Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 18.11.2015, Az. 5 AZR 751/13

5. Senat | REWIS RS 2015, 2141

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Gegenstand

Vergütungsvereinbarung - Sittenwidrigkeit


Tenor

1. Auf die Revision des [X.] wird das Urteil des [X.] vom 14. Mai 2013 - 5 [X.] - aufgehoben.

2. Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Revision - an das [X.] zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Die [X.]arteien streiten über weiteres Entgelt.

2

Der Beklagte betreibt in [X.] ([X.]) eine Kfz-Werkstatt nebst Gebrauchtteilehandel und Abschleppdienst. [X.]annenhilfe und das Abschleppen liegen gebliebener Fahrzeuge bietet er - unter „Abschleppdienst S“ - auch von [X.] aus an.

3

Der Kläger war im Kleinbetrieb des Beklagten vom 1. Dezember 2009 bis zum 30. April 2012 als Fahrer für den Abschleppdienst und [X.]annenhelfer beschäftigt und in [X.] eingesetzt. Er verdiente 1.000,00 Euro netto monatlich.

4

Grundlage des Arbeitsverhältnisses war der [X.] vom 24. November 2009, in dem es auszugsweise heißt:

        

„§ 2  

        

Arbeitsentgelt

        

1.    

Der Arbeitnehmer erhält eine Nettovergütung in Höhe von 1000,00 € monatlich in der bereits 30 Einsätze/Monat (außerhalb der normalen Arbeitszeit) enthalten sind. Not- und Bereitschaftsdienst wird nicht gesondert vergütet.

                 

Außerdem erhält der Arbeitnehmer eine Zulage für zusätzliche Einsätze während der Bereitschaftszeit:

                          

- [X.]annenhilfe [X.]KW

10€/Brutto/Auftrag

                          

- Abschleppen [X.]KW

10€/Brutto/Stunde

                                            
        

2.    

Die Zulage ist jederzeit frei widerruflich und kann bei Tariflohn- und Ortsklassenänderungen aufgerechnet werden. Auch bei mehrmaliger Zahlung durch den Arbeitgeber erwirbt der Arbeitnehmer keinen Rechtsanspruch auf Zahlung der Zulage.

        

3.    

Die Zahlung des Arbeitsentgelts erfolgt bis zum 10. des Folgemonats der Beschäftigung. [X.]. anfallende Zulagen werden am 10. des darauf folgenden Monats auf das Konto des Mitarbeiters überwiesen. Die Lohnabrechnung wird ebenfalls zum 10. ausgehändigt.

        

…       

        
        

§ 9    

        

Besondere Vereinbarungen

        

1.    

Der unterzeichnende Arbeitnehmer erklärt sich unwiderruflich bereit, im Wechsel mit den anderen Kollegen der Werkstatt die [X.] und den damit anfallenden [X.] aufrecht zu erhalten.

        

…       

        
        

7.    

Für die Übernahme der [X.] wird ein [X.]auschal-Entgelt bezahlt, dessen Höhe frei vom Arbeitgeber festgesetzt wird. Zur Frage des Rechtsanspruches einer solchen Vergütung wird auf § 2 Abs. 2 dieses Vertrags verwiesen.

        

8.    

[X.] oder des Arbeitnehmers müssen angefallene Überstunden und deren Zuschläge als Freizeit genommen werden (siehe § 3 des Manteltarifvertrages). Eine abweichende Regelung muss schriftlich vereinbart werden.

        

…       

        
        

11.     

Der Arbeitnehmer verpflichtet sich, auf Verlangen des Arbeitgebers einen Doppel-Telefonanschluss zu unterhalten, um während der [X.] immer erreichbar zu sein. Über die hierdurch entstehenden Einrichtungskosten ist eine einvernehmliche Kostentragungspflicht zu treffen.

