Bundespatentgericht, Beschluss vom 04.11.2020, Az. 25 W (pat) 522/19

25. Senat | REWIS RS 2020, 256

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Markenbeschwerdeverfahren – „Kindheitsretter“ – keine Unterscheidungskraft


Tenor

In der Beschwerdesache

betreffend die Markenanmeldung 30 2018 220 117.6

hat der 25. Senat ([X.]) des [X.] am 4. November 2020 unter Mitwirkung der Richterin [X.], des Richters [X.] und des Richters Dr. [X.] beschlossen:

Die Beschwerde des Anmelders wird zurückgewiesen.

Gründe

I.

1

Die Bezeichnung

2

[X.]

3

ist am 6. Juli 2018 zur Eintragung als Marke in das beim [X.] ([X.]) geführte Register für die nachfolgenden Waren und Dienstleistungen angemeldet worden:

4

[X.]:

5

Aufkleber; Aufkleber [Abziehbilder]; Aufkleber, Stickers [Papeteriewaren]; Broschüren; [X.]; Einladungen [[X.]]; Gedruckte Auszeichnungen [Drucksachen]; Gedruckte Broschüren; Gedruckte Eintrittskarten für Veranstaltungen; Gedruckte Zeitschriften; Plakate; Plakate aus Papier; Plakate aus Papier und Pappe; Plakate aus Pappe; Postkarten; Postkarten und Ansichtskarten; Prospekte; Stickers, Aufkleber [Papeteriewaren]; Veranstaltungsprogramme; Zeitschriften; Zeitschriften [Magazine];

6

Klasse 21:

7

Büsten aus Porzellan, Keramik, Steingut oder Glas; Büsten aus Porzellan, Keramik, Steingut, Terrakotta oder Glas; Büsten aus Porzellan, Ton oder Glas; Büsten aus Steingut; Figuren [Statuetten] aus Porzellan, Keramik, Steingut oder Glas; Figuren [Statuetten] aus Porzellan, Keramik, Steingut, Terrakotta oder Glas; Figurinen aus Steingut; Skulpturen aus Porzellan; Skulpturen aus Terrakotta; Statuen aus Porzellan, Keramik, Steingut oder Glas; Statuen aus Porzellan, Keramik, Steingut, Terrakotta oder Glas; Statuen aus Steingut; Statuen aus Ton; Statuen, Figuren, Schilder und Kunstwerke aus Materialien wie Porzellan, Keramik, Steingut und Glas, soweit in dieser Klasse enthalten; Statuetten aus gebranntem Ton; Statuetten aus Steingut; Statuetten aus Ton; Steingutstatuen; Steingutstatuetten;

8

Klasse 36:

9

Durchführung von Spendenaktionen; Finanzielle Förderung; Finanzierungen von Entwicklungsprojekten; Fundraising und finanzielles Sponsoring; Fundraising und Sponsoring; Gemeinnützige Spendensammlung für unterprivilegierte Kinder; Karitative Dienstleistungen im Bereich von Geldspenden; Philanthropische Dienstleistungen im Bereich des Sammelns von Geldspenden; Sammeln von Spenden; Sammeln von Spenden für Dritte; Sammeln von Spenden für Wohltätigkeitszwecke; Spendensammlung für Wohltätigkeitszwecke; Vermittlung von [X.] für Hilfsprojekte im Ausland; Zurverfügungstellen von finanziellen Förderungsmitteln an Wohlfahrtsverbände; Zurverfügungstellen von Informationen mit Bezug auf gemeinnützige Spendensammlungen;

Klasse 41:

