Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 15.09.2011, Az. 5 B 23/11

5. Senat | REWIS RS 2011, 3297

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Gegenstand

Anspruch auf rechtliches Gehör; Ablehnung der beantragten Einholung weiterer Auskünfte; Nichtberücksichtigung von Beteiligtenvorbringen


Gründe

1

Die [X.]eschwerde ist unbegründet. Die Revision ist nicht nach §§ 133, 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO wegen eines Verfahrensfehlers zuzulassen. Denn die vom Kläger gerügte Ablehnung seiner in der mündlichen Verhandlung gestellten [X.]eweisanträge begründet keine entscheidungserhebliche Verletzung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO).

2

1. Der Kläger wendet sich in der Sache dagegen, dass ihm wegen des Verdachts der Unterstützung verfassungsfeindlicher [X.]estrebungen nach § 11 Satz 1 Nr. 1 [X.] keine Einbürgerungszusicherung erteilt wird. Nach den Feststellungen des [X.] ist er seinem eigenen [X.]ekunden zufolge seit 1988 Mitglied der "[X.]" (im Folgenden: [X.]) und seit Mai 1996 mit einer zweijährigen Unterbrechung Vorsteher von mit der [X.] verbundenen Moscheevereinen. Er bestreitet in seiner Funktion als Vorsitzender der Moscheevereine verfassungsfeindliche [X.]estrebungen unterstützt zu haben. Im [X.]erufungsverfahren hat er [X.]eweiserhebung dazu beantragt, dass die früheren und gegenwärtigen Aktivitäten der von ihm geleiteten Vereine ausschließlich auf die religiöse Grundversorgung ihrer Mitglieder und auf die Integration der Kinder und Jugendlichen in [X.] gerichtet gewesen sind. Ferner solle [X.]eweis darüber erhoben werden, dass diese Moscheevereine nur im [X.]ereich der religiösen Grundversorgung vertraglich an die Zentrale der [X.] gebunden sind, im Übrigen aber autonome Selbstverwaltung genießen.

3

Soweit das Oberverwaltungsgericht diese Anträge abgelehnt hat, liegt im Ergebnis keine Verletzung des Anspruchs aus Art. 103 Abs. 1 GG vor. Das Gebot der Gewährung rechtlichen Gehörs verpflichtet das Gericht, die Ausführungen der Verfahrensbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und bei der Entscheidungsfindung in Erwägung zu ziehen. Demnach muss das Gericht einem [X.]eweisangebot nachgehen, wenn die unter [X.]eweis gestellte Tatsachenbehauptung nach seinem Rechtsstandpunkt erheblich ist und die Nichtberücksichtigung des [X.]eweisangebots im Prozessrecht keine Stütze findet ([X.]eschluss vom 14. Juni 2005 - [X.]VerwG 2 [X.] 108.04 - [X.] 235.1 § 58 [X.] Nr. 1; [X.], [X.] vom 22. Januar 2001 - 1 [X.]vR 2075/98 - NJW-RR 2001, 1006).

4

Es bedarf hier keiner abschließenden Prüfung und Entscheidung, ob die vom [X.]erufungsgericht in der mündlichen Verhandlung zu Protokoll gegebene [X.]egründung für die Ablehnung der ersten beiden [X.]eweisanträge [X.] tragfähig ist. Denn die unter [X.]eweis gestellten Fragen waren aus der im Rahmen des Art. 103 Abs. 1 GG maßgeblichen Sicht des [X.]erufungsgerichts nicht entscheidungserheblich. Das Oberverwaltungsgericht hat seine Entscheidung nicht darauf gestützt, dass bezogen auf die vom Kläger geleiteten lokalen Moscheevereine der begründete Verdacht der Unterstützung verfassungsfeindlicher [X.]estrebungen bestehe. Es hat auch die vom Kläger behauptete Selbstverwaltungsautonomie der zur [X.] gehörenden Moscheevereine nicht in Abrede gestellt. Vielmehr hat es die Ablehnung der Einbürgerung in erster Linie und seine Entscheidung selbstständig tragend auf die langjährige Mitgliedschaft des [X.] in der bundesweit tätigen [X.] gestützt und eine Unterstützung dieser als verfassungsfeindlich eingeordneten Vereinigung schon darin gesehen, dass er als Vereinsvorstand die religiöse Einflussnahme der [X.] begünstigt und damit die Position dieser verfassungsfeindlichen Organisation in der öffentlichen Wahrnehmung aufgewertet habe. Da das [X.]erufungsgericht die mit den abgelehnten ersten beiden Anträgen unter [X.]eweis gestellten [X.]ehauptungen seiner rechtlichen Würdigung nicht zugrunde gelegt hat, kann das [X.]erufungsurteil auch nicht auf der Ablehnung dieser [X.]eweisanträge beruhen.