        

…       

        
        

§ 12  

        

Erlöschen von Ansprüchen

        

Ansprüche aus diesem Vertrag und aus dem Arbeitsverhältnis erlöschen, wenn sie nicht innerhalb von 3 Wochen nach dem Ausscheiden des Arbeitnehmers aus dem Arbeitsverhältnis schriftlich gegenüber dem Arbeitgeber erhoben sowie innerhalb von weiteren 3 Wochen, also insgesamt 6 Wochen nach dem Ausscheiden, klageweise geltend gemacht werden.

        

…       

        

§ 16  

        

Zusatzvereinbarungen

        

Es wird weiterhin vereinbart, dass der Arbeitnehmer jede 2. Woche den [X.] übernimmt. Ist genügend anderes einsatzfähiges [X.]ersonal vorhanden, verringert sich diese Einsatzzeit entsprechend.“

5

Die Normalarbeitszeit des [X.] betrug 40 Wochenstunden, verteilt auf die Arbeitstage Montag bis Freitag. Dabei fuhr der Kläger in der Regel zwei bis drei Einsätze arbeitstäglich, bei schlechten Witterungsverhältnissen öfter. Ansonsten widmete er sich während der Normalarbeitszeit dem Reinigen des [X.] und dem Verkauf im [X.]. Der Kläger wurde für Bereitschaften eingeteilt, während derer er auf Anruf [X.]annenhilfe leisten musste. In welchem Umfang der Kläger dabei [X.] verrichtete, ist streitig geblieben.

6

Der Kläger hat mit der dem Beklagten am 21. August 2012 zugestellten Klage - soweit für die Revision von Belang - geltend gemacht, die vereinbarte Vergütung von 1.000,00 Euro netto monatlich sei zwar für die Normalarbeitszeit nicht zu beanstanden, werde aber durch die umfangreichen, nicht gesondert vergüteten Bereitschaften sittenwidrig niedrig. Deshalb stünde ihm eine übliche Vergütung von 1.992,00 Euro brutto monatlich zu. Zumindest seien Überarbeit und passive Bereitschaft zusätzlich zu vergüten. Er habe im [X.] 516 Stunden „Einsatzzeit“ geleistet.

7

Der Kläger hat - soweit für die Revision von Belang - beantragt,

        

den Beklagten zu verurteilen, an den Kläger weiteres Arbeitsentgelt iHv. 55.768,00 Euro brutto abzüglich gezahlter 27.000,00 Euro netto nebst Zinsen iHv. fünf [X.]rozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 22. August 2012 zu zahlen.

8

Der Beklagte hat Klageabweisung beantragt und geltend gemacht, das vereinbarte Entgelt halte sich im Rahmen des Üblichen und sei auch unter Berücksichtigung der Bereitschaften nicht sittenwidrig niedrig. Zumindest fehle es an den subjektiven Anforderungen des Lohnwuchers und des wucherähnlichen Geschäfts.

9

Das Arbeitsgericht hat - soweit für die Revision von Belang - den Beklagten zur Zahlung von 2.000,00 Euro netto nebst Zinsen verurteilt und im Übrigen die Klage abgewiesen. Das [X.] hat die Berufung des [X.] zurückgewiesen. Mit der vom [X.] zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seinen Klageantrag weiter.

Entscheidungsgründe

Die Revision des [X.] ist begründet. Das [X.] hat die Berufung des [X.] gegen das die Klage abweisende Urteil des Arbeitsgerichts zu Unrecht in vollem Umfang zurückgewiesen. Die vereinbarte Vergütung ist zwar nicht nach § 138 Abs. 1 oder Abs. 2 BGB nichtig, doch hat der Kläger Anspruch auf gesonderte Vergütung der geleisteten Bereitschaften. In welcher Höhe die Klage insoweit begründet ist, kann der Senat aufgrund der bisherigen Feststellungen des [X.]s nicht entscheiden. Das führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das [X.] (§ 562 Abs. 1, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO).

I. Der Kläger hat keinen Anspruch auf weitere Vergütung für während der Normalarbeitszeit geleistete Arbeit unter dem Gesichtspunkt der Sittenwidrigkeit.

