen des § 34 Abs 1 [X.]GB II - nur bei vorsätzlichem oder grob fahrlässigem Verhalten möglich sei (Hinweis auf B[X.]G Urteil vom 20.8.2009 - B 14 A[X.] 45/08 R - [X.]ozR 4-4200 § 23 [X.]).

7

Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Oberverwaltungsgerichts der Freien Hansestadt [X.] vom 21. April 2010 aufzuheben und die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts der Freien Hansestadt [X.] vom 13. Dezember 2007 zurückzuweisen.

8

Der Beklagte beantragt,
die Revision der Klägerin zurückzuweisen.

9

Er nimmt auf die Begründung des Berufungsurteils Bezug.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Revision ist im Sinne der Aufhebung des Urteils des [X.] und Zurückverweisung des Rechtsstreits zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das [X.] begründet (§ 170 Abs 2 Satz 2 SGG).

1. Streitgegenstand ist allein ein Anspruch der Klägerin auf Leistungen für die Wohnungserstausstattung nach § 23 Abs 3 Satz 1 [X.]. Hierbei handelt es sich um einen eigenständigen, abtrennbaren Streitgegenstand, über den isoliert und unabhängig von den übrigen Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts entschieden werden kann (vgl zB [X.] vom 19.9.2008 - [X.] AS 64/07 R - [X.], 268 = [X.]-4200 § 23 [X.], Rd[X.]2; [X.] vom [X.] - [X.] AS 77/08 R - [X.]-4200 § 23 [X.] Rd[X.] 9).

Die Klägerin verfolgt ihr Begehren zu Recht mit der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 4 SGG). Zwar ist bei Streitigkeiten um eine Wohnungserstausstattung regelmäßig die sog [X.] (§ 54 Abs 1 Satz 1 SGG) die statthafte Klageart, weil der Hilfebedürftige einen gebundenen Rechtsanspruch nur im Hinblick auf das "Ob" und nicht auch auf das "Wie" der Leistungserbringung nach § 23 Abs 3 Satz 5 [X.] hat. Es steht regelmäßig im pflichtgemäßen Auswahlermessen des [X.], ob er die Leistung als Sachleistung oder als (gegebenenfalls pauschalierte) Geldleistung erbringt und in welcher Höhe er diesen Anspruch erfüllt (vgl [X.] vom [X.] - [X.] AS 77/08 R - [X.]-4200 § 23 [X.] Rd[X.]0; [X.] vom 20.8.2009 - [X.] [X.]/08 R - [X.]-4200 § 23 [X.] Rd[X.]9). Vorliegend erbringt der Beklagte die Leistungen der Wohnungserstausstattung nach der Verwaltungsanweisung der [X.]orin für Arbeit, Frauen, Gesundheit, Jugend und Soziales in [X.] zu § 23 Abs 3 [X.], in der ausschließlich Pauschalbeträge ua für die Erstausstattung von Wohnungen einschließlich Haushaltsgeräten vorgesehen sind, aus denen bei Vorhandensein von Möbeln und Haushaltsgeräten entsprechende Geldbeträge herauszurechnen sind ([X.].1 iVm Anlage 1 "Teilpauschalen"). Da das Ermessen somit bereits durch Verwaltungsbinnenrecht im Sinne von pauschalen Geldleistungen gebunden ist, besteht bei Vorliegen der materiell-rechtlichen Voraussetzungen von vornherein ein Anspruch der Klägerin auf Geldleistungen (vgl [X.] vom [X.] [X.]/09 R - Rd[X.]4, 21).

Gegenstand des Verfahrens ist auch die Höhe des vom [X.] ausgeurteilten [X.], weil der Beklagte neben dem Bestreiten eines Anspruchs dem Grunde nach im Berufungsverfahren auch vorgetragen hat, die Klägerin sei nach dem Ergebnis eines Hausbesuchs am 30.10.2007 weitgehend eingerichtet und habe bisher nicht nachgewiesen, dass die nach ihrem Vortrag nur geliehenen Einrichtungsgegenstände zurückgefordert werden könnten. Entsprechend dem erstinstanzlichen Klageantrag, dem Tenor des [X.] und in Ermangelung einer Berufung der Klägerin gegen das erstinstanzliche Urteil ist die streitige Höhe des [X.] für die Wohnungsausstattung jedoch auf den (auch in den Verwaltungsanweisungen) vorgesehenen Höchstbetrag von 1003,90 Euro begrenzt.

