Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 11.10.2017, Az. 5 AZR 591/16

5. Senat | REWIS RS 2017, 4095

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Mindestlohn - Vergütung von Bereitschaftszeiten


Tenor

1. Die Revision des [X.] gegen das Urteil des [X.] vom 28. Juli 2016 - 5 [X.] - wird zurückgewiesen.

2. Der Kläger hat die Kosten der Revision zu tragen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über eine (zusätzliche) Vergütung von [X.] mit dem gesetzlichen Mindestlohn.

2

Der Kläger ist seit dem 1. April 2013 beim Beklagten als Rettungsassistent beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien findet der zwischen der [X.] und [X.] geschlossene DRK-Reformtarifvertrag (Teil A) über Arbeitsbedingungen für Angestellte, Arbeiter und Auszubildende des [X.] idF des 41. [X.] vom 16. Juni 2014 ([X.]) Anwendung. Der Kläger erhält Vergütung nach [X.] 7 Stufe 2 [X.]. Im Streitzeitraum betrug das Tabellenentgelt 2.446,41 Euro brutto monatlich.

3

Im Januar 2015 sowie in den Monaten März bis September 2015 leistete der Kläger insgesamt 318,2 Stunden Arbeitsbereitschaft.

4

Nach dem [X.] beträgt die regelmäßige Arbeitszeit für die im Rettungsdienst beschäftigten Mitarbeiter wöchentlich 38,5 Stunden (§ 12 Abs. 1 [X.]). Sie kann bis zu zwölf Stunden täglich und durchschnittlich 48 Stunden wöchentlich verlängert werden, wenn in sie regelmäßig eine Arbeitsbereitschaft von durchschnittlich mindestens drei Stunden täglich fällt (§ 12 Abs. 6 Buchst. b [X.]). Von dieser Option machte der Beklagte Gebrauch, wobei im Streitzeitraum die wöchentliche Höchstarbeitszeit von 48 Stunden nicht überschritten wurde.

5

Darüber hinaus heißt es im [X.]:

        

§ 13 Sonderformen der Arbeit

        

…       

        

(3) Bereitschaftsdienst leistet der Mitarbeiter, der sich auf Anordnung des Arbeitgebers außerhalb der regelmäßigen Arbeitszeit an einer vom Arbeitgeber bestimmten Stelle aufhält, um im Bedarfsfall die Arbeit aufzunehmen. Der Arbeitgeber darf Bereitschaftsdienst nur anordnen, wenn zu erwarten ist, dass zwar Arbeit anfällt, erfahrungsgemäß aber die [X.] ohne Arbeitsleistung überwiegt.

        

…       

        

§ 14 Ausgleich für Sonderformen der Arbeit

        

…       

        

(2) Der Mitarbeiter erhält neben seinem Entgelt für die tatsächliche Arbeitsleistung bzw. deren Bewertung als Arbeitszeit gemäß Abs. 10 und 11 [X.]zuschläge. Sie betragen:

        

...     

        

e) für Bereitschaftsdienst und Rufbereitschaft

25 v.H.

        

des auf eine Stunde entfallenden Anteils des monatlichen Entgelts der Stufe 1 der jeweiligen [X.] bzw. bei [X.] 1 der Stufe 2. Abweichend von Satz 2 wird zur Berechnung der [X.]zuschläge in den [X.]n [X.] 9 b, [X.] 7, [X.] 6 a und [X.] 4 mit Erreichen der Stufe 3, sowie 7 a und 6 b mit Erreichen der Stufe 4 wie folgt verfahren:

        

…       

        

§ 19 Tabellenentgelt

        

(1) Der Mitarbeiter erhält monatlich ein Tabellenentgelt. Die Höhe bestimmt sich nach der [X.], in die er eingruppiert ist, und nach der für ihn geltenden Stufe.

        

(2) Mitarbeiter erhalten Entgelt nach der Anlage [X.] Abweichend hiervon erhalten Mitarbeiter in der Pflege Entgelt nach Anlage [X.] ([X.]).

        

...     

        

§ 29 Berechnung und Auszahlung des Entgelts

        

(1) Bemessungszeitraum für das Tabellenentgelt und sonstige Entgeltbestandteile ist der Kalendermonat, soweit tarifvertraglich nicht ausdrücklich etwas Abweichendes geregelt ist. …

        

...     

        

(7) Mit dem Entgelt ist die regelmäßige Arbeitszeit, auch wenn sie nach § 12 verlängert ist, abgegolten.“

6

Mit der dem Beklagten am 13. November 2015 zugestellten Klage hat der Kläger den gesetzlichen Mindestlohn für 318,2 Stunden geleistete Bereitschaft verlangt. § 29 Abs. 7 [X.] sei mit Inkrafttreten des Mindestlohngesetzes unwirksam geworden. Das tarifliche Tabellenentgelt vergüte nur die regelmäßige Arbeitszeit von 38,5 Stunden.

7

Der Kläger hat beantragt,

        

den Beklagten zu verurteilen, an ihn 2.704,70 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 13. November 2015 zu zahlen.