1. Der objektive Tatbestand sowohl des Lohnwuchers (§ 138 Abs. 2 BGB) als auch der des wucherähnlichen Geschäfts (§ 138 Abs. 1 BGB) setzt ein auffälliges Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung voraus. Ein solches ist regelmäßig anzunehmen, wenn die Arbeitsvergütung nicht einmal zwei Drittel eines in dem Wirtschaftszweig üblicherweise gezahlten [X.] erreicht (st. Rspr. seit [X.] 22. April 2009 - 5 [X.] - Rn. 14 ff., [X.]E 130, 338). Dasselbe gilt, wenn bei fehlender Maßgeblichkeit der Tarifentgelte die vereinbarte Vergütung mehr als ein Drittel unter dem Lohnniveau, das sich für die auszuübende Tätigkeit in der Wirtschaftsregion gebildet hat, bleibt ([X.] 19. August 2015 - 5 [X.] - Rn. 26 f. mwN).

In subjektiver Hinsicht verlangt der Tatbestand des Lohnwuchers eine Ausbeutung der Zwangslage, der Unerfahrenheit, des Mangels an Urteilsvermögen oder der erheblichen Willensschwäche eines anderen. Der subjektive Tatbestand des wucherähnlichen Geschäfts erfordert in der Regel eine verwerfliche Gesinnung des Arbeitgebers ([X.] 16. Mai 2012 - 5 [X.] - Rn. 30 mwN, [X.]E 141, 324). Dazu hat der Senat eine Vermutungsregel entwickelt. Ist der objektive Wert einer Arbeitsleistung mindestens doppelt so hoch wie der Wert der Gegenleistung, gestattet dieses besonders grobe Missverhältnis den tatsächlichen Schluss auf eine verwerfliche Gesinnung des Arbeitgebers iSv. § 138 Abs. 1 BGB. Andernfalls muss der Arbeitnehmer zusätzliche Umstände, aus denen geschlossen werden kann, der Arbeitgeber habe die Not oder einen anderen den Arbeitnehmer hemmenden Umstand in verwerflicher Weise zu seinem Vorteil ausgenutzt, darlegen und im Streitfall beweisen ([X.] 16. Mai 2012 - 5 [X.] - Rn. 35 ff., [X.]E 141, 348).

Diese Voraussetzungen hat der Kläger nicht dargelegt. Er geht vielmehr selbst davon aus, dass in der Wirtschaftsregion Mecklenburg-Vorpommern für die vereinbarte Tätigkeit bei einer Normalarbeitszeit von 40 Wochenstunden ein Monatsentgelt von 1.000,00 Euro netto nicht sittenwidrig niedrig ist.

2. Eine sittengemäße Vergütung für die in der Normalarbeitszeit geleistete Arbeit kann nicht dadurch zur sittenwidrigen werden, dass der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer in Verkennung der Rechtslage Vergütung von Mehrarbeit und Sonderformen der Arbeit vorenthält. Vielmehr sieht die Rechtsordnung in einem solchen Fall einen Anspruch auf - zusätzliche - Vergütung geleisteter Mehr- und Sonderarbeit vor.

a) Ob der Wert der Arbeitsleistung in einem auffälligen oder besonders groben Missverhältnis zur versprochenen Vergütung steht, beurteilt sich grundsätzlich nach einer Gesamtbetrachtung der vom Arbeitnehmer nach dem Arbeitsvertrag geschuldeten Arbeitsleistung und des vom Arbeitgeber dafür zu zahlenden Entgelts. Maßgebend ist der Vergleich zwischen dem objektiven Wert der Arbeitsleistung und der „faktischen“ Höhe der Vergütung, die sich aus dem Verhältnis von geschuldeter Arbeitszeit und versprochener Vergütung für eine bestimmte Abrechnungsperiode ergibt ([X.] 17. Oktober 2012 - 5 [X.] - Rn. 20, [X.]E 143, 212).

