Bundessozialgericht, Beschluss vom 27.05.2020, Az. B 1 KR 8/19 B

1. Senat | REWIS RS 2020, 2274

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Gegenstand

Sozialgerichtliches Verfahren - Nichtzulassungsbeschwerde - grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache - Konkretisierung der entscheidungserheblichen Rechtsfrage - Klärungsbedürftigkeit - Anspruch auf geschlechtsangleichende Operation


Leitsatz

Die Konkretisierung einer entscheidungserheblichen Rechtsfrage in einer Nichtzulassungsbeschwerde erfordert regelmäßig, dass die Rechtsfrage mit "Ja" oder "Nein" beantwortet werden kann, und darf weder von einer kommentar- oder lehrbuchartigen Aufbereitung noch von den Umständen des Einzelfalls abhängen und damit auf die Antwort "kann sein" hinauslaufen.

Tenor

Der Antrag der Klägerin, ihr für das Verfahren der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Beschluss des [X.] vom 8. Januar 2019 Prozesskostenhilfe zu bewilligen und einen Rechtsanwalt beizuordnen, wird abgelehnt.

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Beschluss des [X.] vom 8. Januar 2019 wird als unzulässig verworfen.

Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

Gründe

1

I. Die bei der beklagten Krankenkasse versicherte, transsexuelle Klägerin ist mit ihrem Begehren auf Erstattung der Kosten, die sie für eine gesichtsfeminisierende Operation in [X.] aufgewendet hat, bei der [X.] und in den Vorinstanzen hinsichtlich eines Betrags von 6028,51 Euro für die Korrektur des Augenbrauenknochens, das Stirnlifting und das Absenken des Haaransatzes ohne Erfolg geblieben; die für die Adamsapfelkorrektur aufgewendeten Kosten von 2071,49 Euro hat die Beklagte hingegen während des Verfahrens anerkannt (Bescheide vom [X.] und 16.5.2013, Widerspruchsbescheid vom 18.12.2013, [X.] vom 11.4.2018 und [X.] vom [X.]). Das [X.] hat zur Begründung seiner Entscheidung (unter Bezugnahme auf die Gründe des [X.]s) ausgeführt, die Klägerin habe keinen weiteren Anspruch auf Kostenerstattung nach § 13 Abs 4 und 5 [X.] Denn die durchgeführten Operationen seien nicht notwendig iS des § 27 Abs 1 Satz 1 und Satz 2 [X.] iVm § 39 [X.] gewesen. Zwar bestehe bei einer besonders tiefgreifenden Form der Transsexualität ein Anspruch auf geschlechtsangleichende Maßnahmen, der jedoch nicht soweit gehe, dass Betroffene Anspruch auf jegliche Art von geschlechtsbezogenen operativen Maßnahmen im Sinne einer möglichst großen Annäherung an ein vermeintliches Idealbild hätten. Die Ansprüche seien vielmehr beschränkt auf einen Zustand, der aus Sicht eines verständigen Betrachters dem Erscheinungsbild des anderen Geschlechts deutlich angenähert sei (Hinweis auf das Urteil des erkennenden Senats vom 11.9.2012 - B 1 KR 9/12 R - juris RdNr 22). Ein solcher Zustand sei durch die bei der Klägerin durchgeführten geschlechtsangleichenden Operationen bereits vor der noch strittigen Korrektur des Augenbrauenknochens, dem Stirnlifting und dem Absenken des Haaransatzes erreicht gewesen. Die Leistungsvoraussetzungen knüpften regelmäßig an durch gerichtlichen Augenschein festzustellende Tatsachen an, die dem [X.] nicht zugänglich seien (Beschluss vom [X.]).

2

Mit ihrer Beschwerde wendet sich die Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im [X.] und beantragt hierfür Prozesskostenhilfe (PKH) unter Beiordnung ihrer Prozessbevollmächtigten.

3

II. [X.] ist unzulässig und daher gemäß § 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm § 169 Satz 3 [X.] zu verwerfen. Ihre Begründung entspricht nicht den aus § 160a Abs 2 Satz 3 [X.] abzuleitenden Anforderungen an die Darlegung des geltend gemachten Revisionszulassungsgrundes der grundsätzlichen Bedeutung (§ 160 Abs 2 [X.] [X.]) und der Bezeichnung eines - hier allenfalls sinngemäß geltend gemachten - Verfahrensfehlers (§ 160 Abs 2 [X.] [X.]).