2. Das [X.] ist zu Unrecht davon ausgegangen, dass ein Anspruch auf Erstausstattung nach § 23 Abs 3 Satz 1 [X.] schon dem Grunde nach nicht besteht.

Nach § 7 Abs 1 Satz 1 [X.] erhalten Leistungen nach dem [X.], also ua die von der Regelleistung nicht umfassten Leistungen für Erstausstattungen der Wohnung einschließlich Haushaltsgeräten (§ 23 Abs 3 Satz 1 [X.]), Personen, die das 15. Lebensjahr vollendet und das 65. Lebensjahr noch nicht vollendet haben ([X.]), erwerbsfähig ([X.]) und hilfebedürftig ([X.]) sind sowie ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der [X.] haben ([X.]). Diese allgemeinen Voraussetzungen liegen nach den Feststellungen des [X.] hier vor.

§ 23 Abs 3 Satz 1 [X.] bestimmt, dass Leistungen für Erstausstattungen der Wohnung einschließlich Haushaltsgeräten gesondert erbracht werden. Der Anspruch ist - entsprechend den anderen Leistungen des [X.] - bedarfsbezogen zu verstehen. Entscheidend ist, ob erstmals ein Bedarf entsteht ([X.] vom 19.9.2008 - [X.] AS 64/07 R - [X.], 268 = [X.]-4200 § 23 [X.], Rd[X.]9). In Abgrenzung zu einem Erhaltungs- und Ergänzungsbedarf, der aus der Regelleistung zu bestreiten ist, kommt eine Wohnungserstausstattung aber auch bei einem erneuten Bedarfsanfall in Betracht, wenn der Hilfebedürftige nachweist, dass er - regelmäßig im Zusammenhang mit besonderen Ereignissen - über die nunmehr notwendigen Ausstattungsgegenstände bisher nicht oder nicht mehr verfügt. Von den in den Gesetzesmaterialien beispielhaft genannten Bedarfen für eine Wohnungserstausstattung, zB nach einem Wohnungsbrand oder bei Erstanmietung nach einer Haft (BT-Drucks 15/1514 [X.] zum gleichlautenden § 32 Abs 1 [X.] XII), steht jedenfalls der Wohnungsbrand für Konstellationen, bei denen - nach dem Willen des Gesetzgebers - Leistungen nach § 23 Abs 3 Satz 1 [X.] für einen erneuten Bedarfsanfall im Sinne einer Ersatzbeschaffung als "Wohnungserstausstattung" gewährt werden können. Entsprechend hat der [X.] bereits entschieden, dass der erstmaligen Ausstattung einer Wohnung wertungsmäßig diejenigen Fälle einer Ersatzbeschaffung gleichzustellen sind, bei denen vorhandene Ausstattungsgegenstände allein durch einen vom Grundsicherungsträger veranlassten Umzug in eine angemessene Wohnung unbrauchbar werden ([X.] vom [X.] - [X.] AS 77/08 R - [X.]-4200 § 23 [X.] Rd[X.]4 f). Gleiches gilt unter Berücksichtigung der gebotenen bedarfsbezogenen Betrachtungsweise, wenn die Wohnungsausstattung bei einem Zuzug aus dem Ausland (zB durch die besonderen Umstände des Umzugs) untergegangen ist (vgl bejahend für den Zuzug aus dem Ausland: [X.] in GK-[X.], § 23 Rd[X.]6, Stand 11/2009; zum inhaltsgleichen § 24 [X.] idF ab 1.1.2011: [X.] in Gagel, [X.]/[X.]I, § 24 [X.] Rd[X.]8, Stand Juni 2011; vgl [X.] in jurisPK-[X.], § 24 [X.] Rd[X.]2, Stand 8/2011). Auch diese Fallgestaltungen sind grundsätzlich von einer Ersatzbeschaffung für Wohnungserstausstattung nach § 23 Abs 3 Satz 1 [X.] umfasst.

Soweit das [X.] meint, ein den Fallgestaltungen in den Gesetzesmaterialien vergleichbarer Sachverhalt liege nicht vor, weil die Klägerin - auch bei unterstelltem tatsächlichen Verlust - diesen Verlust durch fahrlässiges Verhalten mit zu verantworten habe, geht es von unzutreffenden rechtlichen Überlegungen aus. Insofern verbindet das [X.] die gebotene ausschließlich bedarfsbezogene Betrachtungsweise hinsichtlich des Vorhandenseins eines Bedarfs an Wohnungserstausstattung in unzulässiger Weise mit der Frage nach den Ursachen der Hilfebedürftigkeit und [X.]n. Mit dem 14. [X.] geht auch der erkennende [X.] davon aus, dass [X.] nicht schon bei der Feststellung des Bedarfs berücksichtigt werden dürfen, weil der im [X.] zu deckende Bedarf grundsätzlich aktuell bestehen muss und auch aktuell vom Grundsicherungsträger zu decken ist ([X.] vom 20.8.2009 - [X.] [X.]/08 R - [X.]-4200 § 23 [X.] Rd[X.]5; [X.] vom [X.] [X.]/09 R - Rd[X.]7).