Auskünfte über Veranstaltungen [Unterhaltung]; Bereitstellen von elektronischen Online-Veröffentlichungen [nicht herunterladbar]; Bereitstellen von Online-Veröffentlichungen; Bereitstellung von elektronischen Online-Veröffentlichungen; Bereitstellung von nicht herunterladbarer Online-Musik; Bereitstellung von Online-Musik, nicht herunterladbar; Bereitstellung von Online-Publikationen [nicht herunterladbar]; Durchführung von kulturellen Veranstaltungen; Editieren von Drucksachen mit Bildern, ausgenommen für Werbezwecke; Elektronische Veröffentlichung von Texten und Druckerzeugnissen [außer Werbetexten] im [X.]; Herausgabe und Publikation von [X.]n; Herausgabe von Online-Veröffentlichungen; Online Bereitstellen von elektronischen, nicht herunterladbaren Publikationen; Online Bereitstellung von nicht herunterladbaren elektronischen Publikationen; [X.] elektronischer Veröffentlichungen; [X.] von nicht herunterladbaren [X.]; [X.] von nicht herunterladbaren Bildern; Organisation und Durchführung von Preisverleihungen; Organisation von [X.]; Organisation von [X.] zur Anerkennung von Leistungen; Organisation von [X.] zur Anerkennung von Mut und Tapferkeit; Organisation von Veranstaltungen zu kulturellen Zwecken; Organisation von Wettbewerben und Preisverleihungen; Organisieren von kulturellen und künstlerischen Veranstaltungen; Veranstaltung und Organisation von Preisverleihungen; Veranstaltung von Wettbewerben und Preisverleihungen; Zurverfügungstellen von nicht herunterladbaren elektronischen Online-Veröffentlichungen im Bereich Musik; Zurverfügungstellen von nicht herunterladbaren elektronischen Onlineveröffentlichungen im Bereich Musik.

Mit Beschluss vom 15. November 2018 hat die Markenstelle für Klasse 36 des [X.]s die unter der Nummer 30 2018 220 117.6 geführte Anmeldung wegen fehlender Unterscheidungskraft nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 [X.] sowie dem Vorliegen eines Freihaltebedürfnis gemäß § 8 Abs. 2 Nr. 2 [X.] teilweise zurückgewiesen und zwar für alle angemeldeten Waren und Dienstleistungen mit Ausnahme der Waren der Klasse 21. Hinsichtlich der zurückgewiesenen Waren und Dienstleistungen der Klassen 16, 36 und 41 sei die angemeldete Bezeichnung eine erkennbar beschreibende Angabe.

Der in der Anmeldemarke als Grundwort verwendete Begriff „Retter“ stehe für „jemanden, der jemanden oder etwas rette“ und werde in Komposita gebraucht, bei denen der voranstehende Begriff beispielweise die Person, den Ort oder sonstige Umstände der Rettung näher bezeichne so beispielsweise in „Bergretter, Lebensmittelretter, Lebensretter, Tauchretter, Wasserretter“. Vorliegend werde mit dem vorangestellten Wort „Kindheit“ der Lebensabschnitt eines Menschen als Kind benannt, innerhalb dessen die Rettung, die Befreiung, der Beistand oder der Schutz stattfinde bzw. geleistet werde. Damit bezeichne die Anmeldemarke aber nur eine Person in einer bestimmten Rolle, einer Profession, wobei für eine Rettung üblicherweise Sach- und Geldmittel zur Verfügung stehen müssten. Solche Sach- und Geldmittel könnten insbesondere über Spenden für oder von Rettern aufgebracht werden. Die Rettung bzw. die daran beteiligten Personen könnten den thematischen Gegenstand körperlicher Medien oder von Veranstaltungen darstellen. Bezeichnungen für [X.] und solche Waren bzw. Dienstleistungen, die sich mit einem Thema beschäftigen könnten, unterlägen einem Freihaltebedürfnis. Dabei sei ein Freihaltebedürfnis auch dann gegeben, wenn der beschreibende Gebrauch der angemeldeten Bezeichnung durch die Mitbewerber nicht nachweisbar sei. Damit sei das Anmeldezeichen als erkennbar beschreibende Angabe lediglich dazu geeignet, die zurückgewiesenen Waren und Dienstleistungen ihrer Art und Bestimmung bzw. Thematik nach zu beschreiben. Solchen Bezeichnungen fehlte zudem die Unterscheidungskraft jedenfalls dann, wenn sie unmittelbar, d.h. ohne analysierende Betrachtungsweise, einen Hinweis auf Merkmale der beanspruchten Waren und Dienstleistungen enthielten, denn ein Hinweis auf die betriebliche Herkunft der Produkte und Dienste ergebe sich hieraus nicht. Der Umstand, wonach der Anmelder die Konzeption bzw. die Bezeichnung dieser Konzeption der „[X.]“ quasi „erfunden" habe oder haben möge, spiele im Bereich des Markenschutzes keine Rolle, denn dieser stelle - anders als etwa ein Patent - kein Leistungsschutzrecht dar, bei dem der Erfinder für seine Erfindung ein Verbietungsrecht zugesprochen bekomme (vgl. [X.]E 33, 12 – IRONMAN TRIATHLON).