4

1. Wer sich auf den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 [X.] [X.]) beruft, muss eine Rechtsfrage klar formulieren und ausführen, inwieweit diese Frage im angestrebten Revisionsverfahren klärungsfähig (entscheidungserheblich) sowie klärungsbedürftig und über den Einzelfall hinaus von Bedeutung ist (vgl zB [X.] vom 17.4.2012 - B 13 R 347/11 B - [X.] 4-2600 § 72 [X.] Rd[X.]7 mwN; zur verfassungsrechtlichen Unbedenklichkeit dieses Maßstabs [X.] vom 14.4.2010 - 1 BvR 2856/07 - [X.] 4-1500 § 160a [X.] Rd[X.] f mwN). Dem wird das Beschwerdevorbringen nicht gerecht.

5

a) Die Klägerin formuliert bereits keine hinreichend konkrete entscheidungserhebliche Rechtsfrage. Die Konkretisierung erfordert regelmäßig, dass die Rechtsfrage mit "Ja" oder "Nein" beantwortet werden kann; das schließt nicht aus, dass eine Frage gestellt wird, die je nach den formulierten Voraussetzungen mehrere Antworten zulässt. Unzulässig ist jedoch eine Fragestellung, deren Beantwortung von den Umständen des Einzelfalles abhängt und damit auf die Antwort "kann sein" hinausläuft (stRspr; vgl zB [X.] vom 11.11.2019 - B 1 KR 87/18 B - juris Rd[X.] mwN; [X.] vom [X.] [X.] 67/19 B - juris Rd[X.]0). Indem die Klägerin die Frage aufwirft, „ob und welche Maßnahmen zu einer gesichtsharmonisierenden [X.] von der gesetzlichen Krankenkasse zu übernehmen sind“, stellt sie nur eine allgemein gehaltene Frage, deren Beantwortung eine kommentar- oder lehrbuchartige Aufbereitung durch den Senat verlangen würde, was gerade nicht Gegenstand eines Revisionsverfahrens sein kann (vgl hierzu auch [X.] [X.] [X.] 104/17 B - juris RdNr 8).

6

b) Die Klägerin legt auch die Klärungsbedürftigkeit der von ihr aufgeworfenen Frage nicht hinreichend dar. Eine Rechtsfrage ist dann nicht klärungsbedürftig, wenn sie bereits höchstrichterlich entschieden ist. [X.]begründung hat deshalb auszuführen, inwieweit die Rechtsfrage nach dem Stand von Rechtsprechung und Lehre nicht ohne Weiteres zu beantworten ist, und den Schritt darzustellen, den das Revisionsgericht zur Klärung der Rechtsfrage im allgemeinen Interesse vornehmen soll (vgl [X.] vom [X.] KR 73/16 B - juris RdNr 8 mwN; vgl zur verfassungsrechtlichen Unbedenklichkeit dieses Maßstabs [X.] vom 12.9.1991 - 1 BvR 765/91 - [X.] 3-1500 § 160a [X.] - juris RdNr 4). Diesen Anforderungen genügt die Beschwerdebegründung nicht.