3. Ob ein Anspruch auf Wohnungserstausstattung im konkreten Fall gegeben ist, hängt mithin davon ab, ob die Klägerin eine Wohnungseinrichtung in [X.] hatte und diese tatsächlich untergegangen ist. Dies hat das [X.] letztlich offen gelassen, weil es - diese Tatsachen unterstellend - den geltend gemachten Anspruch der Klägerin im Ergebnis ausschließlich wegen eines ihr zugerechneten Verhaltens im Zusammenhang mit dem Verlust der Wohnungsausstattung abgelehnt hat. Dieser Ablehnungsgrund greift jedoch nicht durch (s dazu näher unter 4).

Das [X.] wird daher von Amts wegen (§ 103 Satz 1 SGG) aufklären und feststellen müssen, ob bei der Klägerin als Grundvoraussetzung für einen Anspruch nach § 23 Abs 3 Satz 1 [X.] überhaupt ein Bedarf für die Wohnungserstausstattung bestand. Anlass für die Annahme von verringerten Anforderungen an die Amtsermittlungspflicht - etwa wegen des vom [X.] erhobenen Vorwurfs eines fahrlässigen Verhaltens der Klägerin - bestehen nicht (vgl ua zur Hinweispflicht des Gerichts vor nachteiligen Schlüssen aus dem Verhalten eines Beteiligten zB [X.], 181 ff = [X.]-2500 § 109 [X.]5 Rd[X.]5; BSG [X.]-1500 § 128 [X.] Rd[X.]5; BSG [X.] 1500 § 103 [X.]3 und 27 mwN).

4. Anders als vom [X.] angenommen, steht ein von diesem festgestelltes und als fahrlässig bewertetes Verhalten der Klägerin im Zusammenhang mit dem Verlust der Wohnungserstausstattung einem etwaigen Anspruch auch nicht wegen einer Verletzung ihrer Pflicht zur Eigenaktivität nach § 2 Abs 1 [X.] entgegen. Nach § 2 Abs 1 Satz 1 [X.] haben Hilfebedürftige in eigener Verantwortung alle Möglichkeiten zu nutzen, um ihren Lebensunterhalt aus eigenen Kräften und Mitteln zu bestreiten. Auch dürfen Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach § 3 Abs 3 [X.] nur erbracht werden, soweit die Hilfebedürftigkeit nicht anderweitig beseitigt werden kann.

Diese Vorschriften regeln keine eigenständigen Ausschlusstatbestände. Es handelt sich vielmehr um Grundsatznormen, die durch die Regelungen insbesondere über den Einsatz von Einkommen und Vermögen bzw sonstige leistungshindernde Normen konkretisiert werden und regelmäßig nur im Zusammenhang mit ihnen Wirkung entfalten. Hierfür spricht der Standort dieser Normen in den Allgemeinen Vorschriften des Ersten Kapitels des [X.] und der Umstand, dass das Recht der Grundsicherung für Arbeitsuchende in den §§ 31 ff [X.] konkrete Leistungsausschlussnormen enthält (vgl zur Sozialhilfe [X.] [X.]/9b [X.] 16/07 R - FEV[X.], 346 ff; [X.] vom [X.] - [X.] [X.] 23/08 R - [X.], 219 ff = [X.]-3500 § 74 [X.], Rd[X.]0), die hier nicht einschlägig sind.

