Bundessozialgericht, Beschluss vom 12.03.2015, Az. B 10 LW 9/14 B

10. Senat | REWIS RS 2015, 14186

© Bundessozialgericht, Dirk Felmeden

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Nichtzulassungsbeschwerde - sozialgerichtliches Verfahren - Verfahrensfehler - keine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör bei nicht rechtzeitigem Erscheinen zur Sitzung ohne Verlegungs- bzw Vertagungsantrag - Terminwahrnehmung durch Prozessbevollmächtigten


Tenor

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des [X.] vom 19. September 2014 wird als unzulässig verworfen.

Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Gründe

1

Mit Urteil nach mündlicher Verhandlung vom 19.9.2014 hat das [X.] die Rechtmäßigkeit des Aufhebungs- und [X.] der Beklagten vom [X.] in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom [X.] bestätigt, durch den der Bescheid vom 4.4.2001 über die Gewährung der Altersrente für Landwirte für die [X.] vom 1.1.2007 bis 30.6.2009 aufgehoben und überzahlte Altersrente in Höhe von 10 968,32 Euro zurückgefordert worden ist unter Bewilligung erneuter Leistungen in Höhe von 390,04 Euro ab dem 1.2.2010. Durch die erneute eigene Bewirtschaftung des Unternehmens des [X.] sei dem ursprünglichen Bewilligungsbescheid vom 4.4.2001 die Grundlage entzogen worden und habe der Kläger in der [X.] ab 1.1.2007 keinen Anspruch auf Altersrente für Landwirte mehr gehabt. Folglich sei die Beklagte berechtigt gewesen, den [X.] vom 4.4.2001 rückwirkend ab 1.1.2007 aufzuheben, weil der Kläger iS von § 48 Abs 1 S 2 [X.] zumindest grob fahrlässig seinen Mitteilungspflichten nach § 60 Abs 1 S 1 [X.] nicht nachgekommen sei. Die Erstattung der zu Unrecht erbrachten Rentenzahlungen finde ihre rechtliche Grundlage in § 50 Abs 1 SGB X. Gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil hat der Kläger Beschwerde eingelegt und das Vorliegen von Verfahrensmängeln (§ 160 Abs 2 [X.] [X.]) geltend gemacht.

2

Die Beschwerde ist unzulässig, weil der Kläger die Gründe für die Zulassung der Revision iS von § 160 Abs 2 [X.] nicht hinreichend dargelegt hat.

3

Soweit - wie vorliegend - ein Verfahrensmangel iS von § 160 Abs 2 [X.] [X.] geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann, so kann dieser nicht auf eine Verletzung der §§ 109 (Anhörung eines bestimmten Arztes) und 128 Abs 1 S 1 [X.] (freie richterliche Beweiswürdigung) und auf eine Verletzung des § 103 [X.] (Aufklärung eines Sachverhalts von Amts wegen) nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das [X.] ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.

4

Der Kläger rügt im Wesentlichen die Verletzung des rechtlichen Gehörs (§ 62 [X.]) dadurch, dass er aufgrund verkehrsbedingter Verzögerungen nicht rechtzeitig zur mündlichen Verhandlung habe erscheinen können. Als er kurz vor 11:00 Uhr eingetroffen sei, sei die mündliche Verhandlung bereits geschlossen gewesen. Laut Protokoll sei der Beginn des Termins mit 10:50 Uhr vermerkt und als Ende des Termins 11:05 Uhr angegeben. In diesen fünfzehn Minuten habe neben der mündlichen Verhandlung die geheime Beratung und die Verkündung der Urteilsformel stattgefunden, auch mit Wiedergabe des wesentlichen Inhalts der Entscheidungsgründe. Folglich habe der Kläger in der mündlichen Verhandlung nicht befragt werden können, weil unmittelbar vor seiner Ankunft diese bereits geschlossen worden sei. Er habe auf dem [X.] auf die Verkündung der Entscheidung gewartet. Der Kläger verfüge auch nicht über ein Handy oder ein Smartphone, mit welchem er seine verspätete Ankunft aufgrund der schwierigen Verkehrsverhältnisse hätte mitteilen können. Während des Termins sei auf verschiedene Urkunden über Pachtverträge und Förderanträge eingegangen worden, zu denen er sich hätte erklären wollen. Mit diesen Ausführungen hat der Kläger jedoch die Verletzung seines rechtlichen Gehörs nicht hinreichend dargelegt.