8

Der Beklagte hat Klageabweisung beantragt.

9

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das [X.] hat die Berufung des [X.] zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt der Kläger seinen Klageantrag weiter.

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unbegründet. Das [X.] hat zu Recht die Berufung des [X.] gegen das die Klage abweisende Urteil des Arbeitsgerichts zurückgewiesen.

I. Die Klage ist unbegründet.

1. Zutreffend geht der Kläger davon aus, dass der Beklagte nach § 1 Abs. 2 Satz 1 [X.] verpflichtet ist, auch für Zeiten der Bereitschaft den gesetzlichen Mindestlohn zu zahlen.

a) Der Arbeitgeber schuldet den gesetzlichen Mindestlohn für jede tatsächlich geleistete Arbeitsstunde und damit für alle Stunden, während derer der Arbeitnehmer die gemäß § 611 Abs. 1 BGB geschuldete Arbeit erbringt. [X.] Arbeit ist dabei nicht nur die [X.], sondern auch die Bereitschaft. Der Arbeitnehmer kann während des Bereitschaftsdienstes nicht frei über die Nutzung dieses Zeitraumes bestimmen, sondern muss sich an einem vom Arbeitgeber bestimmten Ort (innerhalb oder außerhalb des Betriebs) bereithalten, um im Bedarfsfalle die Arbeit aufzunehmen (vgl. [X.] 19. November 2014 - 5 [X.] - Rn. 16 [X.], [X.]E 150, 82).

b) Die gesetzliche Vergütungspflicht des [X.]es differenziert nicht nach dem Grad der tatsächlichen Inanspruchnahme. Leistet der Arbeitnehmer vergütungspflichtige Arbeit, gibt das Gesetz einen ungeschmälerten Anspruch auf den Mindestlohn ([X.] 29. Juni 2016 - 5 [X.] - Rn. 27 ff. [X.], [X.]E 155, 318; zu[X.] [X.]/[X.] 17. Aufl. § 1 [X.] Rn. 4; [X.]/Müller-Glöge 7. Aufl. § 1 [X.] Rn. 17; [X.] ArbR-HdB/[X.] 17. Aufl. § 66 Rn. 23; krit. [X.]/[X.] 2. Aufl. § 1 Rn. 60 ff., die zwischen „[X.]“ und Zeiten der [X.] in der Bereitschaft differenzieren; [X.]. zu [X.] AP [X.] § 1 Nr. 2: Es fehle an einer gesetzlichen Festlegung, dass Zeiten des Bereitschaftsdienstes Arbeitszeit iSd. [X.]es sind).

2. Der Anspruch des [X.] auf den gesetzlichen Mindestlohn ist indes durch Erfüllung erloschen, § 362 Abs. 1 BGB.

Der Kläger hat unstreitig in allen streitgegenständlichen Monaten ein seiner Eingruppierung entsprechendes Tabellenentgelt (§ 19 Abs. 1 [X.]) von 2.446,41 Euro brutto erhalten. Damit überschritt die gezahlte Bruttovergütung das Produkt der geleisteten Arbeitsstunden mit 8,50 Euro. Nach den nicht angegriffenen Feststellungen des [X.]s arbeitete der Kläger im Streitzeitraum - einschließlich Bereitschaftsdienst - nicht mehr als 48 Wochenstunden. Diese entsprechen 208 [X.], für die der gesetzliche Mindestlohn 1.768,00 Euro brutto beträgt. Bei Anwendung der Formel zur Ermittlung des auf eine Stunde entfallenden Anteils des [X.] (§ 29 Abs. 3 Satz 3 [X.]) ergeben sich 208,7 [X.] (48 Wochenstunden x 4,348) und ein gesetzlicher Mindestlohn von 1.773,95 Euro brutto. In beiden Fällen übersteigt die gezahlte tarifliche Monatsvergütung den gesetzlichen Mindestlohn, ohne dass es darauf ankommt, in welcher Höhe der Kläger - was das [X.] nicht festgestellt hat - im Streitzeitraum neben dem Tabellenentgelt Zeitzuschläge nach § 14 Abs. 2 Buch[X.] e [X.] erhielt.

3. Die Auffassung des [X.], er habe für die geleisteten [X.] - außer dem Zuschlag nach § 14 Abs. 2 [X.] - keine Vergütung erhalten, ist unzutreffend.

a) Der Beklagte zahlte dem Kläger im Streitzeitraum unstreitig monatlich ein Tabellenentgelt gemäß § 19 Abs. 1 [X.]. Mit diesem ist nach § 29 Abs. 7 [X.], dessen Inhalt klar und eindeutig ist, die regelmäßige Arbeitszeit abgegolten, und zwar auch dann, wenn sie - wie im Streitfall - nach § 12 [X.] verlängert worden i[X.] Das bedeutet, dass bei Beschäftigten im Rettungsdienst mit dem Tabellenentgelt nicht nur eine regelmäßige Arbeitszeit von 38,5 Wochenstunden [X.], sondern auch eine Mischung aus [X.] und Bereitschaftsdienst vergütet werden. Diese Gleichbehandlung ist angesichts des weiten Gestaltungsspielraums der Tarifvertragsparteien bei der Lohnfindung (vgl. [X.] 17. März 2016 - 6 [X.] - Rn. 24 [X.]) nicht zu beanstanden, zumal nach § 13 Abs. 3 Satz 2 [X.] Bereitschaftsdienst nur angeordnet werden darf, wenn zu erwarten ist, dass zwar Arbeit anfällt, erfahrungsgemäß aber Zeiten ohne Arbeitsleistung überwiegen. Für den betroffenen Personenkreis wird die verlängerte Arbeitszeit zur regelmäßigen Arbeitszeit ([X.] 26. Juni 2013 - 5 [X.] - Rn. 12).

