Bundesgerichtshof, Beschluss vom 09.11.2021, Az. VIII ZR 184/20

8. Zivilsenat | REWIS RS 2021, 1268

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Gegenstand

Nichtzulassungsbeschwerde in einem sog. Dieselfall: Darlegung eines erheblichen Sachmangels in Form eines merkantilen Minderwerts eines betroffenen Gebrauchtwagens


Tenor

Auf die Nichtzulassungsbeschwerde des [X.] wird das Urteil des [X.] - 17. Zivilsenat - vom 29. Mai 2020 aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Verfahrens der Nichtzulassungsbeschwerde, an einen anderen Senat des Berufungsgerichts zurückverwiesen.

Der Gegenstandswert des Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens wird auf 41.607 € festgesetzt.

Gründe

I.

1

Der Kläger erwarb im August 2017 von der [X.] ein Gebrauchtfahrzeug [X.], 3,0 l. Der Kaufpreis soll sich nach dem Klägervortrag auf 45.500 € und nach dem Vorbringen der [X.] auf 38.235,29 € belaufen haben. Das Fahrzeug ist mit einem 6-Zylinder-Dieselmotor (Abgasnorm [X.]) ausgestattet. Die [X.]en streiten darüber, ob in dem Fahrzeug zwei unzulässige Abschalteinrichtungen eingebaut sind.

2

Der Kläger erklärte mit anwaltlichem Schreiben vom 13. August 2018 gegenüber der [X.] den Rücktritt vom Kaufvertrag und forderte sie erfolglos zur Zahlung des von ihm angeblich geleisteten Kaufpreises in Höhe von 45.500 €, Zug um Zug gegen Rückübereignung des streitgegenständlichen Fahrzeugs, bis zum 27. August 2018 auf. Eine Frist zur Nacherfüllung hatte er der [X.] nicht gesetzt.

3

Mit seiner Klage hat der Kläger zuletzt begehrt, die Beklagte zu verurteilen, an ihn 41.607 € (45.500 € abzüglich einer von dem Kläger errechneten Nutzungsentschädigung) nebst Zinsen, Zug um Zug gegen Übereignung und Herausgabe des streitgegenständlichen Fahrzeugs, zu zahlen. Ferner hat der Kläger die Feststellung des Annahmeverzugs der [X.] sowie die Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten nebst Zinsen verlangt.

4

Der Kläger hat geltend gemacht, das Fahrzeug sei vom sogenannten Abgasskandal betroffen und mangelhaft, weil es mit zwei unzulässigen Abschalteinrichtungen ausgestattet sei. Die Abgasnorm [X.] halte es nur auf dem Prüfstand ein. Im [X.] springe eine schadstoffmindernde Aufwärmstrategie an, die im realen Fahrbetrieb überwiegend nicht aktiviert sei. Zudem werde die Nutzung von [X.] unzulässig gedrosselt, wodurch der [X.] im normalen Betrieb erheblich höher sei. Auch im Fall einer Nachbesserung verbleibe ein erheblicher Minderwert des Fahrzeugs.

5

Das [X.] hat die Klage abgewiesen. Die hiergegen eingelegte Berufung hat das [X.] zurückgewiesen, nachdem das Kraftfahrtbundesamt unter dem 13. Dezember 2019 mitgeteilt hatte, das streitgegenständliche Fahrzeug sei von einem Rückruf aufgrund einer unzureichenden Abgasreinigung nicht betroffen. Die Revision hat das Berufungsgericht nicht zugelassen. Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner Nichtzulassungsbeschwerde.

II.

6

Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung - soweit für das Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde von Interesse - im Wesentlichen ausgeführt:

7

Die Klage sei mangels Fristsetzung zur Mangelbeseitigung (§ 323 Abs. 1 BGB) unbegründet. Eine Fristsetzung sei insbesondere nicht wegen eines (angeblichen) merkantilen [X.] des Fahrzeugs, verbunden mit einer damit einhergehenden fehlenden Behebbarkeit des Mangels, entbehrlich.

