Bundesfinanzhof, Beschluss vom 25.07.2011, Az. I B 10/11

1. Senat | REWIS RS 2011, 4410

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Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

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Gegenstand

Richterablehnung nach Beendigung der Instanz - Verletzung rechtlichen Gehörs


Leitsatz

1. NV: Mit der Ablehnung kann nur das Ziel verfolgt werden, den abgelehnten Richter an einer weiteren Tätigkeit in dem betreffenden Verfahren zu hindern. Ein Rechtschutzbedürfnis für eine Richterablehnung besteht daher nicht mehr, wenn keine Entscheidung des Richters mehr aussteht .

2. NV: Eine Pflicht zur Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung und zu Hinweisen auf das voraussichtliche Ergebnis der Beweiswürdigung besteht nur, wenn das Gericht seine Entscheidung auf einen bis dahin nicht erörterten rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt stützen und dem Rechtsstreit damit eine Wendung geben will, mit der auch ein kundiger Prozessbeteiligter nach dem bisherigen Prozessverlauf nicht rechnen musste .

3. NV: Das Urteil des FG beruht nicht auf einer Verletzung rechtlichen Gehörs, wenn das FG zwar einen zur Wahrung rechtlichen Gehörs erforderlichen Hinweis unterlässt, seine Entscheidung aber alternativ begründet hat, und der Hinweis hinsichtlich der anderen (die Entscheidung selbständig tragenden) Begründung nicht erforderlich war .

Gründe

1

[X.]ie Beschwerde ist unbegründet. [X.]ie Revision ist nicht wegen eines [X.] (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 der Finanzgerichtsordnung --[X.]O--) zuzulassen.

2

1. a) [X.]er Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) macht zunächst geltend, aus der Beweiswürdigung im Urteil des Finanzgerichts ([X.]) ergebe sich die Voreingenommenheit der [X.]. [X.]as [X.] führe darin u.a. aus, dass es den Kläger für unglaubwürdig erachte und davon überzeugt sei, dass der Kläger die Unwahrheit sage. [X.]iese Voreingenommenheit gründe im vorangegangenen Verfahren 8 K 4077/07. In diesem Verfahren sei der ehemalige Geschäftspartner des [X.], [X.], als Zeuge vernommen worden, der die Gelegenheit genutzt habe, sich ausgiebig über den Kläger, mit dem er im Streit liege, auszulassen. [X.]ie wesentlichen Aussagen des Zeugen seien unwahr gewesen und ins Blaue gegangen. [X.]as [X.] habe jedoch dessen Bekundungen als wahr angenommen und die Klage abgewiesen. Tatsächlich habe [X.] gelogen. Es stehe zu vermuten, dass das [X.] sich von diesem Zeugen habe beeindrucken lassen und dessen Einschätzung über den Kläger übernommen habe. [X.]as [X.] habe nicht berücksichtigt, dass es sich bei den Aussagen des [X.] um Schutzbehauptungen gehandelt habe.

3

b) Sollten diese Ausführungen als Rüge der Befangenheit zu verstehen sein, ist diese mangels Rechtsschutzbedürfnis unzulässig. Nach § 51 Abs. 1 Satz 1 [X.]O i.V.m. § 42 Abs. 1 der Zivilprozessordnung (ZPO) kann ein [X.] wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen in seine Unparteilichkeit zu rechtfertigen (§ 42 Abs. 2 ZPO). Mit der [X.]ablehnung kann nur das Ziel verfolgt werden, den abgelehnten [X.] an einer weiteren Tätigkeit in dem betreffenden Verfahren zu hindern. Ein Gesuch auf [X.]ablehnung kommt deshalb nicht mehr in Betracht, wenn der [X.] seine richterliche Tätigkeit im konkreten Verfahren beendet hat (vgl. z.B. Beschlüsse des [X.] --BFH-- vom 2. November 2000 [X.]/00, [X.] 2001, 609; vom 14. Mai 1996 [X.]/95, [X.] 1996, 904; vom 24. November 1994 [X.]-149/94, [X.] 1995, 692). Kein Rechtschutzbedürfnis für ein Ablehnungsgesuch besteht deshalb grundsätzlich dann, wenn --wie hier-- keine Entscheidung des [X.]s mehr aussteht, wenn also die Instanz mit allen Nebenentscheidungen beendet ist und auch eine Änderung der Entscheidung nicht mehr in Betracht kommt (z.B. [X.] in [X.] 1995, 692, m.w.N.).

4

[X.]essen ungeachtet ist der Umstand, dass das [X.] den Kläger als unglaubwürdig und seine Aussagen als unglaubhaft gewürdigt und dies im Einzelnen begründet hat, nicht geeignet, Zweifel an der Unvoreingenommenheit der [X.] aufkommen zu lassen.