5

2. Eine Verletzung von Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO liegt auch nicht darin, dass das Oberverwaltungsgericht die beantragte [X.]eweiserhebung zur Frage des Reformprozesses innerhalb der [X.] während der 90er Jahre nicht durchgeführt hat. Diese Frage war zwar auch aus der Sicht des [X.]erufungsgerichts entscheidungserheblich. Es ist im Gegensatz zum Kläger nach Auswertung der ihm vorliegenden [X.] davon ausgegangen, dass in der [X.] auch mit dem Hineinwachsen einer jüngeren Generation in die Führungsebene in den 90er Jahren keine grundlegende Abkehr von den antidemokratischen Doktrinen des Gründers der [X.], Necmettin [X.], verbunden gewesen sei.

6

Die Ablehnung der beantragten Einholung von weiteren Auskünften zu dieser Frage findet jedoch im vorliegenden Fall im Prozessrecht eine ausreichende Stütze. Es erscheint zwar zweifelhaft, ob der [X.]eweisantrag mit der [X.]egründung abgelehnt werden konnte, er ziele auf eine dem [X.]eweis nicht zugängliche Wertung. Im klägerischen [X.]eweisantrag ist bei der Formulierung des [X.] ein dem [X.]eweis zugänglicher Tatsachenkern durchaus erkennbar. Die Ablehnung des [X.]eweisantrags wurde jedoch in [X.] letztlich tragfähiger Weise auch damit begründet, dass dem Gericht bereits Erkenntnisquellen des [X.] und von Prof. Dr. S. vorliegen. Das [X.]erufungsgericht hat vor der mündlichen Verhandlung mit Telefax vom 4. Februar 2011 auf die ihm vorliegenden [X.] hingewiesen und die Einbeziehung der in erster Instanz vorgelegten Erkenntnisquellen angekündigt. Danach befanden sich bei den vom Gericht herangezogenen Erkenntnisquellen unter anderem die Verfassungsschutzberichte des zuständigen [X.] von 2006 bis 2009 sowie zwei Veröffentlichungen und ein Gutachten von Prof. Dr. S. aus den Jahren 2004 und 2005.

7

Liegen - wie hier - bereits amtliche Auskünfte und gutachterliche Stellungnahmen zu einer entscheidungserheblichen Tatsache vor, steht es analog § 98 VwGO i.V.m. § 412 Abs. 1 ZPO grundsätzlich im Ermessen des Tatsachengerichts, ob es erneut amtliche oder sachverständige Auskünfte einholt. Dieses Ermessen wird nur dann [X.] ausgeübt, wenn das Gericht von der Einholung einer weiteren Auskunft oder eines weiteren Gutachtens absieht, obwohl die Notwendigkeit dieser weiteren [X.]eweiserhebung sich ihm hätte aufdrängen müssen (vgl. [X.]eschlüsse vom 19. August 2010 - [X.]VerwG 10 [X.] 22.10, 10 PKH 11.10 - juris Rn. 11 und vom 12. Juni 1997 - [X.]VerwG 11 [X.] 13.97 - juris Rn. 5; Urteile vom 15. Oktober 1985 - [X.]VerwG 9 [X.] 3.85 - [X.] 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 38 und vom 6. Februar 1985 - [X.]VerwG 8 [X.] 15.84 - [X.]VerwGE 71, 38 <41> = [X.] 303 § 414 ZPO Nr. 1).

8

Der Kläger hat zwar eine erneute Auskunft des [X.] und von Prof. Dr. S. beantragt. Er hat aber weder bei der [X.]egründung dieses [X.]eweisantrags im [X.]erufungsverfahren noch in der [X.]eschwerdebegründung aufgezeigt, dass die früheren Erkenntnisse unverwertbar oder mangelhaft wären oder welche weitergehenden neueren oder besseren Erkenntnisse von diesen Auskünften über die bereits eingeführten Stellungnahmen hinaus zu erwarten gewesen wären. Auch eine wesentliche Veränderung der Tatsachenlage, die möglicherweise Anlass zur Einholung weiterer Auskünfte hätte sein können, ist nicht dargetan und auch nicht ersichtlich. Denn der unter [X.]eweis gestellte Kurswechsel der [X.] hat nach dem Vortrag des [X.] bereits Mitte der 90er Jahre stattgefunden, so dass die diesbezüglichen Vorgänge in den vorliegenden Stellungnahmen aus den Jahren 2004 bis 2009 dargestellt und gewürdigt werden konnten. Dass sich dem [X.]erufungsgericht unter diesen Umständen die beantragte weitere [X.]eweiserhebung hätte aufdrängen müssen, ist weder ordnungsgemäß dargelegt noch erkennbar.