Gegen die teilweise Zurückweisung der Anmeldung richtet sich die Beschwerde des Anmelders. Er ist der Ansicht, dass es sich bei dem Begriff des „[X.]s“ bereits nicht um ein in der [X.] gebräuchliches Wort handele. Die einzelnen Wortbestandteile seien zwar den inländischen Verkehrskreisen bekannt, die Kombination der Bestandteile aber, auf die es für die Frage der Schutzfähigkeit im Wesentlichen ankomme, sei eine ungewöhnliche Wortneuschöpfung, die im Auftrag des Anmelders von einer Werbeagentur entwickelt worden und in besonderer Weise kreativ, eigenartig und einprägsam sei. Der Gesamteindruck des Zeichens gehe über das bloße Zusammenfügen der einzelnen Wortbestandteile hinaus. Auch wenn die Bezeichnung „[X.]“ Assoziationen zu einer Person wecke, die eine Kindheit rette, lasse sich ein sachbezogener Aussagegehalt und ein beschreibender Inhalt in Bezug auf die zurückgewiesenen Waren und Dienstleistungen nur mit Hilfe mehrerer gedanklicher Schritte ermitteln. Vor allem in Bezug auf die Waren der [X.] sei die geringe Schwelle, die zu der Unterscheidungskraft eines Zeichens führe, überschritten. Der bloße Umstand, dass solchen mit Inhalten versehenen Produkten wie Broschüren oder sonstigen [X.]n eine nahezu unbegrenzte Themenvielfalt zugrunde gelegt werden könnte, führe nicht zur Verneinung der Schutzfähigkeit aller Ausdrücke, die auch nur irgendwie als Angabe eines Themenbereichs (theoretisch) in Betracht kommen könnten. Vielmehr müsse die Behandlung des Themas in der fraglichen Form und unter Verwendung des betreffenden Titels sich als naheliegend und branchenüblich darstellen, was in der Regel eine gewisse Allgemeinheit des Titels im Sinn eines Oberbegriffs voraussetze. Es sei nicht naheliegend und schon gar nicht branchenüblich, die Thematik, allen Kindern weltweit eine möglichst unbeschwerte Kindheit zu ermöglichen, unter Verwendung der Bezeichnung „[X.]“ in Broschüren, [X.]n usw. zu behandeln. Denn die angemeldete Bezeichnung sei ein ungewöhnliches und sowohl in der Alltagssprache als auch im Zusammenhang mit wohltätigen Organisationen ungebräuchliches Kunstwort. Der Begriff „[X.]“ werde ausweislich der als Anlage beigefügten [X.]recherche ausschließlich von dem Anmelder und Beschwerdeführer verwendet.

Weiterhin verweist der Anmelder auf zahlreiche Eintragungen, die in mit der vorliegenden Anmeldung vergleichbarer Art und Weise auf den Themenbereich der „[X.]“ hinweise, so beispielsweise die Wortmarke „[X.] KINDER“ (Registernummer 30 158 973) für [X.] oder das Sammeln von Spenden für Wohltätigkeitszwecke, Durchführen von Wohltätigkeitsveranstaltungen und -aktionen, „[X.]“ (Registernummer 30 354 100) für das Sammeln von Spenden für Wohltätigkeitszwecke und die Herausgabe von [X.]n, „[X.]“ (Registernummer 30 142 634) und „SOS-PATE“ (Registernummer 30 360 927) für [X.] und das Sammeln von Spenden sowie die Wortmarke „Kinderschutzengel“ (Registernummer 30 616 247) für Broschüren, [X.] oder Spenden sammeln für Dritte.

Der Senat hat dem Anmelder in einem rechtlichen Hinweis vom 19. Mai 2020 seine vorläufige Rechtsauffassung mitgeteilt, wonach die Beschwerde wenig Aussicht auf Erfolg haben dürfte. Der Anmelder hat mit [X.] vom 6. Juli 2020 daraufhin die Markenanmeldung in Bezug auf die Dienstleistungen der Klassen 36 und 41 zurückgenommen, nicht aber im Hinblick auf die beschwerdegegenständlichen Waren der [X.].