8

Es sei offen, ob ein erheblicher Mangel im Sinne von § 323 Abs. 5 Satz 2 BGB vorliege. Der Kläger habe eine konkrete Größenordnung des merkantilen [X.] nicht angegeben, so dass unklar sei, ob - ein verbleibender merkantiler Minderwert unterstellt - dieser eine Größenordnung von 1 % des Kaufpreises überhaupt überschreite. Die Bezugnahme auf andere Gerichte ersetze den eigenen Vortrag des [X.] hierzu nicht.

9

Es bestünden Zweifel, ob die Rechtsprechung zu § 323 Abs. 5 Satz 2 BGB betreffend die Erheblichkeit eines merkantilen [X.] auf die Frage der Zumutbarkeit der Fristsetzung für den Kläger nach § 323 Abs. 2 Nr. 3 BGB anwendbar sei. Es sei nicht auszuschließen, dass die Beklagte den Motor des Fahrzeugs gegen ein einwandfreies, umkonstruiertes neues Antriebsaggregat auswechsele. Ob sich die Beklagte hierzu der Herstellerin bediene oder nicht, sei nicht relevant. Einzig und allein die Beklagte müsste nämlich eine entsprechende Nacherfüllung verantworten.

III.

Die Nichtzulassungsbeschwerde ist zulässig, insbesondere übersteigt der Wert der Beschwer die Wertgrenze des § 544 Abs. 2 Nr. 1 ZPO. Sie hat auch in der Sache Erfolg und führt gemäß § 544 Abs. 9 ZPO zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht. Die angefochtene Entscheidung verletzt in entscheidungserheblicher Weise den Anspruch des [X.] auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG). Denn das Berufungsgericht hat - wie die Nichtzulassungsbeschwerde zu Recht geltend macht - gehörswidrig das hinreichend substantiierte Vorbringen des [X.] zu einem am Fahrzeug bestehenden merkantilen Minderwert von über 1 % des Kaufpreises übergangen und es infolgedessen versäumt, den hierfür von dem Kläger angebotenen [X.] zu erheben.

1. Art. 103 Abs. 1 GG verpflichtet das Gericht, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen (st. Rspr.; vgl. etwa [X.] 86, 133, 144; 96, 205, 216; [X.], [X.], 1475 Rn. 14; NVwZ-RR 2021, 131 Rn. 26; [X.]sbeschlüsse vom 26. Mai 2020 - [X.], NJW-RR 2020, 1019 Rn. 13; vom 10. November 2020 - [X.], juris Rn. 11; vom 22. Juni 2021 - [X.], NJW-RR 2021, 1093 Rn. 13). Der Anspruch auf rechtliches Gehör als grundrechtsgleiches Recht soll sicherstellen, dass die Entscheidung des Gerichts frei von Verfahrensfehlern ergeht, die ihren Grund in unterlassener Kenntnisnahme und Nichtberücksichtigung des Sachvortrags der [X.]en haben.

a) Dabei ist es allerdings nicht gehalten, sich mit jedem Vorbringen in den Entscheidungsgründen ausdrücklich zu befassen (vgl. [X.], [X.], 1475 Rn. 14; NVwZ-RR 2021, 131 Rn. 26). Liegen im Einzelfall jedoch besondere Umstände vor, aus denen sich ergibt, dass tatsächliches Vorbringen eines Prozessbeteiligten entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder doch bei der Entscheidung nicht erwogen worden ist, ist ein Verstoß gegen die sich aus Art. 103 Abs. 1 GG ergebende Pflicht zur Berücksichtigung von Vorbringen gegeben (st. Rspr.; vgl. etwa [X.], [X.], 1475 Rn. 15; NVwZ-RR 2021, 131 Rn. 26; [X.]sbeschluss vom 22. Juni 2021 - [X.], NJW-RR 2021, 1093 Rn. 14). Geht das Gericht in seinen Entscheidungsgründen auf [X.] des [X.] zu einer Frage nicht ein, die für das Verfahren von zentraler Bedeutung ist, lässt dies auf die Nichtberücksichtigung des Vortrags schließen, sofern er nicht nach dem Rechtsstandpunkt des Gerichts unerheblich oder aber offensichtlich unsubstantiiert war ([X.]sbeschlüsse vom 11. Dezember 2012 - [X.], juris Rn. 10; vom 11. März 2014 - [X.], NJW 2014, 1970 Rn. 7; vom 22. Juni 2021 - [X.], aaO).

