Bundesgerichtshof, Urteil vom 23.11.2017, Az. VII ZR 34/15

7. Zivilsenat | REWIS RS 2017, 1805

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Gegenstand

Bauvertrag: Rechtsmissbräuchliches Sicherungsverlangen des Unternehmers


Leitsatz

Es stellt keine unzulässige Rechtsausübung und auch keinen Verstoß gegen das bauvertragliche Kooperationsgebot dar, wenn dem Sicherungsverlangen des Unternehmers nach § 648a Abs. 1 BGB auch andere Motive als die bloße Erlangung einer Sicherheit zugrunde liegen.

Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 5. Zivilsenats des [X.] vom 17. Februar 2015 aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an einen anderen Senat des Berufungsgerichts zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

Die Parteien streiten nach wechselseitigen Kündigungen über die Abrechnung von vier zwischen der Klägerin und je einer der vier Beklagten unter Einbeziehung der VOB/B geschlossenen Bauverträgen. Mit der Klage macht die Klägerin Restwerklohn für ausgeführte Arbeiten und 5 % der auf die nicht mehr ausgeführten Arbeiten entfallenden Vergütung, außerdem Materialkosten für angeliefertes, aber nicht verbautes Material in Höhe von insgesamt 2.902.635,26 € nebst Zinsen geltend. Mit der Widerklage machen die Beklagten jeweils einen Anspruch bezüglich Mehrkosten für die Fertigstellung in Höhe von insgesamt 12.501.870,90 € nebst Zinsen geltend und begehren die Feststellung, dass die Klägerin verpflichtet ist, weitergehende Mehrkosten für die Fertigstellung zu erstatten.

2

Die Beklagten erteilten der Klägerin jeweils mit Schreiben vom 19. Mai 2011 den Auftrag zum Bau eines Mehrfamilienhauses, einer Tiefgarage und von Außenanlagen zum Pauschalfestpreis von jeweils 7.575.000 €.

3

Nach Aufnahme der Bauarbeiten im April 2011 entstanden Probleme, die von beiden Seiten unterschiedlich geschildert werden. Es ging um die Klärung vermeintlich zusätzlicher Arbeiten, die Gestellung von Plänen nach Zeit und Inhalt, Anforderungen an Fenster und die Behandlung von Sonderwünschen der Erwerber der Eigentumswohnungen.

4

Mit Schreiben vom 28. September 2011 verlangte die Klägerin unter Hinweis auf ihr [X.] von den Beklagten, differenzierend nach den einzelnen Vertragsverhältnissen, Sicherheit gemäß § 648a Abs. 1 BGB in unterschiedlicher Höhe, insgesamt in Höhe von 30.231.739,67 €, unter Fristsetzung bis 7. Oktober 2011. Die Beklagten baten jeweils mit Schreiben vom 6. Oktober 2011 um eine Fristverlängerung bis zum 28. Oktober 2011 und kündigten an, ihren gesetzlichen Verpflichtungen nachzukommen.

5

Wegen der unterbliebenen Übergabe der geforderten Sicherheit kündigte die Klägerin die mit den Beklagten bestehenden Verträge jeweils fristlos gemäß § 648a Abs. 5 Satz 1 BGB mit Schreiben vom 12. Oktober 2011 und erneut mit Schreiben vom 20. Oktober 2011.

6

Die Beklagten forderten die Klägerin jeweils mit Schreiben vom 26. Oktober 2011 auf, die eingestellten Arbeiten unverzüglich, spätestens bis zum 2. November 2011 wieder aufzunehmen und vertragsgerecht fortzuführen. Mangels Wiederaufnahme der Arbeiten seitens der Klägerin erklärten die Beklagten mit Schreiben vom 7. November 2011 jeweils die Kündigung der Bauverträge aus wichtigem Grund.

7

Das [X.] hat durch Grund- und Teilurteil die Klage dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt und die Widerklage der Beklagten abgewiesen.

8

Gegen dieses Urteil haben die Beklagten jeweils Berufung eingelegt, deren Zurückweisung die Klägerin beantragt hat.