Der Anmelder und Beschwerdeführer beantragt daher sinngemäß,

den Beschluss der Markenstelle für Klasse 36 des [X.]s vom 15. November 2018 aufzuheben, soweit die Anmeldung für die Waren „Aufkleber; Aufkleber [Abziehbilder]; Aufkleber, Stickers [Papeteriewaren]; Broschüren; [X.]; Einladungen [[X.]]; Gedruckte Auszeichnungen [Drucksachen]; Gedruckte Broschüren; Gedruckte Eintrittskarten für Veranstaltungen; Gedruckte Zeitschriften; Plakate; Plakate aus Papier; Plakate aus Papier und Pappe; Plakate aus Pappe; Postkarten; Postkarten und Ansichtskarten; Prospekte; Stickers, Aufkleber [Papeteriewaren]; Veranstaltungsprogramme; Zeitschriften; Zeitschriften [Magazine]“ der [X.] zurückgewiesen worden ist.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den angefochtenen Beschluss der Markenstelle, die Schriftsätze des Anmelders, den Hinweis des Senats nebst Anlagen vom 19. Mai 2020 und auf den übrigen Akteninhalt verwiesen.

II.

Die nach § 64 Abs. 6 Satz 1 [X.] i.V.m. § 66 Abs. 1 Satz 1 [X.] statthafte und auch im Übrigen zulässige Beschwerde des Anmelders hat in der Sache keinen Erfolg. Der Eintragung der angemeldeten Bezeichnung „[X.]“ als Marke steht im Zusammenhang mit den zuletzt noch beschwerdegegenständlichen Waren „Aufkleber; Aufkleber [Abziehbilder]; Aufkleber, Stickers [Papeteriewaren]; Broschüren; [X.]; Einladungen [[X.]]; Gedruckte Auszeichnungen [Drucksachen]; Gedruckte Broschüren; Gedruckte Eintrittskarten für Veranstaltungen; Gedruckte Zeitschriften; Plakate; Plakate aus Papier; Plakate aus Papier und Pappe; Plakate aus Pappe; Postkarten; Postkarten und Ansichtskarten; Prospekte; Stickers, Aufkleber [Papeteriewaren]; Veranstaltungsprogramme; Zeitschriften; Zeitschriften [Magazine]“ der [X.] jedenfalls das Schutzhindernis der fehlenden Unterscheidungskraft nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 [X.] entgegen. Die Markenstelle hat der angemeldeten Marke daher insoweit zu Recht die Eintragung versagt (§ 37 Abs. 1 und Abs. 5 [X.]).

1. Unterscheidungskraft im Sinne des § 8 Abs. 2 Nr. 1 [X.] ist die einem Zeichen innewohnende (konkrete) Eignung, vom Verkehr als betrieblicher Herkunftshinweis aufgefasst zu werden. Denn die Hauptfunktion einer Marke liegt darin, die Ursprungsidentität der gekennzeichneten Waren und Dienstleistungen zu gewährleisten (vgl. [X.], [X.], 569 Rn. 10 – [X.]; [X.], 731 Rn. 11 – [X.]; [X.], 1143 Rn. 7 – [X.]; [X.], 270 Rn. 8 – Link economy; [X.], 1100 Rn. 10 – [X.]!; [X.], 825 Rn. 13 – [X.]; [X.], 850, 854 Rn. 18 – [X.]; GRUR 2018, 301 Rn. 11 – [X.]). Auch das Schutzhindernis der fehlenden Unterscheidungskraft ist im Lichte des zugrundeliegenden Allgemeininteresses auszulegen, wobei dieses darin besteht, die Allgemeinheit vor ungerechtfertigten Rechtsmonopolen zu bewahren (vgl. [X.], [X.], 604 Rn. 60 – [X.]; [X.], [X.], 565 Rn. 17 – [X.]). Bei der Beurteilung von [X.] ist maßgeblich auf die Auffassung der beteiligten inländischen Verkehrskreise abzustellen, wobei dies alle Kreise sind, in denen die fragliche Marke Verwendung finden oder Auswirkungen haben kann. Dabei kommt es auf die Sicht des normal informierten und angemessen aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbrauchers im Bereich der einschlägigen Waren und Dienstleistungen (vgl. [X.], [X.], 411 Rn. 24 – Matratzen Concord/[X.]; [X.], 943, 944 Rn. 24 – [X.] 2; [X.], 428 Rn. 30 f. – [X.]; [X.], [X.], 850 – [X.]) zum Zeitpunkt der Anmeldung des Zeichens an (vgl. [X.], [X.], 1143, 1144 Rn. 15 – [X.] werden Fakten; [X.], 872 Rn. 10 – [X.]; [X.], 482 Rn. 22 – test; [X.] [X.] 2010, 439 Rn. 41-57 – Flugbörse).