b) Ferner gebietet Art. 103 Abs. 1 GG in Verbindung mit den Grundsätzen der Zivilprozessordnung die Berücksichtigung erheblicher Beweisanträge. Die Nichtberücksichtigung eines erheblichen Beweisangebots verstößt gegen Art. 103 Abs. 1 GG, wenn sie im Prozessrecht keine Stütze findet (st. Rspr.; vgl. nur [X.] 65, 305, 307; 69, 141, 143 f.; [X.], Beschlüsse vom 19. Dezember 2016 - 2 BvR 1997/15, juris Rn. 15; NVwZ 2018, 1555 Rn. 31; vom 20. Dezember 2018 - 1 BvR 1155/18, juris Rn. 11; [X.], Beschlüsse vom 21. September 2017 - [X.], juris Rn. 8; vom 3. Juli 2018 - [X.], [X.], 278 Rn. 68, insoweit in [X.]Z 219, 161 nicht abgedruckt; vom 28. Januar 2020 - [X.], NJW 2020, 1740 Rn. 4; jeweils mwN).

Dies gilt auch dann, wenn die Nichtberücksichtigung des Beweisangebots darauf beruht, dass das Gericht verfahrensfehlerhaft überspannte Anforderungen an den Vortrag der [X.] gestellt hat (vgl. [X.], Beschluss vom 21. Februar 2017 - [X.], [X.], 1877 Rn. 10). Eine solche nur scheinbar das [X.]vorbringen würdigende Verfahrensweise stellt sich als Weigerung des Tatrichters dar, in der nach Art. 103 Abs. 1 GG gebotenen Weise den [X.]vortrag zur Kenntnis zu nehmen und sich mit ihm inhaltlich auseinanderzusetzen (vgl. [X.], Urteil vom 22. Juni 2009 - [X.], [X.], 2598 Rn. 2; Beschlüsse vom 22. Juni 2021 - [X.], NJW-RR 2021, 1093 Rn. 16; vom 29. September 2021 - [X.], juris Rn. 12).

2. Gemessen an diesen Maßstäben ist dem Berufungsgericht eine Gehörsverletzung nach Art. 103 Abs. 1 GG anzulasten. Das Berufungsgericht durfte das Vorbringen des [X.] zu einem trotz etwaiger Nachbesserung verbleibenden erheblichen Minderwert nicht als unsubstantiiert zurückweisen, sondern hätte den von dem Kläger angebotenen [X.] zu der Frage eines auch nach einer möglichen Nachbesserung verbleibenden merkantilen [X.] erheben müssen. Denn der Kläger ist insofern den von der höchstrichterlichen Rechtsprechung aufgestellten Anforderungen an ein substantiiertes Vorbringen gerecht geworden.

a) Ein Sachvortrag zur Begründung eines Anspruchs ist bereits dann schlüssig und erheblich, wenn die [X.] Tatsachen vorträgt, die in Verbindung mit einem Rechtssatz geeignet und erforderlich sind, das geltend gemachte Recht als in der Person der [X.] entstanden erscheinen zu lassen. Die Angabe näherer Einzelheiten ist nicht erforderlich, soweit diese für die Rechtsfolgen nicht von Bedeutung sind (st. Rspr.; vgl. [X.], Urteile vom 17. Dezember 2014 - [X.], NJW 2015, 934 Rn. 43; vom 20. Januar 2020 - [X.]/18, [X.]Z 224, 302 Rn. 55; vom 13. Juli 2021 - [X.], [X.], 1609 Rn. 20; [X.]sbeschlüsse vom 28. Januar 2020 - [X.], NJW 2020, 1740 Rn. 7; vom 22. Juni 2021 - [X.], NJW-RR 2021, 1093 Rn. 33). Das gilt insbesondere dann, wenn die [X.] keine unmittelbare Kenntnis von den Vorgängen hat ([X.]sbeschluss vom 22. Juni 2021 - [X.], aaO). Das Gericht muss nur in die Lage versetzt werden, aufgrund des tatsächlichen Vorbringens der [X.] zu entscheiden, ob die gesetzlichen Voraussetzungen für das Bestehen des geltend gemachten Rechts vorliegen (vgl. etwa [X.]sbeschlüsse vom 28. Januar 2020 - [X.], aaO; vom 22. Juni 2021 - [X.], aaO). Sind diese Anforderungen erfüllt, ist es Sache des Tatrichters, in die Beweisaufnahme einzutreten und dabei gegebenenfalls die benannten Zeugen oder die zu vernehmende [X.] nach weiteren Einzelheiten zu befragen (st. Rspr.; vgl. [X.]sbeschlüsse vom 28. Januar 2020 - [X.], aaO; vom 22. Juni 2021 - [X.], aaO).

