Bundesgerichtshof, Beschluss vom 20.12.2016, Az. X ZB 7/16

10. Zivilsenat | REWIS RS 2016, 428

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Gegenstand

Rechtsbeschwerde im Patentanmeldungsverfahren: Gehörsverletzung bei Absehen von der Einholung eines Sachverständigengutachtens


Tenor

Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des 14. Senats ([X.]) des [X.] vom 3. November 2015 wird zurückgewiesen.

Gründe

1

I. Die Rechtsbeschwerde richtet sich gegen die Zurückweisung einer Patentanmeldung.

2

Die Anmeldung wurde am 27. März 1998 unter Inanspruchnahme einer Priorität vom 27. März 1997 eingereicht und betrifft die Verwendung von [X.] zur Behandlung der [X.]. Anspruch 1 hat in der mit dem Hauptantrag zuletzt geltend gemachten Fassung folgenden Wortlaut:

[X.] zur Anwendung bei der Behandlung der [X.], wobei die [X.] hergerichtet ist zur Injektion in einen fibrösen Dupuytren-Strang einer Hand in einer Gesamtmenge von wenigstens 8000 ABC-Einheiten [X.] in einer Konzentration von etwa 15 000 bis 75 000 ABC-Einheiten pro ml Träger, und zur Ruhigstellung der Hand sofort nach der Injektion für mehrere Stunden.

3

Das Patentamt hat die Anmeldung mit der Begründung zurückgewiesen, der Gegenstand des Anspruchs beruhe nicht auf erfinderischer Tätigkeit. Die erste Beschwerdeentscheidung, mit der das Patentgericht das Rechtsmittel der Anmelderin zurückgewiesen hatte, hat der [X.] auf die vom Patentgericht zugelassene Rechtsbeschwerde aufgehoben ([X.], Beschluss vom 25. Februar 2014 - [X.], [X.]Z 200, 229 = [X.], 461 - [X.] I).

4

Nach Zurückverweisung der Sache hat das Patentgericht die Beschwerde erneut zurückgewiesen. Dagegen wendet sich die Anmelderin mit der vom Patentgericht nicht zugelassenen Rechtsbeschwerde.

5

II. Das zulässige Rechtsmittel ist unbegründet.

6

1. Der Umstand, dass das Patentgericht von der beantragten Einholung eines fachärztlichen Sachverständigengutachtens abgesehen hat, begründet keinen Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG.

7

a) Nach der Rechtsprechung des [X.]s kann der Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt sein, wenn ein technischer Beschwerdesenat von der Einholung eines Sachverständigengutachtens absieht, obwohl es sich aufgrund konkreter Umstände aufdrängt, dass es zur Beurteilung des Sachverhalts der Heranziehung zusätzlicher externer Sachkunde bedarf ([X.], Beschluss vom 26. August 2014 - [X.], [X.], 1235 Rn. 8 f. - Kommunikationsrouter).

8

b) Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde sind diese Voraussetzungen im Streitfall nicht erfüllt.

9

aa) Das Patentgericht hat entschieden, dass als Fachmann, dessen Kenntnisse für die Beurteilung der Patentfähigkeit maßgeblich sind, ein Team anzusehen ist, dem ein in der Entwicklung von Arzneistoffen erfahrener Chemiker oder Pharmazeut, ein pharmazeutischer Technologe sowie ein in der Forschung tätiger Facharzt der Orthopädie angehören. Seine Beurteilung, es habe nahegelegen, die Hand des Patienten nach der Injektion ruhigzustellen, hat es auf die Erwägung gestützt, zumindest der zum Team gehörende Chemiker oder Pharmazeut werde aufgrund seines Wissens um die Verteilung von Wirkstoffen im Körper von vornherein im Blick haben, dass die angestrebte Wirkung verbessert werde, wenn die Eliminierung des Wirkstoffs am ins Auge gefassten Wirkort vermindert werde.

bb) Von diesem Ausgangspunkt aus drängte sich die Einholung eines fachärztlichen Gutachtens nicht auf.