Hiervon ausgehend besitzen Bezeichnungen keine Unterscheidungskraft, denen die maßgeblichen Verkehrskreise im Zusammenhang mit den beanspruchten Waren und Dienstleistungen lediglich einen im Vordergrund stehenden beschreibenden Begriffsinhalt zuordnen (vgl. [X.] [X.], 850 Rn. 19 – [X.]; [X.] [X.], 674 Rn. 86 – Postkantoor). Darüber hinaus fehlt die Unterscheidungskraft u. a. aber auch solchen Angaben, die sich auf Umstände beziehen, welche die beanspruchten Produkte zwar nicht unmittelbar betreffen, durch die aber ein enger beschreibender Bezug zu dem betreffenden Produkt hergestellt wird ([X.] a. a. O. – [X.]; [X.], 1100 Rn. 23 – [X.]!).

Nach diesen Grundsätzen fehlt der angemeldeten Bezeichnung für die noch beschwerdegegenständlichen Waren der [X.] jegliche Unterscheidungskraft.

Das Markenwort „[X.]“ ist ein für die in erster Linie von den Waren angesprochenen Endverbraucherkreise sprachregelgerecht gebildetes, ohne weiteres verständliches und erkennbar aus den Substantiven „Kindheit“ und „Retter“ zusammengesetztes Kompositum. Ziel der Komposita ist es regelmäßig, einen bestimmten Inhalt in einem Wort zu verdichten, um möglichst konzentriert und komprimiert ein Höchstmaß an Information weiterzugeben (vgl. [X.], Richtiges und gutes [X.], 7. Aufl. 2011, [X.]). Ein „[X.]“ ist insoweit problemlos verständlich im Sinn einer Person oder einer Institution (Organisation), der es darum geht, „(Kindern) die Kindheit zu retten“ (vgl. dazu die ähnlichen Bezeichnungen Lebensretter, Hunderetter, [X.] sowie die als Anlagen 1 und 2 mit dem rechtlichen Hinweis vom 19. Mai 2020 dem Anmelder übermittelten Verwendungsbeispiele).

Es mag zwar sein, dass die Wortzusammensetzung nicht zum allgemein gebräuchlichen [X.] Wortschatz zu zählen ist, das schließt jedoch in keiner Weise ein weithin bestehendes Verständnis der inländischen Verbraucher aus (vgl. insoweit auch u.a. [X.] 25 W (pat) 508/17 – esales; 25 W (pat) 503/17 – [X.]; 26 W (pat) 525/20 – [X.]; 28 W (pat) 501/10 Safetysound – die Entscheidungen des [X.] sind über die Homepage des Gerichts öffentlich zugänglich). Aus Sicht des normal informierten und angemessen aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbrauchers, der daran gewöhnt ist, ständig mit neuen und nicht immer sprachregelgerecht gebildeten Begriffen konfrontiert zu werden, durch die ihm lediglich sachbezogene Informationen in einprägsamer Form übermittelt werden sollen, entspricht die vorliegende sprachregelgerechte Zeichenbildung durchaus dem üblichen Sprachgebrauch. Zudem ist auch der Umstand, dass es sich bei der angemeldeten Bezeichnung möglicherweise um eine von einer Werbeagentur speziell für den Anmelder entwickelte Wortneuschöpfung handelt, für die Frage der Unterscheidungskraft grundsätzlich unerheblich (vgl. [X.]/Hacker/Thiering, [X.], 12. Aufl., § 8 Rn. 198 ff.), da es insoweit allein auf das Verständnis des Verkehrs bei unbefangener Wahrnehmung des Zeichens ankommt.