b) Das bedeutet jedoch nicht, dass es dabei nur auf die tatsächlich vom Arbeitgeber gezahlte Vergütung ankommt. Denn es geht bei § 138 BGB nicht um ein unsittliches Faktum oder Verhalten, sondern um die Sittenwidrigkeit eines Rechtsgeschäfts. Maßgebend ist, was der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer für die abverlangte Arbeit nach der arbeitsvertraglichen Vereinbarung und der Rechtsordnung schuldet. Sind einzelne Abreden (wie zB eine Klausel zur Pauschalvergütung von Überstunden) bereits aus anderen Gründen rechtsunwirksam mit der Folge, dass dem Arbeitnehmer insoweit ein gesonderter Entgeltanspruch erwächst (zB Überstundenvergütung nach § 612 Abs. 1 BGB), bleibt dies bei der Prüfung der Sittenwidrigkeit außer Betracht. Ihr unterliegen nur diejenigen Teile der arbeitsvertraglichen Vergütungsvereinbarung, die - die zu prüfende Sittenwidrigkeit hinweg gedacht - ansonsten rechtswirksam sind.

3. Der arbeitsvertraglich vorgesehene teilweise Ausschluss einer - gesonderten - Vergütung von Mehrarbeit und Sonderformen der Arbeit ist unwirksam.

a) Nach § 2 Nr. 1 Satz 1 Arbeitsvertrag soll in dem Monatsentgelt von 1.000,00 Euro netto die Vergütung für „30 Einsätze/Monat (außerhalb der normalen Arbeitszeit)“ enthalten sein. Damit enthält die Vereinbarung eine Pauschalvergütung für Überstunden, die außerhalb der Normalarbeitszeit für [X.] im zeitlichen Umfang der Dauer von 30 Einsätzen im Monat anfallen. § 2 Nr. 1 Satz 2 Arbeitsvertrag sieht vor, dass „Not- und Bereitschaftsdienst“ nicht gesondert vergütet wird.

b) Bei den Klauseln des Arbeitsvertrags handelt es sich, wovon auch das [X.] ausgegangen ist, um Allgemeine Geschäftsbedingungen. Dafür begründet bereits das äußere Erscheinungsbild eine tatsächliche Vermutung (vgl. [X.] 17. August 2011 - 5 [X.] - Rn. 11 mwN, [X.]E 139, 44), der keine der Parteien entgegengetreten ist.

Zudem sind sich die Parteien einig, dass der Kläger in einem Vollzeitarbeitsverhältnis stand und eine Normalarbeitszeit von 40 Wochenstunden vereinbart war, auch wenn dies im Arbeitsvertrag nicht ausdrücklich festgehalten wurde. Dies bestätigt die vom [X.] festgestellte tatsächliche Handhabung der Parteien und entspricht im Übrigen dem Umstand, dass ein vollzeitbeschäftigter Arbeitnehmer bei Fehlen einer ausdrücklichen Bestimmung der Dauer der Arbeitszeit im Formulararbeitsvertrag davon ausgehen darf, dass die regelmäßige Dauer der Arbeitszeit - unter Zugrundelegung einer Fünf-Tage-Woche und den in § 3 Satz 1 [X.] vorgesehenen acht Stunden arbeitstäglich - 40 Wochenstunden nicht übersteigt (vgl. [X.] 25. März 2015 - 5 [X.] - Rn. 14).

c) Soweit der Arbeitsvertrag eine Pauschalvergütung von Überstunden und „Not- und Bereitschaftsdienst“ vorsieht, sind die Klauseln des § 2 Nr. 1 Satz 1 und Satz 2 Arbeitsvertrag mangels hinreichender Transparenz unwirksam, § 307 Abs. 3 Satz 2 iVm. Abs. 1 Satz 2 BGB.

aa) Eine Klausel zur Pauschalvergütung von Überstunden ist nur klar und verständlich, wenn sich aus dem Arbeitsvertrag selbst ergibt, welche Arbeitsleistung in welchem zeitlichen Umfang von ihr erfasst werden soll. Der Arbeitnehmer muss bereits bei Vertragsabschluss erkennen können, was gegebenenfalls „auf ihn zukommt“ und welche Leistung er für die vereinbarte Vergütung maximal erbringen muss ([X.] 16. Mai 2012 - 5 [X.] - Rn. 21 mwN, [X.]E 141, 324). Dasselbe gilt, wenn Sonderformen der Arbeit wie Arbeitsbereitschaft, Bereitschaftsdienst oder Rufbereitschaft außerhalb der Normalarbeitszeit erbracht werden müssen und mitvergütet sein sollen.