b) Entgegen der Auffassung des [X.] folgt aus der Anlage [X.] zum [X.] nichts anderes. Es ist zwar zutreffend, dass in den insgesamt drei Anlagen B zum [X.] nach den in den Anlagen A enthaltenen Monatstabellen für die einzelnen Entgeltgruppen - getrennt nach „Normalbeschäftigte“, Mitarbeiter in der Pflege und Mitarbeiter im Rettungsdienst - auch [X.] tabellarisch festgehalten sind, die sich rechnerisch auf der Basis der nicht verlängerten regelmäßigen Arbeitszeit ergeben. Ersichtlich betrifft dies indes den Stundenlohn unter Zugrundelegung von [X.] bei Nichtverlängerung der regelmäßigen Arbeitszeit nach § 12 Abs. 6 [X.] und den Fall, dass der Monatstabellenlohn - aus welchen Gründen auch immer - auf einen Stundenlohn heruntergebrochen werden muss. Es bestehen keine Anhaltspunkte, dass mit den Anlagen B die Regelungen zum Tabellenentgelt in §§ 19 ff., § 29 [X.] außer [X.] gesetzt werden sollten.

c) Die tarifliche Vergütungsregelung ist entgegen der Auffassung des [X.] durch das Inkrafttreten des [X.]es nicht unwirksam geworden.

aa) Nach § 3 Satz 1 [X.] sind Vereinbarungen, die den Anspruch auf Mindestlohn unterschreiten, insoweit unwirksam. Der gesetzliche [X.] aus § 1 Abs. 1 [X.] tritt eigenständig neben die sonstigen Grundlagen der Vergütung ([X.] 25. Mai 2016 - 5 [X.] - Rn. 22 [X.], [X.]E 155, 202; 29. Juni 2016 - 5 [X.] - Rn. 18 f., [X.]E 155, 318) und überlagert diese ([X.]/Müller-Glöge 7. Aufl. § 1 [X.] Rn. 15; [X.]/[X.] 2. Aufl. § 3 Rn. 3 ff.). Unterschreitet die ([X.] Vergütung den gesetzlichen Mindestlohn, führt § 3 [X.] zu einem Differenzanspruch ([X.] 21. Dezember 2016 - 5 [X.] - Rn. 16 [X.], [X.] Rspr.). Von der in § 3 Satz 1 [X.] bestimmten Rechtsfolge werden daher nur Abreden erfasst, die den [X.] aus § 1 Abs. 1 [X.] begrenzen. Dies ist bei den Vergütungsregelungen in §§ 19 ff., § 29 [X.] nicht der Fall.

bb) Ein Anspruch aus § 1 Abs. 1 iVm. § 3 Satz 1 [X.] besteht nicht. Der Kläger hat in jedem der streitgegenständlichen Monate mehr Vergütung für [X.] und Bereitschaftsdienst erhalten, als ihm der Beklagte nach dem [X.] hätte zahlen müssen.

II. Der Kläger hat nach § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten der Revision zu tragen.

        

    Koch    

        

    [X.]    

        

    Volk    

        

        

        

    Zorn    

        

    Bormann    

                 

Meta

5 AZR 591/16

11.10.2017

Bundesarbeitsgericht 5. Senat

Urteil

Sachgebiet: AZR

vorgehend ArbG Celle, 6. Januar 2016, Az: 2 Ca 425/15, Urteil

§ 1 Abs 2 S 1 MiLoG, § 611 Abs 1 BGB, § 362 Abs 1 BGB, § 3 S 1 MiLoG

Zitier­vorschlag: Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 11.10.2017, Az. 5 AZR 591/16 (REWIS RS 2017, 4095)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2017, 4095

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

5 AZR 716/15 (Bundesarbeitsgericht)

Mindestlohn - Vergütung von Bereitschaftszeiten


5 AZR 93/19 (Bundesarbeitsgericht)

Mindestentgelt in der Pflegebranche


5 AZR 505/20 (Bundesarbeitsgericht)

Mindestlohn - Bereitschaft - ausländische Betreuungskräfte


5 AZR 250/18 (Bundesarbeitsgericht)

Rettungsdienst - Vergütung von 24-Stunden-Diensten


5 AZR 589/17 (Bundesarbeitsgericht)


Referenzen
Wird zitiert von

1 Sa 361/17

B 6 KA 13/19 R

Zitiert

Keine Referenz gefunden.

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.