9

Außerdem hat die Klägerin in der Berufungsinstanz im Wege der [X.] beantragt festzustellen, dass die Bauverträge durch die Kündigungen der Klägerin vom 12. Oktober 2011, hilfsweise durch die Kündigungen vom 20. Oktober 2011 beendet worden sind. Die Beklagten haben in der Berufungsinstanz im Wege der [X.] jeweils beantragt festzustellen, dass die Verträge durch die Kündigungen der Beklagten vom 7. November 2011 beendet worden sind.

Das Berufungsgericht hat die [X.] der Klägerin abgewiesen und der [X.] der Beklagten stattgegeben. Außerdem hat das Berufungsgericht auf die Berufungen der Beklagten das Urteil des [X.]s aufgehoben und die Sache an das [X.] zurückverwiesen.

Mit der vom Senat zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihre vorinstanzlichen Anträge weiter.

Entscheidungsgründe

Die Revision führt zur Aufhebung des [X.]erufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das [X.]erufungsgericht.

I.

Das [X.]erufungsgericht hat, soweit für die Revision von [X.]edeutung, im Wesentlichen Folgendes ausgeführt:

Die Klägerin könne ihr Vergütungsverlangen entgegen der Auffassung des [X.] nicht auf § 648a Abs. 5 Satz 2 und 3 [X.]G[X.] stützen, da ihre Kündigungen unwirksam seien.

Sie könne sich nach [X.] und Glauben wegen unzulässiger Rechtsausübung nicht auf ihr Sicherungsverlangen berufen, weil dieses unter Verstoß gegen das bauvertragliche Kooperationsgebot erklärt worden sei. Sie habe ihre aus dem Sicherungsverlangen entstandene Rechtsposition unredlich erworben.

Nach dem Ergebnis der vom [X.] durchgeführten [X.]eweisaufnahme stehe fest, dass es der Klägerin bei ihrem Sicherungsverlangen jedenfalls nicht vorrangig darum gegangen sei, eine Sicherheit zu erlangen. Vielmehr habe sie die [X.] zu Verhandlungen über die Abwicklung des [X.]auvorhabens motivieren wollen. Wenn aber die verlangten Sicherheiten das Druckmittel für Verhandlungen sein sollten, müsse das Verlangen denknotwendig im Zuge der Verhandlungen zur Disposition gestellt werden.

Die Strategie der Klägerin sei entweder dahin gegangen, die Verhandlungen während der laufenden Frist zu betreiben - die [X.] hätten die Fristsetzung dann indes nicht mehr als ernstlich betrachten müssen - oder sie sei dahin gegangen, solche Gespräche erst nach Stellung der [X.]ürgschaften oder - mit besserer Ausgangsposition für die Verhandlungen - nach fruchtlosem Fristablauf und Kündigung des Werkvertrags im Zuge von Verhandlungen über einen neuen Vertrag beziehungsweise die Wiederinkraftsetzung des [X.] zu teilweise geänderten Konditionen zu führen.

Das Vorgehen der Klägerin sei, wie auch immer deren Strategie ausgesehen habe, pflichtwidrig gewesen. Die Klägerin sei als Partei eines VO[X.]/[X.] zur Kooperation und daher dazu verpflichtet gewesen, Meinungsverschiedenheiten im [X.] beizulegen und eine einvernehmliche Lösung anzustreben. Die Klägerin, die eine höhere Nachgiebigkeit der [X.] über die Lästigkeit einer [X.]ürgschaftsstellung zu erreichen gesucht habe, hätte deshalb das Sicherungsverlangen zunächst für den Fall der Nichteinigung androhen müssen und es erst nach Scheitern der unter dieser Drohung geführten Verhandlungen stellen dürfen.

Danach kämen [X.] der Klägerin nur hinsichtlich erbrachter Werkleistungen in [X.]etracht und hätten die [X.] gegen die Klägerin dem Grunde nach Ansprüche gemäß § 5 Abs. 4, § 8 Abs. 3 Nr. 1 und 2 VO[X.]/[X.]. In der zweimaligen unberechtigten Kündigung und dem [X.]eharren auf dem Neuabschluss von Verträgen liege eine gemäß § 286 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 3 [X.]G[X.] verzugsbegründende endgültige Erfüllungsverweigerung.