bb) Nach diesen Grundsätzen sind die Klauseln nicht klar und verständlich. Der Arbeitnehmer kann § 2 Nr. 1 Satz 1 Arbeitsvertrag nicht entnehmen, in welchem zeitlichen Umfang er bei „30 Einsätzen/Monat“ zusätzlich über die Normalarbeitszeit hinaus [X.] leisten muss. § 2 Nr. 1 Satz 2 Arbeitsvertrag lässt den Arbeitnehmer zwar wissen, dass „Not- und Bereitschaftsdienst“ nur insoweit gesondert vergütet werden soll, als er ab dem 31. Einsatz im Monat die in § 2 Nr. 1 Satz 3 Arbeitsvertrag vorgesehene „Zulage“ erhält. Unklar bleibt aber, in welchem zeitlichen Umfang er in der Abrechnungsperiode „Monat“ außerhalb der Normalarbeitszeit [X.] leisten oder sich dafür bereithalten muss, um in den Genuss der Vergütung nach § 2 Nr. 1 Satz 3 Arbeitsvertrag zu kommen.

Zudem sorgt § 9 Arbeitsvertrag für zusätzliche Unklarheit. Denn dort verpflichtet sich der Kläger zu „[X.]“ (Nr. 1), für deren Übernahme ein „[X.]“ vorgesehen ist (Nr. 7), es bleibt aber im Dunkeln, wann im Sinne des Klauselverwenders „Not- und Bereitschaftsdienst“ und wann „[X.]“ vorliegen soll. Schließlich sieht § 9 Nr. 8 Arbeitsvertrag vor, „angefallene Überstunden und deren Zuschläge“ müssten auf Verlangen „als Freizeit genommen“ werden, ohne dass an irgendeiner Stelle des Arbeitsvertrags klar und deutlich werden würde, welche Überstunden trotz der Pauschalvergütung in § 2 Arbeitsvertrag gleichwohl in Form von Freizeitausgleich vergütet werden.

II. Der Kläger hat Anspruch auf gesonderte Vergütung der geleisteten Bereitschaften und der dabei angefallenen [X.], und zwar unabhängig davon ob es sich - was sich aus den Feststellungen des [X.]s nicht zweifelsfrei nachvollziehen lässt - bei den Bereitschaften im Rechtssinne um Bereitschaftsdienst oder Rufbereitschaft gehandelt hat (zu den Unterschieden [X.] 19. November 2014 - 5 [X.] - Rn. 16, 18 mwN; zum Umschlagen von Rufbereitschaft in Bereitschaftsdienst s. [X.] 22. Januar 2004 - 6 [X.] - zu II 2 c der Gründe; [X.]/[X.] 15. Aufl. § 2 [X.] Rn. 30; [X.]/[X.] [X.] 8. Aufl. § 2 Rn. 21). Dies ergibt sich bereits aus dem Arbeitsvertrag. Die in der dortigen Regelung zur Vergütung von Bereitschaften enthaltenen Widersprüche und Lücken sind vom [X.] im erneuten Berufungsverfahren - gegebenenfalls nach ergänzendem Sachvortrag der Parteien - im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung zu beheben.