b) Ausgehend von diesen Grundsätzen hat das Berufungsgericht die Anforderungen an die Darlegung eines erheblichen Mangels in Form eines merkantilen [X.] überspannt.

aa) Voraussetzung des Rücktritts gemäß § 434 Abs. 1, § 437 Nr. 2 Alt. 1, § 323 Abs. 1 BGB ist grundsätzlich, dass der Käufer dem Verkäufer nach Übergabe der mangelhaften [X.] zunächst eine angemessene Frist zur Nacherfüllung (§ 439 BGB) bestimmt hat. Eine Entbehrlichkeit der Fristsetzung kommt nur in bestimmten Ausnahmefällen (§ 326 Abs. 5, § 323 Abs. 2, § 440 BGB) in Betracht (vgl. [X.]surteil vom 21. Juli 2021 - [X.], NJW 2021, 2958 Rn. 81, zur Veröffentlichung in [X.]Z bestimmt). Dabei setzt eine hier vom Berufungsgericht ersichtlich allein in Betracht gezogene Nachbesserung im Sinne von § 439 BGB eine vollständige, nachhaltige und fachgerechte Behebung des vorhandenen Mangels voraus (vgl. hierzu [X.]surteile vom 22. Juni 2005 - [X.], [X.]Z 163, 234, 242 f.; vom 6. Februar 2013 - [X.], NJW 2013, 1365 Rn. 12; vom 24. Oktober 2018 - [X.], [X.]Z 220, 134 Rn. 76; vom 29. September 2021 - [X.], juris Rn. 36, zur Veröffentlichung in [X.]Z bestimmt). Einer vorangehenden Fristsetzung zur Nacherfüllung durch Nachbesserung bedarf es daher nicht, wenn der Mangel nicht behebbar ist (§ 326 Abs. 5 BGB).

(1) Ein durch Nachbesserung nicht behebbarer Mangel kann auch anzunehmen sein, wenn er zu einem bestehen bleibenden merkantilen Minderwert des Fahrzeugs führt. Insbesondere bei Unfallfahrzeugen ist anerkannt, dass selbst nach vollständiger und fachgerechter Beseitigung des Unfallschadens wegen eines merkantilen [X.] noch ein Mangel verbleiben kann, weil der Charakter eines Fahrzeugs als Unfallfahrzeug sich nicht durch Nachbesserung beseitigen lässt (vgl. [X.]surteile vom 7. Juni 2006 - [X.], [X.]Z 168, 64 Rn. 17; vom 10. Oktober 2007 - [X.], [X.], 53 Rn. 20; vom 12. März 2008 - [X.], [X.], 1517 Rn. 18, 21; vom 20. Mai 2009 - [X.], [X.]Z 181, 170 Rn. 16; [X.]sbeschluss vom 29. September 2021 - [X.], juris Rn. 24; zu Gebäuden siehe etwa [X.], Urteile vom 10. Dezember 2010 - [X.], juris Rn. 12 f.; vom 6. Dezember 2012 - [X.], NJW 2013, 525 Rn. 19; jeweils mwN).