9

3. Schließlich hat das Oberverwaltungsgericht auch nicht dadurch den Anspruch des [X.] aus Art. 103 Abs. 1 GG verletzt, dass es sein Vorbringen, dem verfassungsfreundlichen Flügel innerhalb der [X.] anzugehören, nicht berücksichtigt hat. Der Anspruch auf rechtliches Gehör verpflichtet die Gerichte, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen, in Erwägung zu ziehen und die wesentlichen Gründe für ihre Entscheidung anzugeben (§ 108 Abs. 1 Satz 2 VwGO). Die Gerichte brauchen sich jedoch nicht mit jedem Vorbringen der [X.]eteiligten in den Gründen der Entscheidung ausdrücklich auseinanderzusetzen. Denn es ist grundsätzlich davon auszugehen, dass ein Gericht das von ihm entgegengenommene [X.]eteiligtenvorbringen auch zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen hat. Etwas anderes gilt, wenn im Einzelfall besondere Umstände deutlich machen, dass tatsächliches Vorbringen eines [X.]eteiligten überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder doch bei der Entscheidung nicht erwogen worden ist (vgl. [X.], [X.]eschluss vom 23. Juli 2003 - 2 [X.]vR 624/01 - NVwZ-RR 2004, 3; [X.]VerwG, [X.]eschluss vom 22. Oktober 2009 - [X.]VerwG 5 [X.] 51.09 - juris Rn. 22).

Gemessen an diesen Anforderungen ergibt sich aus den Darlegungen des [X.] keine Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör.

Wie sich bereits aus dem Tatbestand des angegriffenen Urteils ([X.]) ergibt, hat das [X.]erufungsgericht den Vortrag in der (vom Kläger nicht unterschriebenen) Anlage zum Schriftsatz vom 28. Januar 2011 durchaus zur Kenntnis genommen und dieses Vorbringen zutreffend dahingehend zusammengefasst, dass der Kläger sich für eine verfassungsfreundliche Entwicklung der [X.] einsetze. Es hat jedoch in den Entscheidungsgründen ([X.] f.) im Rahmen der ihm nach § 108 Abs. 1 VwGO zustehenden tatrichterlichen Würdigung in vertretbarer Weise ausgeführt, dass es in dieser Einlassung des [X.] keine eindeutige Distanzierung von verfassungsfeindlichen Strömungen und kein glaubhaftes [X.]ekenntnis zum Reformflügel innerhalb der [X.] sehe. Ein Verstoß gegen den Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs liegt aber nicht vor, wenn das Gericht das zur Kenntnis genommene und in Erwägung gezogene Vorbringen eines [X.]eteiligten aus Gründen des formellen oder materiellen Rechts teilweise oder ganz unberücksichtigt lässt (vgl. [X.], Urteil vom 8. Juli 1997 - 1 [X.]vR 1621/94 - [X.]E 96, 205 <216>). Der Einwand des [X.] schließlich, bei [X.] seiner Darstellung hätte das Oberverwaltungsgericht "keine Abwendung des [X.] von verfassungsfeindlichen [X.]estrebungen ... und damit eine gesteigerte einbürgerungsrechtliche Obliegenheit" fordern können, führt nicht auf einen Verfahrensverstoß durch Verletzung des rechtlichen Gehörs, sondern greift in Wahrheit die materiellrechtliche Sicht des [X.] an.

Von einer weiteren [X.]egründung wird abgesehen (§ 133 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 2 VwGO).

Meta

5 B 23/11

15.09.2011

Bundesverwaltungsgericht 5. Senat

Beschluss

Sachgebiet: B

vorgehend Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg, 10. Februar 2011, Az: OVG 5 B 6.07, Urteil

Art 103 Abs 1 GG, § 108 Abs 2 VwGO, § 132 Abs 2 Nr 3 VwGO, § 108 Abs 1 S 1 VwGO

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 15.09.2011, Az. 5 B 23/11 (REWIS RS 2011, 3297)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 3297

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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Kein Anspruch auf Zulassung des Bürgerbegehrens gegen Europäisches Zentrum für den Islam


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Wird zitiert von

9 K 4555/19

Zitiert

1 BvR 1621/94

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