Bundesfinanzhof, Urteil vom 12.10.2011, Az. I R 93/10

1. Senat | REWIS RS 2011, 2457

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Gegenstand

Genossenschaft ist keine Kapitalgesellschaft i.S. des Art. 15 Abs. 4 DBA-Schweiz


Leitsatz

NV: Vergütungen, die eine in Deutschland ansässige Person für ihre Tätigkeit als Organ einer schweizerischen Genossenschaft vereinnahmt, sind keine solchen i.S. von Art. 15 Abs. 4 Satz 1 DBA-Schweiz 1992 für die entsprechende Tätigkeit als Organ einer in der Schweiz ansässigen Kapitalgesellschaft und deswegen, soweit sie auf Aktivitäten außerhalb der Schweiz entfallen, nicht von der deutschen Einkommensteuer freigestellt .

Tatbestand

1

I. Streitig ist, ob von einem [X.] [X.]rbeitgeber bezogene Einkünfte aus nichtselbständiger [X.]rbeit der [X.] Einkommensteuer unterliegen.

2

Die zur Einkommensteuer des Streitjahres 2003 als Eheleute zusammen veranlagten Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) hatten im Streitjahr einen Wohnsitz in [X.]. Der Kläger, ein [X.] Staatsangehöriger, hatte darüber hinaus einen Wohnsitz in der [X.]. Er war … Generaldirektor bei der [X.], einer im [X.] Handelsregister eingetragenen Genossenschaft mit Sitz in [X.]. [X.]us diesem [X.]rbeitsverhältnis bezog er im Streitjahr ein Bruttogehalt von [X.]. Die Tätigkeit übte der Kläger vorwiegend in der [X.] aus.

3

Das Einkommen aus dieser Tätigkeit wurde in der [X.] nicht der Besteuerung unterworfen. Die Geschäftsleitung der [X.] hatte mit dem [X.]erischen Bundesrat (Conseil fédéral suisse) eine auch im Streitjahr noch wirksame Vereinbarung getroffen, nach der alle Mitarbeiter der [X.] mit nicht-schweizerischer Staatsangehörigkeit für die während ihrer Tätigkeit in der [X.] von [X.] bezogenen Gehälter von der [X.] Besteuerung freigestellt werden.

4

Der Kläger erklärte seine bei [X.] erzielten Einkünfte aus nichtselbständiger [X.]rbeit als steuerfreie Einnahmen. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --F[X.]--) folgte dem nicht.

5

Das Finanzgericht (FG) [X.] gab der Klage gegen den hiernach ergangenen Einkommensteuerbescheid durch Urteil vom 23. September 2010  11 K 1169/08 statt (Entscheidungen der Finanzgerichte 2011, 418), indem es die Einkommensteuer von zuvor [X.] (Einspruchsentscheidung) auf [X.] herabsetzte.

6

Das F[X.] rügt mit der Revision die Verletzung materiellen Rechts und beantragt sinngemäß, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.

7

Die Kläger beantragen, die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

8

II. Die Revision des [X.] ist begründet; das angefochtene Urteil wird aufgehoben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung --[X.]O--). Für die Entscheidung, ob und ggf. inwieweit die in [X.] erzielten Einkünfte in die Bemessungsgrundlage der [X.] Einkommensteuer einzubeziehen sind, fehlen tatrichterliche Feststellungen zu der Frage, inwieweit der Arbeitslohn des [X.] auf eine Tätigkeit in [X.] entfällt.

9

1. Nach den Feststellungen des [X.], die nicht mit zulässigen und begründeten Revisionsrügen angegriffen und deshalb im Revisionsverfahren bindend sind (§ 118 Abs. 2 [X.]O), hatte der Kläger im Streitjahr einen Wohnsitz im Inland. Er war mithin gemäß § 1 Abs. 1 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes 2002 unbeschränkt steuerpflichtig mit der Folge, dass er mit allen im Streitjahr erzielten Einkünften der Einkommensteuer unterlag. Ferner ist das [X.] ersichtlich davon ausgegangen, dass der Kläger aus abkommensrechtlicher Sicht in [X.] ansässig war (Art. 4 des Abkommens zwischen der Bundesrepublik [X.] und [X.]erischen Eidgenossenschaft zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiete der Steuern vom Einkommen und Vermögen vom 11. August 1971, [X.] 1972, 1022, BStBl I 1972, 519 i.d.[X.] vom 21. Dezember 1992, [X.] 1993, 1888, [X.], 928

--DBA-[X.] 1992--); diese Einschätzung wird von den Beteiligten geteilt und bedarf deshalb und mangels gegenteiliger Anhaltspunkte keiner näheren Erörterungen.