Dem liegt die Überlegung zugrunde, dass trotz vollständiger und ordnungsgemäßer Instandsetzung eines erheblich beschädigten Kraftfahrzeugs bei einem großen Teil des Publikums, vor allem wegen eines nicht auszuschließenden Verdachts verborgen gebliebener Schäden und des Risikos höherer Schadensanfälligkeit infolge nicht fachgerechter Reparatur, eine den Preis beeinflussende Abneigung gegen den Erwerb eines derart beschädigten Kraftfahrzeugs besteht (vgl. [X.], Urteile vom 23. November 2004 - [X.], [X.]Z 161, 151, 159 f.; vom 20. Mai 2009 - [X.], aaO; [X.]sbeschluss vom 29. September 2021 - [X.], aaO).

(2) Ob die Eigenschaft eines vom sogenannten Abgasskandal betroffenen Fahrzeugs in vergleichbarer Weise zu einem merkantilen Minderwert führt und daher einen (unbehebbaren) Sachmangel darstellt, lässt sich bislang - anders als für die Eigenschaft als Unfallfahrzeug - nicht allgemeingültig und abschließend beantworten (vgl. [X.]sbeschluss vom 29. September 2021 - [X.], juris Rn. 25). Denn bisher ist weder geklärt, wie sich die bei betroffenen Fahrzeugen verbauten Abschalteinrichtungen beziehungsweise die zu ihrer Entfernung vorgenommenen Software-Updates auf das Fahrzeug im Übrigen auswirken, noch - was insoweit entscheidend ist - ob beziehungsweise inwieweit aufgrund dessen bei weiten Teilen des Publikums wegen eines nicht auszuschließenden Verdachts verborgen gebliebener Schäden oder des Risikos höherer Schadensanfälligkeit eine den Preis beeinflussende Abneigung gegen den Erwerb eines derart beschädigten Kraftfahrzeugs besteht, der sich in einer entsprechenden Herabsetzung des Verkehrswerts niederschlägt (vgl. [X.]sbeschluss vom 29. September 2021 - [X.], aaO).

(3) Auch bei Vorliegen eines unbehebbaren Mangels kann aber der Rücktritt ausgeschlossen sein, wenn es sich um einen unerheblichen Mangel im Sinne von § 323 Abs. 5 Satz 2 BGB handelt. Bei der Verweisung in der Vorschrift des § 326 Abs. 5 BGB auf die Norm des § 323 BGB handelt es sich um eine Rechtsgrundverweisung (vgl. [X.]sbeschluss vom 11. November 2014 - [X.], juris Rn. 10). Dementsprechend müssen die übrigen Rücktrittsvoraussetzungen nach § 323 BGB gegeben sein (vgl. [X.]/[X.], 8. Aufl., § 326 Rn. 110). Gemäß der Vorschrift des § 323 Abs. 5 Satz 2 BGB kann der Gläubiger vom Vertrag jedoch nicht zurücktreten, wenn die Pflichtverletzung unerheblich ist. Die Darlegungs- und Beweislast für die Unerheblichkeit des Mangels einer [X.] trägt dabei der Verkäufer und nicht der Käufer (vgl. [X.]surteile vom 18. Oktober 2017 - [X.], [X.], 78 Rn. 11; vom 29. September 2021 - [X.], juris Rn. 47, zur Veröffentlichung in [X.]Z bestimmt).

bb) Gemessen daran ist der Vortrag des [X.] zum Vorliegen eines erheblichen [X.] ausreichend substantiiert.