Das „Recht auf eine Kindheit“ für alle Kinder dieser Welt ist vor mehr als 30 Jahren in der Kinderrechtskonvention der Vereinten Nationen festgeschrieben worden. Bei der Bezeichnung „[X.]“ erschließt sich ohne weiteres, dass es darum geht, Kindern die Kindheit zu retten. Denn das Thema und das Anliegen, die Situation von Kindern auf der ganzen Welt so zu gestalten, dass diese auch Kind sein dürfen, also eine Kindheit ohne Gewalt, Mangelernährung, Kinderarbeit, Zwangsrekrutierung als Kindersoldat etc. erleben, ist nach wie vor sehr aktuell (vgl. die als Anlage 3 dem Anmelder übermittelten Unterlagen zu u.a.: „[X.] vierte Kind hat keine Kindheit“, Bericht einer gemeinnützigen Organisation zur „Verbesserung der Kindheit von Straßenkindern in [X.]“). Dementsprechend gibt die Bezeichnung „[X.]“ schlagwortartig den thematischen Inhalt und Gegenstand der Broschüren, [X.] (auch Einladungen [[X.]]; Gedruckte Auszeichnungen [Drucksachen]; Gedruckte Broschüren; Gedruckte Eintrittskarten für Veranstaltungen; Veranstaltungsprogramme; Prospekte) und Zeitschriften (Magazine) der [X.] an, die sich inhaltlich mit Maßnahmen, Aktivitäten, Studien, Projekten, Hintergrundinformationen, Aktionen oder Veranstaltungen zur „Rettung der Kindheit“ befassen können. Damit handelt es sich insoweit um eine unmittelbar beschreibende Inhalts- und (titelartige) Themenangabe.

Im Zusammenhang mit den weiteren Waren der [X.], Aufkleber; Sticker [Papeteriewaren]; Plakate; Plakate aus Papier und Pappe; Postkarten; Postkarten und Ansichtskarten, werden die angesprochenen Verkehrskreise der Endverbraucher der angemeldeten Bezeichnung ebenso wenig einen Hinweis auf die betriebliche Herkunft der Waren aus einem bestimmten Herstellungsbetrieb entnehmen. Denn durch diese und mit Hilfe dieser Waren werden neben den klassischen Werbebotschaften und -anpreisungen wie „billig!“, „Superpreis“ häufig auch aktuelle Themen in einprägsamer Form transportiert. Bei der angemeldeten Bezeichnung handelt es sich um eine solche schlagwortartige Themenangabe, so dass auch insoweit ein naheliegender Zusammenhang besteht und der Bezeichnung „[X.]“ aufgrund des im Vordergrund stehenden [X.] kein Hinweis auf die betriebliche Herkunft der so gekennzeichneten Waren aus einem bestimmten Herstellungsbetrieb entnommen wird.

Soweit nach der Auffassung des Anmelders jede noch so geringe Unterscheidungskraft zur Überwindung des Schutzhindernisses ausreiche, ist unter Bezugnahme auf die insoweit maßgebliche Rechtsprechung des [X.] anzumerken, dass auch das Schutzhindernis der fehlenden Unterscheidungskraft im Lichte des zugrundeliegenden Allgemeininteresses auszulegen ist, wobei dieses darin besteht, die Allgemeinheit vor ungerechtfertigten Rechtsmonopolen zu bewahren. Die Prüfung der Markenanmeldung muss daher streng und vollständig sein, um ungerechtfertigte Eintragungen zu vermeiden (vgl. [X.], [X.], 1194 Rn. 28 – #darferdas; [X.], 604 Rn. 57, 60 – [X.]; [X.], [X.], 565 Rn. 17 – smartbook; [X.]/Hacker/Thiering, [X.], 12. Aufl., § 8 Rn. 178, 179).

Nach alledem ist davon auszugehen, dass der angesprochene Verkehr die Bezeichnung „[X.]“ im Zusammenhang mit den noch beanspruchten und beschwerdegegenständlichen Waren letztendlich nur als Sachhinweis und nicht als einen Hinweis auf die Herkunft der Waren aus einem bestimmten Unternehmen versteht, so dass die Bezeichnung nicht über die erforderliche Unterscheidungskraft i.S.d. § 8 Abs. 2 Nr. 1 [X.] verfügt.