2. Nach Art. 24 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. d DBA-[X.] 1992 werden bei einer in [X.] ansässigen Person aus [X.] stammende Gehälter, Löhne und ähnliche Vergütungen i.S. des Art. 15 DBA-[X.] 1992, soweit sie nicht unter Art. 17 DBA-[X.] 1992 fallen, von der Bemessungsgrundlage der [X.] Steuer ausgenommen, wenn sie in [X.] besteuert werden können und wenn die Arbeit in [X.] ausgeübt wird. Dazu kann der Senat im Ergebnis wegen fehlender tatsächlicher Feststellungen keine abschließende Entscheidung treffen.

a) Die Vorinstanz ist in Übereinstimmung mit den Beteiligten davon ausgegangen, dass die vom Kläger bezogene Vergütung der Regelung des Art. 15 Abs. 4 DBA-[X.] 1992 unterfällt. Dem ist nicht beizupflichten.

aa) Nach Art. 15 Abs. 4 Satz 1 DBA-[X.] 1992 können die Einkünfte einer natürlichen Person, die in [X.] ansässig, aber als Vorstandsmitglied, Direktor, Geschäftsführer oder Prokurist einer in [X.] ansässigen Kapitalgesellschaft tätig ist, in [X.] besteuert werden, vorausgesetzt, die Tätigkeit ist nicht so abgegrenzt, dass sie lediglich Aufgaben außerhalb [X.] umfasst. Dabei greift dieses Besteuerungsrecht unabhängig von dem Ort der physischen Anwesenheit der betreffenden Person; Art. 15 Abs. 4 Satz 1 DBA-[X.] 1992 ordnet die Fiktion des Arbeitsorts an, die auch im Rahmen von Art. 24 DBA-[X.] 1992 maßgebend ist (vgl. z.B. Senatsurteil vom 25. Oktober 2006 [X.], [X.], 237, [X.], 778; s.a. [X.] in [X.]/[X.]/[X.], Doppelbesteuerungsabkommen [X.]-[X.], Art. 15 Rz 115; [X.] in Debatin/ [X.], Doppelbesteuerung, [X.] Art. 15 Rz 100, 106, jeweils m.w.N. zur ständigen Rechtsprechung des Senats). [X.] die [X.] diese Einkünfte nicht, können sie allerdings in [X.] besteuert werden (Art. 15 Abs. 4 Satz 2 DBA-[X.] 1992). Im Übrigen gilt diese Regelung nur vorbehaltlich des Art. 15a DBA-[X.] 1992. Deshalb dürfen, wenn die betreffende Person Grenzgänger i.S. des Art. 15a Abs. 2 DBA-[X.] 1992 ist, die von ihr bezogenen Gehälter, Löhne und ähnlichen Vergütungen in [X.] besteuert werden (Art. 15a Abs. 1 Satz 1 DBA-[X.] 1992).

bb) Im Streitfall war der Kläger, den das [X.] in Übereinstimmung mit den Beteiligten nicht als Grenzgänger i.S. des Art. 15a DBA-[X.] 1992 angesehen hat, nach den Feststellungen des [X.] als Generaldirektor der [X.] A --einer Genossenschaft--

tätig. Damit ist die Tatbestandsvoraussetzung einer Tätigkeit bei einer "Kapitalgesellschaft" (Art. 15 Abs. 4 Satz 1 DBA-[X.] 1992) nicht erfüllt.