(1) Soweit das Berufungsgericht offenbar in Verkennung der vorstehend aufgezeigten Verteilung der Darlegungs- und Beweislast den Kläger als Käufer für das Vorliegen eines merkantilen [X.] von über 1 % des Kaufpreises als darlegungspflichtig angesehen hat, ist das Vorbringen des [X.] selbst unter Zugrundelegung dieses unzutreffenden Rechtsstandpunkts als hinreichend substantiiert anzusehen. Entgegen der Darstellung des Berufungsgerichts hat der Kläger nicht lediglich auf die von anderen Gerichten festgestellten merkantilen Minderwerte Bezug genommen. Er hat in der Berufungsbegründung vielmehr unter Verweis auf mehrere landgerichtliche Entscheidungen vorgetragen, dass vom Abgasskandal betroffene Fahrzeuge und somit - nach der Behauptung des [X.] - auch das streitgegenständliche Fahrzeug einem merkantilen Minderwert unterlägen. Der Makel "Abgasskandal" könne auch durch eine etwaige erfolgreiche Nacherfüllung nicht beseitigt werden. Der Kläger hat lediglich in diesem Zusammenhang auf verschiedene gerichtliche Entscheidungen verwiesen, in denen die Höhe des jeweiligen [X.] zwischen 8 % und 20 % festgesetzt worden ist, und hat hieraus den Schluss gezogen, dass der merkantile Minderwert bei seinem Fahrzeug um ein Vielfaches höher als 1 % des Kaufpreises liege.

(2) Zudem hat der Kläger bereits erstinstanzlich vorgetragen, dass der Minderwert für vom sogenannten Dieselskandal betroffene Fahrzeuge zwischen 3.000 € bis 5.000 € läge, und hat zum Beweis der Tatsache, dass ein Aufspielen von Updates diesen Minderwert nicht beseitigen könne, die Einholung eines Sachverständigengutachtens angeboten. Er hat auch in der Berufungsbegründung ausdrücklich gerügt, dass es das [X.] verfahrensfehlerhaft nicht in Betracht gezogen habe, ein Gutachten zu der Frage einzuholen, ob (mit oder ohne Software-Update) das streitgegenständliche Fahrzeug nur zu einem geringeren Preis verkauft werden könne, als wenn es nicht vom Abgasskandal betroffen wäre. Damit hat der Kläger auch unter Zugrundelegung einer ihn nach Ansicht des Berufungsgerichts treffenden Darlegungs- und Beweislast hinreichend substantiierten Sachvortrag zu einem verbleibenden nicht unerheblichen merkantilen Minderwert des streitgegenständlichen Fahrzeugs gehalten. Weiterer Vortrag zu den preisbildenden Faktoren in der Automobilbranche war von ihm als Laien nicht zu verlangen. Daher hätte das Berufungsgericht seinem Beweisangebot nachgehen müssen.

3. Die von dem Kläger geltend gemachte Gehörsverletzung war auch entscheidungserheblich (§ 544 Abs. 9 ZPO), weil nicht ausgeschlossen werden kann, dass das Berufungsgericht unter Zugrundelegung des vorgenannten Vorbringens des [X.] zu einem anderen Ergebnis gelangt wäre.

Im vorliegenden Fall ist nicht auszuschließen, dass das Berufungsgericht, hätte es das Vorbringen des [X.] in gebotener Weise zur Kenntnis genommen und den angebotenen [X.] erhoben, zu der Überzeugung gelangt wäre, dass ein nicht unerheblicher merkantiler Minderwert auch bei Durchführung einer Nachbesserung verbleiben würde und wegen Unbehebbarkeit eines solchen Mangels eine Fristsetzung zur Nachbesserung daher im vorliegenden Fall entbehrlich wäre.

Soweit das Berufungsgericht im Zusammenhang mit § 323 Abs. 2 Nr. 3 BGB die Möglichkeit der Auswechselung des streitgegenständlichen Antriebsaggregats angesprochen hat, hat es gerade nicht festgestellt, dass diese Auswechselung zu einem Wegfall des merkantilen [X.] führen würde. Es hat diesen Gesichtspunkt ersichtlich nicht zur tragenden Erwägung seiner Entscheidung gemacht.

4. Die weiteren von der Nichtzulassungsbeschwerde erhobenen [X.] hat der [X.] geprüft, jedoch nicht für durchgreifend erachtet. Von einer Begründung wird insoweit abgesehen (§ 544 Abs. 6 Satz 2 ZPO).

IV.