Auch der Hinweis des Anmelders auf vermeintlich vergleichbare (Vor-) Eintragungen, so beispielweise der Eintragung von „Kinderschutzengel“ oder „[X.]“ etc. rechtfertigt keine andere Beurteilung. Zur Frage der Berücksichtigung von Voreintragungen ist auf die dazu ergangene umfangreiche und gefestigte Rechtsprechung des [X.] (vgl. [X.], 667 – Bild.[X.] u. [X.] unter Hinweis u. a. auf die Entscheidungen [X.] [X.], 229 Rn. 47-51 – [X.]; [X.], 674 Rn. 42-44 – Postkantoor), des [X.] (vgl. [X.], 1093 Rn. 18 – [X.]) und des [X.] (vgl. z.B. [X.], 1175 – [X.]; [X.] 2010, 139 – [X.] und die Senatsentscheidung [X.] 2010, 145 – Linuxwerkstatt) zu verweisen, wonach weder eine Bindungs- noch eine Indizwirkung gegeben ist (vgl. auch [X.]/Hacker/Thiering, [X.], 12. Aufl., § 8 Rn. 72 ff mit zahlreichen weiteren Rechtsprechungsnachweisen). Die Entscheidung über die Schutzfähigkeit einer Marke ist keine Ermessensentscheidung, sondern eine (an das Gesetz) gebundene Entscheidung, wobei selbst identische Voreintragungen nach ständiger Rechtsprechung nicht zu einem Anspruch auf Eintragung führen. Insofern gibt es auch im Rahmen von unbestimmten Rechtbegriffen keine Selbstbindung der Markenstellen des [X.] und erst recht keine irgendwie geartete Bindung für das Gericht. Das Gericht und auch das Patentamt haben in jedem Einzelfall eigenständig zu prüfen und danach eine Entscheidung zu treffen.

Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass ein Eingehen auf rechtliche Feststellungen zu anderen als der konkret angemeldeten Marke weder geboten noch zulässig sind (vgl. insbesondere [X.] [X.], 667 – Bild.[X.] u. [X.] und insoweit [X.] „Schwabenpost“ [X.], 164 – [X.] und [X.], 683 – [X.] durch Rn. 13 ff. überholt). Schließlich ist im Zusammenhang mit bloßen Voreintragungen darauf hinzuweisen, dass insoweit eine inhaltlich-argumentative Auseinandersetzung nicht möglich ist, weil die Eintragungen bzw. Eintragungsentscheidungen regelmäßig nicht begründet werden.

2. Inwieweit der angemeldeten Bezeichnung „[X.]“ jedenfalls im Zusammenhang mit einem Teil der noch beanspruchten und beschwerdegegenständlichen Waren als unmittelbar beschreibende Sachaussage auch das Schutzhindernis nach § 8 Abs. 2 Nr. 2 [X.] entgegensteht, kann dahingestellt bleiben.

Meta

25 W (pat) 522/19

04.11.2020

Bundespatentgericht 25. Senat

Beschluss

Sachgebiet: W (pat)

§ 8 Abs 2 Nr 1 MarkenG

Zitier­vorschlag: Bundespatentgericht, Beschluss vom 04.11.2020, Az. 25 W (pat) 522/19 (REWIS RS 2020, 256)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2020, 256

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

27 W (pat) 552/16 (Bundespatentgericht)

Markenbeschwerdeverfahren – "DER POTT KOCHT" – fehlende Unterscheidungskraft


29 W (pat) 214/10 (Bundespatentgericht)

Markenbeschwerdeverfahren – "POLYMAIL" – Unterscheidungskraft – kein Freihaltungsbedürfnis


29 W (pat) 213/10 (Bundespatentgericht)

Markenbeschwerdeverfahren – "POLYMAIL!" – Unterscheidungskraft – kein Freihaltungsbedürfnis


29 W (pat) 77/11 (Bundespatentgericht)

Markenbeschwerdeverfahren – "Fleißbienchen" – Unterscheidungskraft – kein Freihaltungsbedürfnis


27 W (pat) 19/10 (Bundespatentgericht)

Markenbeschwerdeverfahren – "Handyführerschein" – keine Unterscheidungskraft


Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.