[X.] der Klägerin und die Zwischenfeststellungswiderklage der [X.] seien zulässig. Wie sich aus den vorstehenden Ausführungen ergebe, sei die Kündigung der Klägerin unwirksam und die der [X.] wirksam, so dass die [X.] der Klägerin abzuweisen und der Zwischenfeststellungswiderklage der [X.] stattzugeben sei.

Die Sache sei im Übrigen nach § 538 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4, Nr. 7 ZPO an das [X.] zurückzuverweisen, da eine Entscheidung im Wege eines Teil- und Grundurteils nicht zulässig sei.

II.

Das hält der rechtlichen Überprüfung nicht stand.

1. Mit der vom [X.]erufungsgericht gegebenen [X.]egründung kann die [X.] der Klägerin nicht abgewiesen und der Zwischenfeststellungswiderklage der [X.] nicht stattgegeben werden.

a) Allerdings ist das [X.]erufungsgericht zutreffend davon ausgegangen, dass die Zwischenfeststellungklage und die Zwischenfeststellungswiderklage zulässig sind.

Eine [X.] ist zulässig, wenn beide Parteien mit der Klage und der Widerklage selbständige Ansprüche verfolgen, für die das streitige Rechtsverhältnis vorgreiflich ist, mögen sie auch in ihrer Gesamtheit die Ansprüche erschöpfen, die sich aus dem Rechtsverhältnis überhaupt ergeben können (vgl. [X.], Urteil vom 7. März 2013 - [X.], [X.], 987 Rn. 19 m.w.[X.] = NZ[X.]au 2013, 300). So liegt der Fall hier. [X.] für mit der Klage und der Widerklage geltend gemachte Ansprüche der Parteien ist, ob die [X.]auverträge durch die fristlosen Kündigungen der Klägerin gemäß § 648a Abs. 5 Satz 1 [X.]G[X.] oder durch die von den [X.] aus wichtigem Grund ausgesprochenen Kündigungen beendet worden sind.

b) Die Auffassung des [X.]erufungsgerichts, die auf § 648a Abs. 5 Satz 1 [X.]G[X.] gestützten Kündigungen der Klägerin seien wegen unzulässiger Rechtsausübung (§ 242 [X.]G[X.]) in Verbindung mit einem Verstoß gegen das bauvertragliche Kooperationsgebot unwirksam, ist von Rechtsfehlern beeinflusst.

aa) Mit dem Gesetz zur Sicherung von [X.] und zur verbesserten Durchsetzung von Forderungen (Forderungssicherungsgesetz) vom 23. Oktober 2008 ([X.] I S. 2022) ist die Vorschrift des § 648a [X.]G[X.] grundlegend umgestaltet worden. Nach § 648a Abs. 1 [X.]G[X.] kann der Unternehmer eines [X.]auwerks, einer Außenanlage oder eines Teils davon vom [X.]esteller Sicherheit für die auch in [X.] vereinbarte und nicht gezahlte Vergütung einschließlich dazugehöriger Nebenforderungen, die mit 10 vom Hundert des zu sichernden Vergütungsanspruchs anzusetzen sind, verlangen. Eine dem Sicherungsverlangen vorgängige Androhung oder Ankündigung sieht § 648a Abs. 1 [X.]G[X.] nicht vor. Der Unternehmer ist gemäß § 648a Abs. 5 Satz 1 [X.]G[X.] berechtigt, den Vertrag außerordentlich zu kündigen, wenn er dem [X.]esteller erfolglos eine angemessene Frist zur Leistung der Sicherheit nach § 648a Abs. 1 [X.]G[X.] bestimmt hat. Während der Unternehmer nach der [X.] von § 648a [X.]G[X.] keinen durchsetzbaren Anspruch auf Sicherheitsleistung hatte, gewährt ihm nunmehr die Neufassung einen solchen einklagbaren Anspruch (vgl. [X.], Urteil vom 6. März 2014 - [X.], [X.]Z 200, 274 Rn. 13 m.w.[X.]). Nach neuem Recht hat der Unternehmer die Wahl, ob er bei Nichtleistung der Sicherheit auf die Leistung der Sicherheit klagt oder den Vertrag kündigt (vgl. [X.]T-Drucks. 16/511, S. 17).