7

Das [X.] vertritt in ständiger Rechtsprechung, dass die Ansprüche Transsexueller auf geschlechtsangleichende Operationen auf einen Zustand beschränkt sind, bei dem aus der Sicht eines verständigen Betrachters eine deutliche Annäherung an das Erscheinungsbild des anderen Geschlechts eintritt (vgl [X.] vom 11.9.2012 - B 1 KR 3/12 R - [X.], 289 = [X.] 4-2500 § 27 [X.], RdNr 22 f; [X.] vom 11.9.2012 - B 1 KR 9/12 R - juris Rd[X.]7; [X.] vom [X.] KR 5/10 R - [X.] 4-2500 § 27 [X.] Rd[X.]5). Mit dieser Rechtsprechung setzt sich die Klägerin zwar inhaltlich auseinander. Sie legt aber nicht dar, dass die bereits höchstrichterlich entschiedenen Fragen erneut klärungsbedürftig geworden seien, sondern greift nur den vom erkennenden Senat entwickelten Maßstab an. Sie behauptet insoweit, dass "das Spektrum medizinisch indizierter Krankenbehandlung des Transsexualismus (…) mittlerweile - anknüpfend an den Erkenntnisfortschritt über die Erkrankung - weit gefächert" sei und dass "zwischenzeitlich (…) die Krankheit des Transsexualismus einen weiteren Wandel auch innerhalb der [X.] vollzogen" habe, ohne jedoch darzulegen, ob und ggf warum dies aus Rechtsgründen die genannte Rechtsprechung in Frage stellen könnte. Allein die Behauptung, die Rechtsprechung sei "sehr subjektiv … geprägt", genügt insoweit nicht. Mit der Argumentation des [X.], dass der allgemeine Gleichheitssatz aus Art 3 Abs 1 GG es ausschließt, transsexuellen Versicherten einen umfassenden leistungsrechtlichen Zugang zu kosmetischen Operationen zu eröffnen, der nicht transsexuellen Versicherten von vornherein versperrt ist, setzt sie sich nicht auseinander (vgl [X.] vom 11.9.2012 - B 1 KR 9/12 R - juris RdNr 29). Wenn sie weiter ausführt, die "Reichweite des Anspruches Transsexueller auf Krankenbehandlung bestimmt sich (…) nach den medizinischen Kriterien" und das erforderliche Ausmaß geschlechtsangleichender Operationen bestimmten "vornehmlich objektivierte medizinische Kriterien", verwendet sie zwar die Formulierungen des erkennenden Senats (vgl [X.] vom 11.9.2012 - B 1 KR 3/12 R - [X.], 289 = [X.] 4-2500 § 27 [X.], RdNr 22; [X.] vom 11.9.2012 - B 1 KR 9/12 R - juris RdNr 21), leitet aus ihnen jedoch einen anderen Maßstab iS einer möglichst weitgehenden Feminisierung mit der Folge ab, dass die durchgeführten gesichtsharmonisierenden Operationen hier notwendig gewesen seien. Insoweit legt sie lediglich ihre abweichende Rechtsansicht dar. Die Behauptung, die Berufungsentscheidung und die ihr zugrundeliegende Rechtsauffassung des [X.] seien inhaltlich unrichtig, kann aber nicht zur Zulassung der Revision führen (vgl [X.] vom [X.] - B 12 KR 62/04 B - [X.] 4-1500 § 160a [X.] Rd[X.]8).

8

2. Es kann offenbleiben, ob die Klägerin mit ihrem Vorbringen, es gebe medizinische Erhebungen dazu, welche äußeren Merkmale eines Gesichts bei [X.] den Eindruck eines männlichen oder fraulichen Gesichts hervorriefen, überhaupt einen Verfahrensmangel geltend macht. Selbst wenn sie sinngemäß eine fehlerhafte Beweiswürdigung (§ 128 Abs 1 Satz 1 [X.]) und eine Verletzung der Aufklärungspflichten (§ 103 [X.]) durch das [X.] rügen sollte, genügt ihr Vorbringen nicht den gesetzlichen Darlegungsanforderungen.

9

Nach § 160 Abs 2 [X.] [X.] ist die Revision zuzulassen, wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann. Der Verfahrensmangel kann nicht auf eine Verletzung von § 109 [X.] und § 128 Abs 1 Satz 1 [X.] (Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung) und auf eine Verletzung des § 103 [X.] (Amtsermittlungsgrundsatz) nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das [X.] ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Um einen Verfahrensmangel in diesem Sinne geltend zu machen, müssen die Umstände bezeichnet werden, die den entscheidungserheblichen Mangel ergeben sollen (stRspr, vgl zB [X.] vom 18.2.1980 - 10 BV 109/79 - [X.] 1500 § 160a [X.]6 mwN). Auf das Vorbringen fehlerhafter Beweiswürdigung kann die Klägerin sich daher nicht stützen. Auf einen konkreten Beweisantrag, dem das [X.] nicht gefolgt sei, beruft sich die Klägerin nicht.

3. Aus den unter 1. und 2. dargelegten Gründen scheidet mangels Erfolgsaussichten der Rechtsverfolgung auch die Bewilligung von PKH unter Beiordnung eines anwaltlichen Bevollmächtigten aus (§ 73a Abs 1 Satz 1 [X.] iVm §§ 114, 121 ZPO).

4. Der Senat sieht von einer weiteren Begründung ab (§ 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 [X.]).

5. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 [X.].

Meta

B 1 KR 8/19 B

27.05.2020

Bundessozialgericht 1. Senat

Beschluss

Sachgebiet: KR

vorgehend SG Hamburg, 11. April 2018, Az: S 18 KR 71/14, Urteil

§ 160a Abs 1 S 1 SGG, § 160a Abs 2 S 3 SGG, § 160 Abs 2 Nr 1 SGG, § 27 Abs 1 S 1 SGB 5, § 27 Abs 1 S 2 Nr 5 SGB 5, § 39 Abs 1 SGB 5

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Beschluss vom 27.05.2020, Az. B 1 KR 8/19 B (REWIS RS 2020, 2274)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2020, 2274

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1 BvR 2856/07

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