Bundessozialgericht, Beschluss vom 27.10.2023, Az. B 1 KR 69/22 B

1. Senat | REWIS RS 2023, 8229

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Gegenstand

Sozialgerichtliches Verfahren - Nichtzulassungsbeschwerde - Verfahrensmangel - gesetzlicher Richter - Pflicht zur Vorlage an den EuGH


Tenor

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des [X.] vom 29. Juni 2022 wird als unzulässig verworfen.

Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

Gründe

1

I. Der Kläger ist Inhaber einer Tierarztpraxis. Er ist mit seinem Begehren auf Erstattung der Aufwendungen nach dem [X.] ([X.]) für eine Einmalzahlung (3625 Euro), die er im Dezember 2018 an eine schwangere Arbeitnehmerin nach Eintritt des [X.] am 19.6.2018 ausgezahlt hatte, bei der beklagten Krankenkasse und in den Vorinstanzen erfolglos geblieben. Das [X.] hat mit überwiegender Bezugnahme auf die erstinstanzliche Entscheidung ausgeführt, bei der Berechnung des [X.] bleibe nach § 21 Abs 2 [X.] einmalig gezahltes Arbeitsentgelt iS des § 23a [X.] unberücksichtigt. Damit übereinstimmend unterliege dieses Arbeitsentgelt auch nicht der [X.] nach § 7 [X.] iVm § 23a [X.] (Hinweis auf BSG vom 26.9.2017 - B 1 KR 31/16 R - [X.], 162 = [X.] 4-7862 § 7 [X.]). Deshalb habe ein Arbeitgeber auch keinen Anspruch auf Aufwendungsausgleich für geleistete Einmalzahlungen. Diese Rechtslage sei mit Gemeinschaftsrecht vereinbar. Aus dem Urteil des [X.] vom [X.] ([X.]) ergebe sich nichts Gegenteiliges. Diese Entscheidung betreffe arbeitsrechtliche Ansprüche von Arbeitnehmerinnen gegen ihren Arbeitgeber. Die Entscheidung des Gesetzgebers, bei der Festlegung der Berechnungsgrundlage für die Höhe von Lohnersatzleistungen einmalig gezahltes Arbeitsentgelt außer Betracht zu lassen, sei nicht diskriminierend - zumal sie auch für andere Konstellationen unabhängig vom Geschlecht des Leistungsberechtigten so getroffen worden sei (Urteil vom 29.6.2022).

2

Der Kläger wendet sich mit seiner Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im [X.]-Urteil.

3

II. Die Beschwerde ist unzulässig und daher gemäß § 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm § 169 Satz 2 und 3 [X.] zu verwerfen. Ihre Begründung entspricht nicht den aus § 160a Abs 2 Satz 3 [X.] abzuleitenden Anforderungen an die Darlegung der Revisionszulassungsgründe.

4

1. Nach § 160 Abs 2 [X.] [X.] ist die Revision zuzulassen, wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann; der Verfahrensmangel kann nicht auf eine Verletzung von § 109 [X.] und § 128 Abs 1 Satz 1 [X.] (Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung) und auf eine Verletzung des § 103 [X.] (Amtsermittlungsgrundsatz) nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das [X.] ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Um einen Verfahrensmangel in diesem Sinne geltend zu machen, müssen die Umstände bezeichnet werden, die den entscheidungserheblichen Mangel ergeben sollen (vgl [X.] vom 18.2.1980 - 10 BV 109/79 - [X.] 1500 § 160a [X.]6 mwN; BSG vom 31.7.2017 - B 1 KR 47/16 B - [X.] 4-1500 § 160 [X.]0 Rd[X.]6 mwN). Daran fehlt es.

5

Der Kläger rügt, das [X.] habe Art 101 Abs 1 Satz 2 GG verletzt, nach dem niemand [X.] entzogen werden darf, indem es sich nicht nach Art 267 des Vertrags über die Arbeitsweise der [X.] ([X.]) an den [X.] gewandt habe. Dies verletze in verfahrensrechtlich relevanter Weise die Garantie des gesetzlichen Richters wie das [X.] mehrfach entschieden habe.