Mit der Neufassung der Vorschrift wollte der Gesetzgeber dem Unternehmer die Möglichkeit eröffnen, möglichst schnell und effektiv vom [X.]esteller eine Sicherheit für die vereinbarte und nicht gezahlte Vergütung zu erlangen (vgl. [X.], Urteil vom 6. März 2014 - [X.], [X.]Z 200, 274 Rn. 27 m.w.[X.]). Der Unternehmer kann den Anspruch nach § 648a Abs. 1 [X.]G[X.] nach Vertragsschluss jederzeit geltend machen, unabhängig davon, ob sich die Parteien in einer streitigen Auseinandersetzung befinden. Nach dieser gesetzgeberischen Wertung stellt es keine unzulässige Rechtsausübung und auch keinen Verstoß gegen das bauvertragliche Kooperationsgebot dar, wenn dem Sicherungsverlangen des Unternehmers auch andere Motive als die bloße Erlangung einer Sicherheit zugrunde liegen (vgl. [X.]/[X.], VO[X.] Teile A und [X.], 20. Aufl., Anhang 1 Rn. 146).

bb) Nach diesen Maßstäben ist die Erwägung des [X.]erufungsgerichts, der Klägerin sei es bei ihrem Sicherungsverlangen jedenfalls nicht vorrangig darum gegangen, eine Sicherheit zu erlangen, vielmehr habe sie die [X.] zu Verhandlungen über die Abwicklung des [X.]auvorhabens motivieren wollen, als Grundlage für die Annahme einer unzulässigen Rechtsausübung nicht tragfähig. Gleiches gilt für die weitere Erwägung, die Klägerin hätte das Sicherungsverlangen für den Fall der Nichteinigung androhen müssen und das Sicherungsverlangen erst nach Scheitern der unter Einbeziehung dieser Drohung geführten Verhandlungen stellen dürfen.

cc) Es braucht im Streitfall nicht entschieden werden, ob der Anwendungsbereich des § 648a [X.]G[X.] in Fällen des offensichtlichen Rechtsmissbrauchs zu begrenzen ist (vgl. [X.]/[X.], Privates [X.]aurecht, 2. Aufl., § 648a [X.]G[X.] Rn. 38). Die vom [X.]erufungsgericht getroffenen Feststellungen rechtfertigen die Annahme eines offensichtlichen Rechtsmissbrauchs nicht.

c) Nach den vorstehenden Ausführungen kommt es auf die von der Revision erhobenen Verfahrensrügen gegen die von den Feststellungen des [X.] abweichenden Feststellungen des [X.]erufungsgerichts nicht an.

2. Die Entscheidung des [X.]erufungsgerichts kann danach keinen [X.]estand haben; das Urteil des [X.]erufungsgerichts ist deshalb insoweit aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Der [X.] kann mangels hinreichender Feststellungen des [X.]erufungsgerichts zur Angemessenheit der Frist zur Leistung der Sicherheit weder selbst über die [X.]egründetheit der [X.] und der Zwischenfeststellungswiderklage noch über die [X.]erufungen der [X.] entscheiden. Welche Frist angemessen ist, lässt sich nicht allgemein, sondern nur unter [X.]erücksichtigung der Umstände des Einzelfalls bestimmen (vgl. [X.], Urteil vom 31. März 2005 - [X.], [X.], 1009 f., juris Rn. 13 = NZ[X.]au 2005, 393; Urteil vom 20. Dezember 2010 - [X.], [X.], 514 Rn. 22 = NZ[X.]au 2011, 93). Die Sache ist deshalb an das [X.]erufungsgericht zur neuen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen, wobei der [X.] von der Möglichkeit des § 563 Abs. 1 Satz 2 ZPO Gebrauch macht.

[X.]     

      

Graßnack     

      

Sacher

      

[X.]orris     

      

[X.]renneisen     

      

Meta

VII ZR 34/15

23.11.2017

Bundesgerichtshof 7. Zivilsenat

Urteil

Sachgebiet: ZR

vorgehend OLG Frankfurt, 17. Februar 2015, Az: 5 U 211/13, Urteil

§ 242 BGB, § 648a Abs 1 BGB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 23.11.2017, Az. VII ZR 34/15 (REWIS RS 2017, 1805)

Papier­fundstellen: MDR 2018, 84-85 WM2018,199 REWIS RS 2017, 1805

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