5

Der Anspruch auf rechtliches Gehör soll verhindern, dass die Beteiligten durch eine Entscheidung überrascht werden, die auf Rechtsauffassungen, Tatsachen oder Beweisergebnissen beruht, zu denen sie sich nicht äußern konnten (s § 128 Abs 2 [X.]; vgl BSG [X.] 3-1500 § 62 [X.] 12; [X.]-1500 § 153 [X.] 1 mwN; [X.] 84, 188, 190). Darüber hinaus soll dieses Verfahrensgrundrecht sicherstellen, dass das Vorbringen der Beteiligten vom Gericht in seine Erwägungen miteinbezogen wird (vgl [X.] 22, 267, 274; 96, 205, 216 f). Aus ihm ergibt sich zwar keine Pflicht des [X.], die Beteiligten vor einer Entscheidung auf eine in Aussicht genommene Beweiswürdigung hinzuweisen oder die für die richterliche Überzeugungsbildung möglicherweise leitenden Gesichtspunkte zuvor mit den Beteiligten zu erörtern. Die Beteiligten müssen aber ausreichend Gelegenheit zur Abgabe sachgemäßer Erklärungen innerhalb einer angemessenen [X.] haben. Ein Verstoß gegen die Pflicht zur Berücksichtigung von Vorbringen ist dann anzunehmen, wenn sich dies aus den besonderen Umständen des Falles ergibt (vgl [X.] aaO), zB wenn ein Gericht - ohne entsprechende Beweisaufnahme - das Gegenteil des [X.] annimmt, den Vortrag eines Beteiligten als nichtexistent behandelt (vgl [X.] 22, 267, 274) oder wenn es auf [X.] des [X.] zu einer Frage, die für das Verfahren von zentraler Bedeutung ist, nicht eingeht, es sei denn, der Tatsachenvortrag ist nach der materiellen Rechtsauffassung des Gerichts unerheblich ([X.] 86, 133, 146). Art 103 Abs 1 GG schützt indessen nicht davor, dass ein Gericht die Rechtsansicht eines Beteiligten nicht teilt ([X.] 64, 1, 12; 76, 93, 98).

6

Vor dem Hintergrund dieser rechtlichen Gegebenheiten liegt eine Verletzung des rechtlichen Gehörs des [X.] bereits deshalb nicht vor, weil dieser durch seinen Prozessbevollmächtigten in der mündlichen Verhandlung vor dem [X.] ordnungsgemäß vertreten war, ohne dass das [X.] sein persönliches Erscheinen angeordnet hat. Der Kläger selbst behauptet nicht einmal, dass er gegenüber dem Gericht seine Teilnahme an der mündlichen Verhandlung angekündigt hat. Folglich bestand für das [X.] auch keine Pflicht, auf den Kläger zu warten (vgl hierzu BSG Beschluss vom 31.3.2004 - [X.] RA 126/03 B - [X.] 4-1500 § 112 [X.] 2). Zudem wäre es dem Prozessbevollmächtigten des [X.] in der mündlichen Verhandlung vor dem [X.] unbenommen gewesen, einen Vertagungsantrag zu stellen. Einen solchen hat der Kläger jedoch ebenso wenig behauptet wie einen vor Verkündung durch das [X.] gestellten Antrag, die Verhandlung wieder zu eröffnen (vgl hierzu [X.] in [X.]/[X.]/[X.], [X.], 11. Aufl 2014, § 62, Rd[X.] 6b). Dies wäre dem Prozessbevollmächtigten und dem Kläger selbst aber unbenommen gewesen, da sie nach eigenem Vorbringen noch vor Verkündung der Entscheidung durch das [X.] auf dem [X.] anwesend waren. Insgesamt kann sich ein Beteiligter in der Regel nicht darauf berufen, sein rechtliches Gehör sei verletzt, wenn er, ohne einen [X.] bzw Vertagungsantrag gestellt zu haben, trotz ordnungsgemäßer Ladung nicht rechtzeitig zur Sitzung erscheint (vgl [X.], aaO). Dies gilt erst recht, wenn der Termin - wie vorliegend geschehen - vom Prozessbevollmächtigten des [X.] wahrgenommen wird und dieser entsprechende oben genannte Antragstellungen unterlässt. Schließlich hat der Kläger auch nicht dargelegt, zu welchen erläuterungsbedürftigen Punkten er sich konkret nicht habe äußern können und zu welcher sachlich für ihn günstigeren Entscheidung des [X.] dieses Vorbringen geführt hätte.