6

Der [X.] entscheidet im Wege der Vorabentscheidung über die Auslegung der Verträge sowie über die Gültigkeit und die Auslegung der Handlungen der Organe, Einrichtungen oder sonstigen Stellen der [X.]. Wird eine derartige Frage einem Gericht eines Mitgliedstaats gestellt und hält dieses Gericht eine Entscheidung darüber zum Erlass seines Urteils für erforderlich, so kann es diese Frage dem [X.] zur Entscheidung vorlegen. Wird eine derartige Frage in einem schwebenden Verfahren bei einem einzelstaatlichen Gericht gestellt, dessen Entscheidungen selbst nicht mehr mit Rechtsmitteln des innerstaatlichen Rechts angefochten werden können, so ist dieses Gericht zur Anrufung des [X.] verpflichtet (Art 267 Abs 1 bis 3 [X.]). Der [X.] ist im letztgenannten Fall [X.] iS des Art 101 Abs 1 Satz 2 GG. Unter den Voraussetzungen des Art 267 Abs 3 [X.] sind die nationalen Gerichte von Amts wegen gehalten, den [X.] anzurufen. Kommt ein [X.] Gericht dem nicht nach, kann den [X.] des Ausgangsrechtsstreits [X.] entzogen sein (vgl [X.] vom 15.11.2018 - 1 BvR 1572/17 - juris RdNr 7 mwN). Die Vorlagepflicht nach Art 267 Abs 3 [X.] wird nach der Rechtsprechung des [X.] jedoch nur in den Fällen offensichtlich unhaltbar gehandhabt, in denen ein letztinstanzliches Hauptsachegericht eine Vorlage trotz der - seiner Auffassung nach bestehenden - Entscheidungserheblichkeit der unionsrechtlichen Frage überhaupt nicht in Erwägung zieht, obwohl es selbst Zweifel hinsichtlich der richtigen Beantwortung der Frage hegt und das [X.]srecht somit eigenständig fortbildet (grundsätzliche Verkennung der Vorlagepflicht). Dies gilt auch, wenn sich das Gericht hinsichtlich des (materiellen) [X.]srechts nicht hinreichend kundig macht und es offenkundig einschlägige Rechtsprechung des [X.] nicht auswertet. Es verkennt dann regelmäßig die Bedingungen für die Vorlagepflicht. Zum Vorliegen dieser Voraussetzungen hat der Kläger in der Beschwerdebegründung nichts vorgebracht.

7

Er hat nicht schlüssig aufgezeigt, warum Entscheidungen des [X.] nicht mit Rechtsmitteln innerstaatlichen Rechts angegriffen werden können. Die Anfechtung von Entscheidungen eines nationalen Gerichts mit Rechtsmitteln des innerstaatlichen Rechts ist auch dann möglich, wenn die Anfechtung nur nach vorheriger Zulassungserklärung durch das oberste Gericht geprüft werden kann oder die Art der Rechtsmittelgründe beschränkt ist (vgl [X.] vom [X.] - C-99/00 - [X.] Rd[X.]6; [X.] vom 16.12.2008 - [X.]/06 - Slg 2008 [X.] RdNr 76 f - [X.]; vgl dazu auch BSG vom 10.12.2012 - [X.] R 361/12 B - juris RdNr 9 f; BSG vom 25.1.2012 - [X.] R 380/11 B). Zu den Rechtsmitteln iS des Art 267 Abs 3 [X.] zählt auch die Nichtzulassungsbeschwerde zum BSG (vgl BSG vom 8.4.2020 - [X.] R 125/19 B - juris Rd[X.]8; s ferner [X.] vom [X.] - [X.]/95 - juris RdNr 7). Ungeachtet dessen reicht das Vorbringen, das [X.] habe eine Vorlage an den [X.] nicht in Erwägung gezogen, auch nicht aus, um darzulegen, die Vorlagepflicht nach Art 267 Abs 3 [X.] werde offensichtlich unhaltbar gehandhabt. Es hätte der Auseinandersetzung mit dem materiellen [X.]srecht und der Rechtsprechung des [X.] hierzu bedurft. Allein der Hinweis auf das Urteil des [X.] vom [X.] ([X.] - Slg 1999 [X.] - [X.]) genügt dafür nicht.

8

2. Sollte der Kläger mit seinem Vorbringen konkludent die Revisionszulassung auch auf Revisionszulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung (§ 160 Abs 2 [X.] [X.]) oder der Divergenz (§ 160 Abs 2 [X.] [X.]) stützen wollen, fehlt es an wesentlichen Darlegungserfordernissen (vgl zu den Anforderungen B. [X.] in [X.]/[X.], [X.], 14. Aufl 2023, § 160a Rd[X.]4 ff).

9

Die Beschwerdebegründung formuliert weder ausdrücklich noch sinngemäß eine Rechtsfrage. Sie hat bereits nicht dargetan, welche Fragen über die Auslegung bzw die Gültigkeit welcher Norm welchen [X.]srechts sich ausgehend von der Rechtsauffassung des Berufungsgerichts in dem Verfahren vor dem [X.] konkret stellen sollen. Die Behauptung eines Verstoßes gegen das Diskriminierungsverbot in der von dem Kläger vorgebrachten [X.] ohne die Benennung einer konkreten Norm des europäischen Rechts genügt insoweit nicht.

Die Beschwerdebegründung benennt auch keine divergierenden Rechtssätze des [X.] und des [X.].

3. [X.] beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 [X.].

        

Schlegel

Scholz

Estelmann

Meta

B 1 KR 69/22 B

27.10.2023

Bundessozialgericht 1. Senat

Beschluss

Sachgebiet: KR

vorgehend SG Karlsruhe, 21. November 2019, Az: S 15 KR 1674/19, Urteil

§ 160a Abs 1 S 1 SGG, § 160a Abs 2 S 3 SGG, § 160 Abs 2 Nr 3 SGG, Art 101 Abs 1 S 2 GG, Art 267 Abs 3 AEUV

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Beschluss vom 27.10.2023, Az. B 1 KR 69/22 B (REWIS RS 2023, 8229)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2023, 8229

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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1 BvR 1572/17

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