1. Für Sonderformen der Arbeit kann eine gesonderte Vergütungsregelung getroffen und ein geringeres Entgelt als für [X.] vorgesehen werden (vgl. [X.] 20. April 2011 - 5 [X.] - Rn. 32, [X.]E 137, 366; 19. November 2014 - 5 [X.] - Rn. 16). Diese Möglichkeit greift das Regelungskonzept des Arbeitsvertrags - ohne weitere Differenzierung nach Bereitschaftsdienst und Rufbereitschaft - auf. Danach soll [X.] in der Bereitschaft zum Teil mit der Vergütung für die Arbeit in der Normalarbeitszeit abgegolten sein, zum Teil mit der „Zulage“ nach § 2 Nr. 1 Satz 3 Arbeitsvertrag entlohnt werden. In gewissem Widerspruch dazu geht § 9 Nr. 8 Arbeitsvertrag mit der Regelung zum Freizeitausgleich für „angefallene Überstunden und deren Zuschläge“ von einer unbeschränkten Vergütung von Überstunden aus. Schließlich ist für das „Sich-Bereithalten“ außerhalb eines Einsatzes in § 9 Nr. 7 Satz 1 Arbeitsvertrag ein „[X.]“ vorgesehen.

2. Dieses Regelungskonzept ist insoweit misslungen, als die Parteien damit ihr Ziel, für Bereitschaften eine in sich geschlossene gesonderte Vergütungsregelung zu schaffen, nicht vollständig erreicht haben. Der Pauschalvergütung eines Teils der [X.] in der Bereitschaft steht die mangelnde Transparenz (§ 307 Abs. 1 Satz 2 BGB) und die Widersprüchlichkeit zur Regelung des § 9 Nr. 8 Arbeitsvertrag entgegen, während für die „inaktive Bereitschaft“ es der Beklagte versäumt hat, das arbeitsvertraglich vorgesehene „Pauschalentgelt“ festzusetzen.

Das Regelungskonzept der Parteien zur gesonderten Vergütung von Bereitschaften ist somit planwidrig unvollständig, wobei unerheblich ist, ob die [X.] von Anfang an bestanden hat oder infolge nachträglicher Umstände eingetreten ist (vgl. [X.] 28. Oktober 2015 - [X.]/12 - Rn. 69 mwN). Zur Verwirklichung des Regelungsplans der Parteien ist deshalb eine ergänzende Vertragsauslegung geboten. Diese hat sich nicht nur an dem hypothetischen Parteiwillen, sondern auch an dem objektiven Maßstab von [X.] und Glauben zu orientieren. Maßgeblich ist, was die Parteien bei einer angemessenen, objektiv-generalisierenden Abwägung ihrer Interessen nach [X.] und Glauben als redliche Parteien vereinbart hätten (vgl. [X.] 25. Juni 2015 - 6 [X.] - Rn. 39; [X.] 28. Oktober 2015 - [X.]/12 - Rn. 72 - jeweils mwN).

3. Nach diesen Grundsätzen muss das [X.] - nach Gewährung rechtlichen Gehörs - ermitteln, wie die Parteien die Vergütungsregelung für zu leistende Bereitschaften redlicher Weise vervollständigt hätten, wäre ihnen die [X.] der getroffenen Regelung bewusst gewesen.

III. Der Anspruch des [X.] auf zusätzliche Vergütung der geleisteten Bereitschaften ist nicht nach der Ausschlussfristenregelung des § 12 Arbeitsvertrag verfallen. Das [X.] hat zu Recht angenommen, dass die Klausel der Kontrolle nach § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB nicht standhält, weil die Kürze der Fristen auf beiden Stufen den Kläger entgegen den Geboten von [X.] und Glauben unangemessen benachteiligte (vgl. [X.] 25. Mai 2005 - 5 [X.] - [X.]E 115, 19; 28. September 2005 - 5 [X.] - [X.]E 116, 66).

        

    Müller-Glöge    

        

    Biebl    

        

    Volk    

        

        

        

    Reinders    

        

    Ilgenfritz-Donné    

                 

Meta

5 AZR 751/13

18.11.2015

Bundesarbeitsgericht 5. Senat

Urteil

Sachgebiet: AZR

vorgehend ArbG Schwerin, 25. Oktober 2012, Az: 6 Ca 640/12, Urteil

§ 138 Abs 1 BGB, § 138 Abs 2 BGB, § 307 Abs 1 S 2 BGB

Zitier­vorschlag: Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 18.11.2015, Az. 5 AZR 751/13 (REWIS RS 2015, 2141)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2015, 2141

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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