Die Anmelderin hat zwar geltend gemacht, aus ärztlicher Sicht sei das Ruhigstellen der Hand weder als zum Standard-Repertoire gehörend anzusehen noch aus sonstigen Gründen nahegelegt. Diese Argumentation hat das Patentgericht aber als rechtlich unerheblich qualifiziert, weil es das Wissen eines Chemikers oder Pharmazeuten als ausschlaggebend angesehen hat. Angesichts dessen gab es keine sich aufdrängende Veranlassung, auf die externe Sachkunde eines Facharztes zurückzugreifen.

Ob der rechtliche Ausgangspunkt des Patentgerichts inhaltlich zutreffend ist, bedarf im vorliegenden Zusammenhang keiner Entscheidung. Art. 103 Abs. 1 GG ist nicht verletzt, wenn ein Gericht deshalb von einer beantragten Beweisaufnahme absieht, weil es die unter Beweis gestellte Tatsache für unerheblich hält. Dies gilt grundsätzlich unabhängig davon, ob die Auffassung des Gerichts auf einer zutreffenden rechtlichen Beurteilung beruht.

Die Grenze des verfassungsrechtlich Zulässigen wird erst dann überschritten, wenn ein Beweisantrag in willkürlicher Weise als unerheblich qualifiziert wird ([X.] NVwZ 2008, 778 Rn. 13). Diese Voraussetzung ist im Streitfall nicht erfüllt.

2. Der angefochtenen Entscheidung fehlt es nicht an einer hinreichenden Begründung.

a) Nach der ständigen Rechtsprechung des [X.]s rechtfertigt eine sachlich fehlerhafte, unvollständige oder unschlüssige Begründung nicht die zulassungsfreie Rechtsbeschwerde nach § 100 Abs. 3 Nr. 6 [X.]. Eine Entscheidung ist vielmehr nur dann im Sinne der genannten Vorschrift nicht mit Gründen versehen, wenn eines von mehreren selbständigen Angriffs- oder Verteidigungsmitteln bei der Begründung übergangen ist.

Ein selbständiges Angriffs- oder Verteidigungsmittel in diesem Sinne ist nur bei einem solchen Tatbestand gegeben, der für sich allein rechtsbegründend, rechtsvernichtend, rechtshindernd oder rechtserhaltend wäre. Dazu gehört die Frage der erfinderischen Tätigkeit, nicht jedoch ein einzelner Gesichtspunkt, der für deren Bejahung oder Verneinung in Betracht zu ziehen ist ([X.], Beschluss vom 15. April 2010 - [X.], [X.], 950 Rn. 8 - [X.]). Deshalb ist eine Beschwerdeentscheidung nicht schon deshalb nicht mit Gründen versehen, weil das Patentgericht nicht näher dargelegt hat, welches technische Problem der Erfindung zugrunde liegt ([X.], Beschluss vom 12. Oktober 1976 - [X.], GRUR 1977, 214, 215 - Aluminiumdraht), oder weil es eine einzelne Entgegenhaltung unerwähnt gelassen hat ([X.], Beschluss vom 10. August 2011 - [X.], [X.], 1055 Rn. 6 - Formkörper mit Durchtrittsöffnungen).

b) Im Streitfall hat das Patentgericht seine Auffassung, der beanspruchte Gegenstand sei nicht patentfähig, im Einzelnen begründet. Die nach Ansicht der Rechtsbeschwerde übergangene Frage, ob der Fachmann aufgrund der im angefochtenen Beschluss dargestellten Kenntnisse Anlass hatte, das Ruhigstellen der Hand als Mittel zur verbesserten Anwendung in Betracht zu ziehen, stellt nur einen einzelnen Gesichtspunkt für die Beurteilung der Patentfähigkeit dar, nicht hingegen ein selbständiges Angriffs- oder Verteidigungsmittel im aufgezeigten Sinne.