Der Leistungsausschluss in der Existenzsicherung bedarf auch im Hinblick auf den Bedarfdeckungsgrundsatz einer ausdrücklichen gesetzlichen Normierung. Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende dienen der Sicherstellung eines menschenwürdigen Lebens. Diese Sicherstellung ist eine verfassungsrechtliche Pflicht des Staates, die aus dem verfassungsrechtlichen Anspruch auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums folgt ([X.] Urteil vom [X.] - 1 BvL 1/09, 3/09, 4/09 - [X.]E 125, 175 ff = [X.]-4200 § 20 [X.]2; vgl auch [X.]E 82, 60, 80 = [X.] 3-5870 § 10 [X.] S 5). Bei der Beurteilung der Hilfebedürftigkeit ist daher ausschließlich auf die gegenwärtige Lage und auf Umstände in der Vergangenheit nur insoweit abzustellen, als sie eindeutige Erkenntnisse über die gegenwärtige Lage ermöglichen ([X.] Beschluss vom [X.] - 1 BvR 569/05 - Breithaupt 2005, 803, 807). Nicht zulässig ist es daher - wie hier geschehen - einen Anspruch allgemein wegen eines fahrlässigen Verhaltens in der Verfolgung eigener Belange in der Vergangenheit oder bloßen Mutmaßungen abzulehnen.

5. Kommt das [X.] nach weiteren Ermittlungen zu dem Ergebnis, dass ein Anspruch auf Wohnungserstausstattung besteht, wird es noch prüfen müssen, ob und ggf in welchem Umfang durch von [X.] zwischenzeitlich zur Verfügung gestellte Möbel der Bedarf an Wohnungserstausstattung gedeckt worden ist. Sollte eine zwischenzeitliche und zulässige "Selbstbeschaffung" der begehrten Leistung vorliegen, welche die fehlende Unterstützung durch den Beklagten lediglich substituierte, kann diese der Klägerin dann wegen einer Rechtswidrigkeit der Leistungsablehnung nicht entgegengehalten werden (vgl für die Sozialhilfe [X.] vom 11.12.2007 - [X.]/9b [X.] 12/06 R - [X.]-3500 § 21 [X.] Rd[X.]1; [X.], 154 ff). Kommt das [X.] bei seinen weiteren Ermittlungen zu dem Ergebnis, dass die Klägerin die ihr überlassenen Möbel und Haushaltsgegenstände auch im Falle eines Obsiegens nicht zurückgeben muss, es sich also tatsächlich um dauerhaft zugewandte [X.] handelt, liegt wegen eines (teilweisen) Bedarfswegfalls bei einmaligen Leistungen nach Erlass ablehnender Bescheide eine Änderung der Sachlage vor, die zu einer (teilweisen) Erledigung der [X.] auf andere Weise iS des § 39 Abs 2 [X.] X führt (BSG Beschluss vom 16.5.2007 - B 7b [X.]/06 R - [X.]-4200 § 22 [X.] Rd[X.] 6; vgl zur Sozialhilfe: [X.] vom [X.] - [X.] [X.] 16/08 R - [X.], 213, 217 = [X.]-1300 § 44 [X.]0, Rd[X.]7; zur Erledigung aus Rechtsgründen vgl auch [X.] vom 11.7.2000 - B 1 KR 14/99 - [X.] 3-1300 § 39 [X.] 7 = juris Rd[X.]0). Leistungen nach § 23 Abs 3 Satz 1 [X.] können dann wegen Wegfalls des konkreten Bedarfs trotz ggf rechtswidriger Leistungsablehnung nicht mehr erbracht werden, weil die [X.]-Leistungen ihren Zweck der Bedarfsdeckung nicht mehr erfüllen können (vgl zur Sozialhilfe [X.] vom [X.] - [X.] [X.] 16/08 R - [X.], 213 ff = [X.]-1300 § 44 [X.]0, Rd[X.]7; vgl zum Wegfall des [X.] bei zwischenzeitlicher Bedarfsdeckung [X.] vom 24.2.2011 - [X.] [X.]/10 R - Rd[X.]0).

6. Kommt das [X.] zu dem Ergebnis, dass ein Anspruch auf eine Wohnungserstausstattung besteht, dieser aber nur zu einem Teil zu einem späteren Zeitpunkt durch dauerhaft zur Verfügung gestellte Gegenstände der Wohnungsausstattung gedeckt worden ist, sind weitere Feststellungen zum Umfang des Anspruchs erforderlich.