1. Nach alledem ist das Urteil des Berufungsgerichts aufzuheben und der Rechtsstreit zur neuen Verhandlung und Entscheidung unter Beachtung der Rechtsauffassung des [X.]s an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 544 Abs. 9 ZPO). Der [X.] macht dabei von der - auch auf den Fall einer Zurückverweisung nach § 544 Abs. 9 ZPO entsprechend anwendbaren - Möglichkeit Gebrauch, die Sache an einen anderen [X.] des Berufungsgerichts zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 2 ZPO; vgl. [X.]sbeschlüsse vom 10. November 2020 - [X.], juris Rn. 22; vom 29. September 2021 - [X.], juris Rn. 34; jeweils mwN).

2. Für das weitere Berufungsverfahren weist der [X.] vorsorglich darauf hin, dass das Vorbringen des [X.] zum Vorliegen von unzulässigen Abschalteinrichtungen entgegen der Ansicht des [X.]s schlüssig sein dürfte. Das Berufungsgericht hat dies bislang dahingestellt sein lassen, weil es insoweit - was nicht mit einer Gehörsrüge angegriffen worden ist - vom Fehlen einer erforderlichen Fristsetzung zur Nacherfüllung ausgegangen ist.

Einer [X.] ist es grundsätzlich nicht verwehrt, eine tatsächliche Aufklärung auch hinsichtlich solcher Umstände zu verlangen, über die sie selbst kein zuverlässiges Wissen besitzt und nicht erlangen kann, die sie aber nach Lage der Dinge für wahrscheinlich oder möglich hält (vgl. [X.]surteil vom 29. Januar 2020 - [X.], NJW-RR 2020, 615 Rn. 83; [X.]sbeschlüsse vom 9. November 2010 - [X.], juris Rn. 15; vom 28. Januar 2020 - [X.], NJW 2020, 1740 Rn. 8). Dies gilt insbesondere dann, wenn sie sich - wie hier der Kläger - nur auf vermutete Tatsachen stützen kann, weil sie mangels Sachkunde und Einblick in die Produktion des verwendeten [X.] einschließlich des Systems der Abgasrückführung oder -verminderung keine sichere Kenntnis von [X.] haben kann (vgl. [X.]surteil vom 21. Juli 2021 - [X.], NJW 2021, 2958 Rn. 85, zur Veröffentlichung in [X.]Z bestimmt; [X.]sbeschluss vom 28. Januar 2020 - [X.], aaO). Eine Behauptung ist erst dann unbeachtlich, wenn sie ohne greifbare Anhaltspunkte für das Vorliegen eines bestimmten Sachverhalts willkürlich "aufs Geratewohl" oder "ins Blaue hinein" aufgestellt worden ist (vgl. [X.]sbeschluss vom 28. Januar 2020 - [X.], aaO). Bei der Annahme von Willkür in diesem Sinne ist Zurückhaltung geboten; in der Regel wird sie nur beim Fehlen jeglicher tatsächlicher Anhaltspunkte gerechtfertigt werden können (vgl. [X.]sbeschluss vom 28. Januar 2020 - [X.], aaO).

Diese strengen Voraussetzungen für eine "Behauptung ins Blaue hinein"w dürften im Streitfall im Hinblick auf den von dem Kläger gehaltenen Vortrag nicht vorliegen.

[X.]     

        

Dr. Schmidt     

        

Wiegand

        

Dr. Matussek     

        

Dr. Reichelt     

        

Meta

VIII ZR 184/20

09.11.2021

Bundesgerichtshof 8. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZR

vorgehend OLG München, 29. Mai 2020, Az: 17 U 3992/19

§ 323 Abs 1 BGB, § 323 Abs 2 BGB, § 323 Abs 5 S 2 BGB, § 326 Abs 5 BGB, § 434 Abs 1 BGB, § 437 Nr 2 Abs 1 BGB, § 439 BGB, § 440 BGB, § 6 Abs 1 S 1 EG-FGV, § 27 Abs 1 EG-FGV, Art 3 Nr 10 EGV 715/2007, Art 5 Abs 1 EGV 715/2007, § 544 ZPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 09.11.2021, Az. VIII ZR 184/20 (REWIS RS 2021, 1268)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2021, 1268

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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