3. Art. 103 Abs. 1 GG ist auch nicht aus anderen Gründen verletzt.

a) Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde brauchte das Patentgericht nicht ausdrücklich auf das Vorbringen der Anmelderin einzugehen, ein Ruhigstellen des betroffenen Körperteils habe bei intravenösen Injektionen in der Regel keinen und bei intramuskulären oder subkutanen Injektionen allenfalls beschränkten und von den jeweiligen Umständen abhängigen Einfluss auf die Verteilung des Wirkstoffs.

Das Patentgericht hat für den beanspruchten Gegenstand als entscheidend angesehen, dass die Injektion in fibröse Stränge erfolgt, die aufgrund ihrer dichten Struktur den Wirkstoff nur unzureichend aufnehmen. Von diesem Ausgangspunkt aus kommt der Frage, ob ein Ruhigstellen auch bei anderen Injektionsformen vorteilhaft sein kann, keine ausschlaggebende Bedeutung zu. Eine ausdrückliche Befassung mit diesem Gesichtspunkt war schon deshalb entbehrlich, weil auch die Anmelderin geltend gemacht hat, die Verteilung des injizierten Stoffs hänge von den konkreten Umständen ab, unter denen die Injektion erfolge.

b) Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde hat das Patentgericht die Argumentation der Anmelderin, der Fachmann hätte im Hinblick auf die zu erwartende erhöhte lokale Toxizität und Verletzungsgefahr für benachbarte gesunde Gewebestrukturen von einem Ruhigstellen der Hand abgesehen, nicht übergangen.

Das Patentgericht hat diese Argumentation als nicht stichhaltig angesehen, weil [X.] im Stand der Technik stets als nicht toxisch bzw. gut toleriert beschrieben worden sei und deshalb keine besonderen Schwierigkeiten erkennbar seien, die den Fachmann von Versuchen abgehalten hätten, die in Rede stehende Maßnahme hinsichtlich ihrer Wirkung zu überprüfen.

Damit ist das Patentgericht auf [X.] des Vorbringens eingegangen. Es hat zwar nicht zwischen den von der Anmelderin in den Vordergrund gestellten Gefahren für unmittelbar benachbarte Gewebestrukturen und sonstigen Gefahren differenziert. Eine solche Differenzierung war von seinem Ausgangspunkt aus aber auch nicht zwingend geboten.

4. Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst (vgl. § 109 Abs. 1 Satz 1 [X.], § 22 Abs. 1 GKG).

III. Eine mündliche Verhandlung erachtet der [X.] nicht als erforderlich (§ 107 Abs. 1 Halbsatz 2 [X.]).

Meier-Beck      

        

Grabinski      

        

[X.]

        

Schuster      

        

Kober-Dehm      

        

Meta

X ZB 7/16

20.12.2016

Bundesgerichtshof 10. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZB

vorgehend BPatG München, 3. November 2015, Az: 14 W (pat) 12/09, Beschluss

Art 103 Abs 1 GG, § 100 Abs 3 Nr 6 PatG

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 20.12.2016, Az. X ZB 7/16 (REWIS RS 2016, 428)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2016, 428


Verfahrensgang

Der Verfahrensgang wurde anhand in unserer Datenbank vorhandener Rechtsprechung automatisch erkannt. Möglicherweise ist er unvollständig.

Az. X ZB 7/16

Bundesgerichtshof, X ZB 7/16, 20.12.2016.


Az. 14 W (pat) 12/09

Bundespatentgericht, 14 W (pat) 12/09, 03.11.2015.

Bundespatentgericht, 14 W (pat) 12/09, 11.12.2012.


Az. X ZB 5/13

Bundesgerichtshof, X ZB 5/13, 25.02.2014.


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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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Referenzen
Wird zitiert von

X ZB 7/16

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X ZB 5/13

X ZB 19/12

X ZA 1/11

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