7

Soweit - wie vorliegend - auch ein Verstoß gegen die tatrichterliche Sachaufklärungspflicht (§ 103 [X.]) gerügt wird, muss die Beschwerdebegründung hierzu jeweils folgende Punkte enthalten: (1.) Bezeichnung eines für das Revisionsgericht ohne Weiteres auffindbaren, bis zuletzt aufrechterhaltenen [X.], dem das [X.] nicht gefolgt ist, (2.) Wiedergabe der Rechtsauffassung des [X.], aufgrund derer bestimmte Tatfragen als klärungsbedürftig hätten erscheinen müssen, (3.) Darlegung der von dem betreffenden Beweisantrag berührten Tatumstände, die zu einer weiteren Sachaufklärung Anlass gegeben hätten, (4.) Angabe des voraussichtlichen Ergebnisses der unterbliebenen Beweisaufnahme und (5.) Schilderung, dass und warum die Entscheidung des [X.] auf der angeblich fehlerhaft unterlassenen Beweisaufnahme beruhen kann, das [X.] mithin bei Kenntnis des behaupteten Ergebnisses der unterlassenen Beweisaufnahme von seinem Rechtsstandpunkt aus zu einem anderen, dem Beschwerdeführer günstigeren Ergebnis hätte gelangen können (vgl BSG [X.] 1500 § 160 [X.] 5, 35, 45; BSG [X.] 1500 § 160a [X.] 24, 34).

8

Diesen Erfordernissen wird die Beschwerdebegründung des [X.] nicht gerecht. Der im Berufungsverfahren bereits anwaltlich vertretene Kläger hat es unterlassen darzulegen, woraus sich ergebe, dass er vor dem [X.] einen Beweisantrag gestellt und bis zuletzt aufrechterhalten habe. Hierzu hätte es insbesondere der weiteren Ausführungen bedurft, dass er derartige Beweisanträge in der mündlichen Verhandlung vor dem [X.] am 19.9.2014 zu Protokoll ausdrücklich aufrechterhalten habe (vgl hierzu [X.]-1500 § 160 [X.]1 S 51 f; BSG [X.] 4-1500 § 160 [X.] 1 Rd[X.] 5; BSG [X.] 4-1500 § 160 [X.] 13 Rd[X.] 11). Ebenso fehlt es an einer näheren Begründung, weshalb sich das [X.] zu den vom Kläger angestrebten weiteren Ermittlungen hätte gedrängt fühlen müssen.

9

Im Übrigen greift der Kläger die Beweiswürdigung des [X.] iS des § 128 Abs 1 S 1 [X.] an. Darauf kann eine Nichtzulassungsbeschwerde allerdings von vornherein nicht gestützt werden (vgl § 160 Abs 2 [X.] Halbs 2 [X.]). Entsprechendes gilt, soweit der Kläger eine unzutreffende Rechtsanwendung des [X.] rügen wollte (vgl BSG [X.] 1500 § 160a [X.] 7 S 10).

Die Verwerfung der Beschwerde erfolgt ohne Hinzuziehung [X.] (§ 160a Abs 4 S 1 Halbs 2 iVm § 169 [X.]).

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 [X.].

Meta

B 10 LW 9/14 B

12.03.2015

Bundessozialgericht 10. Senat

Beschluss

Sachgebiet: LW

vorgehend SG Kassel, 13. Juni 2013, Az: S 11 R 83/11, Urteil

§ 62 SGG, § 160 Abs 2 Nr 3 SGG, § 160a Abs 2 S 3 SGG

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Beschluss vom 12.03.2015, Az. B 10 LW 9/14 B (REWIS RS 2015, 14186)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2015, 14186

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

B 9 SB 41/15 B (Bundessozialgericht)

Sozialgerichtliches Verfahren - Nichtzulassungsbeschwerde - Verfahrensfehler - Sachaufklärungspflicht - Konkretisierung des Beweisthemas - pauschale Wiederholung …


B 5 R 182/18 B (Bundessozialgericht)

Nichtzulassungsbeschwerde - sozialgerichtliches Verfahren - Frageantragsrecht - Sachverständigengutachten - rechtliches Gehör


B 13 R 170/15 B (Bundessozialgericht)

Nichtzulassungsbeschwerde - Verfahrensrüge - rechtliches Gehör - Mitteilung der Schlussfolgerungen des Gerichtes aus den Tatsachen …


B 9 V 36/16 B (Bundessozialgericht)

(Nichtzulassungsbeschwerde - sozialgerichtliches Verfahren - Verfahrensfehler - rechtliches Gehör - Verhinderung eines kurzfristig mandatierten Prozessbevollmächtigten …


B 9 SB 14/11 B (Bundessozialgericht)

Sozialgerichtliches Verfahren - Nichtzulassungsbeschwerde - Verfahrensmangel - Zurückweisung der Berufung durch Beschluss ohne mündliche Verhandlung …


Referenzen
Wird zitiert von

Keine Referenz gefunden.

Zitiert

Keine Referenz gefunden.

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.