Wie die zuständigen [X.]e des BSG mehrfach entschieden haben, sind Leistungen nach § 23 Abs 3 Satz 1 [X.] für die Ausstattung mit wohnraumbezogenen Gegenständen zu erbringen, die eine geordnete Haushaltsführung und ein an den herrschenden Lebensgewohnheiten orientiertes Wohnen ermöglichen sollen ([X.] vom 19.9.2008 - [X.] AS 64/07 R - [X.], 268 = [X.]-4200 § 23 [X.], Rd[X.]8; [X.] vom 16.12.2008 - [X.] AS 49/07 R - [X.], 194 = [X.]-4200 § 22 [X.]6, Rd[X.]3 mwN). Die zu gewährende Erstausstattung muss - in Anlehnung an die Vorschrift des § 22 [X.] zur Unterkunft - nur eine angemessene Ausstattung berücksichtigen, die der Befriedigung von einfachen und grundlegenden Wohnbedürfnissen genügt ([X.] vom 13.4.2011 - [X.] [X.]/10 R - Rd[X.]9, zur Veröffentlichung in [X.] vorgesehen; [X.] vom [X.] [X.]/09 R - Rd[X.]0). Wird - wie hier - zur Erfüllung des Wohnungserstausstattungsanspruchs vom Grundsicherungsträger die Leistungsart "Geldleistung" gewählt, so kann er diese auch in Form von Pauschalbeträgen erbringen (§ 23 Abs 3 Satz 5 [X.]). Insofern ist aber eine richterliche Plausibilitätskontrolle durchzuführen, ob bei deren Bemessung iS von § 23 Abs 3 Satz 6 [X.] geeignete Angaben über die erforderlichen Aufwendungen und nachvollziehbare Erfahrungswerte über die Kosten von Einrichtungsgegenständen zur Stützung der Pauschalbeträge berücksichtigt worden sind ([X.] vom 20.8.2009 - [X.] [X.]/08 R - [X.]-4200 § 23 [X.] Rd[X.]0 f).

Ob die vom [X.] zugrunde gelegte Verwaltungsanweisung der [X.]orin für Soziales, Kinder, Jugend und Frauen in [X.] den genannten Anforderungen hinsichtlich des Umfangs der zu gewährenden Erstausstattung genügt und die festgesetzten Pauschalbeträge und Teilpauschalen, insbesondere für die regelmäßig von dem Einzelposten "Küchenausstattung" erfassten Haushaltsgeräte (Herd, Kühlschrank, Waschmaschine), hinreichend abgesichert sind, wird das [X.] mithin prüfen müssen (vgl [X.] vom 20.8.2009 - [X.] [X.]/08 R - [X.]-4200 § 23 [X.] Rd[X.]1; vgl auch SG [X.] Beschlüsse vom [X.] - [X.] AS 257/10 ER und vom [X.] - [X.] AS 877/09 ER).

7. Der Rechtsstreit ist an das [X.] zurückzuverweisen, obwohl das [X.] der Freien Hansestadt [X.] "das Urteil erlassen" hat (vgl § 170 Abs 2 Satz 2 SGG am Ende). Die früheren §§ 50a ff SGG, nach denen aufgrund Landesrechts die Sozialgerichtsbarkeit in bestimmten sozialrechtlichen Materien durch besondere Spruchkörper der Verwaltungsgerichte ausgeübt wurde (eingeführt durch Gesetz vom 9.12.2004, [X.] 3302), sind mit Wirkung vom 1.1.2009 aufgehoben. Die Übergangsregelung in § 206 Abs 2 SGG sieht vor, dass Verfahren, die am 1.1.2009 bei den besonderen Spruchkörpern der Verwaltungsgerichte anhängig sind, bei diesen anhängig bleiben und entsprechend der bisherigen Rechtslage fortgeführt werden; für Rechtsbehelfe gegen die Entscheidung eines besonderen Spruchkörpers, die nach dem 31.12.2008 ergehen, ist jedoch das [X.] zuständig. Dieser Grundsatz, die anhängigen Verfahren in den besonderen Spruchkörpern zu belassen, diese nach Abschluss der Instanz aber der üblichen Zuständigkeitsregelung zu unterwerfen, ist auch auf das zurückverwiesene Verfahren anwendbar (vgl bereits [X.] vom 26.5.2011 - [X.] [X.]/10 R).

Das [X.] wird ggf abschließend auch über die Kosten des Rechtsstreits zu entscheiden haben.

Meta

B 4 AS 202/10 R

27.09.2011

Bundessozialgericht 4. Senat

Urteil

Sachgebiet: AS

vorgehend VG Bremen, 13. Dezember 2007, Az: S 3 K 2992/06, Urteil

§ 23 Abs 3 S 1 Nr 1 SGB 2, § 23 Abs 3 S 5 SGB 2, § 2 Abs 1 S 1 SGB 2, § 3 Abs 3 SGB 2, § 54 Abs 1 S 1 SGG, § 54 Abs 4 SGG, § 103 S 1 SGG, § 206 Abs 2 SGG vom 09.12.2004

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Urteil vom 27.09.2011, Az. B 4 AS 202/10 R (REWIS RS 2011, 2944)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 2944

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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