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2. [X.]as [X.] war auch nicht verpflichtet, vor Verkündung des Urteils das Ergebnis seiner Beweiswürdigung dem Kläger mitzuteilen (Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes, § 96 Abs. 2 [X.]O). [X.]ie Entscheidung, wie die Tatsachen und Beweise im jeweiligen Streitfall zu würdigen sind, wird erst in der Beratung nach Schluss der mündlichen Verhandlung getroffen. Eine Pflicht zur Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung und zu Hinweisen auf das voraussichtliche Ergebnis der Beweiswürdigung besteht nur, wenn das Gericht seine Entscheidung auf einen bis dahin nicht erörterten rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt stützen und damit dem Rechtsstreit eine Wendung geben will, mit der auch ein kundiger Prozessbeteiligter nach dem bisherigen Prozessverlauf nicht rechnen musste (Beschluss des [X.] vom 29. Mai 1991  1 BvR 1383/90, [X.] 84, 188; BFH-Urteil vom 17. Februar 1998 VIII R 28/95, [X.], 29, [X.] 1998, 505; Senatsbeschluss vom 14. Juni 1999 [X.], [X.] 1999, 1609; BFH-Urteil vom 23. Februar 2000 VIII R 80/98, [X.] 2000, 978). [X.]ieser Ausnahmefall war vorliegend nicht gegeben. Ein Kläger muss --insbesondere bei einander widersprechenden [X.] damit rechnen, dass das [X.] die Tatsachen und Beweise zu seinen Lasten würdigt. Eine Pflicht, vor Verkündung des Urteils hierauf hinzuweisen, besteht nicht.

6

3. [X.]ie Rüge des [X.], das [X.] habe seinen Anspruch auf rechtliches Gehör auch deshalb verletzt, weil es sein Urteil ohne vorherigen Hinweis auf die Aussage des Zeugen [X.] in dem das Jahr 2005 betreffenden Klageverfahren des [X.] gestützt und die [X.] beigezogen habe, kann schon deshalb nicht zur Zulassung der Revision führen, weil das Urteil des [X.] nicht auf der Aussage des [X.] oder dem Inhalt der [X.] beruht. [X.]as [X.] hat sein Urteil, hinsichtlich der streitigen Einkünfte bestehe ein Besteuerungsrecht [X.]eutschlands, alternativ begründet, aber nur für eine Begründung die Aussagen des [X.] herangezogen. [X.]as [X.] hat angenommen, dass der Kläger abkommensrechtlich im Streitjahr in [X.]eutschland ansässig gewesen sei und hat sich dazu ergänzend auf die Aussage des [X.] gestützt, nach der der Kläger neben der streitgegenständlichen selbständigen Tätigkeit auch ([X.] und (Mit-)Geschäftsführer einer im Streitjahr aktiven (inländischen) GmbH gewesen sei. [X.]as [X.] hat aber alternativ die Klage auch dann als unbegründet erachtet, wenn der Kläger abkommensrechtlich im Streitjahr in [X.] ansässig gewesen sein sollte, weil dann die Einkünfte einer inländischen selbständigen Einrichtung des [X.] zuzurechnen wären. Bei dieser das Urteil des [X.] selbständig tragenden Begründung hat sich das [X.] weder auf die Aussage des [X.] noch den Inhalt der [X.] gestützt.

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4. [X.]ie Rüge, das [X.] habe gegen seine Sachaufklärungspflicht verstoßen, ist nicht schlüssig erhoben.

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[X.]ie schlüssige [X.]arlegung des [X.] einer Verletzung der dem [X.] von Amts wegen obliegenden Sachaufklärungspflicht (§ 76 Abs. 1 Satz 1 [X.]O) erfordert Angaben, welche Tatsachen das [X.] mit welchen Beweismitteln noch hätte aufklären sollen und weshalb sich dem [X.] eine Aufklärung unter Berücksichtigung seines --insoweit maßgeblichen-- Rechtsstandpunkts hätte aufdrängen müssen, obwohl der Kläger selbst keinen entsprechenden Beweisantrag gestellt hat, schließlich, welches Ergebnis die Beweiserhebung hätte erwarten lassen und inwiefern dieses zu einer für den Kläger günstigeren Entscheidung hätte führen können (vgl. BFH-Urteil vom 5. Oktober 1999 [X.]/97, [X.], 140, [X.] 2000, 93). An solchen [X.]arlegungen der Beschwerde fehlt es im Streitfall schon deshalb, weil der Kläger nicht angibt, weshalb er, obwohl in der mündlichen Verhandlung fachkundig vertreten, nicht von sich aus einen Beweisantrag gestellt hat.

Meta

I B 10/11

25.07.2011

Bundesfinanzhof 1. Senat

Beschluss

vorgehend FG Köln, 8. Dezember 2010, Az: 8 K 4073/07, Urteil

§ 51 Abs 1 S 1 FGO, § 76 Abs 1 S 1 FGO, § 96 Abs 2 FGO, Art 103 Abs 1 GG, § 42 Abs 1 ZPO, § 42 Abs 2 ZPO

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Beschluss vom 25.07.2011, Az. I B 10/11 (REWIS RS 2011, 4410)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 4410

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