aaa) Der erkennende Senat hat in diesem Zusammenhang in seinem Urteil vom 21. August 2007 [X.] ([X.], 530) --zu einem im [X.] Handelsregister eingetragenen Verein i.S. der Art. 60 ff. des [X.]erischen Zivilgesetzbuchs-- entschieden, dass der Begriff der Kapitalgesellschaft nicht jede Rechtsperson erfasst, die sowohl nach schweizerischem wie nach [X.] Rechtsverständnis als juristische Person bzw. Körperschaft anzusehen ist. Eine Ausdehnung des in Art. 15 Abs. 4 Satz 1 DBA-[X.] 1992 verwendeten (engeren) Begriffs der Kapitalgesellschaft auf Körperschaften jeglicher Art kann weder aus dem [X.] noch -zusammenhang abgeleitet werden. Dazu hat der Senat darauf verwiesen, dass das Abkommen immer dann, wenn darin allgemein von juristischen Personen oder von Rechtsträgern, die für die Besteuerung wie juristische Personen behandelt werden, gesprochen wird, ausweislich der insoweit maßgeblichen (vgl. Art. 3 Abs. 2 DBA-[X.] 1992) Abkommensdefinition in Art. 3 Abs. 1 Buchst. e DBA-[X.] 1992 (nur) von "Gesellschaft" die Rede ist.

bbb) Daran ist festzuhalten. Der insoweit eindeutige Abkommenswortlaut steht der Auffassung der Kläger entgegen, letztlich alle Gesellschaftsformen mit Haftungsbegrenzung, eigener Rechtssubjektivität bzw. Steuerrechtsfähigkeit und einer Beteiligung der Mitglieder/Gesellschafter am Gewinn nur im Falle der Ausschüttung abkommensrechtlich als Kapitalgesellschaft zu behandeln (abweichend Niedersächsisches [X.], Urteil vom 14. Mai 1991 VI 676/89, Recht der [X.] 1991, 963; zweifelnd [X.] in [X.]/[X.]/[X.], a.a.O., Art. 15 Rz 107). Der von den Vertragsstaaten in Kenntnis der Differenzierungsmöglichkeiten vereinbarte klare Abkommenswortlaut begrenzt sowohl ein [X.] als auch ein einengendes Verständnis des Begriffs der Kapitalgesellschaft (zu Letzterem s. z.B. das Senatsurteil vom 19. Mai 2010 [X.]/09, [X.], 18). Auch eine Eintragung einer juristischen Person im Handelsregister kann auf dieser Grundlage eine abkommensrechtliche Gleichbehandlung mit einer dort ebenfalls eingetragenen Kapitalgesellschaft nicht erzwingen.

ccc) Wenn damit die Genossenschaft nicht in den Anwendungsbereich des Art. 15 Abs. 4 Satz 1 DBA-[X.] 1992 fällt, kommt es auf die Voraussetzungen der Rückfallklausel des Art. 15 Abs. 4 Satz 2 DBA-[X.] 1992 im Streitfall nicht an.

b) Das Besteuerungsrecht für die vom Kläger aus der Tätigkeit bei A bezogene Vergütung könnte allerdings gemäß Art. 15 Abs. 1 Satz 1 DBA-[X.] 1992 --zumindest teilweise-- [X.] zustehen. Denn danach können Gehälter, Löhne und ähnliche Vergütungen, die eine in einem Vertragsstaat (hier [X.]) ansässige Person aus unselbständiger Arbeit bezieht, nur in diesem Staat besteuert werden, es sei denn, die Arbeit wird in dem anderen Staat ausgeübt. [X.] verbleibt damit die Besteuerung von Einkünften für eine Tätigkeit in [X.] oder in einem Drittstaat bei [X.] als Wohnsitzstaat (vgl. z.B. Senatsbeschluss vom 19. April 1999 [X.]/98, [X.] 1999, 1317, 1319 f.; Senatsurteil in [X.], 530). Soweit die Tätigkeit hingegen in [X.] ausgeübt wurde, steht dieser das Besteuerungsrecht zu.

Zum Ort der Tätigkeit des [X.] hat das [X.] --von seinem Rechtsstandpunkt aus zu [X.] jedoch keine Feststellungen getroffen. Diese Feststellungen können im Revisionsverfahren nicht nachgeholt werden; diese Aufgabe obliegt dem [X.] im zweiten Rechtsgang.

Meta

I R 93/10

12.10.2011

Bundesfinanzhof 1. Senat

Urteil

vorgehend FG München, 23. September 2010, Az: 11 K 1169/08, Urteil

Art 15 Abs 4 DBA CHE 1992, Art 24 Abs 1 Nr 1 Buchst d DBA CHE 1992, Art 3 Abs 1 Buchst e DBA CHE 1992, Art 15 Abs 1 S 1 DBA CHE 1992, Art 3 Abs 2 DBA CHE 1992

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Urteil vom 12.10.2011, Az. I R 93/10 (REWIS RS 2011, 2457)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 2457

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